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Ausgabe:

1969

Spalte:

762-763

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Rengstorf, Karl Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Re-Investitur des Verlorenen Sohnes in der Gleichniserzählung Jesu Luk. 15, 11 - 32 1969

Rezensent:

Demke, Christoph

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 10

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gewiß die ,Geist"-Konzeption des Lk. im Hintergrund steht), doch
ist andererseits Lövestams methodisches Prinzip einer mehr „zusammenschauenden
" Deutung zu beachten. - Da er auch die Literatur
in ihrer ganzen Breite berücksichtigt, muß seine Arbeit als
wertvoller Beitrag zur Erhellung eines der schwierigsten synoptischen
Texte erscheinen.

Münster Johannes Ltthnemunn

Pesch, Rudolf: Neuere Exegese - Verlust oder Gewinn? Frei-
burg-Bascl-Wien: Herder [1968). 176 S. 8°. Kart. DM 13,80.

Die Nachfrage nach guter Information über die neueren Entwicklungen
der Fachwissenschaft ist nirgends so groß wie auf
dem Gebiet der biblischen Theologie, und besonders im katholischen
Raum, in welchem die Erkenntnisse der protestantischen
Forschung aufgearbeitet werden müssen. Mit dem vorliegenden
Buch wendet sich der Verfasser nicht an „den im Fach bewanderten
Theologen", sondern an „Seelsorger, Katecheten und aufgeschlossene
Laien", die „für klare Auskünfte dankbar sind" (Vorworts. 5).
Ein Schüler Anton Vögtles und bereits durch selbständige Beiträge
ausgewiesen, ist er für diese Aufgabe gut zugerüstet. Er legt
fast eine Einleitung in das Neue Testament für Laien vor, ohne
die theologischen Fragen zurückzustellen. Bisweilen überschneiden
sich die teilweise gesondert entstandenen fünf Abschnitte des
Buches. Nur manchmal trifft man auf nicht erklärte Fachbegriffe.

Im ersten Abschnitt (S. 9-37) führt der Vf. die Fragestellungen
der historisch-kritischen Exegese vor, den einschlägigen Verlautbarungen
seiner Kirche gegenübergestellt, um auf diese Weise für
die neuen Methoden zu werben. Denn die im Titel aufgeworfene
Frage soll dahin beantwortet werden, die kritische Exegese habe
selbst mit ihren über das Ziel hinausschießenden Versuchen einen
großen Gewinn für die Kirche gebracht. Als Beispiel für eine
moderne Fragestellung dieser Art gilt dem Vf. die „Entmytholo-
gisierung" (S. 38-78). Nachdem er die Notwendigkeit einer Obersetzung
gezeigt hat, bespricht er R. Bultmanns Programm. Der
Leser soll aber nicht nur die Fragestellung und mögliche Gegenfragen
kennenlernen, er soll das Anliegen R. Bultmanns verstehen
lernen. So entsteht eine knappe und im Ton vorbildliche Einführung
in den Gegenstand. Im dritten Abschnitt (S. 79-111) geht
es um die Fragen der herkömmlichen Einleitungswissenschaft. Hier
erfährt man, wie freizügig der katholische Fachkolleqe heute
arbeiten kann. An ältere Lösungen erinnern noch die Angaben,
der 2. Petrusbrief sei am Ausgang des 1. Jhs. entstanden (S. 84),
das Markusevangelium sei „speziell vielleicht für römische Leser*
geschrieben worden (S. 100) oder die Paränesen des Jakobusbriefes
könnten „traditionsgeschichtlich etwa über eine Vorlaqe sehr wohl
auf den Herrenbruder Jakobus zurückgehen" (S. 106). Im übrigen
schreibt hier ein Autor, der sämtliche modernen Rückfragen kennt
und vorzuführen bereit ist. Der Leser erfährt über die Pseudo-
nvmität vieler Paulusbriefe und fast aller übrigen urchristlichen
Schriften genauso viel wie in einer kritischen Einleitunq, die den
neuesten Stand hält. Selbstverständlich werden die Urteile abgewogen
vorgetragen. Die Verfasserfragen werden bei den „Deute-
ropaulinen" (2. Thess.; Kol.; Eph.) nicht entschieden. Die katholischen
Briefe bereiten schon den Kanon vor (S. 108). Vor allem die
synoptische Frage wird bis ins Detail vorgeführt. Hier zeichnet
sich ein Weg ab, der den pietistischen Abweg (dazu S. 115 und
öfter) nicht nötig hat, weil er den Gewinn der Forschung auszuwerten
versteht.

Die beiden Schlußabschnitte widmen sich der Evangelienforschung
, die zunächst beschrieben (S. 112-142) und dann am Beispiel
der Erzählung Mark. 1, 29-31 parr. (Heilung der Schwiegermutter
des Petrus) in fünf Schritten vorgeführt wird (1. Literar-,
?. Form-, 3. Redaktionskritik bei Markus, 4. bei Matthäus, 5. bei
Lukas). Dabei zeigt sich allerdings, daß der Autor die Redaktionsgeschichte
besser beherrscht als die formqeschichtlichen Handgriffe.
So ist die Erarbeitung der Wundergeschichte ein eigentlich quel-
lcnkritisches Unternehmen. Denn diese soll Im vorliterarischen
Stadium mit einer Ortsangabe (V. 21 a) begonnen haben und vor
ihrer literarischen Fixierung um die Grundlage des folgenden Sum-
nariums erweitert gewesen sein. Wäre sie für sich „weder missionarisch
werbend noch christologisch verkündigend zugespitzt"
(S. 158), „etwas leichtgewichtig", so bildet sie zusammen mit dem
Summarium „nun eine durchaus überlieferungswürdige Einheit"

