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Ausgabe:

1969

Spalte:

665-666

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Cambier, Jules

Titel/Untertitel:

L' évangile de Dieu selon l'épître aux romains 1969

Rezensent:

Schweizer, Eduard

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665

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 9

666

NEUES TESTAMENT

Gambier, J., S.D.B.: L'fivangile de Dieu selon l'epitre aux
Romains. Exegese et Theologie biblique. Ii L'Evangile de la
justice et de la gräce. Bruges: Desclee de Brouwer [1967]. 444 S.
8° = Studia Neotestamentica, Studia III, ed. A. Descamps et B.
Rigaux.

Das Buch des an der Universite Lovanium im Kongo wirkenden
Autors behandelt Rom. l,16f. (S. 11-59), 3,21-4,25 (S. 61-175),
1,1-7 (S. 177-184), 10,3-13 (S. 184-193), 5,12-21 (S. 195-278), dann
Sünde und Gnade, vor allem in 5,12-21 (S. 279-338), Gnade und
Gerechtigkeit zusammenfassend (S. 339-434). Es ruft nach dem ökumenischen
Gesprach. „Sola fide" (schon bei Origenes, S. 153) wie
„sola gratia" (S. 278) wird ausdrücklich verteidigt, freilich auch
mit Recht gesagt, daß damit das Entscheidende nicht getroffen
ist, weil das Interesse dabei immer noch auf das Verhalten des
Menschen gerichtet ist statt auf die Alleinwirksamkeit Gottes
(S. 59, 107, 352f., 359ff., 388f.). Auch die Interpretation des „simul
iustus simul peccator", dafj man nämlich nicht im gleichen Sinn
„Sünder" sei wie „Gerechter" (S. 324f.), ist völlig richtig, wenn
auch die Umschreibung „zur Sünde geneigt" (S. 154) nicht genügt.
Die Abwehr einer bloß auf Sündenerlaß eingeengten (S. 82) oder
mit Sühnopfer- und Lösegeldtheorien (S. 104ff.,121) oder auch
bloßer Fürbitte (S. 114f.) erklärten Rechtfertigung und ihre Definition
als Gottes Eingreifen für den Sünder (wie für den Armen
im AT, S. 83) und Liebestat (S. 118), die Gott als Gott erweist
(S. 122), ist gut paulinisch, wenn ich auch zweifle, ob man angesichts
von Gal. 3,13; 2. Kor. 5,21 die Vorstellung von einem Urteil
über Christus ganz ablehnen kann (S. 119). Sehr lehrreich ist für
den evangelischen Rezensenten die Auseinandersetzung mit der
Erbsündenlehre (S. 219ff., 326ff.), wo die Übersetzung „um desset-
willen (sc. Adams) alle sündigten" (Rom. 5,12, S. 244) zwar keine
Vererbung, immerhin eine „vom Ursprung her bestehende Deformation
der menschlichen Natur" (S. 329) anzunehmen erlaubt.
Die diskutable Übersetzung würde wahrscheinlicher, wenn in der
langen exegetischen Untersuchung (S. 237ff.) ein Beleg für die
Beziehung eines Relativpronomens auf ein so weit entferntes
Nomen gegeben würde. Gut paulinisch ist das Insistieren auf die
„Realität" der Gerechtigkeit, die das gesamte Leben prägt (S.
411ff.), die Gegenüberstellung von schöpferischem Handeln Gottes
(S. 342, 381) und bloßer Annahme vonseiten des Menschen (S. 381.
431), so daß der Glaube nicht einfach den Platz des Gesetzes einnimmt
(S. 353f.) und Gottes Lohn sein eigenes Werk krönt (S. 367).
Ob man dennoch von einem Gericht je nach der „Annahme" durch
den Menschen (S. 354, 356), von einer Spannung zwischen unvollkommenem
Besitz des Heils und Hoffnung, von einem „immer
geistlicher und immer weniger fleischlich werdenden" Menschen
(S. 287, 403) reden kann, ist fraglicher, besonders da der Verfasser
weiß, daß die grundsätzliche Ausrichtung des Glaubenden (die
Geschenk Gottes ist) ihn zum Gerechten oder Sünder macht
(S. 292).

