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Ausgabe:

1969

Spalte:

746-748

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Jenni, Ernst

Titel/Untertitel:

Das hebraeische Pi'el 1969

Rezensent:

Conrad, Joachim

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745

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 10

746

zum Alten u. Neuen Testament, hrsg. v. G. Bornkamm u. G. v. Rad,
28. DM 22,80; Lw. DM 24,80.

Was ist eigentlich Weisheit, was ihre Herkunft, ihr Sitz im
Leben und ihr Sinn, wie erklären sich ihre verschiedenen literarischen
Formen, welche sind die Etappen ihrer schriftlichen Fixierung
und Überlieferung? Das sind lauter Fragen, auf die die
alttestamcntliche Forschung trotz der Heranziehung des beträchtlichen
altorientalischen Vergleichsmaterials bis heute noch keine
einigermaßen sicheren, befriedigenden Antworten gegeben hat.
Es ist beachtenswert, daß H. J. Hermisson sich in seiner Habilitationsschrift
diesem ungeklärten und freilich noch schwer zu
klärenden Fragekomplex zuwendet. Mit größter Nüchternheit,
das Bisherige neu erwägend und befragend, versucht er vorsichtig
voranzutasten, um auf einigermaßen festem Boden einen Schritt
weiter zu kommen. I

Die Arbeit besteht aus drei Kapiteln, die der Fragestellung und
der methodischen Durchführung nach je eine selbständige „Studie''
über die Spruchweisheit darbieten. Die drei Kapitel bilden insofern
eine Einheit und integrieren einander, als sie den gleichen Stoff
von verschiedenen Seiten her behandeln und immer tiefer in
seiner geistesgeschichtlichen Bedeutung beleuchten, und zwar zunächst
durch genaue Bestimmung seiner Herkunft und seiner
inhaltlichen Eigenart (1. Kap. S. 15-96), dann durch Herausstellung
des Ortes ihrer Verwendung und Tradierung (2. Kap. S. 97-136)
und schließlich durch die Untersuchung seiner formalen Eigenart
(3. Kap. S. 137-186). Eine Einleitung (S. 11-14) und eine Zusammenfassung
(S. 187-192) umrahmen die drei Kapitel. Literatur-,
Abkürzungsverzeichnis und Stellcnregister schließen die Arbeit ab
(S. 193-208).

Zu Anfang des 1. Kapitels macht Vf. sofort darauf aufmerksam,
daß sich seine Untersuchung auf jene Texte beschränkt, die nach
allgemeinem Urteil das älteste Zeugnis der Weisheitsliteratur darstellen
, und zwar auf Prov 10-29, und daß sie sachgemäß den
Einzelsprüchen wie auch den Spruchsammlungen des gesamten
Komplexes gilt. Hauptsächlich aufgrund inhaltlicher Erwägungen,
wie z. B. die einzelnen Sprüche in der Geisteshaltung zu den
verschiedenen Phänomenen der Umwelt und zum Menschen stehen,
unterscheidet Vf. bei den Sprüchen zwischen Mahnworten und
Aussageworten; dann charakterisiert er die Aussageworte näher
als Sprichwörter und lehrhafte Sprüche.

Nachdem er zur Klärung des Begriffes „Sprichwort" die deutsche
Volkskunde und ihr Verständnis vom „Sprichwort" herangezogen
hat, nachdem er die im ganzen Alten Testament verstreuten Sprichwörter
analysiert hat, kommt er zu dem Schluß, daß die volkstümliche
Herkunft mancher Sprichwörter aus den Proverbien trotz
ihrer kunstvollen Gestaltung nicht unwahrscheinlich ist. Doch die
Analyse der lehrhaften Sprüche und ihrer Thematik ergibt wohl,
daß einzelne Sprüche aus dem Volk stammen können, - eine
solche Herkunft sei aber freilich auch nicht zwingend, - für die
meisten Sprüche sei auf jeden Fall die Herkunft aus dem Volk
unwahrscheinlich. Im Zusammenhang mit der Besprechung der
Sprichwörter setzt sich Vf. in einem ausführlichen Exkurs mit
O. Eißfeldts Untersuchung „Der Maschal im Alten Testament" auseinander
(Ergebnis S. 49-52). Was die Sippenweisheit angeht, so
meint Vf. gegen E. Gerstenberger und H. W. Wolff, daß sie als
Ursprungsort der Mahnworte und sogar eines größeren Teils der
Proverbien gar nicht in Betracht gezogen werden kann. Vf. hebt
mit Recht hervor, daß „Volksläufigkeit" nur den Brauch, nicht die
Herkunft betrifft (S. 33). Er faßt daher zusammen: als Ursprungsund
Überlieferungsort der Proverbien ist „eine Schicht von Gebildeten
, die als Lehrer und Schüler im Zusammenhang mit der
israelitischen Beamtenschule" anzusehen (S. 188). Diese Gebildeten
hatten die Tradition - Sprache und Themen - zur Verfügung,
und mit ihr haben sie gearbeitet; sie haben aber auch selber
Sprüche formuliert und sind schließlich als „Verfasser" der einzelnen
Sammlungen zu betrachten (S. 78).

