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Ausgabe:

1969

Spalte:

44-45

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Nagel, Peter

Titel/Untertitel:

Die Motivierung der Askese in der alten Kirche und der Ursprung des Moenchtums 1969

Rezensent:

Völker, Walter

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 1

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Bereich einen wesentlich kleineren Raum einnehmen als im jüdischen
und heidnischen", und allgemein darf „der Grundsatz gelten,
daß in einer Umwelt, in der so viel von Fälschungen gesprochen
wird, die Abfassung pseudepigraphischer Schriften in gutem Glau
ben ziemlich unwahrscheinlich ist" (S. 123; vgl. 116). Leider ist
Wahrhaftigkeit in diesem Sinne keine Grundtugend der alten Kirche.
Es ist mir auch f raglich, ob man wirklich so entschieden, wie es der
Verfasser (S. 120) tut, den Anfang der mehr oder weniger „frommen
" Fälschungen nur bei den „Irrlehrern" suchen darf. Auf eine
ausführliche Inhaltsangabe des lehrreichen und durchweg interessanten
Aufsatzes muß ich leider verzichten.

A. A 1 f ö 1 d i verteidigt, modifiziert und erweitert, seine Auffassung
von der Verknüpfung des römischen Neujahrsfestes und
seiner vota publica für den Kaiser mit den alexandrinischen Göttern
, vorab Isis, aber auch Serapis. („Die alexandrinischen Götter
und die Vota publica am Jahresbeginn", S. 53-87). Diese alexandrinischen
Götter wurden nicht nur in der christlichen Spätzeit von
heidnischer Seite besonders herausgestellt, sondern waren von den
heidnischen Kaisern schon von Anfang an in politischer Absicht
herangezogen. Die Fülle des souverän gedeuteten archäologischen
Materials ist imposant und die kühne Rekonstruktion der Motive
und Zusammenhänge faszinierend, wenn auch nicht in jedem Falle
zwingend. Auf den Abschnitt 4 über „die Einbürgerung des Isis-
Kultes in Rom" (und seine sozialen und politischen Hintergründe)
sei besonders hingewiesen. - H. Bellen liefert mit einer einleuchtend
emendierten und erläuterten Freilassungsinschrift aus
Milet einen erwünschten Beleg für die Stellung der „Gottesfürchti-
gen in der jüdischen Gemeinde: tuvayuYn tüv 'iou5aCuv tuti ecooefiüv
(S. 171-176). Chr. Gnilka, Der Ring des Crispinus (S. 177-182),
gibt eine kulturgeschichtlich interessante Erklärung zu einem wiederholt
mißverstandenen Text Juvenals und seiner Umbi'dung bei
Dracontius. H. Funke, Univira. Ein Beispiel heidnischer Ge-
sdiichtsapologetik (S. 183-188), möchte dieses lobende Prädikat in
einem historisch ganz unzuverlässigen Bericht der Historia Augusta
iüs „Reaktion auf die Selbstverständlichkeit" verstehen, „mit der die
Christen jenen gut-altrömischen Begriff ,univiratus' . . . für sich
reklamierten" (?). H.-J. Horn, Giezie und Simonie (S. 189-202),
weist auf den bisher kaum beachteten Begriff einer „Giezia", „lepri
Giezi" hin, mit dem im hohen Mittelalter nach II. Kön. 5 diejenige
Seite der »Simonie" (im weiteren Sinne) bezeichnet wird, die es
nicht mit dem Kauf, sondern mit dem Verkauf geistlicher Rechte
zu tun hat, und verfolgt die Vorgeschichte dieses Begriffs in der
altchristlichcn Exegese. Alfr. Hermann, Kernos oder Tryblion?
(S. 203-213), untersucht verschiedene koptische Tonschalen, die als
Servier-Platten für mehrere Gerichte oder als mit der Mittel
schale fest verbundenen Eönäpfc einer Tischgemeinschaft aufgefaßt
werden können, wie sie ähnlich noch später in Kloster- und
Herbergstischen mit in den Tisch eingetieften Eßnäpfen begeg
nen. - Unter den gehaltvollen Rezensionen ist K 1 a u s e r s Besprechung
von J. L. Maier, Le baptistere de Naplcs et ses mosaiques
(1964), hervorzuheben (S. 217-226), die im Ikonographischen und
vor allem im Baugeschichtlichen wichtige Korrekturen eder Fragezeichen
anbringt.

Der umfangreiche Nachtragsartikel zum RAC „Euripides" ist wieder
von H. Funke verfaßt (S. 233-279). Im Unterschied zur sonstigen
Übung des RAC verzichtet er auf jede, noch so knappe Übersicht
über Leben und Lebenswerk und behandelt nur die Zitate und
die Beurteilung von Euripides in der Mit- und Nachwelt. Das weiden
viele Benutz.- zweifellos bedauern und hätte wohl auch im
Titel zum Ausdruck gebracht werden können. Das aufgehäufte
Material ist erdrückend groß; denn Euripides ist bei Heiden, Juden
und Christen von allen Tragikern am stärksten beachtet worden.
Die bildlichen Da^tel'ungen, die Szenen aus seinen Werken bieten
, werden nur von den homerischen Themen noch übertroffen.
Der Stoff wird für die christlichen Autoren, einsetzend beim Apostel
Paulus, mit möglichster Vollständigkeit geboten. Mit einer Gliederung
nach -achlichen Gesichtspunkten (Euripides der Vertreter
des Heidentums und seiner Literatur, als Kritiker der Götter, als
der Weise u. dgl.) setzt der Verfasser erst im vierten Jahrhundert
ein, und den Abschluß bildet eine kurze „Würdigung der christlichen
Euripides-Tradition".

