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Ausgabe:

1969

Spalte:

677

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Augustinus, Aurelius

Titel/Untertitel:

Geist und Buchstabe 1969

Rezensent:

Diesner, Hans-Joachim

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Seite 1

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677 Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 9

len Abneigung gegen das Barbarische unterbrochen wird, was
übrigens nicht nur auf Orosius' Unsicherheit in der Erfassung der
vor seinem Auge ablaufenden historischen Prozesse zurückzuführen
ist, sondern einer grundsätzlichen Insekurität im politischhistorischen
Denken von Umbruchszeiten entspricht. Und im Zusammenhang
damit noch eines: Der Optimismus (fast könnte man
von Zweckoptimismus sprechen), zu dem sich Orosius besonders
in den Schlußpartien seines Werkes aufschwingt, ist in erster Linie
vom Christentum, weiterhin aber auch von der Romanitas und von
der gleichsam prophetischen Einsicht bestimmt, daß es eine fruchtbare
Synthese von Christentum, Romanitas und Barbarentum
geben könne. Und sogar dort, wo Orosius die Möglichkeit einer
solchen Synthese „in Frage" stellt, legt er sie dem damaligen wie
heutigen Leser nahe (VII, 41, 7. 43). Auch eine hauptsächlich doch
philologisch fundierte Arbeit sollte das nicht übersehen, da Einzelforschung
und Strukturlinien nun einmal voneinander abhängig
sind, und zwar stärker, als die etwas vage Schlußbemerkung des
Buches erwarten läßt.

Halle'Saale Hans-Joachim Dicsncr

Augustinus, Aurclius: Geist und Buchstabe. De spiritu et
littera über unus, übertragen v. A. F o r s t e r. Paderborn:
Schöningh 1968. VI, 142 S. 8° = Aurelius Augustinus' Werke in
deutscher Sprache, hrsg. v. C. P. Perl. Lw. DM 12,80.
- Drei Bücher über den Glauben. De Fide, übertragen v. C. J. Perl.
Ebd. 1968. XXV, 196 S. 8° = Aurelius Augustinus' Werke in
deutscher Sprache, hrsg. v. C. J. Perl. Lw. DM 14,80.
Mit diesen beiden Bänden wird die deutsche Augustinus-Ausgabe
in erfreulichem Tempo fortgesetzt. Hinsichtlich der Übersetzung
kann das positive Urteil zu früheren Bänden der Reihe
(s. etwa ThLZ93, 1968 Sp. 271 und 91, 1966 Sp. 195f.) beibehalten
werden. Der Anmerkungsteil, besonders zum ersteren Band,
ist knapp, aber gut informierend, die Sachregister beider Bände
sind ausreichend. Weniger befriedigt die Bibliographie zu De Fide
: Sie enthält viel Forschungsliteratur des 19. Jhs., läfjt Neuerscheinungen
jedoch oft vermissen. Warum werden die Bücher von
Frend, Tengström usw. nicht genannt, obwohl doch in den „Zusätzlichen
Anmerkungen" S. 187ff. der Donatismus ausführlicher
charakterisiert erscheint?

In einem kurzen Vorwort zeigt Forster, wie Augustinus in dem
412 entstandenen Werk „De spiritu et littera" in seiner Exegese
der entsprechenden Paulusstellen die Problematik von Gesetz,
lebendigmachendem Geist, Willensfreiheit und Gnade in der
Periode der beginnenden Auseinandersetzung mit dem Pelagia-
nismus sieht. Der Adressat des Werkes, S. 1 als „Marcellinus, ein
Beamter in Karthago" und S. 138 als ein „hoher kaiserlicher Beamter
" gekennzeichnet, ist der kaiserliche tribunus et notarius
Flavius Marcellinus, ein Freund Augustins (der ihm auch „De
civitate Dei" widmete), der beim Religionsgespräch von 411 in
Karthago präsidierte und 413 einer Art Terrorjustiz zum Opfer
fiel; sein Andenken wurde von Kaiser Honorius bald rehabilitiert.
Dem Band „Drei Bücher über den Glauben" gebührt eine längere
Einleitung, weil es sich um drei verschiedene Schriften mit unterschiedlicher
Entstehungszeit und theologischer Durchformung
handelt: Um das Referat des Presbyters Augustinus auf dem Con-
cilium Hipponcnsc von 393 über den Glauben und das trinitarische
Symbolum, um eine spätere Predigt „Ober den Glauben an das
Unsichtbare" (De fide rerum quae non videntur; nach Perl 399,
nach Marrou keinesfalls vor 410 gehalten), schließlich um den
umfangreicheren, gleich nach „De spiritu et littera" verfaßten
Traktat „De fide et operibus", der gewissermaßen einen Auftakt
7.u „De civitate Dei" bildet. Perl gibt in diesem Zusammenhang
wichtige Hinweise auf Augustins Kampf um die Lehre, insbesondere
um das trinitarische Denken, im Zusammenhang mit seiner
antischismatischen (Donatismus) und antihäretischen Polemik (Pe-
lagianismus, Manichäismus, Judentum), wobei die Entwicklung
in der Theologie des Kirchenvaters zumindest mit anklingt. Wesentlich
sind z. B. die im Anschluß an J. Pegon vollzogenen Hinweise
auf den Gegensatz zwischen totem und tätigem Glauben,
der die Schrift „De fide et operibus" stark bestimmt, die sich gegen
die sola fides als (alleinige )Heilsbedingung richtet.

An Druckfehlern im zweiten Band fallen mir auf: Korpokra-
tianer (XIV) statt Karpokratianer, „an den Comites Darius" (XX),
Marrou, Henry (S. 194) statt Henri.

