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Ausgabe:

1969

Spalte:

56-57

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Asendorf, Ulrich

Titel/Untertitel:

Eschatologie bei Luther 1969

Rezensent:

Hummel, Gert

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 1

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Wortes" (S. 82) und die Exkommunikation; für C. die Arbeit an der
Bulle „Cum postquam" und weitere theologische Schriften, besonders
„De divina institutione Romani pontificis" 1521. Das Neue hier
ist C.s streng wissenschaftliche, „moderne" und buchstäbliche Exegese
, wobei der sensus litteralis zugleich der scnsus ecclesiasticus
ist. Hat L. den Schriftbeweis gefordert, so liefert ihn C, indem er
den Schriftgrund der kirchlichen Institution aufzeigt.

Ein Exkurs „C. als Ausleger der Schrift" (S. 117-132) gilt den spateren
exegetischen Arbeiten. Auch hier ist Vf. bemüht, den Gegensatz
zu L. zu zeigen: nicht nur in C.s verständlichem Bemühen,
aufzuweisen, daß die Schrift auf Seiten der (römischen) Kirche
steht, sondern vor allem in der Hermeneutik. Für ihn ist das Wort
Grundlage der Institution, für L. Promission. Und: „Nicht der Inhalt
(wie für Luther) .., sondern der apostolische Sprecher macht
das Wort apostolisch" (S. 126).

Die Kontroversschriften, die der Vf. im Anschluß an C.s Reformideen
, z.B. in der Konsistorialrede vom 1. IX. 1521, und an
die Gutachten zum Reichstag von 1530 behandelt, besonders „De
sacrificio missae" 1521 und „De communione, de confessione, de
satisfactione, de invocatione", 1531, zeigen C. ebenfalls bemüht, der
Reformation gerecht zu werden ■. durch exegetische Einzelbeweise,
Unterscheidung von göttlichem und menschlichem Recht, eingehendes
Studium protestantischer Schriften; der Gegensatz in der Grundposition
betreffend Wort, Sakrament und Institution, Gnade und
Kooperation besteht weiter.

Aus den vielen knapp und überzeugend dargestellten historischen
Details greifen wir noch heraus: die Besprechung der Quellen
zum Augsburger Gespräch (S. 61ff); die häufigen Hinweise
auf die literarischen Beziehungen zwischen Schriften C.s und L.s
und selbst Melanchthons; die Zusätze zu Kalkoffs Argumenten
für C.s Verfasserschaft der Bulle „Cum postquam" (S. 90ff); die
Zensuren der Sorbonne und des Ambr. Catharinus zu C.s Kommentaren
und die damit zusammenhängenden literarhistorischen Fragen
(S. 129ff); die Datierung von C.s Gutachten über die Augsburger
Verhandlungen von 1530 (S. 149ff).

Dieses und viel mehr Wertvolles wird auch die weitere Erforschung
der damaligen Auseinandersetzung fördern. Doch ist die
Frage nicht zu umgehen, ob die vom Vf. so scharf herausgearbeiteten
Gegensätze damals wirklich genau so bestanden, und nicht
vielleicht aus der von E. Bizer übernommenen, vielleicht doch zu sehr
zugespitzten L.-Interpretation1 resultieren. Hier nur zwei Beispiele.
Erstens: Betonen die Stellen, die von der „pia dubitatio" am eigenen
Heil reden, wirklich nur die Kooperation und die Ungewißheit
(z. B. S. 100, Anm. 73 u. 76) „weil Gott nicht alles tut" (S. 52)? Ist
nicht das „pius" zu betonen und eher so zu verstehen, wie H. Ober-
man dies bei Biel getan hat'? Nicht jeder wird hier nur einen
Gegensatz sehen können - und das hängt eben auch mit der L.Interpretation
zusammen. Zweitens: Kann man ohne Einschränkung
sagen (z. B. S. 116), daß für L. das Wort nur aus sich heraus
als promissio gilt? (Vom Gesetz redet Vf. nicht.) Ich denke hier
besonders an die recht stiefmütterlich behandelten historischen Argumente
. Ihre Zahl und ihr Gewicht in L.s Kontroversschriften
scheint doch zu zeigen, daß den Anschauungen von Kirche, Geschichte
, Kontinuität, Legitimität eine Bedeutung zukommt, die hier
übersehen ist. C. hat sie nicht übersehen: das zeigt sein „De divina
institutione". Eine höhere Einschätzung des historischen Materials
hätte vielleicht auch für die Exegese einiges abgegeben'.

