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Ausgabe:

1969

Spalte:

686-687

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kriechbaum, Friedel

Titel/Untertitel:

Grundzüge der Theologie Karlstadts 1969

Rezensent:

Moeller, Bernd

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 9

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mann einbezogen werden konnten. Nachdem 1938 „zum ersten
Male dogmatische Schriften der süddeutschen Täufer des 16. Jahrhunderts
" (S. VIII) veröffentlicht worden waren, umfaßt der vorliegende
Band „zwei größere, sowohl historisch wie noch heute als
Glaubensdokumente für die mennonitischen Gemeinden wichtige v.
Werke" (S. X). A

Es handelt sich um die „erste Rechenschaft", auch „Gmundener
Rechenschaft" genannt, die während der Gefängnishaft Peter Ride-
mans, des späteren bedeutenden Führers und Lehrers der Hut-
terischen Brüder, in Oberösterreich zwischen 1529 und 1532 verfaßt
worden ist. Sie kann als wesentliches Zeugnis des frühen
Täufertums angesehen werden, das von den Brüdern in der Nachfolge
Jakob Hutters aus Tirol lange Zeit handgeschrieben in Erbauungsschriften
tradiert worden ist. Nach seiner Flucht aus dem
Gefängnis hat Rideman entscheidend den Charakter der brüdergemeinschaftlich
organisierten hutterischen Gemeinden in Mähren
beeinflufjt. Seine durch Haftzeiten unterbrochene seelsorgerliche
und missionarische Wirksamkeit hat starke Anstöße gegeben, positiv
abgenommene (was seine hutterischen Brüder angeht) und
negativ registrierte (was seine Ablehnung von Seiten des Terri-
torialkirchentums betrifft). Selbst wenn die „Gmundener Rechenschaft
" vor dem ausgedehnten Öffentlichkeitswirken Ridemans
verfaßt ist, dürfte sie vieles schon von dem Geist enthalten, der die
blühenden Täufergemeinden Mährens beseelt hat, die, von manchen
weltlichen Obrigkeiten unterstützt, in der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts eine „Goldene Zeit" hatten. ,

Im Vordergrund der „ersten Rechenschaft", der später ähnliche
Abhandlungen ihres Verfassers folgten, steht eine stark biblizi-
stisch orientierte Beschreibung der Liebe unter den Brüdern. Liebe
und Glaube werden unter Zuhilfenahme der Allegorie aufeinander
bezogen. Das einem ausgeführten Bekenntnis gleichkommende
Glaubenszeugnis Ridemans enthält neben dem selbstverständlichen
Thema der Taufe eine symbolistische Abendmahlsauffassung
, ein? mit vielen Bibelstcllen untermauerte Abhandlung über
den Ehestand und eine solche über die Gemeinde als „hauss Gottes
" (S. 39ff.). Der Schlußteil über die sieben Pfeiler des Hauses
Gottes belehrt die Brüder über die allegorisch-spiritualistisch gefaßten
Grundvoraussetzungen für die Gemeinde Gottes in der im
argen liegenden Welt.

Die zweite umfangreichere Quelle, das „Große Artikelbuch" von
1577, ebenfalls aus dem Geist der Hutterischen Brüder geschrieben
, stammt, obwohl darüber an keiner Stelle etwas verlautet,
wahrscheinlich von deren Leiter in der zweiten Generation, Peter
Walpot. Hier haben wir eine der seltenen dogmatischen Programmschriften
vor uns, die sich allerdings unter Heranziehung
einer großen Zahl von Bibclstellen nur auf die entscheidenden
Punkte brüderischer Lehrbildung erstreckt. Es geht im wesentlichen
um „Fünf Artikel des größten Streits zwischen uns und der
Welt". Die Grundlage der Schrift ist offenkundig eins der vielen
Religionsgespräche, die in Täuferkreisen üblich waren. „Das Große
Artikelbuch" wurde, sicherlich zumeist wegen des leichteren Hausgebrauchs
in gekürzter Form, immer wieder aufgelegt und überliefert
. Wie in Ridemans Rechenschaft sind typische Reduktionen
der Lehre auf für die Brüder wesentliche Punkte festzustellen. Es
werden verhandelt: Die Taufe und das Abendmahl (als dauernd
wiederkehrende Themen, auf die die Brüder von Vertretern der
Staatskirche in Verhören und Gesprächen angeredet wurden), die
Gütergemeinschaft (als typische Lebensform der Hutterischen Brüder
im Gegensatz zu anderen Tauf gesinnten), das Verhältnis zur
Obrigkeit und zur Gewalt sowie schließlich Ehefragen (speziell
Probleme, die sich aus dem Obertritt eines Ehepartners zu einer
taufgesinnten Gruppe ergaben).

Der Herausgeber hat die zwei Quellenabdrucke jeweils mit einer
gut informierenden Einleitung versehen. Ein zweigeteilter kritischer
Apparat verzeichnet die Flut von Bibelbelegen, Wort- bzw.
Sacherklärungen sowie Hinweise auf die bisher spärliche Sekundärliteratur
. Begrüßenswert ist außerdem eine Obersicht zur
ganzen Editionsgeschichte der „Glaubenszeugnisse".

In einem 3. Band sollen weitere Quellen, frühe anonyme Traktate
von 1527-1530, Auszüge aus einer letzten Schrift des Täuferbischofs
Andreas Ehrenpreis von 1562 u. a. publiziert und ein alle
drei Bände einbegreifendes die täuferische Theologie in Schlagworten
erschließendes Sachregister beigegeben werden.