Halle/Saale Hans-Joachim D i e s n e r

678

KIRCHENGESCHICHTE: REFORMATIONSZEIT

1 s e r 1 o h , Erwin: Luther zwischen Reform und Reformation. Der

Thesenanschlag fand nicht statt. 3., verbesserte und um das
8. Kapitel erweiterte Aufl. Münster/W.: Aschendorff [1968).
103 S. gr. 8° = Katholisches Leben und Kämpfen im Zeitalter
der Glaubensspaltung. Vereinsschriften der Gesellschaft zur
Herausgabe des Corpus Catholicorum, 23/24. Kart. DM 8,50.
Seiner in ihrer 1. Auflage bereits oben Sp. 275f. von mir besprochenen
Schrift von 1966 hat Vf. jetzt noch ein zwölf Seiten umfassendes
achtes Kapitel: „Sind die erhobenen Einwände ein
Gegenbeweis?" hinzugefügt, in dem er sich mit den inzwischen
erschienenen einschlägigen Arbeiten von „Franz Lau, Heinrich
Bornkamm, Kurt Aland, Hans Volz und Klemens Honselmann"
sowie deren Argumenten zur Frage des Thesenanschlages befaßt.
Abgesehen von der Tatsache, daß der eine oder andere der genannten
Autoren diese oder jene Quellenstellc nicht berücksichtigt
hat, laufen I.s Einwände in der Hauptsache auf unterschiedliche
Interpretationen oder Berücksichtigungen bereits von anderer
Seite korrigierter Fehler hinaus, so daß seine Darlegungen die Lösung
des Gesamtproblems in keiner Weise fördern. An dem entscheidendsten
Punkte ist er dagegen vorbeigegangen, indem er in
diesem Zusammenhang meine (ihm bereits bekannte) Kritik1 an
seiner (offenbar aus Honselmanns Buch übernommenen) unhaltbaren
Deutung der für das Faktum des Thesenanschlages ausschlaggebenden
Lutherworte: „. . . invitans et rogans publice
omnes . . ." (vgl. dazu schon Jahrg. 89 [1964], Sp. 683 Anm. 2 sowie
oben Sp. 275f.) einfach totschweigt. Zur Umdatierung des von O.
Gemen auf „c. 6. November 1517" angesetzten Lutherbriefes in
das Jahr 1518 ist jetzt vor allem Weim. Ausg. Briefe Bd. 13, S. 11
(zu Bd. 1, S. 119 Nr. 51 und S. 120,26f.) heranzuziehen'.

Wenn I. meint, angesichts meiner Kennzeichnung von Bornkamms
Schrift als „endgültigem Abschluß der Auseinandersetzung"
hätte ich „zum mindesten" meine „eigene These vom 1. November
1517 als dem Tag des Thesenanschlages widerrufen müssen"
(S. 103), so bemerkte ich dazu, daß ich die Frage des Datums
als ein biographisches Problem betrachte, das neben dem viel
wichtigeren und ein schneiderenden des Thesenanschlages als solchen
von nur zweitrangiger Bedeutung ist. Meine bisherige Position
aufzugeben sehe ich jedoch keinerlei Veranlassung.

Zu S. 97 Anm. 24 ist ergänzend zu bemerken, daß Heinrich
Grimm in seinem in keiner Weise überzeugenden, zudem jeglicher
quellenmäßiger Nachweise entbehrenden und höchst phantasievollen
Aufsatz: „Luthers ,Ablaßthesen' und die Gegenthesen von
Tetzel-Wimpina in der Sicht der Druck- und Buchgeschichte" (Gutenberg
-Jahrbuch 1968, S. 139-150) wieder zu der allgemein (u. a.
auch von Iserloh) abgelehnten Auffassung zurückkehrt, es habe
sich bei den 95 Thesen um eine reguläre Wittenberger Universitätsdisputation
-, und zwar um eine tatsächlich abgehaltene (!)
gehandelt: „Der angesetzte Disputationstermin wurde Anfang
Dezember - stets am Monatsanfang lagen die theologischen Disputationen
- wahrgenommen, fand also de jure statt, wenn auch
de facto keine Opponenten oder Respondenten auftraten, was
übrigens des öfteren bei Disputationen in Wittenberg vorgekommen
sein soll". Einer solchen geradezu grotesk anmutenden und
in sämtlichen Punkten einer Quellengrundlage entbehrenden Behauptung
steht allein schon der bei solchen Disputationen ganz
unübliche, von G. aber verschwiegene zweite Satz der Oberschrift
betr. schriftlicher Teilnahme Abwesender an der Auseinandersetzung
entgegen. Daß weiterhin dem Leipziger Thanner-Druck der
95 Thesen kein Auftrag Luthers zugrunde liegen kann, zeigen
deutlich dessen grobe Fehler, vor allem die völlig verunglückte
Zählung.

Göltingen Hans Volz

') Luther. Zeitschrift der Luther-Gesellschaft Bd. 38 (1967), S. 133f. (vgl. Iserloh
. S. 92 Anm. 4).

*) Bei Iserloh, S. 97 23.4 ist der sinnstörende Lesefehler zu berichtigen in:
Melanchthon. - S. 98 letzte ZI. und S. 99 ZI. 3/4 ist (Scheurls) .Wallfahrt nach
Meifjen" eine Fehlübersetzung von .peregrination Mlsnensls* = .Reise nach Sachsen
" (vgl. WA Briefe Bd. 1, S. 102); ebenso bezeichnet .mons S. Annae" 34 nicht etwa
eine Wallfahrtsstätte, sondern vielmehr die erzgebirgische Bergwerksstadt Anna
berg. -