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Ausgabe:

1969

Spalte:

670-671

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Rigaux, Béda

Titel/Untertitel:

Témoignage de l'évangile de Matthieu 1969

Rezensent:

Walker, Rolf

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len, auf ihre Legitimität hin zu prüfen" (S. 7). Bei der Durchführung
der Untersuchung werden diese drei Zielsetzungen nicht streng
voneinander geschieden; es wird vielmehr überall spürbar, daß
die praktisch-theologische Frage auch die exegetische Arbeit leitet
Nach einem kurzen forschungsgeschichtlichen Überblick, in dem
»das Thema ,Segen' als Gegenstand exegetischer Veröffentlichungen
" beschrieben wird (S. 13-32), wird dann im Hauptteil die Darstellung
von eulogein und eulogia im Neuen Testament vorgenommen
. Der Verf. teilt mit den früheren Bearbeitern des Themas
die Ansicht, daß keiner »der neutestamentlichen Schriftsteller
einen ganz besonderen Segensbegriff hat" (S. 32). Daher hat er
sich dafür entschieden, die Darstellung nicht nach dem Vorkommen
des Begriffs in den einzelnen neutestamentlichen Schriften,
sondern nach Sachbezügen zu gliedern. Unter den drei Überschriften
„Der Begriff als Bezeichnung eines Handelns Gottes" (S. 42-66),
„Der Begriff als Bezeichnung eines Handelns zwischen Menschen"
(S. 66-96)) und „Der Begriff als Bezeichnung eines doxologischen
Handelns" (S. 96-130) wird das neutestamentliche Material exegetisch
geprüft. Am Ende werden „Ergebnis und Ausblick" zusammengefaßt
(S. 131-140).

Wo der Begriff ein Handeln Gottes am Menschen bezeichnet,
„steht er im Neuen Testament durchweg als Nebenbegriff für das
eschatische (sie!) Heilshandeln oder die eschatische (sie!) Heilsgabe
in Christus" (S. 131). Ein einheitlicher und umfassender neu-
testamentlicher Segensbegriff lasse sich nicht gewinnen; es zeige
sich vielmehr, »daß der Begriff nur noch traditionell als alttesta-
mentlich-jüdisches Begriffsmaterial im Neuen Testament da ist,
aber keine Eigenbedeutung mehr hat" (S. 132). Daß an der Segnung
als solcher kein Interesse mehr bestand, sucht der Verf. vor
allem in der Erörterung der Stellen zu zeigen, die das Segnen als
Handeln zwischen Menschen betreffen. In der christlichen Gemeinde
ist das Segnen nicht an ein priesterliches Amt gebunden
und daher aus dem kultischen Bereich gelöst. Seine Bedeutung soll
daher als Ausdruck der Fürbitte verstanden werden. „Der Begriff
des Segens ist im christlichen Bereich dem der Fürbitte unterzuordnen
, nicht überzuordnen" (S. 133), Am häufigsten werden
eulogein und eulogia im Neuen Testament in der Bedeutung »loben
, preisen, danken" in doxologischen Zusammenhängen gebraucht
. Was schließlich die Frage angeht, welcher Platz dem Segen
im christlichen Gottesdienst zukommt, so soll nach Meinung des
Verf.s »weder vom gespendeten statt vom erbetenen Segen noch
von der Stellung des Segens am Schluß des Gottesdienstes, noch
vom Wortlaut des aaronitischen Segens" ausgegangen werden
(S. 137). Da Segen als Ausdruck der Fürbitte zu begreifen sei,
habe eine Spendung des Segens keinen Platz im Gottesdienst. Als
konkrete Fürbitte für die Anwesenden aber »ist sie überflüssig,
weil in allen Fürbittgebeten die Fürbitte für die Anwesenden persönlich
schon im Schlußteil enthalten ist" (S. 137f.).

Es ist zweifellos verdienstlich, daß alle einschlägigen Stellen des
Neuen Testaments, an denen die Begriffe eulogein und eulogia
vorkommen, noch einmal einer gründlichen exegetischen Untersuchung
unterzogen wurden. Doch die Durchführung dieses Unternehmens
ist allzu deutlich von dem Bestreben geleitet, der Se-
gensspendung im christlichen Gottesdienst entschieden zu widersprechen
. Zwar trifft es zu, daß das Segnen in der christlichen Gemeinde
nicht an ein bestimmtes Amt gebunden ist, sondern von
jedem Glied des Gottesvolkes vorgenommen werden kann; auch
ist es richtig, daß die Begriffsgruppe eindeutig vom alttestament-
lich-jüdischen Hintergrund her bestimmt ist. Aber damit ist keineswegs
gesagt, daß die Rede vom Segen lediglich traditionell sei
und keine Eigenbedeutung mehr habe. Der Eingangsgruß der
Briefe, mit dem der Gemeinde Gnade und Friede gewünscht werden
, kann nicht einfach als Fürbitte bezeichnet werden; schließt
sich doch die Fürbitte stets an die einleitende Danksagung an. Und
mit Luk. 6,27f. kann nicht bewiesen werden, daß Segen mit Fürbitte
identisch sei. Vielmehr wird hier der Gegensatz von Segen
und Fluch, der auch in den Qumrantexten scharf ausgesprochen ist,
zerbrochen und damit die Grenzenlosigkeit des Segens aufgezeigt,
den die christliche Gemeinde allen Menschen zuzuwenden hat. In
dem durchaus begreiflichen Bestreben, einem magischen Verständnis
liturgischen Handelns entgegenzutreten, ist der Verf. leider
dem anderen Extrem verfallen, jegliche Bedeutung von Segen und
Segnen zu bestreiten. Wenn richtig erkannt wurde, daß der neutestamentliche
Begriff vom Alten Testament her vorgeprägt ist
(S. 40 u. ö.), dann darf diese Vorgeschichte nicht einfach übergan-

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gen werden und muß die Frage gestellt werden, welche positive
Bedeutung dem übernommenen Begriff im Zusammenhang der
neutestamentlichen Schriften zukommt.

