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Ausgabe:

1969

Spalte:

788-790

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Thurneysen, Eduard

Titel/Untertitel:

Seelsorge im Vollzug 1969

Rezensent:

Uhsadel, Walter

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 10

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Auch das II. Vatikanische Konzil behandelte die Schriftfrage
im Rahmen des Offenbarungsproblems. Die dogmatische Konstitution
„Über die Offenbarung" hatte eine sehr bewegte Vorgeschichte
, bis sie in der vorliegenden Form angenommen wurde.
Mit Ausnahme des 1. Kap., das die Offenbarung selbst zum Gegenstand
macht, behandeln sämtliche Abschnitte ausgesprochen biblische
Fragen, das 3. Kap.: „Die göttliche Inspiration und die Auslegung
der Heiligen Schrift". Die dort gemachten Aussagen können
als bekannt vorausgesetzt werden. Sie enthalten inhaltlich keine
.neuen" Erkenntnisse, sondern nehmen Einsichten auf, die gemeinchristlich
sind, auch wenn sie in dieser Eindeutigkeit in protestantischen
„Verlautbarungen" heute keineswegs mehr selbstverständlich
sind.

Die innerkatholische Diskussion über das Verhältnis von Schrift
und Tradition ist offen geblieben. Sie führt notwendigerweise zu
einer gleichzeitigen Behandlung der hermeneutischen Frage, deren
gesonderte Behandlung nach der Gesamtplanung des Handbuches
der Dogmengeschichte noch aussteht.

Bei der Besprechung von Faszikel 2 b über: „Die Engel" begnügen
wir uns mit einigen Hinweisen. Wir haben es auch hier
mit der gleichen methodischen Darstellung zu tun. Der biblische
Befund, dem keine .fertige" Angelologie zu entnehmen ist, wird
von A. Caquot (AT) und J. Michl (NT) vorgelegt, während G.
Tavard in 6 Kapiteln (23 §§) die Entwicklung der Angelologie von
den Apostolischen Vätern bis zur Gegenwart darstellt.

So gewiß die biblischen Aussagen über die Engel, ihre Funktion
und Aufgaben, die christliche Frömmigkeit vielfach angeregt
und bestimmt haben, so wenig kann das Phänomen der Angelologie
einfach aus den biblischen Schriften abgeleitet werden. Die
theologische Reflexion ist ebensosehr durch allgemeine religiöse
Spekulationen, und zum Zwecke ihrer Abwehr, herausgefordert
worden. Daß die Theologie dabei selber das Gebiet der Spekulation
betreten hat, wird man schwerlich bestreiten können.

Bereits bei Ignatius von Antiochien lassen sich Züge einer
christlichen Stellungnahme gegen eine entstehende Engel-Gnoseologie
erkennen, wenn er vor der Ansicht warnt, die Religion
bestünde im Verstehen der himmlischen Geschöpfe, der Wohnplätze
der Engel und der Rangordnung der Archonten (vgl. S. 20).
Zu Spekulationen über den Teufel kam es aber auch bei den
christlichen Apologeten. Dem Einfluß des Teufels konnte man den
Götzendienst zuschreiben. Die Engel galten als frei erschaffen, um
sich für gut oder böse zu entscheiden. Während einige den Glauben
an Gott behielten, fielen andere ab. Nach Justin dem Märtyrer
war der Abfall Satans damals, als er Eva versuchte.

Zu einer detailierten Angelologie und Dämonologie kam es
bereits in der Auseinandersetzung mit der Gnosis. „Das Problem,
dem die antignostischen Schriftsteller gegenüberstanden, bestand
darin, die spezifisch-christlichen Elemente der Angelologie und
Dämonologie herauszuarbeiten. Es ist deshalb nicht überraschend,
daß der erste Kirchenvater, der eine abgerundete Lehre von den
Engeln aufweist, Irenäus von Lyon, zugleich der Vorkämpfer der
Kirche gegen die gnostische Propaganda ist" (S. 28). Die Engel
sind Geschöpfe, das steht in direktem Gegensatz zur gnostischcn
Lehre. Gott ist der Schöpfer Himmels und der Erde und der
ganzen Welt und Bildner von Engeln und Menschen.

Nun blieb es es nicht bei einigen grundlegenden Aussagen. Es
wurde ein ganzes „Lehrgebäude" entwickelt mit Aussagen über
das Wesen der Engel, Fall der Engel, Die Engel und Christus,
Satan und Christus, Die Kirche und die Engel, Arten und Aufgaben
der Engel, Wesen der guten und bösen Engel. Dadurch wurde die
kirchliche Frömmigkeit maßgebend beeinflußt (vgl. das Kap. über
die Hochpatristik S. 35 ff. u.a. Die Engel und die Liturgie, Engel
als Freunde, Kult der Engel, die Hierarchien).

Eine negative Parallele zur Gnosis stellt der Manichäismus dar.
„Der Gnostizismus hatte das Engelprinzip bis zur Unkenntlichkeit
überhöht. Bei den Manichäern finden wir das Gegenteil: eine
Erhöhung des Prinzips des Bösen" (S. 45). Deshalb stellt Augustinus
von Hippo, einer der entschiedensten Gegner der Manichäer,
mit der Spiritualisierung der Gestalt des Teufels einen Wendepunkt
in der Geschichte der abendländischen Angelologie dar.