2) So ist es verständlich, dafj d. Vf. die Frage von St. P f ü r t n e r: „Luther und
Thomas im Gespräch", Heidelberg 1961, zunickweist, ob nicht Thomas die Heils-
gewifjheit beim Begriff .spes" untergebracht habe, wie L. bei .fides". Die allgemeine
Sakramentslehre, welche Kooperation und daher demütigen Zweifel am eigenen
Gnadenstand verlange, schliefe dies aus.

:l) Der Vf. beruft sich auf B. und bisweilen auf die .Lutherforschung der letzten
Jahre" (S. 54 Anm.). Aber was ist d i e L.-Forschung? Gerade die Diskussion, die B.
ausgelöst hat (s. z. B. den Bericht von H.Pesch: .Zur Frage nach Luthers reformatorischer
Wende in: Catholica. XX, 196«, S. 216-242 u. 264-280) zeigt doch recht
wenig Konsens - nicht zu reden von hier gar nicht angeschnittenen Fragen, z. B.,
welche Rolle die Wandlung im Kirchenbegriff und praktischen kirchlichen Erleben
spielte: vgl. dazu etwa H.Strohl: .Luther jusqu'en 1520". Paris. Neuausgabe 1962.

'■) .The Harvest of Medieval Theology". Cambridge. Mass. 1963, S. 230: .. . . the
constant oscillation between love and fear is in itself a sign for the viator . . . that
bc is sufficiently prepnred for the inhabitation of Christ". Man sollte obendrein den
Gebrauch von .pius", .pietas" im 16. Jh. untersuchen. Die Lexika von Alten-
Staig (1517) und Dasypodius (1535) zeigen, dafj wenigstens die Erklärung
Augustins: .De civ. D«i", 10,1, CSEL 40'447, geläufig war.

Dies nur, um anzudeuten, welche Fragen der Rezensent an den
Vf. und seine Arbeit zu stellen hat. Anderen wird wohl auch ande
res auffallen. Daß die Arbeit Hennings solche und andere Fragen
nicht nur herausfordert, sondern auch ermöglicht, ist durchaus auch
eines ihrer Verdienste.

Genf Pierre F r a e n k e 1

•) Z. B. ist C.s Verwendung von 2 Sam. 2.13 (S. 157f) nicht unbedingt von Thomas.
Hier .culpa" und .poerta" zu unterscheiden, war Allgemeingut, wenigstens seit
G r a t i a n: Decr. 2a pars. De penit. dis. 1, can 60, Friedberg 1, 1175: ebenfalls
die .Glossa ordinaria" und Nikolaus Lyra ad. loc.

Asendorf, Ulrich: Eschatologie bei Luther. Göttingen: Vanden-

hoeck & Ruprecht (1967). 304 S. gr. 8°. Lw. DM34.-.

