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Ausgabe:

1969

Spalte:

687-688

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Rowdon, Harold Hamlyn

Titel/Untertitel:

The origins of the Brethren 1969

Rezensent:

Delius, Walter

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Seite 1

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68!?

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 9

688

Uberzeugungen den Reformator Karlstadt mitbestimmt haben
möchten. Andererseits sollte vielleicht auch über die letzten anderthalb
Jahrzehnte seines Lebens noch etwas mehr gesagt werden
; immerhin gibt es dazu, bei Barge und anderswo, mancherlei
Material, und es ist auch keine müßige Frage, was aus dem
Spiritualisten wurde, als er sich in die kirchliche Neuordnung in
der Schweiz einfügte. Endlich merke ich an, daß das Buch zwar
so vorzüglich gedruckt ist wie selten ein wissenschaftlicher Text,
daß ich aber die Zitierweise der Verfasserin nicht besonders
zweckmäßig finden kann - sie gibt die alten Zitate diplomatisch
getreu wieder, mit den alten Satzzeichen, Wortkürzungen, Anlauten
usw.

Göttingen Bernd Moeller

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Rowdon, Harold H.: The Origins of the Brethren 1825-1850.

London: Pickering & Inglis 1967. XII, 323 S. 8°. Lw. 42 s.

Das Buch handelt von den Plymouth-Brüdern (Darbysten). Ihm
ist bisher unveröffentlichtes Material zugrunde gelegt, so daß
es gegenüber den bisherigen Darstellungen der Geschichte der
Brüder wichtige Ergänzungen bringt. Ein umfangreicher Prolog
begründet die Berechtigung des Buches. Er sieht es als Beitrag
zur ökumenischen Situation der Gegenwart. Der Prolog gibt ferner
einen Überblick über die kirchlichen Ereignisse der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts englischer Geschichte und ergänzt
ihn durch Hinweise auf die frühesten Vorkämpfer der Verkündigung
des Millenums.

Der Ausgangspunkt der Plymouth-Brüder in Irland wird dem
Verfasser zum Anlaß, die kirchlichen Verhältnisse Irlands zu Beginn
des 19. Jahrhunderts zu schildern. Dublin war, wenn man
es so nennen darf, der Gründungsort der Brüder. Hier wirkte
John Nelson Darby, nach ihm auch die Bewegung Darbysmus
genannt. Zunächst waren es unter den mancherlei Gruppen drei,
die dann Bedeutung erhielten. Sie waren unabhängig voneinander
entstanden, fanden aber bald gemeinsame Formen. Die eine
dieser Gruppen setzte sich aus den mit der anglikanischen Kirche
unzufriedenen Dissenters zusammen, die zweite bestand aus Gliedern
, die in der Staatskirche keine Befriedigung ihres Spiritualismus
fanden, und die dritte war gemischt aus Dissenters und Kirchengliedern
.

Darby als erster Leiter der Brüder in Irland erhielt eine Pfarrstelle
in Irland als Glied der anglikanischen Kirche. In dieser
Eigenschaft lernte er das eschatologische Denken dieser Gruppen,
insbesondere auch den Separatismus A. N. Groves kennen. Dieser
unternahm bald darauf Missionsreisen in den Vorderen Orient.
Seine Reisetagebücher zeigen, welche Bedeutung bei ihm prophe-
thische Gaben und das Problem, Wunder zu vollbringen, spielte.

Die Agitation gegen die Katholikenemanzipation und die kritische
Haltung des anglikanischen Erzbischofs Magee von Dublin
veranlagte Darby zu literarischem Widerspruch und schließlich
zum Austritt aus der Kirche (1828). Der Besuch Darbys bei dem
Leiter der englischen Brüdergruppe, B. W. Newton, hatte für ihn
entscheidenden Einfluß. Das Buch schildert denselben in einem
besonderem Kapitel (2). Die Folge dieser Begegnung war die
Entstehung der irischen Plymouthbrüder (1831). An ihr waren
neben Darby G. V. Wigram und Kapitän P. F. Hall beteiligt. Hall
kam mit dem Irvingianismus in Berührung. Dieser fand dann Eingang
bei den Brüdern in Irland, als sie zu Lady Powerscourt
(Grafschaft Wicklow) in nähere Beziehungen traten. In ihrem
Hause fanden verschiedene Konferenzen statt, deren Verhandlungen
das Buch in ausführlicher Schilderung wiedergibt. Sie haben
in besonderer Weise die Entwicklung der Brüder beeinflußt.

Das Buch macht deutlich, daß die Brüdergemeinschaften nicht
durch Trennung ihrer Glieder von der Staatskirche entstanden
sind, sondern durch die Tatkraft einiger Persönlichkeiten wie
H. Craik, G. Müller, R. Chapmann und R. Gribble, deren Wirksamkeit
geschildert wird. Sodann gibt das Buch eine Übersicht
über die regionale Entwicklung der Brüder in Irland und außerhalb
Englands. Dabei wird besonders die Mission Groves in
Bagdad, die Müllers in Deutschland und Darbys Mission in der
Schweiz und Frankreich geschildert. Ausführlich werden die Vorgänge
dargestellt, die zu Spaltungen unter den Brüdern geführt
haben. Es waren persönliche und lokale Fakten, aber auch Unterschiede
in der Auslegung der Schrift, auf deren höchster Autorität
die Brüder den universalen und grundlegenden Artikel des Glaubens
ruhen sahen. Sie alle konnten vielfach nicht zu gemeinsamer
Grundlage der Gemeinschaft werden und führten daher zu Spaltungen
.

