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Ausgabe:

1969

Spalte:

48-50

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Barnard, Leslie W.

Titel/Untertitel:

Justin Martyr 1969

Rezensent:

Altendorf, Hans-Dietrich

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 1

dischen Diaspora in Ägypten von V. A. Tcherikover im Corp. Pap.
Jud. 1,1-111, nicht herangezogen, so daß er die katastrophalen
Folgen der Erhebung 115/117 n. Chr. unterschätzt (s. dazu o.e. 85
bis 93), die zur nahezu vollständigen Ausrottung der Juden in Ägypten
führte. Auch die Bedeutung der alexandrinischen Judenschaft
wurde damals aufs äußerste eingeschränkt. Auch daß das Rabbinat
nun ohne weiteres die geistige Herrschaft über die Griechisch
sprechende Diaspora antrat, darf auf Grund der zahlreichen jüdisch
-griechischen Inschriften und solch großartiger Synagogen wie
Sardes aus dem 3. Jh. n. Chr. nicht so ohne weiteres postuliert
werden. Noch weniger wahrscheinlich ist, dafj der Barnabasbrief -
mag sein Verfasser auch ein konvertierter alexandrinischer Jude
sein (S. 48) - unmittelbar nach der Katastrophe etwa 117-119
n. Chr. als eine Art Verteidigung gegen ein erstarkendes, aggressives
, die Gemeinde bedrohendes Judentum entstand. Damit stehen
wir bei einer Reihe von Studien, die den Barnabasbrief zum
Mittelpunkt haben, den der Vf. in besonderer Weise schätzt.
S. 57-72 werden die antijüdisch-polemischen Traditionen der Ste-
phanusrede Apg 7,2-53 und des Barnabasbriefes miteinander verglichen
, und zwar im Blick auf Tempel, Tora, Opferkult und
Christologie, und eine Reihe von Gemeinsamkeiten herausgearbeitet
. Interessant ist z. B. S. 68f die wenig beachtete Bezeichnung
Jesu als 6 btwtios Apg 7,52 u. Barn 6,7, die wohl von Jes 3,10 LXX
herzuleiten ist und von der später eine Brücke zu Plato Rep. II
361e (dazu K. Beyschlag, Clem. Rom. 223A.6) geschlagen wurde. Vermutlich
bestehen Beziehungen zwischen Barn und einer alten, gegenüber
Kult und Tora kritischen Tradition in der Griechisch sprechenden
urchristlichen Gemeinde, die auch Lk in Apg 7 verwendete, fraglich
bleibt jedoch, ob man nach den Untersuchungen von E. Hacnchen
u. J. Bihler Apg 7 noch einfach auf Stephanus zurückführen kann
S. 73-85 wird in sehr hypothetischer Weise versucht, Barn, als eine
„Passa-Homilic" zu.erklären, S. 165-173 geschieht dasselbe mit
c. 11 u. 12 des Diognetbriefes. Während dort in 12,9 noch wenigstens
das Wort „päscha" erscheint, fehlt in Barn, trotz seiner zahlreichen
alttestamentlichen Zitate jeder Hinweis auf die Exodustradition
Ex. 7-14 (vgl. dagegen Melitons Passahomilie. c. 1 u. llff).
Es handelt sich bei Barn, doch wohl um einen Traktat schriftgelehr-
ler „Gnosis", der das A. T. als ausschließlich für die Christen bestimmtes
Buch erweisen soll. Die 7. Studie beschäftigt sich mit
dem Verhältnis der „Zwei-Wege-Lehre" in Qumran, Barn. Did. und
ihre spätere Entwicklung. Der Vf. postuliert dabei einen jüdischen
2-Wege-Katechismus, von dem er im Anschluß an Goodspeed u.
Audet (vgl. auch Altaner, Patrologie 19583, 44) annimmt, daß dieser
schon gegen 60 n. Chr. in einer christianisierten Urform der
..Apostellehre" vorlag, von der Barn. 18-20 und Did. 1 abhängig
seien. Im Anschluß daran wird kurz der weiteren Entwicklung der
Zwei-Wege-Lehre in der Alten Kirche nachgegangen. Hier fragt
sich einmal, ob man wirklich von einem jüdischen „Zwei-Wege-
Katechismus" reden darf oder ob es sich nicht lediglich um einen
- selbst im griechischen Bereich - verbreiteten Topos handelt, der
vielleicht in der Diaspora als „homiletisches Schema" verwendet
wurde, zum andern, ob die für ursprünglich angesehene lateinische
Kurzfassung der Didache nicht doch eher eine spätere Reduktion
der um die Mitte des 2. Jh. entstandenen griechischen Version darstellt
, die selbst wieder von Barn, abhängig ist. Den ausführlichsten
Aufsatz widmet der Autor S. 109-135 dem Gebrauch von „Testi-
monia" in Rö., 1, Petr., Barn., Justin bis hin zu den cyprianischen
Testimonien, wobei deutlich wird, daß diese zumindest bei Barn,
noch keinen festgeprägten Charakter haben. S. 137-150 versucht er,
das schon durch die Quellenlage unergiebige Thema „Hadrian and
Christianity" zu behandeln, wobei er wenig neue Gesichtspunkte
beitragen kann. Der Brief an Scrvianus (S. 146ff) ist sicherlich als
eine spätere Fälschung zu betrachten. Dies beweist schon die Nennung
des jüdischen „Patriarchen". Zur Zeit Hadrians gab es noch
keinen .Patriarch of Tiberias"; der Titel taucht zudem erst rund
100 Jahre später bei Origenes, vielleicht sogar erst bei Euseb auf.
Die 10. Untersuchung steht unter dem Thema „Hermas, die Kirche
und das Judentum" (S. 151-163). Er vermutet, daß der Endabfassung
z. Zt. des römischen Bischofs Pius (140-150 n. Chr.) eine Entstc-
hungszeit von ca. 30-40 Jahren vorausgeht. Der Verfasser, der zunächst
um die Anerkennung seiner Visionen zu kämpfen harte,
wurde später in der römischen Gemeinde als Prophet geachtet,
darauf gründet später die Bedeutung seines Werkes „as an autho-
riative prophetic work* (S. 153) in anderen Gemeinden. Das anti-

