Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1969

Spalte:

824-825

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Duhm, Bernhard

Titel/Untertitel:

Das Buch Jesaia 1969

Rezensent:

Wagner, Siegfried

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

823

miteinbezieht und das alttestamentliche Schrifttum nach seinen
Gattungen (Geschichts- und Rechtsbücher; Liederbücher; Weisheitsbücher
; Prophetenbücher) ordnet. Zum anderen werden diese Gattungen
in die der altorientalischen Umwelt hineingestellt, um in
gleicher Weise das Gemeinsame des alten Orients wie das Besondere
des Alten Testaments herauszuarbeiten. Danach erst werden
die einzelnen Schriften analysiert und historisch eingeordnet.
Gegenüber der sehr ausführlichen Behandlung der Schriften nehmen
Kanon und Text einen verhältnismäßig kleinen Raum ein, obgleich
m. E. hier nicht weniger brennende Probleme vorliegen.

Das Ziel einer guten Information über den gegenwärtigen Stand
der Forschung hat F. ausgezeichnet erreicht. Jeder Paragraph wird
mit einer ausgiebigen, bis in die jüngste Zeit reichenden Literaturübersicht
eröffnet, die durch die Spezialliteratur in den Anmerkungen
ergänzt wird. Dann wird die Problemlage erörtert, schließlich
die eigene Meinung dargestellt und oft begründet. (Daß nicht jede
Ansetzung etwa einzelner Prophetensprüche in nachexilische Zeit
ausführlich behandelt werden konnte, ist verständlich.) Ob sich
alle Thesen Fohrers auf die Dauer werden halten lassen, ist vielleicht
zu fragen; aber zu begrüßen ist der Mut, der eigene Wege zu
gehen wagt. Darin ist F. ein würdiger Erbe Sellins, der auch immer
neue Anregungen aufnehmen und selbständig verarbeiten konnte.

Diese Selbständigkeit zeigt sich etwa, um nur einige Punkte
herauszuheben, in der Art, wie F. manche heute sehr gängige
These bzw. ihre Überbetonung ablehnt, so bei der Wertung der
hethitischen Staatsverträge (S. 79) oder bei der Ableitung mancher
prophetischen Spruchformen aus dem Recht (S. 386). Auch seine Zurückhaltung
gegenüber der Ableitung vieler, ja manchmal fast aller
Literaturformen aus dem Kult ist sehr zu begrüßen (S. 128; 204;
282 u. s.). Auf der anderen Seite hebt F. mit Recht häufig die Bedeutung
des Jahveglaubens für die Ausgestaltung der Literaturformen
hervor. Besonders wichtig erscheinen mir F.s methodische
Überlegungen zu den verschiedenen Forschungsmethoden, die alle
in ihrem Sinn anerkannt, aber doch auch in ihrer Begrenzung gesehen
werden.

Nur eine Methode wird nicht behandelt: die der Literarkritik.
Wohl weil sie F., wie uns allen, die kritisch am Alten Testament
arbeiten, so selbstverständlich ist. Aber ist die Handhabung der
Literarkritik wirklich so einfach? (Die folgenden Beispiele entnehme
ich dem zu besprechenden Buch, obgleich ich analoge auch
jeder anderen Einleitung entnehmen könnte.) Wenn man sich etwa
die Übersicht vergegenwärtigt, die Fohrer S. 404 über die Meinungen
gibt, die zu Jesaja 24-27 geäußert wurden, dann fragt man
sich doch, welche Argumente für eine zeitliche Fixierung eigentlich
stichhaltig sind. Das Problem der Zeitansetzung beginnt dort, wo
eindeutige historische Bezüge fehlen. Welche Hinweise gibt es
dann? Die Sprache? Kennen wir die Sprachgeschichte so genau,
daß wir mit Eißfeldt und Fohrer (S. 348) sagen können, das „Eindringen
aramäischer Worte in die Weisheit sei erst von der exilischen
Zeit an wahrscheinlich?" Wäre es nicht möglich, daß die Weisen
, die Gebildeten ihrer Zeit, sich auch schon vorher bewußt aramäischer
Fremdworte bedient hätten? Es ist auch sehr zu überlegen,
welche Bedeutung der Sprache für die Quellenscheidung beizumessen
ist. S. 126 bemerkt F., daß der Wechsel in den Bezeichnungen
... mit anderen Unterscheidungsmerkmalen zusammentreffe. Das
kann doch nur heißen, daß der Sprachgebrauch allein die Ausscheidung
von Quellen nicht begründen kann. Welche Bedeutung
hat dann aber die Beobachtung der Sprache? (F. selbst gibt keine
Hinweise auf den unterschiedlichen Sprachgebrauch der Pentateuch-
quellen, sondern begnügt sich mit einem Hinweis auf die Listen bei
Driver und Steuernagel, die immerhin 50 Jahre zurückliegen und
schwerlich noch heutigen Anschauungen entsprechen.)

Ein anderes Argument für die Zeitbestimmung sind die jeweils
vertretenen Vorstellungen; als Beispiel mag der Satz bei Fohrer
(S. 205) gelten: „Die Vorstellung, daß Jahwe sich in Jerusalem
eine Wohnung, den Tempel, bereitet hat, um für immer als König
herrschen zu können, ist frühestens von der letzten vorexilischen
Zeit an zu erwarten". Ist dieser Satz wirklich so sicher, daß er zur
Datierung gebraucht werden kann? Was können wir mit Sicherheit
über die Geschichte der Vorstellungen in Israel sagen? Verführt
uns unsere Unkenntnis der nachexilischen Zeit nicht allzu leicht dazu
, vieles da unterzubringen, was sonst nicht datiert werden kann?
Müßte man nicht auch in vorexilischer Zeit mit größerer Mannigfaltigkeit
der Vorstellungen rechnen?

