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Ausgabe:

1969

Spalte:

729-731

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Theologie und Kirche in Afrika 1969

Rezensent:

Dammann, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 10

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lischen und evangelischen Gesamtverständnis, und das ist so
zwischen den verschiedenen evangelischen Gesamtverständnissen.
»Die" Wahrheit ist nicht abgesehen von diesen geschichtlichen
Gestalten zu haben. „Die" Kirche Jesu Christi gibt es für uns nur
in diesen Kirchentümern und durch sie. Die Geschichte der
christlichen Botschaft ist eine Geschichte der Bildung derartiger
Gesamtverständnisse oder Kirchentümer. Wir müssen uns darüber
klar sein, daß das kein beklagenswerter Betriebsunfall ist, sondern
dafj das zur Sache gehört. Es gehört insofern zur Sache, als wir
das Wort Gottes nur in der raumzeitlichen Vermittlung als Jesus
von Nazarcth, als Paulusbrief oder als Evangelium des Markus
haben.

In diesem Sachverhalt liegt die Verbindlichkeit der Bekenntnisse
der Reformation für den evangelischen Christen und Theologen
der Gegenwart begründet. Die Bekenntnisse der Reformation
repräsentieren das lutherische oder das calvinistische Gesamtverständnis
. Beides sind in sich geschlossene und und in sich stimmige
Gesamtverständnisse. Man kann daher auch einzelne Teile nicht
aus dem einen in das andere transportieren. Jedes einzelne Stück
hat im Ganzen seinen einsichtigen und wichtigen Stellenwert, den
es im anderen nicht hat. Denken wir nur an die Prädestinationslehre
im calvinistischen oder an die Ubiquitätslehre im lutherischen
Bereich. Diese Gesamtverständnisse bedeuten eine Geschichtsgestalt
der Wahrheit des Evangeliums. Sie sind auf dem Wege zur
Wahrheit neben all den anderen Gestalten und mit ihnen. Im
Laufe der Zeit bilden sich neue Gesamtverständnisse heraus. Seit
etwa 100 Jahren sind dazu die unionistischen Bemühungen getreten
, die zeigen, dafj das Verständnis des „Kirchentrennenden"
sich in den letzten 250 Jahren - also etwa seit Leibniz und gewiß
auch durch ihn - erheblich verschoben hat. Die kirchentümlichen

Gesamtverständnisse repräsentieren einzelne Gestaltwerdungen
der einen christlichen Wahrheit. Sie relativieren sich gegenseitig
nicht, denn ihre Unterschiede sind grundsätzlich. Aber sie schließen
sich gegenseitig auch nicht aus, denn sie ruhen auf dem einen
Grunde, den Gott gelegt hat.

Mit dem Ernstnehmen der kirchentümlichen Verständnisse im
anwachsenden „Konfessionalismus" des 19. und 20. Jahrhunderts
geht gleichzeitig das Aufwachsen des sogen, ökumenischen Denkens
bzw. der ökumenischen Bewegung her. Die Phasen, in denen
Konfessionalismus und Ökumenismus sich ablösten und endlich
verbanden, sind seit der Zeit Schleiermachers und A. Möhlers
vielfältig verschiedenartig beobachtbar. Gegenwärtig ist weder das
kirchliche Handeln noch das theologische Gespräch in ausnahmslos
allen christlichen Kirchen ohne die ökumenische Bewegung verstehbar
und denkbar. Dabei ist es nach dem Selbstverständnis des
ökumenischen Rates eindeutig, daß diese ökumenische Bewegung
die einzelnen Kirchen in ihrem Selbstverständnis und in ihrer
Eigenart voraussetzt. Es geht also in dem ökumenischen Denken
der Gegenwart nicht um die Nivellierung konfessioneller Charak-
teristica, sondern es geht um eine Einheit aus dem Unterschiede
heraus und durch den Unterschied hindurch. Wir können gegenwärtig
weder ein kirchliches Handeln noch ein theologisches Denken
ernstnehmen, das den ökumenischen Dialog nicht in seiner
Voraussetzung und so gegenwärtig hat. Äußerlich gesehen ist
diese VI. Beobachtung des ökumenischen Umgehens der christlichen
Konfessionen und ihr gemeinsames Handeln am auffälligsten.
In dieser Wandlung zum ökumenischen Dialog konvergieren die
anderen Beobachtungen. Ja, man kann die fünf Beobachtungen auf
diesen sechsten Bereich ausziehen.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

B ü r k 1 e, Horst [Hrsg.]: Theologie und Kirche in Afrika, übers,
v. J. Henning u. R. Buchmann. Stuttgart: Evang. Verlagswerk
[1968]. 311 S. 8°. Lw. DM 34,50.

Der erste Teil des Buches enthält folgende 11 Aufsätze unter
der Überschrift „Das afrikanische Erbe": A. Shorter, Gibt es eine
afrikanische Kultur?; K. A. Busia, Das afrikanische Weltbild;
R- O. Moore, Gott und Mensch im Bantu-Glauben; V. Mulago, Die
lebensnotwendige Teilhabe; E. B. Idowu, Afrikanische Gottesvor-
stellungcn; H. Sawyerr, Das Wesen des Opfers; K. A. Busia,
Ahnenkult; J. H. K. Nketia, Geburt, Pubertät und Tod; E. A.
Asamoa, Der Einfluß des Fetischismus; H. W. Debrunner, Der Einfluß
des Hexenglaubens; B. Mangematin, Ein oriki Gottes, des
heiligen Vaters.