In umfassender Weise hat sich dann die Scholastik der Lehre
von den Engeln angenommen. Der größere Umfang und die
erhöhte Bedeutung der Abhandlungen über die Engel mag zum

Teil auch durch das zunehmende Eindringen der griechischen und
arabischen Philosophie mitveranlaßt sein (vgl. S. 67). Nach G.
Tavard besteht die historische Bedeutung des Thomas von Aquin
in der Angelologie darin, daß er die überlieferte Lehre gegen den
Angriff philosophischer Meinungen verteidigt (vgl. S. 74).

Bereits im 14. Jahrhundert setzte eine neue Entwicklung ein.
Der Kritizismus begann auch auf dem Gebiet der Angelologie den
spekulativen Aufbau zurückzudrängen. „Die Engel des Duns Scotus
stehen den Menschen viel näher als jene des hl. Thomas" (ebd.).
„Mit dem Ende der Scholastik hörte die Angelologie auf, ein
Gebiet der theologischen Bemühung zu sein" (S. 75). Sie blieb
weithin an die Gedankengänge der großen Scholastiker gebunden.

Nach einem besonderen Kapitel über die Angelologie in den
Ostkirchen behandelt der Verfasser die protestantische Theologie.
Auch wenn Luther in seinem persönlichen Leben mit der Realität
von Engeln und Dämonen rechnete - und von Krankheiten in
den Tischreden gelegentlich sagen konnte, daß sie alle vom Satan
verursacht seien (vgl. S. 89) -, so lehnte er doch spezifisch-scholastische
Spekulationen etwa über die Natur der Engel ab. Ähnliches
gilt von Calvin. Das änderte sich allerdings wieder in
nachreformatorischer Zeit. „Das protestantische 17. Jahrhundert
war reich an Theologen, die nicht weniger an spekulativen Details
der Angelologie interessiert waren als ihre Widersacher in der
katholischen Kirche" (S. 89). Ein fester Glaube an Engel und
Teufel hielt sich in den konservativen Kreisen des 18. und 19.
Jahrhunderts.

Aber bereits im 17. Jahrhundert setzte eine andere Bewegung
ein, die im 18. Jahrhundert in voller Blüte stand, die darauf ausging
, den Glauben an die Dämonen, und in einer weiteren Stufe
an die Engel, als Teil des christlichen Glaubens abzulehnen. Auch
Schleiermacher, der das theologische Denken des 19. Jahrhunderts
stark beeinflußt hat, lehnte die Lehre von den Dämonen ab. Sie
war für ihn lediglich „eine menschliche, folkloristische Denkweise".
Etwas weniger radikal äußerte er sich über die Engel. Den Glauben
an sie hält er für möglich, auch wenn er seines Erachtens
bedeutungslos für die grundlegenden Fragen des Christentums ist.

Die gegenwärtige protestantische Situation bezüglich der Angelologie
und Dämonologie ist sehr uneinheitlich und gegensätzlich.
Fundamentalistischen Gruppen mit ausgeprägten Dämonologien
(eher als Angelologien) stehen „liberale" Richtungen gegenüber,
die sich zum Ganzen skeptisch verhalten. Als den bedeutendsten
Versuch, die Angelologie im Protestantismus zu erneuern, erwähnt
der Verfasser mit Recht die Kirchl. Dogmatik von K. Barth (III/3,
426-623).

Seine Hoffnung im Blick auf die eigene Kirche ist, daß die
liturgische Erneuerung, die mit dem II. Vatikanischen Konzil weltweit
aufgebrochen ist, eine „gewisse Wertschätzung der Frömmigkeit
gegenüber den Engeln" (S. 96) wieder hervorrufen wird.

Nenen<l<;t(elnau Wilhelm Andersen

PRAKTISCHE THEOLOGIE:

Thurneysen, Eduard: Seelsorge im Vollzug. Zürich: EVZ-
Verlag (1968). 250 S. gr. 8°. Lw. DM 23,80.

Ein holländischer reformierter Rezensent hat von meinem Buch
„Evangelische Seelsorge" gesagt, es habe mit Thurneysens „Die
Lehre von der Seelsorge" nicht mehr gemein als das Format. Die
Buchgrcße kann damit kaum gemeint sein; denn die ist verschieden
. Hoffen wir also, das Wort Format ist qualitativ gemeint
(S. Meijers in Theologia reformata, Jg. X, No. 3, 1967 S. 205).
Um so erwartungsvoller ging ich an die Lektüre des neuen Buches
obigen Titels, in dem Thurneysen nun dem früheren einen praktischen
Teil folgen läßt. Ich sagte mir, daß doch irgendeine
Gemeinsamkeit zu finden sein müsse, da wir immerhin beide
christliche Theologen sind, denen der seelsorgerliche Dienst am
Menschen unserer Tage wichtig ist, und fand meine Hoffnung
durchaus bestätigt.

Thurneysen beschreibt den Dienst der Seelsorge aus reicher
persönlicher Erfahrung, die er in drei Paragraphen unter dem
Thema „Konkrete Seelsorge" ausbreitet: Ehefragen (§7), Seelsorge