Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1969

Spalte:

682-683

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Seebaß, Gottfried

Titel/Untertitel:

Das reformatorische Werk des Andreas Osiander 1969

Rezensent:

Rogge, Joachim

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 9 682

681

Das bedeutet: Die Frage nach dem Gewicht des Problemkreises
Demut-Humilitas für das Leben und Denken des Reformators ist
von den hier gemachten Voraussetzungen her nicht zu lösen. So
wichtig die Demut Luther zeitlebens blieb - und das Wissen darum
verdanken wir auch dieser anregenden Arbeit Dameraus -: das
Entscheidende gehört nach dem Urteil des Reformators einer anderen
Dimension an - auf die Luther immer wieder zu sprechen
kommt und die merkwürdigerweise in dieser gesamten Arbeit faktisch
ausgeklammert zu sein scheint: Das Wort Gottes! Von hierher
faßt Luther das sola gratia: „Si vis gratiam consequi, id age,
ut verbum dei vel audias intente vel recorderis diligenter: verbum,
inquam, et solum verbum, est vehiculum gratiae dei... Stat fixa
sententia, ex auditu fidei accipi spiritum. Hoc modo acceperunt
spiritum, quicunque acceperunt. Tu ergo ne tibi propriam fabrices
machinam consilii, reiecto consilio dei" (WA II 509,13ff. zu Gal 3:2).

Münster/Westf. Martin Greschat

Meyer, Carl S., [Ed.]: Luther for an Ecumenical Age. Essays
in Commemoration of the 450th Anniversary of the Reformation.
St. Louis - London: Concordia Publishing House [1967], 311 S.
gr. 8°. Lw. $9,-.

Der vorliegende Sammelband ist eine Frucht der angelsächsischen
Gedenkfeiern anläßlich der Reformationsjubiläen des Jahres
1967. Unter der Herausgeberschaft von Carl S. Meyer vom
Concordia Seminary, St. Louis, sind an diesem Band eine Reihe
namhafter Kirchen- und Profanhistoriker aus Amerika und England
beteiligt.

Der Hauptteil der insgesamt zwölf Beiträge ist geistes- und
theologiegeschichtlichen Problemen gewidmet. So geht Lewis W.
Spitz in seinem Beitrag „Man on this isthmus" den Unterschieden
zwischen dem mittelalterlichen und reformatorischen Denken nach
(S. 23-66); E. Gordon Rupp stellt die Zusammenhänge zwischen
Luthers Thcologia Crucis und den 95 Thesen heraus (S. 67-81);
Norman Nagel analysiert die Bedeutung von »Sacramentum et
Exemplum" für Luthers Christologie (S. 172-199), ausgehend von
Erwin Iserlohs Abhandlung „Sacramentum et Exemplum, ein au-
gustinisches Thema lutherischer Theologie" (Jedin-Festgabe, Münster
1965, B. I, S. 247-264), und Jaroslav J. Pelikan schließlich
untersucht Luthers Verteidigung der Kindertaufe (S. 200-218) in
ihrer theologischen Verankerung und ihrer ökumenischen Bedeutung
.

Auch die Abhandlungen von Robert Bertram („The Radical
Dialcctic Between Faith and Works in Luther's Lectures on Galatinas
1535", S. 219-241) und Arthur C. Piepkorn („The Lutheran
Symbolic Books and Luther", S. 242-270) beleuchten wesentliche
Anliegen der Theologie Luthers bzw. deren Weitergabe in der
sympolischen Tradition, wobei Arthur C. Piepkorn speziell in seiner
Abhandlung für diesen Bereich die besondere Ausrichtung auf
die exegetischen Werke Luthers betonen kann: „Luther emerges
in the Lutheran symbolical books as one to whom the universal
church might well listen as a doctor, but primarily as one of
God's great gifts to that part of the one, holy, catholic and apo-
stolic church .. ." (S. 259).

Gegenüber der historisch-systematischen Ausrichtung dieser Beiträge
gelten die übrigen primär der Reformationshistorie: Harold
J. Grimm mit seiner Abhandlung über Lazarus Spengler (S. 108
bis 109), wobei die Sicht Hans von Schuberts in seiner großen
Spengler-Biographie von vcrfassungsgeschichtlichen Gesichtspunkten
her bereichert wird, dazu die Aufsätze jeweils von Ernest
G. Schwicbert („The Theses and Wittenberg", S. 120-143); Heinz
Bluhm („The Sources of Luther's Scptember-testament", S. 144
bis 171) und - last not least - Carl S. Meyer („A Dialog or Con-
versation Between a Father and his Son About Martin Luthers's
Doctrine, 1523", S. 82-107).

Insgesamt wird mit diesem Sammelwerk dem amerikanischen
Kontinent und Sprachbcrcich in Ausschnitten der europäische Forschungsstand
sowohl der Lutherforschung als auch der Reformationsgeschichte
nahegebracht. Die durchgängige ökumenische Aus
richtung ist offensichtlich nicht nur ein Zugeständnis an den Zeitgeist
, sondern Ausdruck einer gelungenen Wesenserhellung der
Reformation selbst. Was Carl S. Meyer im Blick auf Jaroslav J.
Pelikan's Beitrag äußert, kann für das ganze Sammelwerk gelten:
■ the present tributc to the Reformer becomes a genuine contri-
bution to the movement that secks oneness in the Head of the
church ..." (S. 20).

