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Ausgabe:

1969

Spalte:

57-59

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Willis, Edward D.

Titel/Untertitel:

Calvin's catholic christology 1969

Rezensent:

Neuser, Wilhelm H.

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 1

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aber das Wort Gottes in seiner Selbstdurchsetzung begriffen ist, sichtigt bleibe; nach Calvins Meinung sei es ein Extra Augustinum
sprengt es diese Punktualität auf und läßt den umfassenden Rah- oder Extra Evangelicum, weil es bereits im Neuen Testament und
men des Eschatologischen sichtbar werden. Eschatologie steht zeit- von dem Kirchenvater Augustin gelehrt werde,
lieh und sachlich also vor der Apokalyptik, aber jene ist auf diese E. D. Willis hat sich nun die Aufgabe gestellt, die Herkunft des
angewiesen. Asendorf erachtet eine von der Eschatologie umfaßte Begriffes aufzudecken und der Bedeutung dieser Lehre für Calvins
Apokalyptik geradezu als „Prüfstein" für das rechte Verständnis Christologie nachzugehen. Er schließt damit fraglos eine Lücke in
von Luthers Eschatologie. Aber auch Luthers Ekklesiologie kommt der Dogmengeschichte. Seine Nachforschungen kommen zu dem
von daher in ihrer ganzen Vielschichtigkeit in den Blick. Im Bild Ergebnis, daß im Streit zwischen den Tübinger und Gießener Theogesprochen
sind es drei konzentrische dialektische Kreise, die die logen der Begriff erstmals vorkommt. Theodor Thumm aus Tübin-
Kirche bei Luther so qualifizieren: ihre sichtbar-unsichtbare Gestalt, gen gebraucht ihn zum erstenmal im Jahre 1623, während Baltha-
|hre kämpferische Dynamik zwischen Wahrheit und Falschheit und sar Mentzer aus Gießen bereits 1621 vom »extra Calvinianum"
ihr Zugleich von Durchbruch des eschatologischen Gottesworts und spricht (S. 21ff.). Der Streit zwischen reformierten und lutherischen
Segenwärtig-zeitlichem Menschenwort. Die Ekklesiologie zeigt Theologen, ob der Logos auch „außerhalb" seiner angenommenen
unter eschatologischem Aspekt eine genaue Parallele zum Simul Menschheit sein könne, reicht bis zum Maulbronner Gespräch (1564)
der Rechtfertigungslehre. zurück (S. 14ff.). Für seine Behauptung, die Bezeichnung „Calvinist"
Noch in einem dritten Gedankenkreis weist Asendorf die escha gehe auf Joachim Westphals Abendmahlsschriften von 1552 und
tologische Dialektik bei Luther auf: in der Schöpfungslehre. Von 1553 zurück (S. 12), vermag der Vf. keinen Beweis zu erbringen.
Augustins Trinitätslehre herkommend sieht der Reformator die Man nannte damals nur die Zwinglianer Sakramentarier und Sakra-
Schöpfung als von allem Anfang an auf die Weltvollendung hin mentsschwärmer, weil man sich für diese Vorwürfe auf Luther beigelegt
. Schöpfung und Eschatologie rücken zusammen. Die rufen konnte. Die Berechtigung der Anwendung auf Calvin mußte
christologische Komponente gehört auch hier dazu: im Heilswerk erst erbracht werden. Die Calvinisten hießen darum „Zwinglianer".
Christi koinzidieren Wiederherstellung der Schöpfung und Anti- Erst im Zusammenhang mit dem Heidelberger Katechismus (1563)
zipation der vollendeten Schöpfung. Über die trinitarische Begrün- kann der Vf. den Ausdruck „Calvinismus" nachweisen (S. 13).
d«ng hinaus führt Asendorf dafür bei Luther auch das Motiv der im zweiten Kapitel geht E. D. Willis auf die Herkunft der Lehre
»Larven", des Gotteshandelns in der Verborgenheit, und noch ein- des Extra Calvinisticum ein. Von den beiden klassischen Stellen in
n-al die Abendmahlslehre an. Insbesondere wird der doppelte Calvins Institutio (II, 13,4 und IV, 17,30) werden trinitarische Spe-
eschatologische Zug der Schöpfungslehre aber an der Regimenten- kulationen und die Aufhebung der wahren Menschheit Christi in
'ehre erörtert. Aus der Gewißheit des nahen Jüngsten Tages ent- <cr Ubiquitätslehre bekämpft. Während die Anwendung des Extra
^rft Luther diese Lehre. Von daher haben die beiden Regimente Calvinisticum auf die Abendmahlschristologie bereits 1536 vor-
p Einheit. Bis zu diesem Tag setzt Gott wider die Angriffe c'.es Hegt, erfolgt diejenige auf die Trinitätslehre erst 1559. Eine EntSatans
, der die Regimente zu vermischen trachtet, ihre Unterschei- wicklung in Calvins Denken ist festzustellen (S. 26f.). Nun wird
düng. Unter Wort und Sakrament ist die endgültige Herrschaft man kritisch feststellen müssen, daß die letztgenannte Stelle sich
Christi verborgen, aber auch im Reich zur Linken anwesend* So ebenfalls auf die Zwei-Naturen-Lehre bezieht, und zwar will Calvin
sind die beiden Reiche der Ausdruck des Christseins in der Welt dort die wahre Menschheit Christi (nun als des Erlösers) schützen.
lm Simul der Rechtfertigung. Die eschatologische Klammer hält Es handelt sich grundsätzlich um das gleiche Problem. Der Vf. fährt
