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Ausgabe:

1969

Spalte:

772-777

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Joest, Wilfried

Titel/Untertitel:

Ontologie der Person bei Luther 1969

Rezensent:

Geisser, Hans Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 10

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geistigen Umbruch zu erläutern, der in den Jahrhunderten des
frühen Mittelalters statthatte. Von einer Lösung der auftauchenden
Fragen kann beim Stand unserer Kenntnis nicht geredet werden.
Es gehört zu den Verdiensten des Buches, scharfsinnig und mit
historischem Gespür Fragen formuliert und Probleme beleuchtet
zu haben, die für das Verständnis der frühen mittelalterlichen
Kunst von grundsätzlicher Bedeutung sind 2.

Das erste Kapitel des gehaltvollen Buches handelt von den
Zeiten, die eine eigentliche Gerichtsdarstellung noch nicht kannten:
„Die Anfänge der Weltgerichtsdarstellung'": 1. Grundlagen. 2. Die
frühchristliche Vorstellung vom Weltgericht (Die Scheidung der
Schafe von den Ziegenböcken. Die Parabel von den klugen und
törichten Jungfrauen). 3. Metaphern des Jüngsten Gerichts (Der
Adventus Domini. Hetoimasia). Hier ist, wie bereits ausgeführt
wurde 3, manches verzeichnet. Die auch vom Vf. vertretene „escha-
tologische" Deutung einiger frühchristlicher Darstellungen besteht
die Probe nicht; die vorgetragenen Erklärungen müssen oft anders
gefaßt werden, wie ich demnächst zu zeigen hoffe; ich bezweifle
auch, daß die Entwicklung des griechischen Himmelfahrtsbildes
zutreffend beschrieben ist (S. 59).

Tübingen Ihms-Diotrich Altendorf

8 Die Datierung der Elfenbeinplatte vom Einband des Porikonen-
buches Heinrichs II. (Goldschmidt I, Nr. 41) auf ungefähr 871) (S. 166)
ist wenig begründet; dio Piatie scheint nicht viel später als um 850
entstanden zu sein (J. Schwartz, Quelques sources autiqnes d'ivoires
carolingiens, Cabiers archeologiqu.es 11, 1960, S. 102). Der Aufsatz von
Schwartz ist einer der von Br. gewünschten Beiträge zur Motivanalyse
der Kreuzigungsbilder auf karolingisch-ottonischen Elfenbeinen.

a Th. Klauser in der Besprechung von Br.s Buch, Jahrbuch für
Antike und Christentum 10, 1907, S. 242—247.

fiphrem de Nisibe: Commentaire de l'Evangile concordant ou
Diatessaron, traduit du Syriaque et de l'Armenien. Introduction,
traduetion et notes par L. Leloir. Paris: Les Editions du Cerf
1966. 438 S. 8° = Sources Chretiennes, 121. ffr. 39,-.

1942 begann der französische Klerus auf Initiative und unter
Anleitung von Angehörigen des Jesuitenordens zur Belehrung und
Erbauung der Laien die Herausgabe »Christlicher Quellen" (sources
chretiennes), von denen bis 1966, dem Erscheinungsjahr des hier
anzuzeigenden bekannten Ephrem-Kommentars zum Diatessaron,
bereits 132 Bände erschienen sind oder sich im Druck befanden.
Die „Christlichen Quellen" sind in ihrem Anliegen und in ihrer
Auswahl der deutschen Bibliothek der Kirchenväter vergleichbar,
gehen allerdings über diese hinaus. Sie bieten bei den griechischen
und lateinischen Vätern die Texte in der Originalsprache mit
gegenübergestellter französischer Übersetzung. Bei den orientalischen
Texten hingegen, zu denen aufgrund der Überlieferungsgeschichte
der Ephrem-Kommentar gehört, wird nur die französische
Übersetzung abgedruckt. Für die Textkonstitution steht
das CSCO zur Verfügung (vgl. u. a. Bd. 44 der Keihe Philoxenus
von Mabbüg).

Louis Leloir, Editor und Bearbeiter des Ephrem-Kommentars
zum Diatessaron in der armenischen und syrischen Überlieferung
hatte zunächst eine lateinische Übersetzung der bis 1957 allein
bekannten armenischen Version hergestellt. Nach der Entdeckung
syrischer Fragmente in der ehester Beatty-Bibliothek hat er diese
gleichfalls ins Lateinische übertragen (vgl. Vorwort S. 7, Literaturverzeichnis
S. 37). Für die sources chretiennes faßt er beide Überlieferungszweige
in einer französischen Übersetzung zusammen.
Der Nachweis und das Verhältnis der beiden Quellen ist in einer
modernen Übersetzung ohnehin schwierig. Gerade deshalb wäre
es erwünscht, daß der Übersetzer in einer Pcrikopen-Übersicht
den armenischen und den syrischen Anteil kennzeichnete. Er sollte
es mindestens für die syrischen Fragmente des Diatessaron getan
haben, wenn er solches für den Text des Kommentars selbst für
unerheblich gehalten hat. Den Kolumnentiteln ist lediglich zu entnehmen
, dafj der armenische Textanteil wesentlich überwiegt.
Auch wenn man sich den übergeordneten Zweck der sources
chretiennes vor Augen hält, ist es unverständlich, daß in der „introduction
" die Frage nach der Herkunft des Diatessaron mit wenigen
unzureichenden Bemerkungen abgetan ist (S. 15-18).