824

Wie steht es überhaupt mit unseren Argumenten für „echt" oder
„unecht" bei den Prophetensprüchen? So lange man eine Stelle
wie Jesaja 9, 1-6 entweder für jesajanisch halten oder in der
Makkabäerzeit bzw. irgendwo dazwischen ansetzen kann, fehlt es
doch wohl an einigermaßen klaren methodischen Kriterien.

Ähnliche Fragen lassen sich auch der literarischen Analyse gegenüber
stellen. Um nur eine willkürlich herauszugreifen: Wann
muß oder darf die Wiederholung eines Motivs, etwa das der Preisgabe
der Ahnfrau, als Beweis für Quellenscheidung benutzt werden
? Ein Redaktor der Genesis hat in Gen. 12.20.26 drei verschiedene
Ereignisse gesehen. Warum kann der Jahwist nicht auch schon
in der Überlieferung verschiedene Erzählungen vorgefunden und,
sie als verschiedene Vorkommen ansehend, nacheinander gebracht
haben? So könnten noch manche Fragen erhoben werden. Der Rez.,
der sich durchaus zu seiner Quellenanalyse der Königsbücher stellt,
braucht wohl nicht zu versichern, daß er die literarische Analyse
und die Aufgabe möglichst exakter historischer Einordnung sehr
ernst nimmt. Aber eben darum müßten wir doch noch genauer
nach den Methoden, gerade auch der Literarkritik fragen. F. hat
recht, wenn er (S. 124) im Blick auf die Pentateuchforschung sagt,
sie habe sich in einer Weise kompliziert, „daß das Zeitalter der
,Hypothesen' nur mehr als ihr Anfang gelten kann". Wenn wir aus
diesem Zeitalter herauskommen wollen, geht es wohl nur durch sehr
gründliche methodische Überlegungen. Daß F. durch seine mancherlei
Hinweise gerade auch dazu anregt, sei ihm besonders gedankt
.

Greifswald Alfred J e p s e n

Duhm, Bernhard: Das Buch Jesaja übers, u. erklärt. 5. Aufl. Mit
einem biographischen Geleitwort v. W. Baumgartner. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht [1968). XIII, 490 S„ 1 Taf. gr.
8°. Lw. DM 46,-.

Bernhard Duhm (1847-1928) ist ein Klassiker unter den Exege-
ten des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Mit
seinem Namen verbinden sich bahnbrechende Vorstellungen in der
Prophetenforschung, die in mehreren Publikationen ihren Niederschlag
gefunden haben. Auf ganze Generationen von Theologen hat
er ungemein anregend gewirkt, auch wenn er Schüler im engeren
Sinne des Wortes nicht besaß. Seine besondere Liebe galt der Kommentierung
des Buches Jesaja, die ihm hervorragend gelang und
dem Kommentar zu einer weiten Verbreitung verhalf. Allein vier
Auflagen sind zu seinen Lebzeiten ausgegangen (1892; 1902; 1914;
1922), und Otto Procksch vermochte noch 1924 in einer Besprechung
im Theologischen Literaturblatt (Sp. 211 f) zu erklären: „Noch
immer ist Duhms Kommentar der beste deutsche dieses Jahrhunderts
, und man muß wünschen, daß er auch fernerhin studiert
wird". Diesem durchaus auch heute berechtigten Wunsch kommt
die Neuausgabe der letzten Fassung durch den Verlag entgegen.
Duhm leitete einst eine neue Epoche der Jesaja-Interpretation ein,
indem er die poetisch-metrische Gestaltung der Texte erkannte, sie
wiederherzustellen versuchte und so einen vorstellbaren Eindruck
von der Schönheit und Geschlossenheit eines biblischen Textes vermittelte
. Mit besonders feinsinnigem Gespür vermochte sich Duhm
in die Persönlichkeit des antik-orientalischen Schriftstellers hineinzuversetzen
mit dem Ziel, „herauszubringen, was die Autoren
eigentlich sagen und sagen wollen" (Vorwort von 1892). Das von
Duhm entworfene Persönlichkeitsbild des Propheten ist gewiß nicht
mehr das unsrige, aber es enthält immer noch einige gültige Charakterzüge
, die zur Vorsicht und Zurückhaltung gegenüber einer
allzu schnellen und leichtfertigen Auflösung der Prophetengestalt
in Literatur und Überlieferung mahnen. Die Grunderkenntnisse zu
Deutero- und insbesondere zu Tritojcsaja verdankt die alttestamentliche
Wissenschaft Bernhard Duhm. Auch sonst hat sich manche
kritische Beobachtung am Text, manche Korrektur und Konjektur
bewährt und erhalten, wenn freilich auch viele Urteile neueren und
besseren Einsichten weichen mußten. Die späte Ansetzung der ,un-
echten' Stücke im 2. Jahrhundert v. Chr. ist ihm schon zu seiner Zeit
bestritten worden (vgl. O. Procksch im Theologischen Literaturblatt
36, 1915, Sp. 219). Daß trotz der vorangeschrittenen Forschung
vieles noch so in Geltung bleiben kann, wie Duhm es gesagt hat,
entspringt der Meisterschaft in der exegetischen Kunst, über die
der große Basler Alttestamentler verfügte. Reiches Wissen und
glückliche Intuition befähigten ihn dazu. So ist es nicht wissen-

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 11