Einheit und Unterscheidung zusammen. Von hier aus ist zuletzt fort: Nur im Abendmahlsabschnitt nennt Calvin seine Quelle, des
auch Luthers Rede vom „lieben Jüngsten Tag" zu verstehen. Die Lombardus Unterscheidung von Christus totus und Christus totum
»letzten Dinge" sind der „perspektivische Schlußpunkt" der Escha- unti Augustins Auslegung der Worte an den Schacher am Kreuz
tologie, die endgültige Aufhebung der Spannung, die in Kreuz und (inst. iv,17,28), Christus sei in der Weise überall (ubique), daß die
Auferstehung bereits in Gang gskommen ist. veritas corporis nicht aufgehoben werde (S. 28ff., 45f.). Von beiden
Man darf dem Verfasser bescheinigen, daß seine umfassende, mit Stellen macht Calvin außerhalb der Institutio oft Gebrauch (S. 31ff.,
reichem Material versehene Untersuchung auf Zusammenhänge in 45). D. Willis führt nun einen eindrücklichen Beweis, daß die beLuthers
Theologie aufmerksam macht, die bisher höchstens verein- kannten Theologen der frühen und mittelalterlichen Kirche alle
zelt angeklungen sind. Die Frage stellt sich freilich am Ende, ob von der begrenzten Menschheit Christi und seiner unbegrenzten
hier nun wieder einmal mehr ein neuer Luther, diesmal der escha- Gottheit im Sinne des Lombardus geredet haben. Theologen der
tologische, entdeckt wird, so wie beinahe jede Theologengenerarion verschiedensten Richtungen stimmten in der Lehre des Extra Cal-
'hre zeitgenössische Systematik bei dem Reformator wiederfand. vinisticum überein. Es sei daher zutreffender, vom „Extra Catholi-
Darnit soll nicht etwa einem Relativismus das Wort geredet, son- cum" oder „Extra Patristicum" zu sprechen (S. 60). Man wird jedoch
dern zur Prüfung des Gedankens aufgerufen werden, ob für eine einwenden müssen, daß keiner der angeführten Theologen die
Theologie wie die Luthers überhaupt eine theologische Syste- Unterscheidung von Christus totus und totum auf das Abendmahl
matik zureicht. Wenn Asendorf keine Kehre vollführt, dürfte übri- übertragen hat; P. Jacobs macht darauf aufmerksam. Duns Scotus,
gens schon deutlich sein, in welcher Richtung sein eigener eschatolo- den der Vf. als einzigen anzuführen vermag, weicht erheblich von
9ischer Entwurf entwickelt werden und inwiefern er sich von der Calvins Lehrweise ab (S. 41). Das Extra Calvinisticum bleibt als Be-
cxistenzialtheologischen Sicht abheben wird. griff der Polemik sinnvoll.
Saarbrücken Gert Hummel in den Kapiteln drei bis fünf versucht der Vf. nun, das „sogenannte
Extra Calvinisticum" auch in anderen Teilen der Christo-
. logie Calvins nachzuweisen. Die Abendmahlslehre Calvins unter-
Wi'lis, E. David: Calvin's Catholic Christology. The Function sucht er nicht. Im dritten Kapitel weist er auf die für Calvin zen-
°f the So-Called extra Calvinisticum in Calvin's Theology. Leiden: trale Stelle 1. Tim.2,5 hin, Deus manifestus in carne, die im Sinne
Brill 1966. XIII, 164 S. gr. 8° = Studies in Medieval and Refor- des Extra Calvinisticum verstanden werde. Wenn aber dafür auf
marion Thought, ed. by H. A. Oberman, 2. Lw. hfl. 36,-. Christus als den Mittler im Alten Testament verwiesen wird, so ist
Seit Alexander Schweizer in seiner Glaubenslehre der evan- nicht beachtet, daß Calvin dabei nicht Christus extra carnem sagt,
gelisch-reformierten Kirche (Bd 2, 1847) den Grundsatz finitum non sondern von der Substanz Christi im Alten Testament spricht.
est capax infiniti als ein Kennzeichen der reformierten Christo Vgl. H. H. Wolf, Die Einheit des Bundes. Das Verhältnis von Altem
lo9ie ausgegeben hat, ist lutherischerseits diese Feststellung oft und Neuem Testament bei Calvin, 1958. Die Lehre vom Extra Cal-
a's bewiesen wiederholt worden. Natürlich fand man diesen Grund- vinisticum vermag den Zusammenhang nicht zu erklären. Die
satz vor allem in dem Gedanken der calvinischen Abendmahls- durchgängig bei Calvin zu beobachtende Akzentsetzung, Gott
christologie ausgesprochen, nämlich, daß Christi Gottheit nach der handele in Christus - Luther betont hingegen das Wort Christus -
"'mmelfahrt „wohl außerhalb ihrer angenommenen Menschheit erlaubt noch nicht, vom Christus extra carnem zu sprechen,
und dennoch nichtsdestoweniger auch in derselben ist", wie ihn der Das Extra Calvinisticum wird als Prinzip der Christologie Cal-
^eidelberger Katechismus in Frage 48 klassisch formuliert hat. vins verstanden. Demgemäß spiegelt die duplex cognitio Dei
Pjese Lehre trägt allgemein den Namen „extra Calvinisticum". creatoris et redemptoris - sie spielt in der Auseinandersetzung
Schon Paul Jacobs hat in seinen Schriften auf das gleichzeitig aus- zwischen Karl Barth und Emil Brunner eine Rolle - die Dialektik
Besprochene „infra" hingewiesen, das in dem Namen unberück- des extra-intra wieder (Kapitel 4). Doch wird man über die Fest-