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Ausgabe:

1969

Spalte:

769

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Chadwick, Owen

Titel/Untertitel:

John Cassian 1969

Rezensent:

Severus, Emmanuel

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Seite 1

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769

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 10

770

Chadwick, Owen: John Cassian. 2»J Ed. London: Cambridge
University Press 1968. VIII, 171 S. 8°. Lw. 40 s.

Daß O. Chadwick seine 1950 erstmals erschienene Cassian-
monographie nach 18 Jahren neu auflegen konnte, bezeugt seinen
hohen Rang als Forscher für diese Zeit der alten Kirchengeschichte
ebenso wie die lebendige Aufgeschlossenheit der englischen und
internationalen Leserschalt, in der Deutschland allerdings nur
einen nebengeordneten Platz einnimmt. Schon ein erster oberflächlicher
Blick zeigt, dafj diese 2. Autlage einer völligen Neubearbeitung
gleichkommt. Es fehlen in ihr die Appendices, deren
die 1. Auflage noch vier zählte. Die Überschriften der 6 Kapitel
sind sprachlich neu formuliert und machen so auch den z. T. veränderten
Inhalt deutlich. Die Bibliographie (163 f) weist eine
erhebliche Straffung und eine sehr vorteilhafte sachliche Gliederung
auf, der Anmerkung sapparat ist stark, aber zum Vorteil,
erleichtert, neue Literatur, wie für den französischen Sprachraum
J. C. Guy, für den deutschen R. Lorenz und H. O. Weber eingearbeitet
. Dafj der Verfasser diese Änderungen weder aus praktischen
noch irgendwie gearteten äußeren Gründen durchführte, zeigt
auch die größere Klarheit, Eindeutigkeit und Sorgfalt seiner Terminologie
. Was Chadwick in der 1. Auflage (43) sehr allgemein
.ascetic movement" nannte, akzentuiert er nun als „monastic
movement" (34). Die zunächst nur 4 Seiten umfassenden Reflexionen
auf die monastische Liturgie in der 1. Auflage erscheinen um
aas mehr als Dreifache erweitert unter der eindeutigen Überschrift
„Worship" (67-81). Freilich stößt der Berichterstatter hier
auch auf gewisse Lücken. So findet er 74, Anm. 1 zwar die Arbeiten
von J. Froger und J. M. Hanssens und die Stellungnahme des
Verfassers dazu zitiert, nicht aber O. Helmings umfangreiche
Arbeit .Zum monastischen Offizium von Kassianus bis Kolumbane
" (ALW 6,1 [1961] 89-156), die sich mehrfach mit Cassian
beschäftigt oder auch die vom gleichen Verfasser herausgegebene
und mit wichtigen Ergänzungen ausgestattete Monographie
A. Baumstarks, Nocturna Laus (1957, 2. Auflage 1967). Die veränderten
Kapitelüberschriften bringen auch die Zielsetzung der
Neubearbeitung klarer zum Ausdruck. Es geht dem Verfasser
nicht mehr allein darum, den Mutterboden des Cassian'schen
Schrifttums und seiner Lehre aufzuzeigen, sondern auch die damit
nun gegebene Entwicklung und Problematik sichtbar zu machen.
So konnte der Verfasser nun Kapitel 5 mit den beiden Unterabschnitten
Leporius (137 f) Nestorius (138-147) .Nestorius" nennen,
um so gewissermaßen den zeitgenössischen oder näherhin chalke-
donensischen Kontext von Cassians De incarnatione zu kennzeichnen
. Dieses Buch, sicher ein Alterswerk Cassians, erscheint nun
durch die subtilen Untersuchungen Chadwicks und vor allem zum
Verhältnis Cassians zum Nestoriusübersetzer Mercator (143-145)
in einer ausgewogeneren Stellung als bisher, die etwas vor Chadwick
auch H. J. Marrou (Provence historique 65 (1966) 297-308
bestätigte. - Während der Verfasser 1950 dem Einfluß Cassians
auf die Nachwelt nur den 1. Abschnitt seines 6. Kapitels achieve-
ment (168-186) widmete, nennt er in der Auflage von 1968 das
ganze Kapitel Influence (148-162). Die «Magisterfrage", 1950 noch
in voller Entwicklung, heute in wesentlichen Punkten geklärt,
wenn auch nicht abgeschlossen, muhte damals mit ausführlichen
Literaturangaben erwähnt werden (168, Anm. 2). 1968 konnte der
Verfasser sich mit einem kurzen Hinweis (153) begnügen. Gut
stellt er die Rolle Cassians im Mischregelzeitalter heraus (152 bis
158), dessen Einfluß dann vor allem als geistlicher Schriftsteller
durch Benedikt von Nursia an Kraft gewann. Mit Recht verfolgt
Verfasser die Spuren des Einflusses bis in die Neuzeit hinein
durchaus einig mit der neueren deutschen Forschung, wie zum
Beispiel H. Bacht SJ und H. Rahner SJ. Das Kapitel über Cassians
Nachleben wird schließlich zu einer Überschau von Imponierender
Weite des Horizonts, da sie die Ostkirche, die Volkskunde und
die Liturgie (159-162) mit einbezieht.

Während in den kontinentalen Kirchen die Gestalten und Vorgänge
der Geschichte kaum mehr behandelt werden können, ohne
auch von der Problematik des kirchlichen Selbstverständnisses
belastet zu sein, zeichnet Chadwicks Werk die geradezu klassische
Objektivität der Geschichtsschreibung aus, die aus vielen Gründen
Vorbild bleiben kann und muß.