Die in dem CSCO und in den Studi e Testi veröffentlichten
Arbeiten Leloirs zu Ephrem und dem Diatessaron sind m. W. in
den einschlägigen Zeitschriften nicht angezeigt worden.

Leipzig Walter N «gel

KIRCHENGESCHICHTE: REFORMATIONSZEIT

Joest, Wilfried: Ontologie der Person bei Luther. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht 1967. 449 S. gr. 8°. Lw. DM 48,-.

Dieses Buch läßt sich kaum anders durchlesen oder durcharbeiten
als in ständiger Beteiligung an einer Diskussion, die auch
nach der Lektüre nicht abklingt und vom Autor und seinen Thesen
auf genügend viele Teilnehmer bzw. Fragen der Lutherforschung
und der heutigen Theologie übergreifen mag. Doch zunächst
beanspruchen die knapp 500 Seiten alle Aufmerksamkeit (und
deshalb auch einigen Raum für die Wiedergabe). Joest selbst
führt freilich keineswegs vielerlei oder gar hartnäckige Auseinandersetzungen
; auch auf die innerevangelische und kontroverstheologische
Aktualität seiner Untersuchung kommt er mehr beiläufig
zu sprechen (7, 16, 21 ff, 37 f, 45 f, 232). Er geht Luthers
„neuartiger Begegnung mit der theologischen ,Sache'" (114) nach,
indem er diese Sache anhand von Themen und vor allem ausgiebig
zu Rate gezogenen Texten der Lutherforschung (speziell
der exegetischen Vorlesungen und Kommentare, der theologischen
Haupt- und Streitschriften sowie der Disputationen) erörtert:
umsichtig Argumente und Intentionen abwägend, vorausfragend
und zurückgreifend, auf „verstehende Nachzeichnung" der Auffassung
Luthers bedacht (7), jedoch gewissenhaft unmittelbare
Textaussagen von hinzukommender Explikation abhebend (z. B.
136, 435).

Den Aspekt der Sache, um den es ihm zu tun ist, nennt Joest
„Ontologie der Person". Diese Kategorie erweist ihre Tauglichkeit
in der Tat durch die Sachgemäßheit der Fragestellung und des
Vorgehens im jeweiligen Zusammenhang. Daß es dabei zur Darstellung
vielfach behandelten Materials kommt, gehört ebenfalls
zur Sache. (Die Arbeit gewinnt so auf weite Strecken den Wert
eines Handbuches; dazu hilft ein überaus brauchbares Personen-
und Sachregister.) Auch die Unbefangenheit gehört dazu, mit der
Joest im wesentlichen eine „personale" (einmal heißt es „perso-
nalistische": 248) Lutherdeutung bestätigt findet (28 ff, 37, vgl. 45).
Neben dem Lehrer Althaus findet Ebeling am häufigsten Erwähnung
(indirekt auch mit Arbeiten aus seiner Schule). Gogarten
wird schon eher kritisiert (356 ff, vgl. 387 ff), auf sein Buch über
„Luthers Theologie" (1967) konnte nicht mehr Bezug genommen
werden. Wenn es also mit der „zentralen Bedeutung der Korrelation
von Wort und Glauben im Personverständnis Luthers" und
der daraus folgenden Betonung des Lutherschen „Glaubenspersonalismus
durchaus seine Richtigkeit hat, so ist doch für Joest die
„Frage nach der Person-Ontologie Luthers" damit noch nicht hinreichend
und insofern nicht zutreffend beantwortet. Den Begriff
„Ontologie" will Joest dabei von inhaltlichen Präjudizien (etwa im
Sinne von Substanzmetaphysik oder allgemeiner Seinsichre) freihalten
und in „der rein formalen und neutralen Bedeutung" als
„Frage nach der Bedeutung von ,Sein' und nach der Weise, wie
Wirkliches da ist", verstanden wissen (13 f, vgl. 131). Bestimmte
Befunde nötigen dazu, diese Frage nun speziell an Luthers „Verständnis
des Seins des Menschen in Korrelation zu der Weise, wie
die Heilswirklichkeit für den Menschen da ist" schärfer zu stellen.
Der „durchaus existenzielle, um nicht zu sagen theologische Hintergrund
... der ontologischen Fragerichtung menschlichen De nkens
" ist somit ausdrücklich anvisiert (16 f).

Ist etwa für Luther und im Gefolge seiner Theologie mit der
Bestreitung der aristotelisch-scholastischen Ontologie jede philosophische
Klärung der Seinsfrage unerheblich geworden, ist
jedenfalls evangelische Theologie diesbezüglicher Anstrengung
und Rechenschaft grundsätzlich enthoben? Oder brachte die reformatorische
Theologie im Prinzip eine völlig neue, eigenständige
Ontologie hervor? (Und wird diese dann den wahrnehmbaren
Strukturen menschlichen Personseins gerecht?) Oder könnte sie
eine andere, ihrer Sache gemäßere, nichtmetaphysische philosophische
Ontologie in Gebrauch nehmen (vgl. 15 ff, 28 ff, 83 ff,
130 ff)? - Daß auf jede dieser Fragen jeweils unter Anrufung des
Wortes .personal' zustimmender Bescheid erteilt werden konnte,
gibt allerdings dem Einwand recht, solcher hinsichtlich ihrer
ontologischen Relevanz unbestimmten .personalen' Lutherdeutung
hafte „noch vielfach etwas Vages und Summarischer," an (37,
vgl. 45). Doch größere Genauigkeit sucht Joest nicht dadurch zu
gewinnen, daß er ebenso summarisch - wie anderwärts oft