Im 2. Kapitel versucht Vf., Ursprungsort, Bildungsprozeß und
Funktion der Spruchsammlungen näher zu beschreiben. In Anbetracht
der Spärlichkeit der alttestamentlichen Zeugnisse zieht er
zur genaueren Charakterisierung der israelitischen Bildungsschicht
die altoricntalischcn Parallelen heran, ein Verfahren, das in der
damaligen geschichtlichen Situation seine Begründung hat. Vf.
kommt zu dem Schluß, daß auch für Israel die Einrichtung von

Beamten- und Schreibschulen anzunehmen ist, die zugleich Ausbildungsstätten
für die Söhne der Vornehmen waren (S. 133).
Lehrer und Schüler wären die Träger der Bildungsweisheit gewesen
, so wie sie auch in den Proverbiensammlungen erhalten ist
Die weisheitlichen Einflüsse, die in verschiedenen Werken des
Alten Testaments, etwa in der jahwistischen Erzählung und in der
Thronfolgegeschichte, festzustellen sind, würden sich aus dem
lebendigen Kontakt der betreffenden Verfasser mit den Weisheitsschulen
erklären. Neben den Beamten- und Schreiberschulcn
erwähnt Vf. auch den Tempel als die zweite große Institution, in
der die schriftliche Tradition gepflegt wurde. Die Überlieferungsströme
der Weisheitsschule und des Tempels wären aber erst kurz
vor dem Exil bzw. in nachexilischer Zeit ineinandergeflossen. In
den Weisheitsschulen wurden die Spruchsammlungen für den
Unterricht gebraucht; die einzelnen Sprüche aber waren nicht
allein für einen bestimmten Stand, etwa der Gebildeten, gedacht,
sondern beanspruchten Gültigkeit für alle. Den Entstehungsprozeß
der Spruchsammlungen kann man sich so vorstellen, daß die
jeweiligen Lehrer zunächst einzelne Sprüche geprägt und diktiert
haben und sie auswendig lernen ließen. Die weiteren Tradenten
hätten dann diesen Sprüchen Eigenes hinzugefügt und sie schriftlich
den Forderungen des Unterrichts entsprechend fixiert. Zu
Spruchsammlungen kam es schließlich durch die Lehrtätigkeit
eines „Verfassers", der für eine gewisse Einheitlichkeit der Sammlung
sorgte. Diese Sammlungen dienten nicht nur als Schulbücher,
sondern auch als Lektüre für breite Kreise, für all die, die lesen
konnten.

Der formalen stilistischen Analyse der Sprüche widmet Vf. das
letzte Kapitel seiner Arbeit. Seine Untersuchung gilt dabei hauptsächlich
den Aussagesätzen in ihren verschiedenen Formen vom
einfachen Nominalsatz zum zusammengesetzten Nominalsatz bis
hin zum Verbalsatz. Der Wert dieser Analyse besteht darin, daß
Vf. dadurch Rückschlüsse zum Verständnis der sich in den Formen
ausdrückenden Anschauungen gewinnen will. Es wird nach dem
Ordnungsdenken und seinem sprachlichen Ausdruck gefragt im
Hinblick auf eine umfassende Interpretation der Sprüche. In der
entsprechenden Zusammenfassung wird darauf hingewiesen, daß
die Sprüche in sich den engen Zusammenhang von Lehre und Erkenntnis
aufweisen (S. 170). Ein Abschnitt über die Anordnung
der Sprüche - sie seier. nicht wahllos nebeneinander gestellt, die
Auslegung dürfe also nicht beim Einzelspruch bleiben, sondern
auch den Zusammenhang, in dem er steht, beachten (S. 182) - und
noch ein Abschnitt über die erzählende Weisheit schließen das
Kapitel ab.

Die Arbeit ist im ganzen organisch aufgebaut. Fragestellungen,
Durchführung und Ergebnisse sind übersichtlich. Vf. gibt sich mit
den Ergebnissen der modernen Weisheitsforschung nicht ohne weiteres
zufrieden. Er übt ständig Kritik und stellt selber kritische
Fragen. Er bleibt sich der Schwierigkeit bewußt, die das Phänomen
„Weisheit" unserem Verstehen bereitet. Er weiß daher, daß seine
eigenen, aus der Analyse gewonnenen Ansichten keine fertigen
und vollständigen Ergebnisse sein können, sondern nur Hinweise
und Wegzeichen zum weiteren Forschen. Das ist das Positive an
seiner Arbeit. Man kann sich natürlich fragen, ob die streng durchgeführte
Anwendung der literarkritischen und überlieferungsgeschichtlichen
Methode auf das Gebiet der Weisheitsforschung doch
nicht ein Stück weiter hätte führen können. M. E. kommt z. B. die
Analyse der Spruchsammlungen (S. 76-81 und auch S. 171-183)
etwas zu kurz. Da Vf. die modernen Arbeiten, die mit dem Thema
Weisheit zu tun haben, sehr stark berücksichtigt, wäre ferner
angebracht gewesen, auch ein Namenregister anzulegen. Es sei
schließlich auf die mir aufgefallenen Druckfehler hingewiesen:
Auf Seite 60 Anm. 1 ist in der 2. Zeile ein hebräisches Wort umgedreht
gedruckt, auf Seite 90 Mitte sollte es „Naturphänomenen"
und nicht „Naturpähnomenen" heißen.

Maria Laach Itosario Pius Morondlno

Jenni, Ernst: Das hebräische Pi'el. Syntaktisch-semasiologische
Untersuchung einer Verbalform im Alten Testament. Zürich:
EVZ-Verlag [1968]. 298 S. 8°. Lw. sfr. 28,-.

Der Vf. hat sich in der vorliegenden umfänglichen Studie die
Aufgabe gestellt, die Grundfunktion des Piel, von der aus die
verschiedenen, in Lexika und Grammatiken verzeichneten Bedeu-