Das Buch ist breit und mit vielen Wiederholungen geschrieben,
daher nicht leicht zu lesen. Während das Griechische fast fehlerlos
gesetzt ist (S. 425, Anm. 1 ein falscher Akzent), erscheint
Marxsen ohne s (S. 417), Schelklc ohne 1 (S. 188, 249), Schweizer
mit t (S. 181). Dauernd wird mit „a.c." zurückverwiesen, obwohl
man bei Jüngel (S261) 70 S. zurückblättern kann, ohne etwas
zu finden, und für Ligier (S 254) die Angabe auf S. 196 findet.
Da ein Autoren- oder Literaturverzeichnis fehlt, werden die Anmerkungen
dadurch oft unlösbar. Obwohl viel Literatur erwähnt
wird, wird sie selten in einer Auseinandersetsung damit fruchtbar
. Teilweise ist sie mißverstanden. Was S. 181 als meine Sicht
des Paulus referiert wird, ist die Darstellung des späteren gno-
stischen und kirchlichen Mißverständnisses der paulinischen Texte
Jüngels Bemerkung zu Rom. 5,13 (S. 268) hat mit der Auslegung
von 5,20, die das Stichwort „eschatologisch" in ganz anderem
Sinn verwendet, nichts zu tun. Stuhlmachers wichtiges Buch zum
Thema (1965) konnte leider erst nach Abschluß der Redaktion
noch aufgenommen werden (S. 392). Seltsam ist, daß Käsemanns
bahnbrechender Aufsatz, der S. 125 referiert wird, freilich ohne
daß gesagt wird, daß er von der Auffassung der Gottesgerechtigkeit
als „Macht" (auch hier S. 40 u. öfter, S. 414: „force creatrice")

die Paradoxie Gegenwart und Zukunft, Macht und Gabe (entgegen
S. 125 nicht abgelehnt von Käsemann!), extra nos und in
nobis zu verbinden sucht, weder aufgenommen noch abgelehnt
wird. Daß die Diskussion Wilckens - Klein über Rom. 4 (1960-64;,
neuere Artikel des ThWb. (pneuma 1957 zu S. 318f.; sarx 1960
zu S. 292f., wo für neutralen Gebrauch nur die Formeln Rom. 1,3
und Gal. 4,4 [wo sarx ganz fehlt] angegeben sind), und v. Rads
Diskussion der Gottesgerechtigkeit im AT fehlen, mag entschuldigt
sein. Was fehlt alles an französischsprachigen katholischen
Werken bei uns! Aber daß Qumran überhaupt nie erwähnt wird/
ist unbegreiflich.