Göttingen Eduard Lohse

Eigaux, Beda: Temoignage de l'evangile de Matthieu. Bruxel-
les: Desclee de Brouwer [1967]. 307 S. 8° = Pour une Histoire
de Jesus, 2. bfr. 186,-.

Der Verfasser legt eine Darstellung des Matthäusevangeliums
für den gebildeten Laien vor, deren erbauliche Zielsetzung offen
ausgesprochen wird (11). Er bietet eine gedrängte »Summe' des
Evangeliums, wohlinformiert, ohne sich auf Kontroversen einzulassen
. Das Buch zerfällt in zwei Teile, die nicht sofort erkennbar
sind. Ab S. 179 enthält es eine Einführung in einige wesentliche
kerygmatische Themen des Evangeliums unter den Überschriften
„Eschatologie und Kirche", „Die Verwerfung Israels", „Die Kirche
des Matthäus", „Alle Gerechtigkeit erfüllen", „Jesus Christus", „Die
Titel des Messias", »Der Sohn des lebendigen Gottes". Dem folgt
das resümierende Schlußkapitel „Nova et Vetera". Der erste Teil
des Buches widmet sich Einleitungsfragen, dem Stil und der Komposition
des Evangelisten, dem Aufbau des Evangeliums sowie
einer ersten Belehrung über die Redenkomplexe, Kindheitsgeschichten
, Kreuzigungs- und Auferstehungsberichte. Am Schluß
dieses Teils erscheint „Matthäus vor seinen Quellen". Diese späte
Erörterung der Quellenfrage ist weder sachgemäß noch pädagogisch
. Bei der Frage nach dem Aufbau und den Redekapiteln usw.
wird ständig mit Voraussetzungen operiert, die erst nachträglich
erklärt werden. Diese Schwäche in der Anlage des Buches verwischt
jedoch nicht den Eindruck, man habe es mit einer respektablen
„Einleitung" zu tun, zum Zwecke der Unterrichtung des Lesers
„von einer gewissen Kultur auf der Suche nach Wissen" (11)
brauchbar und gut zu lesen.

Man hätte dem Buch freilich mehr kritische Reserve des Autors
gegenüber seinen Denkgewohnheiten gewünscht. Das katholisch-
kirchliche Vorverständnis des Verfassers führt unbefangen die
Feder. So, wenn er S. 179 die These »Vom Reich zur Kirche" zum
Programm erhebt, das er dann im folgenden entfaltet. Israel ist
verworfen zugunsten der Kirche, die seine Erbin wird (191ff.;
durch die Verwerfung Israels kommt das Reich zur Kirche,
vgl. 199). Die Kirche empfängt die heilsgeschichtlichen Privilegien;
die Kirche, eine Institution mit Führern und »schwacher" kirchlicher
Masse (208f.); die Kirche, die Vergebung, Eucharistie,
Ehe (!), Taufe und Mission als die fünf Elemente ihrer „eschato-
logischen Wirksamkeit" besitzt (210ff ). Im Blick auf Petrus gilt:
Die matthäische Kirche (218) „... reconnait ä Pierre une primaute
personelle, dont eile semble bien postuler la continuite." Die Kirche
ist auch der Ort der neuen Ethik, einer durchaus „katholischen"
Heiligen- und Heroenethik (237). So gibt es auch, ganz folgerichtig
, erstaunliche Anklänge an eine unreflektierte Verdienstfrömmigkeit
(242). Summa: »...Matthäus denkt in der Kirche
und für die Kirche" (298). Doch erweist sich Matthäus mit dem
glühenden, ethisch-apokalyptischen Feuerofen seines Evangeliums
nicht als aggressiver, radikaler und schockierend „unkirchlicher"
Theologe schon für die „Kirche" von damals? Auch fragt sich
Rigaux nicht, ob die „Kirche" bei Matthäus nicht bewußt als „Hilfsgröße
" verstanden ist: nicht als großes und selbständiges heilsgeschichtliches
Ziel-Thema, sondern eher als bescheidenes Nebenthema
unter dem alles beherrschenden Generalthema des „Reiches".

Bei der Darstellung der Christologie fällt die Tendenz zur »Verherrlichung
" Jesu auf. Man hört von Jesu Majestät (250ff.), von
einem „Christ de gloire" (255) und von der Göttlichkeit Jesu (284).
aber man erfährt nicht genau, wie diese Göttlichkeit zu denken
ist. Göttlichkeit des Gehorsams, der Vollmacht, der Geistbegabung,
Geburt, Präexistenz? Welche Motive von Göttlichkeit Jesu sind bei
Matthäus bewußt verbunden? Übersehen ist in diesem Zusammenhang
, daß Matthäus Jesus etwa in der Leidensgeschichte nicht
nur .erhöht", sondern zugleich das („menschliche") Gehorsamsmotiv
unterstreicht und sämtliche markinischen Leidenszüge beibehält
. Der Absturz aus der (größeren!) Höhe wird noch schroffer,
die »Menschlichkeit" Jesu ist so noch „tiefer" als bei Markus!
Man darf nicht nur die Hoheitszüge notieren, man muß auch die
matthäische Tendenz zur .Vermenschlichung" Jesu darstellen (vgl.
z. B. 4,lff.; 11,29; 27,43a) und exakt zu definieren suchen.

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 9