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Ausgabe:

1969

Spalte:

744-746

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Hermisson, Hans-Jürgen

Titel/Untertitel:

Studien zur israelitischen Spruchweisheit 1969

Rezensent:

Merendino, Rosario Pius

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 10

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zeichnet. In einer Zeit, in der immer mehr Wert auf Gruppenarbeit
und gemeinschaftliche Forschung gelegt wird, ist es G. Wallis,
indem er der in seinem Seminar entstandenen Forschungsgruppe
„beratend zur Seite stand" (S. 10), gelungen, seine Arbeitsgemeinschaft
zu dem Ergebnis zu führen, dag .der Träger der Jakobstradition
. . . das Haus Joseph (die Stämme Ephraim, Manasse
und ihre ostjordanischen Siedler) gewesen" ist.

Der Aufsatz „Die Anfänge des Königtums in Israel" (S. 45-86,
früher WZ . . . Halle 12 [1962/63], S. 239-247) erklärt das Vorhandensein
drei verschiedener Berichte von der Königswahl Sauls,
als Niederschlag der Verhandlungen von drei verschiedenen
Stämmegruppen: der von Gilead, der von Ephraim und der von
Benjamin.

„Die überlieferungsgeschichtliche Forschung und der Samuelstoff
" (S. 67-86, unveröffentlicht) behandelt die verschiedenen
Arten, in denen die Gestalt Samuels in den Traditionen wiedergegeben
wird.

Im Aufsatz „Die Hoheit des Königs im Alten Testament"
(S. 88-108, unveröffentlicht) wird die Königswürde besonders an
der Person Sauls und den unterschiedlichen Handlungen des Richters
und des Propheten Samuel untersucht.

Endlich behandelt „Geschichte, Überlieferung, Oberlieferungsgeschichte
" (S. 109-128, unveröffentlicht) die historischen und die
traditionsgeschichtlichen Forschungsmethoden, welche beide, je
nach der Beschaffenheit des behandelten Materials, anwendbar
sind. Daraus ergeben sich allerdings theologische Folgerungen,
deren Widerspiegelung der Verfasser in der um Gerhard von Rads
Theologie des Alten Testaments entstandenen Diskussion sieht.

Für den Rezensenten ist wohl der zweitgenannte Aufsatz besonders
wichtig: wenn es drei verschiedene Gruppen von Stämmen
gegeben hat, aus denen das spätere Israel wuchs *, dann gibt es
für die Nothsche Zwölfstämmebundhypothese keinen Platz mehr,
und der Verfasser reiht sich unter die ein, die neuerdings zu ähnlichen
Schlüssen gelangt sind'. Während sich aber darüber noch
diskutieren und weiterforschen läßt, gibt es m. E. noch eine weitere
, unübersehbare Schwierigkeit: Zwischen Gilead und Benjamin
bestanden seit jeher nicht mehr genau umschreibbare Beziehungen,
vgl. Jdc. 21, ferner die Tatsache, daß I Sam. 11 die Boten von
Jabes sofort zu Benjamin eilen. Gilead gehört ferner zum Königreich
'Esba'al zusammen mit Benjamin, während die anderen
Nordstämme nicht richtig mittaten und bald zu David überliefen,
(Abner muß z. B. besondere Verhandlungen mit Benjamin einleiten,
II Sam. 3, 19). Ist es also möglich, daß Benjamin und Gilead unabhängig
voneinander einen König gewählt hätten? Diese Frage
möchte ich als Beitrag zur gewiß noch nicht abgeschlossenen Diskussion
liefern.

Man kann nur dankbar sein, daß der verhältnismäßig geringe
Umfang der Studien den Verfasser und den Herausgeber nicht
davon abgehalten haben, die Arbeit herauszugeben, denn ihr
Inhalt gehört zu den Beiträgen, die man anzunehmen oder mit
denen man sich auseinanderzusetzen hat.

Rom J. Alberto S o g g i n

' Ähnlich schon K. Möhlonbrink, Sanis Ammoniterfcldzug, ZAW 58
(1940/41), S. 57 - 70, der aber mit der Existenz dreier Amphiktyonien
rechnet.

" Verl. n. a. O. Fohrer, Altes Testamont — „Amphiktyonie" und
Bund, ThLZ 91 (1966), Sp. 801 - 816, und S. TTerrmann, Autonome Entwicklungen
in den Königreichen Israel und Juda, Suppl. V. T. 17 (1969)
S. 139 - 158; diese Stellung bejaht Wallis In einem Brief an den
Rezensenten vom 16. November 1968.

Westermann, Claus: Das Alte Testament und Jesus Christus.
Stuttgart: Calwer Verlag [1968]. 52 S. gr. 8°. Kart. DM 4,80.