Am fraglichsten ist das Fehlen traditionsgeschichtlicher Fragestellung
. Daß Eph. und Kol. (S. 135!), ja Rom. 16,25-27 (S. 28)
als paulinisch (etwa auch Past.? wo fände sich sonst Unterordnung
unter die kirchliche Autorität als wesentlicher Bestandteil
des Glaubens, S. 363?), Rom. 3,24-26 und 4,24f. nicht als Formeln
(S. 73ff., 174f.), Mark. 10,45 als echtes Jesuswort (S. 88) gelten,
läßt sich diskutieren. Es müßten aber mindestens die Schwierigkeiten
genannt werden. Man dürfte auch nicht aufgrund von Eph.
völlig ungeschützt von den „Werken" des Glaubenden reden.
(S. 362ff., 423), ohne zu erwähnen, daß (der frühere) Paulus nie
im Plural davon spricht, sondern betont die „Frucht" des Geistes
von den „Werken" des Fleisches unterscheidet (Gal. 5,18.22; vgl.
Rom. 6,23 usf.), oder auf Grund von Rom. 4,25 eine Gottesknecht-
theologie bei Paulus allgemein voraussetzen (S. 73, 288). Daß selbst
Phil. 2,6-11 (S. 101) ohne weiteres für Paulus beansprucht und zu
Rom. l,3f. (S. 34f., 91) nicht einmal gesagt wird, daß alle Neueren
darin ein Zitat sehen, ist schwerer verständlich und führt dazu,
selbst in Rom. l,3f. die Verkündigung von Präexistenz und Tod
zu finden (S. 180f.). Damit hängt zusammen, daß die für Gegner
wie Verteidiger zum Probelm gewordene heilsgeschichtliche Schau
des Paulus mit ihren zwei Epochen (S. 122ff., 141ff., 310), ja die
Kontinuität des Heils von Abraham über David bis Christus
(S. 308f.) unproblematisch vorausgesetzt bleibt, ohne daß z. B.
die einzigartige Sonderstellung Abrahams (die ja durch „David"
Rom. 4,6 nur interpretiert wird) im Gegensatz zu Mose besprochen
wird, obwohl der Verfasser sieht, dafj eine eher qualitative als
zeitliche Unterscheidung vorliegt (S. 68). Auch sonst finden sich
unscharfe Formulierungen. Daß „Apostel" 1,1 etwas anderes meint
als 16,17 und 1. Kor. 9,6, ist möglich, schwerlich aber die Gleichstellung
mit den „Zwölfen", die nur in der Formel 1. Kor. 15,5 vorkommen
(S. 178). Daß Jesu Verkündigung vom „Messiasgeheimnis
" geprägt sei, läßt sich nach Wrede doch nicht mehr ohne Kommentar
vertreten. (S. 341). So erfreulich richtig der Akzent beim
Verhältnis von Glaube und Taufe gesetzt ist, ist doch das Problem
der Notwendigkeit der Taufe (als necessitas praeeepti?) durch die
Gegenüberstellung von S. 384 (ohne Glaube keine Taufe, ohne
Taufe kein vollkommener Glaube) noch nicht gelöst. Daß religionsgeschichtliche
Fragen nicht wirklich aufgenommn werden (z. B.
S. 209, 241; die Alternative jüdische Apokalyptik oder Gnosis
[S. 219] ist so nicht mehr zu halten), läßt z. B. den Gegensatz des
Schemas „Christus starb für uns, so daß wir vom Tod befreit werden
" zum Schema „Christus starb für uns, so daß wir mit ihm in
den Tod gehen" nicht hervortreten (z. B. S. 92,407). Die richtige
Beobachtung der Gleichzeitigkeit der Offenbarung von Gerechtigkeit
und Zorn in Rom. l,17f. (S. 41) kann doch nur so verstanden
werden, daß der Glaubende im Evangelium schon das eschatolo-
gische Zornesgericht Gottes über sich und seine Werke erfährt;
wird der „Zorn" auf die Ungläubigen bezogen (S. 144, 312), bleibt
unverständlich, wie Rom. 1,24-28, die die Situation vor dem Evangelium
beschreiben, und die Verurteilung des jüngsten Gerichts
ohne Erwähnung der exegetischen Schwierigkeiten ebenfalls darunter
subsumiert werden (S. 136).

Die kritischen Fragen vergessen nicht, daß der Autor im Kongo
arbeitet, wo neue Literatur viel schwerer zugänglich ist als bei
uns, und daß er an der Auseinandersetzung mit einer langen dogmatischen
Tradition seiner Kirche (sehr schön z. B. bei der Erbsündenlehre
zu beobachten!) interessiert ist, nicht an den für uns
auftauchenden exegetischen Problemen. Sie sollen nicht zudecken,
daß in ganz zentralen Aussagen erstaunliche Übereinstimmung besteht
, wenn auch nicht im Methodischen. Der Verfasser wäre aber
als Gesprächspartner nicht ernst genommen, wenn nicht auch der
Rezensent seine Fragen so präzise wie möglich stellte.

Zürich Eduard Schweizer