Im Unterschied zu früheren Darstellungen ist es wichtig festzustellen
, daß die größere Anzahl der Beiträge von Afrikanern
geschrieben wurde, die ihre Welt besser deuten können als ein
Fremder. Trotzdem bleibt die Gefahr bestehen, daß die Interpretation
einer afrikanischen Vorstellung oder eines Ritus nicht dem
ursprünglichen Anliegen entspricht. Was bedeutet z. B. ein Satz
wie „Der Kosmos steht im Dienst des Menschen (muntu)" (S. 59)?
Haben die Bantu generell überhaupt eine Vorstellung von einem
Kosmos? Gibt es, abgesehen vom Suaheli, eine ursprüngliche Bezeichnung
für „Kosmos" in Bantusprachen? Das Suaheliwort ulim-
wengu hat möglicherweise auch erst unter muslimischen oder
unter christlichem Einfluß die Bedeutung „Universum" angenommen
. Man kann zwar von einigen Erscheinungen wie der Sonne,
der Milchstraße oder dem Donner sprechen; es dürfte aber weithin
die alles zusammenfassende Anschauung von dem Kosmos als
einer geordneten Welt fehlen. - Man könnte auch fragen, ob die
Bezeichnung „Fetischismus" (S. 135 ff.) angebracht ist. Wenn als
Beispiel die Aschanti angeführt werden, so würden die dort vor-
findlichen abosom als Geister in die Geistesvorstellungen, asuman
dagegen, das von Christaller als charm, amulet, talisman übersetzt
wird, in das Gebiet der Machtvorstcllungen gehören.

Der zweite Teil des Buches behandelt „Die theologische Aufgabe
"; auch hier finden wir 11 Aufsätze: C. G. Baeta, Kirche und

Kultur in Afrika; W. Mpuga, Zum Problem der Adaption; J.
Nielen, Die Taufe des afrikanischen Selbstverständnisses; A. Shorter
, Unschuld oder Renaissance?; H. Bürkle, Geschichte und Gemeinschaft
; J. S. Mbiti, Eschatologie und Jenseitsglaube; E. A. A.
Adegbola, Ethik und Stammesreligion; J. B. Zoa, Der Brautpreis -
ein ungelöstes Problem; B. Luykx, Die Seele des Afrikaners und
der christliche Gottesdienst; B. Mangematin, „Du sollst keine anderen
Götter haben neben mir"; J. B. Zoa, Der christliche Beitrag
zum Gestaltwandel Afrikas.

Auch hier können nur einzelne Hinweise gegeben werden. So
schließt sich z. B. J. Nielen in seiner Auffassung vom Bantu den
Vorstellungen von Pater Kagame aus Ruanda an (S. 181). Es trifft
einfach nicht zu, daß sich alle Dinge in den Bantusprachen in die
vier Kategorien mu-ntu, ki-ntu, ka-ntu und ku-ntu einordnen lassen
. Ein Blick in eine beliebige vergleichende Grammatik der
Bantuspr?ch™ zeigt, daß es wesentlich mehr Nominalklassen
(z. B. li-ntu, pa-ntu) gibt, was auf weitere relevante Kategorien
schließen läßt. Daß Tiere nach ihrem Tode kintu bleiben, wird
kein Bantuist zugeben, da es eine andere, die ni-ntu-Klasse, gibt,
in die vornehmlich Tiere einklassifiziert sind und die daher in
manchen Grammatiken als „Tierklasse" bezeichnet wird. Ein verstorbener
Mensch wird zu einem muzimu (nicht muzima, S. 181).
Dieser kann als Mensch, der durch einen Übergangsritus hindurchgegangen
ist, angesehen werden; er kann aber auch als ein mit
magischen Kräften ausgerüsteter Geist betrachtet werden. Ent-
prechend lauten die Plurale im Suaheli wazimu oder mizimu, was
den Formeln wa-ntu bzw. mi-ntu entsprechen würde. Mir scheint
es auch für das Verständnis nicht förderlich, wenn in die religiöse
Welt der Bantu der m. W. aus der Religion der Dogon im Sudan
stammende Begriff nommo als Bezeichnung für „die Gewalt des
.Wortes', den Dingen ihre Bedeutung zu geben" (S. 182) eingeführt
wird. - Es wäre auch interessant, bei J. S. Mbiti den dort
geäußerten Gedanken über die Zeitvorstellung nachzugehen
(S. 211 ff). Bei einer Betrachtung der „Tempora" sollte man in
Bantusprachen zunächst untersuchen, ob die Verbformen immer
Zeitaussagen wiedergeben, oder nicht auch Zustands- bzw. wie in
slavischen Sprachen Aspektaussagen. Gleichwohl wird man m. E.
auch im Bantu echte Futura finden. Im Zulu gibt es sogar eine
nahe und eine entfernte Zukunft, im Kwangali glaube ich den