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gnostische Element ist gering, dafür tritt das aus der römischen
Gemeinde übernommene jüdische Traditionsgut um so stärker hervor
. Der Vf. zieht von hier Verbindungslinien zu den Qumran-
schriften. Leider wird das komplizierte literarische Problem der
Schrift, wie es von S. Giet, Hermas et les pasteurs, 1963, angeschnitten
wurde, kaum berührt.

Insgesamt wird man sagen dürfen, daß der Verfasser dort, wo er
nicht nur Bekanntes referiert, sondern neue Gedanken und Hypothesen
vorträgt, meist eher anregt als überzeugt; die Verarbeitung
der modernen Literatur ist oft leider sehr eklektisch, dies mag den
eigenen Standpunkt als gesicherter erscheinen lassen, als er wirklich
ist, vermindert jedoch die Überzeugungskraft der vorgetragenen
Thesen. In diesem Sinne bestätigt der Vf. nur den Eindruck, daß wir
bei unserer Kenntnis der Kirchengeschichte des 2. Jh. n. Chr. auf
weite Strecken, auf sehr unsicherem Boden stehen.

Erlangen Martin II c n g c I

Barnard, L. W.: Justin Martyr his Life and Thought. London:
Cambridge University Press 1967. VIII, 194 S. 8°. Lw. 45 s.
Eine Monographie über einen Autor begrüßt man immer, weil
vornehmlich die monographische Darstellung - und, nicht zu vergessen
, der fortlaufende Kommentar zu einem Text - geeignet
ist, einen Menschen, seinen Weg und sein Denken in der gehörigen
Einheit vor Augen zu stellen und zu vergegenwärtigen. Beide
Literaturgattungen werden auf dem Felde der Kirchengeschichtc
wenig genug gepflegt, von rühmlichen Ausnahmen abgesehen. Ein
neues Buch über Justin weckt daher im Voraus Erwartungen.
Goodenoughs Monographie wurde vor einem Mcnschenalter, im
Jahre 1923, veröffentlicht. Scidem sind wertvolle Untersuchungen
erschienen, welche den Hintergrund von Justins Denken, die Philosophie
des zweiten Jahrhunderts, vor allem den sog. mittleren Pla-
tonismus, deutlicher erkennen lassen, als es früher möglich war; zu
Justin selbst liegen gediegene und anregende Beiträge vor. Es muß
locken, das Verstreute zusammenzufassen und ein Bild von Justin
zu entwerfen, in dem die gewonnenen Erkenntnisse miteinander
verbunden sind.

B- geht Schritt um Schritt vor. Er notiert das wenige, das wir von
Justins Leben wissen, beschreibt Justins Werke, schildert den griechischen
, jüdischen und christlichen Hintergrund seines Denkens
und stellt dann die Anschauungen des Apologeten selbst dar. Justins
Aussagen über Gott. Logos, Heiligen Geist, Trinität, Engel,
Dämonen, Schöpfung, Fleischwerdung Christi, Erlösung, Kirche,
Sakramente, christliches Leben, Eschatologic werden vorgeführt.
Dabei kommen allerlei Fragen zur Sprache, wie die Datierung von
Justins Schriften, Justins Benutzung des christlichen Schrifttums,
die viel verhandelte Tcstimonia-Hypothcse, Justins alttestament-
licher Bibeltext, das Problem, ob Justin eine Eucharisticfcicr ohne
Wein gekannt habe. B. zitiert Justins Schriften reichlich und macht
auch von der vorliegenden Literatur Gebrauch, allerdings in einer
Auswahl, die nicht immer einleuchtet; Wesentliches ist übergangen,
anderes wird ausführlicher diskutiert, als nötig ist.

Wenn man nach der Lektüre überlegt, was das Buch über Justin
sagt, so darf man urteilen, daß, überschlägt man das Ganze, Justin
in ihm wehl nicht unrichtig dargestellt ist; was B. ermittelt, ist im
wesentlichen nicht „falsch". Die Arbeit erfüllt dennoch nicht die
Erwartungen, die man nach den mittlciweile gewonnenen Einsichten
an eine Darstellung Justins zu stellen berechtigt ist. B.
schneidet, wie bemerkt, nahezu alle Probleme an, die Justins
Schriftstellerei und deren Gehalt dem Betrachter stellen. B. hat
jedoch, soweit ich sehe, die Lösung der Fragen nicht gefördert,
weder auf der literarischen noch auf der theologischen Ebene. Was
er über das Verhältnis der beiden überlieferten Apologien zueinander
mitteilt oder über Justins Auffassung des Logos vorträgt,
durfte nach den Bemühungen der letzten Jahrzehnte so nicht mehr
gesagt werden; ähnlich steht es in den anderen Punkten, die einer
Erörterung bedürftig sind. Verf. sieht zwar die Probleme und
kommt auf sie zu sprechen, begnügt sich aber damit, die verschiedenen
Deutungsversuchc zu streifen, ohne die offenen Fragen
gründlich zu durchdenken und zu erörtern; einige geglückte Formulierungen
machen den Mangel nicht wett. Es genügt nicht.
Justins Schriften zu zitieren, verwandte griechische und jüdische
Texte zu vergleichen und Justins Aussagen geordnet zusammen-