Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1969

Spalte:

828-829

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pfitzner, Victor C.

Titel/Untertitel:

Paul and the agon motif 1969

Rezensent:

Güttgemanns, Erhardt

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

827

Grenzen aufgezeigt. Im ganzen hat die Rede, die die längste in der
Apostelgeschichte ist und mehr als ein Zwanzigstel des ganzen
Werkes ausmacht, sowie die Frage nach dem ihr zugrunde liegenden
Material in der Forschung keine erschöpfende Behandlung gefunden
, so reich und vielseitig auch die exegetischen und historischen
Arbeiten sind, die dem schwierigen Stoff gewidmet wurden.
So hat auch die Frage nach Sinn und Bedeutung der Rede an dieser
Stelle der Apostelgeschichte noch keine endgültige Lösung erfahren.
Nach methodischen Vorbemerkungen und Fragen nach hellenistischen
oder samaritanischen Beziehungen und etwaigen literarischen
Einflüssen, schriftlichen Quellen oder mündlichen Überlieferungen
für die Rede werden ihr Text, Thema und Inhalt behandelt.
Samaritanische Einflüsse scheinen deutlich zu sein und samarita-
nische Textelemente und Anschauungen wie die vom Messias werden
hervorgehoben. In 15 Punkten werden die samaritanischen
Anklänge in der Stephanus-Überlieferung übersichtlich zusammengefaßt
. Daneben wird auf die besondere Art der Verwendung alt-
testamentlicher Testimonien hingewiesen, wobei der Rhythmus
von Erniedrigung und Erhöhung eine beachtliche Parallele zur
Jesus-Überlieferung ergibt. Als authentisch erscheint die Rede in
ihrem wesentlichen Inhalt, sofern sie bestimmte Erinnerungen an
Stephanus bewahrt hat und seine theologische Haltung widerspiegelt
. Er war durch seine Bekanntschaft mit samaritanischen Glaubensformen
und Erwartungen stark beeinflußt und sucht daher in
seinen Auseinandersetzungen mit den Juden die Kluft zwischen
Zion und Garizim, zwischen Juden und Samaritanern im Geiste
Jesu zu überbrücken. Aber er erregt damit erst recht Zorn und Verfolgungswut
.

Auf die grundsätzlichen Ausführungen folgen Einzeluntersuchungen
der Stellung des Stephanus zum Alten Testament, zum
Judentum, zu Paulus, Jakobus, zum Hebräerbrief, zu Matthäus und
zu den Gegnern des Paulus. Die Ausführungen setzen sich wie auch
schon in den einleitenden Kapiteln laufend mit der Forschung, der
älteren wie der neueren und neuesten auseinander, die Stephanus
oft einseitig von solchen Gegenüberstellungen aus beurteilt hat.
Als Grundfehler erscheint die Bindung an gewisse geschichtsmetho-
dologische Voraussetzungen, wie sie bereits von F. Chr. Baur für
die Einordnung der Gestalt des Stephanus in die Frühgeschichte
des Christentums im Anschluß an Hegels dialektische Methode gemacht
worden sind. So hat man ihn als Exponenten bestimmter
Gegensätze zu verstehen gesucht, deren endliche Synthese aufzuzeigen
wäre. Dagegen wird die mannigfaltige Verflechtung der positiven
wie der kritischen Glaubensaussagen des Stephanus mit
denen der Vergangenheit wie der eigenen Zeitgenossen behauptet
oder einsichtig gemacht. Denn die Geschichte des Urchristentums
verläuft jedenfalls zunächst nicht in der Auseinandersetzung einander
opponierender Richtungen und Parteiungen, sondern im
fruchtbaren Neben- und Miteinander freier, gläubiger Bekenntnisaussagen
, deren vielfältiger Reichtum erst in der späteren Zeit einseitiger
dogmatischer (gewiß z. T. politisch bedingter) Bindungen
der Kirche verloren gegangen ist. So kann Stephanus nicht als Vorkämpfer
bestimmter Lehrmeinungen in Anspruch genommen werden
; er ist vielmehr als Träger eines durch das Wort Jesu gewirkten
, vorwärts gerichteten Glaubens zu verstehen, der der verfolgten
Gemeinde den Weg in die missionarische Zukunft, zunächst den
Weg von Jerusalem nach Samarien weist.

Die Arbeit hat zunächst ihr Verdienst in der sorgfältigen wissenschaftsgeschichtlichen
Verarbeitung der Literatur. Jede These kommt
dabei zu ihrem Recht und wird in ihren verschiedenen Ausprägungen
dargestellt und gewertet. Eine umfassende, systematisch geordnete
Bibliographie zum Thema ermöglicht eine weite Überschau
und das Eindringen in die verschiedenen historischen und systematischen
Probleme. Kaum berücksichtigt ist die Geschichte der
Exegese namentlich der patristischen. Da hätte das Werk von Fran-
cois Bovon: De Vocatione Gentium, zu Ag 10, das ich in dieser
Zeitschrift bespreche, anregend sein können, und der Verfasser
hätte wohl in den Aussagen der Kirchenväter manche Bestätigung
der eigenen Auffassung finden können, die auch der Leser gern zur
Kenntnis genommen hätte. Es sei z. B. auf Gregor von Nyssa verwiesen
, der in seinem Encomium in Sanctum Stephanum Proto-
martyrem (Migne, S.G. 46,701) Stephanus mit Jesus zusammen
nennt: Wie Jesus am 25. Dezember, am Weihnachtstage den Menschen
für uns angezogen habe, so habe Stephanus am 26., am Tage
seines Martyriums den Menschen für Jesus ausgezogen. Abgesehen

828

aber von möglichen Ergänzungen oder abweichenden Meinungen
ist entscheidend das vom Verfasser in persönlicher Ergriffenheit
gezeichnete Bild des Stephanus, der in radikaler Gläubigkeit als
ein überragender Theologe mit prophetischer Einsicht seinen Zeitgenossen
weit voraus war, so daß Nebenwirkungen von ihm weder
in der Apostelgeschichte noch sonst im Neuen Testament zu
spüren sind. Daß Lukas sein Bild bewahrt hat, ist Zeugnis für
seine Bedeutung als Historiker.