Die Edition der geistigen Grundlagen täuferisch gesinnter Gruppen
ist ein lange und häufig ausgesprochenes Desiderat der reformationsgeschichtlichen
Forschung. Es sei Robert Friedmann herzlich
gedankt, daß er in diesem Rahmen zwei wichtige Quellenstücke
auf ansprechende Weise zugänglich gemacht hat.

Berlin Joadlim R o g g e

Kriechbaum, Friedel, Dr.: Grundzüge der Theologie Karl-
stadts. Eine systematische Studie zur Erhellung der Theologie
Andreas von Karlstadts (eigentlich Andreas Bodenstein 1480
bis 1541), aus seinen eigenen Schriften entwickelt. Hamburg:
Reich 1967. 142 S. gr. 8° = Theologische Forschung. Wissenschaft
!. Beiträge z. kirchlich-evang. Lehre, hrsg. v. H.-W. Bartsch,
F. Buri, D. Georgi, G. Harbsmeier, J. M. Robinson, K. Wegenast,
43. Kart. DM 12,-.

Die Literatur über Karlstadt ist, gemessen an der Berühmtheit
des Mannes, nicht eben reich. Nachdem Ernst Kähler mit seiner
1952 erschienenen vorzüglichen Ausgabe des Augustin-Kommentars
für die Frage nach der theologischen Eigenart Karlstadts
neue Horizonte eröffnet hatte, war vor allem eine gründliche
Untersuchung seiner Theologie in ihrer geschichtlichen Entwicklung
ein dringendes Desiderat. Das vorliegende Buch, eine von
K. G. Steck betreute Frankfurter Dissertation, füllt die Lücke in
eindrucksvoller Weise aus.

Die Verfasserin schildert die „Grundzüge der Theologie Karlstadts
" in vier Gedankenzusammenhängen. Von der theologischen
Erkenntnislehre (Offenbarung. Wort Gottes, Schrift und Predigt)
führt sie zur Soteriologie, die unter der reformatorischen Fragestellung
„Gesetz und Evangelium" untersucht wird, es folgt Karlstadts
Beschreibung des christlichen Lebens und schließlich die
Lehre von der Kirche. Mit großer Sorgfalt sucht die Verfasserin
sowohl die Gedankenentwicklung Karlstadts selbst als auch seinen
Zusammenhang mit der Tradition und der zeitgenössischen Theologie
zu erfassen, deutlich ist sie darum bemüht, dem „Schwärmer
" Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, auch wenn sie ihren
eigenen theologischen Standpunkt, der im wesentlichen derjenige
Luthers ist, nicht verleugnet, und ihre Auseinandersetzung mit
abweichenden Karlstadt-Deutungen, vor allem mit Barge und
Hertzsch, ist ebenso sachlich wie sicher und einleuchtend - kurz:
man hat allen Anlaß, diese methodisch saubere, kluge Arbeit als
beachtliche Förderung unserer reformationsgeschichtlichen Erkenntnis
zu begrüßen.

Sensationelle Resultate wird man nicht erwarten. Daß Karlstadt
gewissermaßen der „Erfinder" des reformatorischen „sola scriptum
" gewesen sein dürfte, ist schon früher behandelt worden. Daß
dieses Prinzip, im Widerspruch gegen Rom gefunden, bei ihm
nur formale Anwendung fand und das Hinzutreten des spirituali-
stischen Offenbarungsverständnisses somit eine naheliegende Konsequenz
war, als es um die Vergewisserung des Heils ging, macht
die Verfasserin mit reichen Belegen deutlich. Hiermit hängt zusammen
, daß Karlstadts Gnadenlehre, in der der augustinische
Grundzug seiner reformatorischen Theologie besonders rein hervortritt
, nicht eigentlich christologisch fundiert, sondern von der
Vorstellung her gedacht ist, Ziel des Menschen sei die Gesetzeserfüllung
. Mit Recht hebt die Verfasserin hervor, daß dennoch
Luthers Vorwurf, Karlstadt hänge der Werkgerechtigkeit an, nicht
ganz gerecht war; vielmehr wird jenes Ziel im Weg der „Gelassenheit
", der humilitas erreicht, durch die Gott im Menschen
Raum erhält zu wirken - d. h. das sola gratia wird gewahrt,
indem der Reformator sich zum Mystiker entwickelt. Endlich
füge sich in das Bild dieser insgesamt folgerichtigen und, zumal
wenn man sie wie die Verfasserin als Denkvorgang, als Ringen
um Sinn ansieht, keineswegs trivialen Theologie die Ekklesio-
logie Karlstadts ein, in der in der späteren Ausformung die
spiritualistischen und die institutionalistischen Elemente, die mystischen
, augustinischen und lutherischen Einflüsse eigentümlich
verschränkt erscheinen, indem Karlstadt die wahre Kirche streng
auf den Kern der Frommen, der „Gelassenen" reduziert, die
öffentlichen Ämter jedoch bestehen läßt und Müntzers revolutionäre
Parolen verwirft, nicht ohne selbst freilich die Kirchenreform
radikal zu betreiben.

Das positive Cesamturteil über das Buch wurde schon ausgesprochen
. Die Einwendungen beschränken sich auf Anregungen.
Man wünschte sich von der Verfasserin, sie vervollständigte ihr
Karlstadt-Bild noch, indem sie einerseits die scholastische Periode
des Wittenberger Professors ins Auge faßte und sich auch entschlossener
die Frage stellte, ob nicht die einstigen thomistischen