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Ausgabe:

1969

Spalte:

815-818

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Speculum historiale 1969

Rezensent:

Haendler, Gert

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815

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 11

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gend einer Einflößung neuen Inhalts, bevor es im Christentum verwendet
werden kann. Man bemerkt hier den starken Intellektualismus
in der Behandlung von Wörtern: Sic werden zuerst und
selbstverständlich in ihrer philosophischen und theologischen Umgebung
gesehen" (S. 250). Man ist bei der Lektüre des Buches von
Barr immer wieder erstaunt, mit welcher Unbekümmertheit er globale
Urteile bzw. Verurteilungen vollzieht.

7. Resultat

Überprüft man die Angriffe Barrs, so ergibt sich, daß er meist
weit über das Ziel hinausschießt. Immer wieder läßt sich beobachten
, daß Barr nach einer scharfen Attacke in einem späteren Satz
die Vorwürfe korrigiert oder sogar zurückzieht. Kittel, der von der
Linguistik so gar keine Ahnung hat, folgt der Theorie des Sprachwissenschaftlers
Wcisgerber (S. 290). Barr greift alle an, die einer
Philosophie nachfolgen und nicht ausschließlich Linguisten sind
(S. 206), und muß doch zugeben, „daß weitreichende Probleme der
Logik und der allgemeinen Philosophie mit im Spiele sind, sobald
man überhaupt unser Thema angeht" (S. 9). Das Theologische Wörterbuch
, das mehr schade als Gutes tue, ist dann doch nicht so
schlecht: „Ich habe den Eindruck, daß einige von den neueren Artikeln
über derartige Wörter solche Fehler vermieden haben" (S. 231).
Das Theologische Wörterbuch sei in den einzelnen Artikeln besser
als die Prinzipien des Herausgebers (S. 260). Es habe „eine Menge
von Wortinterpretationen" mit Etymologisiererei (S. 210), aber es
unterläge doch nicht der Versuchung zu etymologisierender Erklärung
(S. 236).

Barr hat weithin recht mit seiner Behauptung, daß die neutesta-
mentlichen Exegeten sich wenig mit Fragen der Semantik beschäftigt
haben. Aber wenn Barr sein Buch nennt „The Semantics of
Biblical Language" oder, wie der deutsche Titel heißt, „Bibelexegese
und moderne Semantik", so hält es nicht, was man sich von ihm
verspricht. Was versteht Barr unter „moderner Semantik"? Es gibt
mehr als ein Dutzend verschiedener Auffassungen von dem, was
Semantik eigentlich ist. Das Wort ist durch die Theorien der verschiedenen
Richtungen so vieldeutig geworden, „daß der Terminus
Semantik selbst einer semantischen Analyse unterzogen werden

muß""4. „Innerhalb und außerhalb der Semantik ist alles in Gärung
. Alte Grenzen werden neu gezogen, alte Methoden überprüft,
alte Programme gründlich revidiert. Über die terminologische Verwirrung
hinweg, die jede Übereinstimmung, jede Meinungsverschiedenheit
gleichermaßen fragwürdig machte, bemühen sich die
Gelehrten, auf die Grundlage zurückzugehen und eine echte Übereinstimmung
zu erzielen. Die Semantik macht eine Krise durch"' "'.

Die amerikanischen Strukturalisten erkennen der Sprachwissenschaft
überhaupt das Recht ab, sich mit Wortbedeutungen zu befassen
"". Das hat zur Folge, „daß die Sprachwissenschaft zu einer
rein formalistischen Disziplin, zu einer Art .Pseudomathematik'
ohne jeden humanen Bezug zu werden droht""7.

Barr kennt die Befürchtungen Ullmanns. Er nimmt es in Kauf,
daß die strukturelle Linguistik erstarren und die Anwendung struktureller
Methoden die Aufmerksamkeit von der Bedeutung ablenken
könne. Aber die Gefahren der Einführung dieses strukturellen
Formalismus in die theologische Forschung seien nicht so gefährlich
wie die willige Übernahme von neuhumboldtischen Kategorien
, die nur eine Verstärkung der gegenwärtigen undisziplinierten
Verwirrung bedeuten würde (S. 290 f).

Barr polemisiert immer wieder gegen die Sprachphilosophie.
Wenn er behauptet: Das Wort ist ein willkürlich gesetztes System
semantischer Merkzeichen,- Denken und Wort stehen in keinem
Zusammenhang; nicht auf das Wort, sondern auf den Satz komme
es an, so vertritt er damit die bekannten Thesen des Positivismus.
Barr ersetzt die eine Philosophie durch die andere, und dies nicht
im Namen einer besseren Philosophie, sondern im Namen der modernen
linguistischen Wissenschaft.

6>) A. Schaff, Einführung in die Semantik (1966) S. 83, vgl. S. Ullmann,
Grundzüge der Semantik (1967) S. 5. ") S. Ullmann, S. 276.

") S. Ullmann, S. 292. Nach ihrer Ansicht steht die Bedeutung außerhalb des
Sprachsystems und geht den Sprachforscher nichts an. „Die Semantik stehe erst
in den Anfängen, arbeite noch mit vorwissenschaftlichen mentalistischon Methoden
und sei in ihrer gegenwärtigen Form wissenschaftlich nicht brauchbar".
E. Leisi, S. III.