(S, 160). Die Formkritik hatte doch zu dem Urteil geführt, die
kleinsten Einheiten seien die eigentlichen Verkündigungsträger
gewesen. Man wird daher keiner Wundergeschichte den missionarischen
Wert bestreiten dürfen. Quellenkritisch ist auch die Voraussage
S. 130, „daß mit dem Aufbruch der redaktionsgeschichtlichen
Evangelienforschung der Weg zur allgemeinen Anerkennung
der Zweiquellentheorie in ihrer strengen Form eingeschlagen ist".
Hier zeigt sich, daß der Autor die neueste Diskussion noch nicht
kennt, die auf eine endgültige Auflösung der zweiten Synoptikerquelle
(Q) hinausläuft, ob man von redaktionsgeschichtlichen oder
von formkritischen Gesichtspunkten an die Sache herangeht.

Sieht man von dieser im ganzen unbedeutenden Schwäche ab,
so ist das Buch ein erfreuliches Zeichen für die Lernbereitschaft
der modernen katholischen Fachwissenschaft. Man möchte ihm
ein gutes Echo wünschen.

Schönheitsfehler: Worin besteht die Differenz zwischen „Bethaus
" und Synagoge? (S. 92). - S. 95 Zeile 9 v. u. streiche „aus". -
S. 148 begegnet ein August (statt Erich) Klostermann. - S. 155
„Ausfuhr des Dämons": Export?

BorBdorf b. Leipzig Gottfried 8 e h i 1 1 e

Rengstorf, Karl Heinrich: Die Re-Investitur des Verlorenen
Sohnes in der Gleichniserzählung Jesu Luk. 15, 11-32. Köln-
Opladen: Westdeutscher Verlag (1967). 78 S., 16 Abb. a. Taf.
dav. 1 Taf. färb. gr. 8° = Arbeitsgemeinschaft für Forschung
des Landes Nordrhein-Westfalen. Geisteswissenschaften, hrsg. v.
L. Brandt, 137. Kart. DM 14,30.

Durch Aufdecken des gesellschaftlichen und rechtlichen Milieus,
in dem der Gleichnisstoff von Lk 15,11 ff. spielt, will R. die .Bildhälfte
' des Gleichnisses als wirkliche Erzählung verständlich
machen, damit einer allegorisierenden Reflexion konsequent jeder
Ansatzpunkt entzogen wird.

R. geht im Anschluß an D. Daube von der These aus, daß in
der eigenartigen Formulierung, mit der der Vater sein Verhalten
begründet (V. 24. 32), „ein spätjüdisches Rechtsinstitut" (22), dessen
„vorinstitutioneller Charakter" (23, A. 46) von R. geflissentlich
betont wird (s. S. 26), nachwirke: die ,Abtrennung' (kt'sasah oder
kesisah); der Verlorene ist der wegen einer gegen den Willen der
Familie vorgenommenen Veraüßerung von Grundbesitz von der
Sippe .Abgetrennte', der für seine Sippe nicht mehr existiert und
insofern ,tot' ist.

Auf diesem Hintergrund will R. die Maßnahmen, die der Vater
bei Rückkehr des Sohnes anordnet (V. 22), als Investitur-Zeremonie
verstehen. 1. Akt: die „gewiß ebenso sorgfältige(n) wie
respektvolle(n) Bekleidung" (43) mit dem Gewand, das kraft seines
„emblematischen Charakter(s)" (42) den Zurückgekehrten als
Erbsohn präsentiert (es handelt sich nach R. um das „frühere"
Gewand, das bei der .Abtrennung' im Hause des Vaters verblieb;
deswegen heißt es stole he prote und muß von Re-Investitur
gesprochen werden); 2. Akt: Belehnung mit dem Ring als Vollmachtszeichen
; 3. Akt: Anlegen der Schuhe als „Rechtssymbol"
(46), durch das dem Sohn das Verfügungsrecht über den Grundbesitz
zuerkannt ist.

Diese Rekonstruktionen führen R. zu „Erwägungen zur Herkunft
des Erzählungsstoffes" (51-62), nach denen „wohl angenommen
werden darf", daß dem Perlenlied der Thomasakten und
diesem Gleichnis „tatsächlich ein und derselbeVorwurf zugrunde
liegt" (58). Dabei stehe das Perlenlied dem Vorwurf insofern
näher, als es das königliche Milieu, das bei Luk. nach R. nur
noch durchschimmert, klar erhalten hat.

Was ergibt sich daraus für „das theologische Problem" (62-69)?
Geht es hier um Re-Investitur, so wird nicht einfach durch die
Güte des Vaters beseitigt, was Vater und Sohn trennte, sondern
„ein neues, allein im Willen und im Vermögen des Vaters begründetes
Verhältnis zwischen dem Sohn und ihm" (68) geschaffenen,
das dem Sohn „völlige Freiheit des Handelns nach allen Seiten
hin" (67) gewährt, so daß das Gleichnis sich als anschauliche Verkündigung
der iustificatio impii herausstellt.

Rengstorfs Untersuchung dürfte deutlich machen, daß das
Milieu, in dem die Erzählung spielt, stärker von Rechtsgesichtspunkten
bestimmt ist, als das eine naive Übertragung der Er/.äli-