Brenk, Beat: Tradition und Neuerung in der christlichen Kunst
des ersten Jahrtausends. Studien zur Geschichte des Weltgerichtsbildes
. Graz-Wien-Köln: Böhlau 1966. 258 S. m. 25 Abb. i. Text
u. 95 Abb. a. 83 Taf. gr. 8° = Österreich. Akademie d. Wissenschaften
, Kommission f. Byzantinistik, Wiener Byzantinistische
Studien, hrsg. v. H. Hunger, 3. ö. S. 436,-; Lw. ö. S. 464,-.

B. Brenk veröffentlichte 1964 einen ausgezeichneten Aufsatz:
.Die Anfänge der byzantinischen Weltgerichtsdarstellung" '. Die
dort niedergelegte Auffassung wird in dem vortrefflich illustrierten
Buch entfaltet. Das Weltgerichtsbild ist demnach in der zweiten
Hälfte des achten Jahrhunderts entstanden, nachdem der Ikono-
klasmus überwunden war. Die älteste erhaltene Darstellung des
Weltgerichts in der byzantinischen Kunst scheint eine Elfenbeinplatte
im Londoner Victoria-and-Albert-Museum zu sein, die Vf.
mit K. Weitzmann in das 10. Jahrhundert datiert (Goldschmidt-
Weitzmann II, Nr. 123). Die Darstellung auf dem Elfenbein vertritt
zusammen mit den Fresken in Narthex von Hagios Stephanos in
Kastoria, die vor dem Jahre 1040 entstanden sind, möglicherweise
eine frühe monumentale Bildtradition, die sich von der miniaturhaften
Bildtradition abhebt. Diese hat ihren ältesten bekannten
Vertreter im Tetraevangeliar Paris, gr. 74; die Handschrift wird
in der Mitte des 11. Jahrhunderts im Studioskloster in Konstantinopel
entstanden sein. Die miniaturhafte Bildform bleibt maßgebend
. Das byzantinische Weltgerichtsbild ist aus verschiedenen
Elementen zusammengestellt; es ist eine .Kompilation im Assoziativverfahren
" (S. 103). Der Hauptgesichtspunkt ist die Rettung
des Menschen. Wenn man überlegt, welche der beiden Ausformungen
des Bildes am Anfang der Entwicklung stehen mag, so wird
man zu folgendem Schluß geführt: .Der kompilatorische Aufbau,
die theologisch durchdachte Aussage und der miniaturhafte Charakter
des byzantinischen Gerichtsbildes legen uns die Annahme
nahe, daß das Bild in einer Miniaturenwerkstätte eines bedeutenden
stadtbyzantinischen Klosters entstanden sein könnte. Dieser
vielteilige Bildvorwurf ist nicht vor dem 8. Jahrhundert nachweisbar
. Einige seiner Elemente sind überhaupt erst seit dem
9. Jahrhundert zu belegen; also muß es sich um eine Neuschöpfung
des ausklingenden Ikonoklasmus handeln" (ebd.). In dem Aufsatz
hatte Br. an das Studioskloster gedacht; in der Tat kommt dieses
vor anderen Orten als Entstehungsort des Gerichtsbildes in
Betracht.

Das Bild erscheint mit der Zeit in allen Provinzen des Reiches,
.in denen die Wandmalerei eine hervorragende Rolle spielt". Aber
»es ist gewiß kein Kardinalthema der byzantinischen Ikonographie
wie etwa die Himmelfahrt Christi oder die Anastasis, sondern ein
Nebenthema; es kann nicht als Leitbild der byzantinischen Frömmigkeit
angesehen werden", wie Br. in seinem Aufsatz richtig
feststellt (S. 125).

Das byzantinische Weltgerichtsbild wird im 9./10. Jahrhundert
im Abendland teilweise übernommen. Das älteste Zeugnis sind
die nach dem letzten Kriege aufgedeckten Fresken in St. Johann
in Müstair-Münster in Graubünden, die in früher karolingischcr
Zeit entstanden sind. Das abendländische Bild wird mannifaltiger
gestaltet als das griechische, dessen Typus starrer festgelegt ist,
und es ist oft ein monumentales Bild.

Die hiermit skizzierte Entstehung und Entwicklung des Bildes
ist im zweiten und dritten Kapitel des Buches dargestellt (S. 77 ff.).
Die folgenden Kapitel verfolgen einzelne Elemente und Themen,
die zum Bildtyp gehören oder mit ihm in einem Zusammenhang
stehen: IV. Die Neuerungen im mittelbyzantinischen und karolin-
gischen Weltgerichtsbild (S. 143 ff.). 1. Die neue Auffassung der
Auferstehung der Toten (Antitypen, Metaphern, Symbole, die
byzantinische Auffassung der Auferstehung, die westliche Auffassung
der Auferstehung). 2. Die neue Auffassung der Dämonen
(Spätantike, Frühmittelaltcr). V. Die Verbildlichung von Gut und
Böse: Das Kontrastbild im ersten Jahrtausend (S. 215 ff.). 1. Das
Weltgerichtsbild als künstlerische Aufgabe. 2. Geschichte und Sinn
der heraldischen Komposition. VI. Passionsrealismus (S. 233 ff.),
1. Der Wundmal-Christus im Weltgericht. 2. Ecclesia et sanguis
Christi. Die Überschriften erfassen den Inhalt der anregenden
Darlegungen nur notdürftig. Br. versucht, den in der Entstehung
des Gerichtsbildes und in seinen Ausprägungen kund werdenden

Maria Laach

Emmanuel v. S c v e r n «

I Byzantinische Zeitschrift 57, 1964, 8. 10« —126.