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Ausgabe:

1969

Spalte:

834-836

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Jahrbuch für Antike und Christentum Jg. 10 1969

Rezensent:

Campenhausen, Hans

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 11

834

Conzelmann, Hans: Grundriß der Theologie des Neuen Testaments
. München: Kaiser 1967. 407 S. gr. 8° = Einführung in die
evang. Theologie, 2. Kart. DM 25,-; Lw. DM 28,-.

Mit Conzelmanns „Grundriß" erscheint nach Bultmanns monumentaler
Darstellung (1. Aufl. 1948-53) erstmals wieder eine neu-
testamentliche Theologie im Raum des deutschsprachigen Protestantismus
. Damit ist die Aufgabe der Besprechung von selbst bestimmt
: es gilt, die Eigenart von C.'s Darstellung in ihrem Verhältnis
zu B.'s noch immer maßgebendem Werk zu skizzieren.

Bemerkenswert ist schon, daß C. lediglich einen „Grundriß" vorlegt
, der mit vierhundert Seiten auskommt, während B. für seine
umfassende Behandlung sechshundert Seiten benötigte. Diese Kürze
ist nicht Notbehelf, sondern Absicht (S. 15): sie soll der „Perfektions
-Psychose" im akademischen Raum entgegenwirken und durch
„sachgemäße Vereinfachung und Übersichtlichkeit" die Studenten
nicht nur in den heutigen Stand der Arbeit einführen, sondern zugleich
zu eigenem Denken ermutigen. C. hat seine Darstellung ausdrücklich
als „Lehrbuch für den Studenten" entworfen. Anders als
bei B. ist also eine betont pädagogische Komponente im Spiel. Das
bedeutet sachlich: Reduktion des Stoffes auf wesentliche Texte und
Themen, Information über die in der Forschung anstehenden Probleme
und Lösungen, Konzentration in der Formulierung, die durch
Klarheit wie durch asketische Strenge - einfache Hauptsätze dominieren
- besticht. Daß sich B.'s Darstellung leichter liest, wird
man kaum bestreiten, aber eben dies von einem „Arbeitsbuch" auch
nicht verlangen können.

Damit ist bereits die inhaltliche Modifikation berührt. B.'s Darstellung
, der es primär um die existcntialc Interpretation der neu-
testamentlichen Gedankenwelt geht, kommt nach C. der Neigung
entgegen, „das Ergebnis der Interpretation als reines Destillat zu
schlürfen" (S. 13). Dies ist um so gefährlicher, als B.'s Voraussetzungen
dem heutigen Studenten weithin unbekannt sind, so daß er
tragende Begriffe wie „Entscheidung" und „Glaube" subjektivi-
stisch mißversteht. C. ist daher nicht nur zurückhaltender in der
Verwendung cxistcntialthcologischcr Begrifflichkeit, sondern läßt
vor allem wieder stärker die historische Komponente hervortreten.
Nicht ohne Grund stehen - anders als bei B. - zwei einleitende
Kapitel über die hellenistische und jüdische Umwelt voran. Andrerseits
wird Theologie nicht einfach wie bei B. als Interpretation
des „Kerygmas" bestimmt, sondern genauer als „Auslegung der ursprünglichen
Texte des Glaubens, also der ältesten Formulierungen
des Credo" (S. 13). Auf diese Weise wird dem Historismus gewehrt
und die Darstellung zugleich nach dem heutigen Stand der
Traditionsgeschichtc disponiert. Über B. hinaus geht C. dabei auch
insofern, als er solche für Theologie konstitutive Auslegung nicht
nur in der begrifflichen Entfaltung des Kerygmas (Paulus, Johannes
), sondern ebenso in der einzelnen Gcschichtserzählung und in
der Redaktionsarbeit der Synoptiker sieht. C. gelangt damit zu
einer Gesamtdisposition seiner Darstellung, die durch Geschlossenheit
und innere Konsequenz besticht und darin zweifellos B.'s
Werk noch übertrifft.

Konsequenterweise setzt C. nicht bei der rekonstruierten Lehre
Jesu ein. Ähnlich wie B. erklärt er, daß der historische Jesus „kein
Thema der ncutcstamcntlichen Theologie ist" (S. 16). Am Beginn
der Traditionsgeschichtc und daher auch am Beginn von C.'s Darstellung
steht vielmehr das Kcrygma der frühen Gemeinde, in
dem die Motive der ncutcstamcntlichen Theologie zuerst greifbar
werden. Die Übergänge zwischen Urgemcinde und hellenistischer
Gemeinde sind freilich fließend, so daß C. - wieder anders als B. -
deren Kcrygma in einem gemeinsamen ersten Hauptteil behandelt.
Der zweite Hauptteil zeigt, wie im Rahmen dieses frühen Kerygmas
der Überlieferungsstoff von Jesus aufgearbeitet wird, zunächst auf
der vorliterarischcn Stufe der synoptischen Tradition („das synoptische
Kcrygma"), später auf der literarischen Stufe der Evangelisten
(„die Theologie der Synoptiker"). Erst hier hat für C. die
Rückfrage nach Jesu Verkündigung ihren legitimen Ort: sie deckt
^ug für Zug die Bedingungen auf, ohne die „das synoptische Kcrygma
" nicht hätte entstehen können. Daß solche Rückfrage eine
selbständige theologische Relevanz besitzt, wird dabei freilich
nicht deutlich und offensichtlich von C. auch nicht gebilligt.