Die Arbeit hat ihrem Ansatz wie ihrem Ziel nach ökumenischen
Charakter. Äußerlich tritt das darin hervor, daß der Verfasser,
Graduate Professor der exegetischen Theologie am Concordia Se-
minary of Saint Louis, Missouri, der diese Arbeit im Union Theo-
logical Seminary in New York begann, für die Veröffentlichung
sowohl von Seiten des Pontifical Bible Institute in Rom als auch
von der Aid Association for Lutherans of Appleton, Wisconsin
Unterstützung erhielt. Das Buch ist außer mit der Bibliographie mit
Stellen- und Autoren-Register ausgestattet.

Gießen Georg Bertram

Pfitzner, Victor C.: Paul and the Agon Motif. Traditional ath-
letic Imagery in the Pauline Literature. Leiden: Brill 1967. X,
222 S. gr. 8° = Supplements to Novum Testamentum, President
W. C. van Unnik, 16. Lw. hfl. 28.-.

Diese Dissertation eines Australiers bei K. H. Rengstorf (Münster)
widmet sich der Klärung der Terminologie aus dem Bereich des
antiken Sports bei Paulus (inklusive Pastoralbriefe). In drei Hauptabschnitten
wird diese Klärung herbeigeführt; eine Bibliographie
in Indices runden die Arbeit ab.

In der Einleitung (1-15) umschreibt Pfitzner die dreifache Aufgabe
für die Klärung der athletischen Bildsprache, die bei Paulus
im Dienst besonders wichtiger Motive steht: 1. muß nach möglichen
zeitgenössischen Quellen oder zumindest nach literarischen Parallelen
für den Gebrauch dieser Bilder gesucht werden. 2. muß die
Art, die Bedeutung und der Zweck des paulinischen Sprachgebrauchs
herausgestellt werden. 3. müssen die theologischen Motive
im Zusammenhang mit dieser Bildsprache geordnet werden (1).

Die Hauptergebnisse werden bereits hier thetisch zusammengefaßt
. Von der ersten Seite an wehrt Pfitzner sich gegen eine allzu
schnelle Ableitung dieser Terminologie aus dem Stil der kynisch-
stoischen Diatribe etwa durch R. Bultmann und P. Wendland'. Es
handelt sich vielmehr um einen populären traditionellen metaphorischen
Gebrauch (2 f.), der sich ebenso im hellenistischen Judentum
findet (5). Die Einzelanalyse ergibt, „how little of the Greek
spirit of moral idealism he (seil. Paulus) took over in assimilating
the metaphor to his purposes" (6). Die frühere Literatur zum Thema
wird unter diesem Vorzeichen kritisch gesichtet (9-15).

Zwar will Pfitzner sich vor einer rein religions- oder begriffsgeschichtlichen
Studie hüten (3). Aber es ist doch bedauerlich, daß er
von den methodischen Hilfen der Linguistik für sein Unternehmen
keinerlei Notiz genommen hat, wie sie etwa durch J. Barr- auch bei
uns bekannt geworden und für die amerikanische Exegese selbstverständlich
ist'. Pfitzner hätte sich dankbar etwa der Wortfcld-
analyse bedienen können, da man vermuten kann, daß ein so relativ
umgrenzter Kulturbereich wie der antike Sport auch ein relativ
umgrenztes Wortfeld besitzt; von den speziell strukturanalytischen
Prinzipien wollen wir ganz absehen, obwohl sich deren Verbindungen
etwa zur Formgeschichte im üblichen Sinne als fruchtbar
erweisen würden.

Der erste Hauptabschnitt behandelt The Hellenistic Agon Tradition
and Its Origins (16-75) in vier Unterabschnitten: I. The
Spirit and Ideals of Greek Athletics (16-22); II. The Agon Motif
and Hellenistic Philosophy (23-37); III. Hellenistic Judaism and
the Games (73-75). Es handelt sich im wesentlichen um eine kurze
Interpretation der einschlägigen hellenistischen Terminologie aus
dem Bereich der sportlichen Wettkämpfe. Als Fundgrube für die
entsprechenden Realien wird man diesen Abschnitt begrüßen.

1) R. Bultmann, Der Stil der paulinischen Predigt und die kynisch-stoische
Diatribe. 1910 (FRLANT 13); P. Wendland, Die urchristlichen Literaturformen.
2 r31912 (HNT I/3), 356 f.

2) J. Barr, Bibelexegese und moderne Semantik. 1965.

3) Vgl. etwa R. W. Funk, Language, Hermeneutic, and Word of God. 1966;
D. O. Via Jr., The Parables. Their Literary and Existential Dimension. 1967.

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 11