Das Thema, mit dem sich Westermann in seiner kleinen aufschlußreichen
Schrift beschäftigt, ist aktuell und verlangt nach
Erörterung. Es ist der Kern eines viel umfassenderen Problems, das
in der Geschichte der christlichen Kirche immer wieder zur Debatte
gestanden und die verschiedenartigsten Lösungen erfahren hat,
Lösungen, die aber heute offenbar nicht mehr voll überzeugen. So
scheint sich das Problem unserer Generation neu und besonders
dringlich zu stellen: Wie verhält sich das Alte Testament ( AT)
zum Neuen Testament (= NT)? Welche Geltung, welche Funktion,
welche Qualität besitzt das AT in der christlichen Kirche? Selbstverständlich
will Westermann auf diese schwierigen Fragen keine
erschöpfenden Antworten geben, aber er möchte wenigstens den
Reichtum an tiefgreifenden Beziehungen, die zwischen dem AT
und Jesus Christus bestehen, in das Bewußtsein rücken; und es
genügt schon, wenn es ihm dabei gelingen sollte, den Leser aus
der Enge festgefügter Begriffe und starrer Denkschemata in die
Weite der vieldimensionalen Zusammenhänge zu führen (S. 52).
Nicht bestimmte Kernstellen oder sogenannte messianische Weissagungen
rechtfertigen - wie vielerorts bis heute noch angenommen
wird - den Gebrauch des ATs in der christlichen Kirche,
sondern der - wie W. meint - eindeutige Sachverhalt: Das ganze
AT, so wie es in seinem geschichtlichen Gewordensein bis hin zu
Jesus Christus gelangt, erschließt auch dem heutigen Menschen
erst die Christusbotschaft des NTs.

W. geht nun so vor, daß er sehr schematisch den Beziehungen
der Christusverkündigung auf das AT in den drei Hauptteilen des
ATs nachspürt (S. 11), allerdings in etwas anderer Reihenfolge, als
sie der hebräische Kanon kennt: an der Spitze stehen die Propheten
mit ihrer Klage, mit ihrem Leid, mit ihrer Verkündigung von
Gericht und Heil (S. 14 ff). Dann folgen die Geschichtsbücher (mit
Einschluß des Pentateuch; S. 24 ff) und schließlich die Schriften,
einmal in ihrem Zeugnis von Klage und Lob, zum anderen als der
Niederschlag weisheitlichen Denkens (S. 46 ff). Einem Propheten
wird eine zentrale Stellung innerhalb des gesamten ATs zuerkannt,
da in ihm „wie in einem Brennpunkt diese drei umfassenden Zusammenhänge
aufeinander bezogen sind und zugleich in ihrer
gegenseitigen Bezogenheit über sich hinaus auf ein Neues hinweisen
", dem Buch des Propheten Deuterojesaja (S. 11 f). W. arbeitet
aus diesen einzelnen Komplexen hauptsächlich inhaltlichthematische
Analogien heraus, über deren Bedeutung für das
Gesamtthema man freilich gern noch etwas mehr gewußt hätte.
Was bedeutet es beispielsweise, wenn beim Thema „Herausrufen
und Nachfolge" Jos. 24 und Joh. 6, 61 ff nebeneinandergestellt
werden (S. 27)? W. kann auf viele Entsprechungen hinweisen.
Jesus wird im NT z. B. durchweg als Retter (soter) verkündigt.
Die Geschichtsbücher des ATs stellen die Geschichte zwischen Gott
und seinem Volk unter dem gleichen Gesichtspunkt der Rettung
dar. W. spricht hier von strukturellen Analogien, die nach seinem
Dafürhalten offenbar nicht auf Zufall beruhen können (S. 24 u. ff).
Für die Beziehung der Weisheit des ATs auf Jesus wird der Schluß
der Erzählung vom 12-jährigen Jesus herangezogen (Luk. 2, 41-52),
und W. meint, daß in dem bekannten Satz ,Und Jesus nahm zu an
Alter und Weisheit . . .' zum Ausdruck komme, welch große Bedeutung
die Weisheit beim Prozeß des Wachsens und Reifens,
Denkens und Redens wie bei allen Menschen so auch bei Jesus
besitzt (S. 47). Im Schlußabschnitt wird noch einmal unterstrichen,
dafj die Erfüllung nichts ohne die Verheißung und das Jcsus-Gc-
schehen nichts ohne seine Vorgeschichte sei (S. 49 ff).

Man muß dem Verfasser dankbar sein für den Nachweis so
vieler - und wie es scheint - auch vieldimensionaler Analogien,
die zwischen dem Heilswerk Jesu Christi und dem im AT bezeugten
Heilsgeschehen bestehen, aber es bleiben Fragen (um die
selbstverständlich auch W. weiß): Was erbringt ein solcher Analogie
-Nachweis wirklich, und haben die zwischen dem AT und
dem NT bestehenden Entsprechungen Ausschließlichkeitscharakter?
Nicht einmal Struktur- und Formanalogien vermögen den Sachzusammenhang
zwingend zu beweisen. Lediglich die Aufzeigung
der historischen Kontinuität scheint zu überzeugen. Vielleicht
müßte man versuchen, über den historischen Aspekt hinaus mögliche
Funktionsgleichheiten und -zusammenhänge herauszuarbeiten.
Noch ehe man auf Einzelprobleme des Büchleins zu sprechen
kommt, erheischen schon die schwierigen Grundsatzfragen eine
Antwort. Aber es hieße bei den Intentionen dieser Publikation,
die sich an einen weiteren Leserkreis wendet, W. und seinen Ausführungen
Unrecht tun, wollte man bei ihnen diese Antwort
suchen. Der Autor hat seine Leser selber dazu aufgefordert, an
dem großen Thema weiterzuarbeiten und auch weiterzufraqcn
(S. 52).

Orolfswald Siegfried W a g n e r

Hermisson, Hans-Jürgen: Studien zur israelitischen Spruchweisheit
. Neukirchen-Vluyn: Neukirchencr Verlag des Erziehungsvereins
1968. 208 S. gr. 8° = Wissenschaftliche Monographien