Auf andere Weise als in den Evangelien wird das frühe Kcrygma
ln den Briefen des Neuen Testaments theologisch aufgearbeitet.
Hier dominiert natürlich auch für C. die Theologie des Paulus, um
d'e es im dritten Hauptteil geht. B.'s Schema der Darstellung (Der

Mensch vor der Offenbarung des Pistis - Der Mensch unter der
Pistis) wird verworfen, da es pietistisch mißverstanden werden
kann und überdies die Akzente nicht sachgemäß verteilt. C. erörtert
an erster Stelle „Theologische Methode und Grundbegriffe",
des weiteren das Heilsgeschehen, die Glaubensgerechtigkeit, die
Gegenwärtigkeit der Offenbarung. Einzelthemen, die bei B. zu
kurz kommen (Sakramente, Parusie, A.T., Israel und Heilsgeschichte
, Prädestination) erfahren volle Würdigung. In immer
neuem Zugriff macht C. deutlich, daß die paulinische Theologie
nicht als objektivierte Lehre, sondern als geschichtlich bedingte
Auslegung des Glaubens verstanden werden will.

Anders als B. behandelt C. im unmittelbaren Anschluß an Paulus
in einem vierten Hauptteil „die Entwicklung zur Alten Kirche"
(so B.!), und zwar thematisch als „die Entwicklung nach Paulus".
Diese Einordnung wirkt einem ungeschichtlichen Werturteil („Frühkatholizismus
") entgegen, wird dem „Bestehen einer Schule des
Paulus" gerecht und entspricht der Tatsache, daß „apostolisches"
und „nachapostolisches" Zeitalter „nicht kirchengeschichtliche Wirklichkeit
sind, sondern eine Gcschichtsidce" (S. 14). Charakteristisch
für die gesamte nachpaulinische Entwicklung ist „eine neue Stufe
der Reflexion", die erreicht wird (S. 320): man besinnt sich
auf das Wesen von Tradition, von Apostolizität, von Kirche usw.
Erst im fünften Hauptteil gelangt die johanneische Theologie zur
Darstellung. Dabei dürfte kaum bezweifelt werden können, daß
C.'s Methode der Stoffbehandlung (Christologie, Vater und Sohn,
Sendung des Sohnes, Selbstdarstellung Jesu, Welt und Mensch, Gemeinde
in der Welt, Eschatologie) der Akzentuierung des johan-
neischen Schrifttums selbst besser entspricht als B.'s Darstellungs-
weisc. - Autoren-, Sach- und Stellenregister sichern dem Buch
den ohnehin deutlichen Charakter eines präzis informierenden
Nachschlagewerkes.

Das Ergebnis: B's Entwurf ist durch C. im Blick auf die neuere
Forschung (Traditionsgeschichtc, Redaktionsgeschichtc), auf die
pädagogische Zielsetzung (Lehrbuchcharakter) und auf die theologische
Gesamtsituation (Neigung zu Positivismus und Pietismus)
formal und sachlich modifiziert -, nicht aber durch einen nach Ansatz
und Durchführung völlig neuen Entwurf ersetzt worden. Daß
diese Modifikation in bezwingender Form gelungen ist, wird auch
der rückhaltlos anerkennen müssen, der sich eine Darstellung der
Theologie des Neuen Testaments nach Methode und historischtheologischen
Vorentscheidungen nun doch auch noch ganz anders
vorstellen kann.

Leipzig Günter Haufe

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Jahrbuch für Antike und Christentum. Hrsg. v. Franz-Joseph-
Dölger-Institut a. d. Universität Bonn. Schriftleitung: Th. Klauser
, A. Stuiber, K. Thraede. Jg. 10, 1967. Münster/W.: Aschendorff
(1968). 292 S. m. 13 Abb., 18 Taf. 4°. Kart. DM 51,-; Lw.
DM 57,-.

Der (zehnte) Band des Jahrbuchs für 1967 ist dem Andenken des
in diesem Jahr verstorbenen Mitherausgebers Alfred Hermann
geweiht. Er war als erster Ordinarius für Ägyptologie an der Universität
Köln aus dem Franz-Joseph-Dölger-Institut hervorgegangen
- wir haben seine zahlreichen, immer wertvollen und fesselnden
Beiträge in unseren Anzeigen wiederholt hervorgehoben. Jetzt
ist er zum letzten Mal mit einem interessanten Aufsatz über „Das
erste Bad des Heilands und Helden in spätantiker Kunst und Legende
" vertreten. Hier findet sich ein reiches Material für die Darstellungen
des ersten Bades Jesu und seiner Vorbilder, besonders
aus Ägypten. Der Name der helfenden Dienerin Zelomi ist vielleicht
mit der Chelone zusammenzubringen, der „Schildkröte", die
das Badegefäß für die byzantinischen Kronprinzen abgab und ihnen
die chthonischen Kräfte vermitteln sollte. Die noch weiter gehenden
„zunächst als Spekulation erscheinenden Gedanken" über die Quelle
und das Lebenswasser, die mit koptisch-gnostischen Vorstellungen
zusammenhängen mögen, sind wie so oft in solchen Fällen kaum
mit Sicherheit zu verifizieren.

Auch sonst ist dieser Band an gewichtigen archäologischen Aufsätzen
besonders reich. Die lange Reihe der „Beiträge zur Ge-