Marburg Ernit-Wilhelm K o h 1 l

See baß, Gottfried: Das reformatorische Werk des Andreas
Osiander. Anhang: Portraits von Andreas Osiander. Nürnberg:
Selbstverlag des Vereins f. Bayerische Kirchengeschichte 1967.
XXII, 308 S., 9 Porträts gr. 8° = Einzelarbeiten aus der Kirchen-
geschichte Bayerns, hrsg. vom Verein f. Bayerische Kirchengeschichte
unter verantwortlicher Schriftleitung v. G. Kühr, 44.
Der Verf. nimmt gleich eingangs Emanuel Hirschs Klage auf,
daß „Osiander das Stiefkind der die Reformationszeit beackernden
Herausgeber" (S. XXI) sei. In der Tat hat Osianders reformatorisches
Werk in einer der bedeutendsten Reichsstädte des 16. Jahrhunderts
im gesamtdarstellerischen Maßstab der Reformationsgeschichte
nicht die Beachtung gefunden, die es verdient. Der
Gründe dafür gibt es viele. Das Vsrhältnis des Nürnberger Reformators
zu seinem Rat unterlag mannigfaltigen Spannungen,
sein Fortgang nach Königsberg geschah unter unerfreulichen Auspizien
, die Beziehungen zum Wittenberger Reformationskreise waren
nicht ungetrübt, und schließlich überschattet das künftige Osiander-
bild der Streit über eine besondere Ausprägung der Rechtfertigungslehre
, der Osianders Namen trägt.

Seebaß geht nun gerade nicht ausführlich auf den osiandrischen
Streit ein (s. dazu nur einige Bemerkungen auf S. 273), weil er
ihn »nur noch in einem losen Zusammenhang" mit Osianders reformatorischem
Werk erkennen kann. „Osianders reformatorische
Wirksamkeit hat sich auf die 28 Jahre beschränkt, die er in Nürnberg
verbrachte" (S. 273). Dieser bedeutsamsten Phase der Lebensarbeit
des Reformators wendet sich der Verf. zu. Damit verlagert
er in wohltuender Weise den Akzent fort von dem allgemeinen
Lehrbuchinteresse, das den Namen Osianders in vielen Fällen nur
mit seiner Sonderlehre verbindet.

Seebaß nennt die Biographie Wilhelm Möllers (1870) und die
Darstellung der Theologie Osianders von Emanuel Hirsch (1919)
als die grundlegenden Werke, auf denen im wesentlichen die
„ganze bisherige Osianderkenntnis ruht" (S. XXI). Er selbst will
auf Grund besserer Quellenkenntnis, die er in einem entsprechenden
Nachweis spezifiziert und somit gut kontrollieren läßt, über
die genannten Werke hinausweisen. Seine 1965 von der Evangelisch
-theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität
zu Erlangen-Nürnberg als Dissertation angenommene und für den
Druck überarbeitete und verbesserte Studie verdankt, wie der
Verf. angibt, Wilhelm Maurer, dem sie auch gewidmet ist, „hinweisenden
und helfenden Rat".

Trotz des allgemeinen Titels versteht Seebaß seine Arbeit noch
nicht als eine Biographie. Sie ist Vorarbeit dazu und nimmt Ansätze
auf, die durch Erich Roth inauguriert, aber nicht zur Ausführung
gekommen sind. In verdienstvoller Weise stellt Seebaß
für jede Weiterarbeit an Osiander erhebliches, bisher übersehenes
Material bereit. Ausgiebig sind die Nürnberger Archive herangezogen
, wie sich immer wieder im Darstellungs- und Anmerkungstext
zeigt. Auf den S. 6-58 verzeichnet Seebaß die bekanntgewordenen
428 Titel der osiandrischen Werke von 1522-1552, in
vielen Fällen zum erstenmal mit sehr hilfreichen bibliographischen
und Fundortangaben. Eine sehr willkommene kleine Studie über
die Porträts von Andreas Osiander mit guten Bildwiedergaben
kommt zu dem Schluß, daß es nur „ein historisch getreues, ,echtesr
Osianderbild" gibt (S. 295), nämlich das jetzt in der Vatikanischen
Bibliothek aufbewahrte Ölgemälde von Jörg Pencz (1544).

Der Verf. gliedert seine Arbeit in zwei große Teile: A) „Die
Quellen zu Biographie und Theologie des Andreas Osiander"
(S. 1-70) und B) „Die Quellen in ihrem historischen und sachlichen
Zusammenhang" (S. 71-273).

Unter A) gibt Seebaß einen Überblick über die bisherige Forschung
vom 16.-18. Jahrhundert und im 19. Jahrhundert (Johann
Carl Ludwig Lehnerdt, Carl Heinrich Wilken, Wilhelm Möller).
Das vorerwähnte Werkeverzeichnis wird erläutert und dabei die
Form der literarischen Arbeit Osianders untersucht (Schriften,
Editionen, Gutachten, Ratschläge, Schreiben, Predigten, Gedichte,
Stellungnahmen).

Der Teil B) setzt biographisch an, sammelt dann aber mehr
systematisch-sachlich. Dabei werden Osianders Auseinandersetzungen
mit dem Katholizismus und den schwärmerischen Bewegungen
in Nürnberg, die Teilnahme an Religionsverhandlungen im
Reich und die Probleme bei der Durchführung der Reformation im
weltlichen und kirchlichen Bereich untersucht. Etwas unglücklich
appendixartig wirken die Bemerkungen zu den theologischen
Streitigkeiten in Nürnberg (über die allgemeine Absolution, übe'