Der hier vorliegende erste einer auf drei Teile veranschlagten
Untersuchung will das seit J. Weiss und A. Schweitzer wieder lebendig
gewordene Interesse an der Eschatologie als einem Leitmotiv
aller Theologie - im Gegensatz zur bloßen Einordnung unter die
„letzten" Dinge - systematisch fruchtbar machen. Daß Asendorf
hierfür bei Luther einsetzt, ist nicht zufällig. Der eschatologische
Einschlag der Theologie des Reformators ist an einigen Einzelfragen
- z. B. Satanologie, Geschichtsverständnis, Regimenten- oder
Gesetzeslehre - schon früher beobachtet worden. Asendorf will
darüber hinausgehen und die innere Systematik der Theologie
Luthers am Beispiel der Eschatologie aufzeigen, um von dort,
(im zweiten Schritt) die Christologie und (im dritten Schritt) die
Eschatologie serber zu erhellen. Diese dann freilich nicht allein
unter theologiegeschichtlichem, sondern gegenwärtig-systematischem
Blickwinkel.

Den Einstieg nimmt der Verfasser, nicht unerwartet, bei der
Rechtfertigungslehre, die er - mit H. J. Iwand - als „angewandte
Christologie" versteht. Die eschatologische Dimension der Recht-
fertigungslehre stammt also nicht aus ihr selber, sondern aus ihrer
Verschränkung mit der Christologie. Durch die Christologie wird
die Eschatologie der Gefahr einer Endzeitspekulation, durch die
Eschatologie wird umgekehrt die Christologie der abstrakten Na
turen- oder Ständelehre entnommen. Die Verschränkung bewirkt
die aktualistische Gestalt der lutherischen Christologie sowie die
Zusammenschau von Kreuz und Auferstehung mit dem Jüngsten
Gericht und Tag. Von hier aus kann Rechtfertigung nur von der
letzten Gerechtigkeit her verstanden werden, die Christus am Kreuz
für alle Ewigkeit erworben hat. Daraus ergibt sich eine Dynamik
der menschlichen Rechtfertigung als Bewegung vom Anfang der
Gerechtigkeit Christi am Kreuz zu ihrer Vollendung hin. Entsprc
chend folgt eine Erweiterung des forensischen Charakters der
Rechtfertigung von der qualitativen auf die finale und definitive
Bestimmung. Rechtfertigung ist so „antizipiertes Endgericht", Anwesenheit
der eschatologischen Rechtfertigung in der Zeit. Dies
geschieht durch Wort und Sakrament im Glauben als Gestalten der
Hoffnung, Erscheinungsformen der neuen in der alten Welt. Dem
entspricht die Antizipation der vollen Christusgerechtigkeit (als
Totalaspekt) in der Heiligung (als Partialaspekt). Luthers „simul",
die Polarität von Gesetz und Evangelium, das Fortschreiten des
Menschen von den irdischen zu den himmlischen Gütern oder
Luthers Verständnis der Zwei-Naturen-Lehre sind weitere Belege
für diesen eschatologischen Doppelaspekt.

Die Einheit von Christologie und Rechtfertigung weist für Asendorf
- hierin Karl Holl folgend - auf den eschatologischen Hintergrund
der Kirche. Wort und Sakrament als eschatologische Güter
und Konstitutiva der Kirche bilden den Übergang vom ersten zu
diesem zweiten Gedankenkreis. Die eigentlich ekklesiologische
Perspektive der Eschatologie Luthers enthält nun aber deutlich
apokalyptische Vorstellungen. Das rührt von der Leibhaftigkeit
der Kirche im Gang der Geschichte her, der die Antirypik der Kirche
parallel geht. Papsttum, Antichrist, Schwärmer, Sophisten oder
Türken sind die Beispiele für diesen apokalyptischen Horizont.
Aber das Apokalyptische überwältigt bei Luther nicht das Eschatologische
. Denn die Apokalyptik ist die Signatur der Zeit, des
Augenblicks, das Eschatologische hingegen der umgreifende, endgültige
Aspekt der Kirche. Das zeigt sich auch am Wort, das die
Kirche konstituiert. Konkret wirkt es Widersacherschaft, zeitigt es
apokalyptische Wirklichkeit, gehört es immer auch zum Gesetz,
hat es immer auch eine anthropologische Komponente. Sofern darin