In zwei Anhängen werden ökumenische Ausblicke und die Stellung
der Brüder zur Umwelt geschildert. Sie beschränken sich
auf die Zeit bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts.

Das ökumenische Thema auf die Brüder angewandt mag von
heutiger Sicht ökumenischen Denkens angesichts der Trennung
der Brüder von der anglikanischen Kirche, ihrer Uneinigkeit unter
einander und im Hinblick auf das Fernbleiben Darbys von der
Gründungsversammlung der Ev. Alliance in London (1846) seltsam
erscheinen. Das Verständnis der ökumenizität der Brüder
damals wird in einem Brief Groves (1834) sichtbar, in dem er die
Grundsätze der Union und Kommunion in der christlichen Kirche
in drei Sätzen zusammenfaßt: 1. Liebe zu allen, die Christus lieben
, 2. Gottesdienst mit bibelgläubigen Gemeinschaften, 3. Gottesdienst
mit jeder Gemeinschaft, in der sich Christus segnend und
erlösend offenbart. Andererseits wirkte der prophetische Eifer
der Brüder in die Welt hinein, die die Brüder dem göttlichen Gericht
ausgeliefert sahen. Ihre Haltung suchten die Brüder an der
Schrift und besonders an der Bergpredigt zu orientieren. Sie haben
dazu beigetragen, in ihren Reihen die sozialen Gegensätze
zu mildern.

Dagegen war ihr politisches Engagement gering. So war bei
den ersten Brüdern die Ablehnung des Krieges vorhanden. Aber
in allen diesen Fragen war keine einheitliche Linie unter ihnen
feststellbar.

Das umfangreiche Literaturverzeichnis und die zahlreichen Anmerkungen
machen das Buch zu einem bemerkenswerten Beitrag
der Kirchengeschichte Irlands und Englands.

Berlin Walter Del i u s

Chalendar, X. de: Les Pretres au Journal officiel 1887-1907,

Präsentation et choix de textes. I: Milieu - Taches - Relations.
II: Situation - Finances - Politique. Paris: Les Editions du
Cerf [1968). 224 S. u. 244 S. kl. 8° = Chretiens de Tous les
Temps. Je ffr. 13,-.

Diese beiden Taschenbücher sind ausgezeichnete Materialsammlungen
(mit Kommentar) aus einem kirchenpolitisch wichtigen
Abschnitt der Dritten französischen Republik. Es geht um das
Problem Staat und Kirche, das in drei großen Gesetzen seine Neuregelung
erfuhr. Der deutsche Leser wird den innenpolitischen
Hintergrund mit bedenken müssen: die Dritte Republik hatte
das Erbe des Empire Napoleons III. angetreten. Namen wie
Thiers, Gambetta, MacMahon, Boulanger, Grevy, Carnot deuten
nur an,; durch welche politischen Schwankungen und Krisen
Frankreich damals ging. Konservativ-monarchische Traditionen
rangen mit den liberalen, republikanischen Kräften. Klerus und
Armee gehörten zur Rechten, mit einem gewaltigen Beisatz von
Antisemitismus, der seit dem Panamaskandal neuen Auftrieb erhalten
hatte und in der Affäre Dreyfuß zur Explosion gekommen
war. Gerade der Dreyfuß-Prozeß hatte die weitverzweigte Herrschaft
der klerikalen Partei mit den radikal monarchistischen und
antisemitischen Elementen offenbart, so daß Frankreich in diesen
Jahren in einen regelrechten Kulturkampf geriet, der trotz aller
Aufrufe Papst Leos XIII. zum „Ralliement", zum Bruch von Staat
und Kirche führte. Die erste Frontstellung wurde schon in dem
Gesetz über die technische Organisation der Armee deutlich (1889),
das auch den Priestern den Wehrdienst zur Pflicht machte. Ihm
folgte, nun schon in verschärfter Lage (1901), das Gesetz über
die Kongregationen, das die Schließung der Ordensschulen ver-
fügte, später auch die gänzliche Lehrerlaubnis aufhob und die
Ordensbesitzungen beschlagnahmte. Den Abschluß bildete schließlich
1905 das Gesetz über die Trennung von Staat und Kirche. Mit
diesem Gesetz wurde das von Napoleon I. 1801 mit Pius VII. geschlossene
Konkordat außer Kraft gesetzt. Der Kirche wurde die
freie Religionsübung erlaubt; sie erhält jedoch keine finanzielle
Unterstützung vom Staat.

Was die beiden vorliegenden Bändchen so anziehend macht, ist,
daß sie nicht nur die kommentierten Texte der gen. Geschichte
enthalten, sondern auch Auszüge aus den Debatten in der französischen
Kammer. Leidenschaft, Witz, Ironie und Pathos, dazu
Zeugnisse von mit geradezu wissenschaftlicher Akribie vorgetra-