Daß Tertullian „in der klassischen Literatur nicht sehr belesen"
war, mag richtig sein, obschon es schwer zu begründen ist. Doch hat
er den Euripides-Vers von I. Kor. 15,34 keineswegs, wie der Verfasser
will, „unbewußt" zitiert, da er ihn ausdrücklich erst durch
den Gebrauch des Apostels „geheiligt" sein läßt (ad ux. I 8), also
jedenfalls den heidnischen Ursprung - und warum nicht auch den
Verfasser? - gekannt hat. Die Bemerkungen über Klemens von
Alexandrien S. 278B klingen etwas naiv (daß er den traditionellen
Topos vom Diebstahl der Hellenen übernimmt, ist für seine Art
keineswegs besonders „kennzeichnend"). Unter „Ps. Justin" werden
Schriften zusammengefaßt, die aus recht verschiedenen Zeiten stammen
. Unklar sind die Ausführungen über die „Griechischen Theo-
sophien apologetischen Charakters". Wer nicht vorher weiß, worum
es sich bei dieser heute wenig gelesenen Schriftengruppe handelt,
nämlich um apologetisch orientierte und gedeutete Exzerpte aus
antiken Autoren, die auf ein alexandrinisches Werk aus dem Ende
des fünften Jahrhunderts zurückgehen, wird aus den Bemerkungen
des Verfassers kaum klug werden.

Heidelberg Hani Frh. v. Campenhausen

Nagel, Peter: Die Motivierung der Askese in der Alten Kirche
und der Ursprung des Mönchtums. Berlin: Akademie-Verlag
1966. XVIII, 120 S. gr. 8° = Deutsche Akademie d. Wissenschaften
zu Berlin, Inst. f. griech.-röm. Altertumskunde, Kommission f.
spätantike Religionsgeschichte. Texte und Untersuchungen zur
Geschichte der allchriitl. Literatur, begründet v. O. v. Gebhardt
u. A. v. Harnack, 95. M21,-

Die besondere Aufgabe, die sich der Verf. in diesem Buche gestellt
hat, besteht darin, die Triebkräfte und Motive zu ermitteln,
die zur Askese geführt haben, sowie den Motivwandel zu studieren
, dessen Ergebnis das Mönchtum des 4. Jahrhunderts ist (S. VII
und S. 3). Er hofft dabei, das Wesen der Askese aus ihrer Motivierung
ablesen zu können (S. VII). Bei diesem Vorhaben stützt er sich
außer auf die Arbeiten seines Lehrers Leipoldt besonders auf Hcus-
sis bekanntes Buch über den „Ursprung des Mönchtums" (1936), das
er durch eine Analyse 1er Motive ergänzen will.

Er gliedert den überreichen Stoff in zwei Sinnabschnitte, indem er
zunächst „Die Motive der asketischen Lebenshaltung in der alten
Kirche" untersucht (S. 5-79). Als solche behandelt er nacheinander:
Nachfolge und Imitatio Christi, die Askese in der Erwartung des
Endes, die Antizipation der zukünftigen Welt durch Askese (besonders
de vita angelica), die Wiedergewinnung des Paradieses und
der Gottebenbildlichkeit durch Askese, Verheißung und Verdienst,
den Asketen als Pneumatophorus, das soziale Motiv. Ein kürzerer
zweiterTeil erörtert„Die Motivierung der asketischen Lebensformen
im anachoretischen und koinobitischen Mönchtum" (S. 81-107). Er
beginnt mit der Anachorese, es schließen sich an die Wanderaskese,
die stabilitas loci, die Handarbeit, während die Behandlung des
Koinobions und seiner besonderen Fragen den Abschluß bildet.
Dabei begnügt sich der Verf. nicht mit der Durchmusterung des
griechisch überlieferten Quellcnmaterials, sondern zieht auch das
syrische in den Kreis seiner Untersuchungen und richtet seinen
Blick auf die besonderen ägyptischen Verhältnisse.

Das Buch ist, jedenfalls in seinem ersten Teil, so angelegt, daß
für jedes einzelne Motiv eine bestimmte Anzahl von Zeugen in der
gleichen Reihenfolge abgehört werden, beginnend mit Jesus und
der Ntl. Verkündigung und endend mit Antonius und Pachomius
und den Apophethegmata. Da sich dieses Verfahren ständig wiederholt
und man immer von vorn anfängt, so gestaltet sich die Lektüre
nicht nur, etwas monoton, sondern der behandelte Stoff wird
atomisiert, so daß man letztlich nur Teile in der Hand behält, während
aufschlußreiche Querverbindungen so gut wie ganz fehlen.
Es ist sicher auch nicht zufällig, daß ein „Schluß", der eine weiterführende
Zusammenschau der erzielten Resultate hätte geben können
, nicht geschrieben ist, sondern die Darstellung bei Basilius
ziemlich unvermittelt abbricht. Es liegt doch auch nicht so, daß die
bisherige Forschung die Motivierung der Askese übersehen hätte
Man braucht nur flüchtig etwa die einschlägigen Partien in K. Mül
lers Kirchengeschichte zu lesen, um zu erkennen, daß dies nicht der
Fall gewesen ist. Das Verdienst des Vfs. besteht vielmehr darin,
daf; er das hier und da verstreut Auftauchende zusammengestellt
und damit dessen Eedcutung unterstrichen hat.

Natürlich ist es ausgeschlossen, da5 der Verf. ein so umfängliches
Quellenmaterial auf Grund eigenen Studiums kennt. Er ist vielmehr
darauf angewiesen, in manchen Partien sein Wissen aus zweiter
Hand zu beziehen. Zunächst fällt der Nachdruck auf, der auf das