«) S. Ullmann. S. 293 f.

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

S p ö r 1, Johannes i Speculum Historiale. Geschichte im Spiegel
von Geschichtsschreibung und Geschichtsdeutung, hrsg. von
C. Bauer, L. Boehm, M. Müller. Johannes Spörl aus Anlaß
seines 60. Geb. dargebracht v. Weggenossen, Freunden und
Schülern. Freiburg-München: Albcr [1965]. XVI, 783 S., 1 Porträt
gr. 8°. Lw. DM 78,-.

Der Band mit seinen 52 Aufsätzen und 4 Briefen ist eine Gabe an
Johannes Spörl, der nun seit mehr als 30 Jahren das Historische
Jahrbuch der Görresgesellschaft herausgibt. Die Vielseitigkeit der
Beiträge entspricht der Weite der Interessen des Jubilars; zahlreiche
Beiträge nehmen direkt Bezug auf Spörls Veröffentlichungen.
Teil I „De imagine mundi: Weltbild, Gcschichtsbcwußtsein und
Zeitgeist" beginnt mit „unsystematischen Reflexionen" zum Thema
„Ein werdendes Idol" von R. Guardini. Ausgehend vom Bilderverbot
Ex. 20,4 fragt er, ob nicht Technik und Wissenschaft den Menschen
zu einer Art von religiösem Dienst zwängen; G. fordert dagegen
Widerstand, über dessen Problematik er sich im klaren ist.
Beiträge von Karl Büchner und Georg Pfligersdorffer führen in den
Bereich der römischen Geschichte. W. Betz untersucht unter der
Überschrift „Wortschatz, Weltbild, Wirklichkeit" (S. 34-44) Begriffe
wie theodisc, Heimweh, Weltjudentum u. a. Als Geschichtszeugnisse
sind diese Begriffe aufschlußreich, doch tritt B. der Meinung entgegen
, daß Begriffe ihrerseits nachhaltigere Wirkungen ausüben
könnten. B. spricht vom „Primat einer allgemein menschlichen Wirklichkeit
gegenüber einer muttersprachlichen Gebundenheit" (S. 43).
W. v. d. Steinen bietet 10 Texte zum Thema „König und Dichter"
von der Ilias bis zum preußi sehen Friedrich II. (S. 45-50).
M. Schmaus „Das Gesetz der Sterne" erörtert ein Kapitel aus der
Theologie des Wilhelm von Auvergne, der in der Interpretation
des Gesetzes „einen kaum mehr überbietbaren Objektivismus vertritt
. Das Psychologisch-Subjektive hat hier keinen Raum . . . Welch
ein Mut und zugleich welche Uncrträglichkcit" (S. 56). H. Conrad
untersucht „Recht und Gerechtigkeit im Weltbild Dante Alighieris";
die engen Beziehungen zur thomistischen Rechtslehrc werden erneut
deutlich gemacht (S. 59-66). In das Polen des 19. Jahrhunderts
führt der Beitrag von W. Lettenbauer „Das Problem der Geschichte
in der .Ungöttlichen Komödie' von Zygmunt Krasinski" (S. 67-75).
Die Arbeit von W. Müller „Die Bedeutung der Harmonie in Ignaz
Heinrich Freiherr von Wessenbcrgs Alterswerk ,Gott und die Welt'"
stellt fest, daß sich die Beurteilung Wesscnbergs „mit der positiven
Einstellung zur Bedeutung der katholischen Aufklärung gewandelt
" habe (S. 76). Seine Anliegen sind aktuell: „So die Bemühung
um eine verständliche Liturgie, die Fundierung der christlichen
Verkündigung in der hl. Schrift, die Betonung des Bischofsamtes
gegenüber einem allzu starken kurialcn Zentralismus, wobei
das Verlangen nach Konzilen und Synoden eine große Rolle spielte,
und schließlich die Grundkonzeption von der Kirche als einer cec-
lesia Semper reformanda" (S. 76). Th. Kampmann erörtert „Die Metaphysik
des Rechts in Dostojewskis .Karamasoffs'", H. Kunisch
stellt „Hugo von Hoffmannsthal als europäische Gestalt" dar, F. G.
Friedmanns Gedanken über „Amerika und das Problem der Geschichtlichkeit
" beschließen den 1. Teil.

Teil II „De Historiographia" umfaßt Historiographie, Hagiogra-
phie und Quellenkritik. L. Santifaller berichtet S. 117-33 „Über
späte Papyrusrollen und frühe Pergamentrollen" mit reichem Material
. In theologische Debatten greifen ein die Beiträge von V. Hamp
„Geschichtsschreibung im Alten Testament" und P. Meinhold „Die
Prinzipien kirchlicher Geschichtsdeutung und ihre Anfänge im
Neuen Testament". Frühmittelalterliche Beiträge betreffen den Bui-
gunderkönig Sigismund (R. Folz, S. 152-66), die Bayrischen Stammesheiligen
Emmeran, Rupert und Corbinian (K. Bosl, S. 167-87).
die byzantinische „Mönchschronik" (H. G. Beck, S. 188-97) sowie
das Thema des Poeta Saxo (B. Bischoff, S. 198-203). H. Bcumann
rollt die viel diskutierte Frage nach dem Verfasser der Vita Hein-