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Ausgabe:

1969

Spalte:

653-655

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Wort und Gemeinde 1969

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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653

. -iL-

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 9

654

[Thurneysen, Eduard:] Wort und Gemeinde. Probleme und
Aufgaben der Praktischen Theologie. Eduard Thurneysen zum
80. Geburtstag, hrsg. v. R. Bohren und M. Geiger. Zürich:
EVZ-Verlag 11968]. 528 S., 1 Porträt gr. 8°. Lw. DM48,-.
Vor zehn Jahren wurde dem Jubilar die Festschrift «Gottesdienst
- Menschendienst gewidmet, die durch den Briefwechsel
Barth - Thurneysen einen intimen Charakter erhielt. 1968 befindet
sich K. Barth nicht mehr unter den 37 Autoren, deren Beiträge
nicht wie 1958 nur aus dem deutschen Sprachraum, sondern auch
aus Japan und Amerika, Italien und Frankreich kommen. Rudolf
Bohren, der gemeinsam mit Max Geiger den in jeder Hinsicht
vielseitigen Band herausgab, leitet ihn mit dem „Versuch
einer Porträtskizze" ein. Es folgen im ersten Hauptteil Predigten
von Jean-Jaques von A 11 m e n, Helmut G o 11 w i t z e r, Eberhard
J Ü n g e 1, Martin Rohkrämer und Max Geiger. Die
iolgenden Beiträge sind nach den Gesichtspunkten „Praktische
Theologie (= P. Th.) im Horizont der Geschichte" (vier Aufsätze),
„P. Th. im Horizont der Gegenwart" (neunzehn Aufsätze) und
„P. Th. im Horizont der Zukunft" (neun Aufsätze) geordnet. Für
die Besprechung sei eine Ordnung nach den Disziplinen der P. Th.
bevorzugt.

Zwei Beiträge gelten dem Selbstverständnis der P. Th. Tsuneaki
Kato bestimmt „die Perspektive der P. Th." als die der Kirchen-
reform (S. 379-394). Die radikale Missionstheologie modifizierend
versteht er die P. Th. als „eine Theologie der Experimente in einer
bestimmten Perspektive". Rudolf Bohren möchte die P. Th. aus
ihren Aporien fuhren, indem er sie pneumatologisch begründet
und ihr vier „Zukunftsperspektiven" gibt: 1. Sie muß die Wirklichkeit
der Kirche mit einer „Prise prophetischen Salzes" einsichtig
machen. 2. Sie muß sich als Theologie für den ganzen Laos Gottes
verstehen. 3. Entsprechend der- Gliederung des Amtes in eine Vielzahl
von Diensten ist das Theologiestudium für Prediger, Seelsorger
usw. zu differenzieren. 4. Die P. Th. hat der Kirche und
vielleicht auch der Theologie in prophetischem Charakter zur Zukunft
zu verhelfen. Hier wüßte der Leser gern, welche Methoden
es gibt, pneumatologisch eine wissenschaftliche Prognostik kirchlichen
Handelns zu entwerfen.

Grundfragen des Pfarramtes und der Gemeinde sind das Thema
mehrerer Beiträge. Uber „les structures de la communaute mis-
sionaire" handelt ein Entwurf, den Georges C a s a 1 i s dem Zen-
tralausschufj des Weltrates der Kirchen vorlegte (S. 427-436). „Die
Kirche ist zuerst für die da, die nicht in ihr sind" - dieser Satz
ist programmatisch. Der Kirche wird keine andere Tagesordnung
als die der Welt zugebilligt, da die Verkündigung der Sündenvergebung
untrennbar mit der Errichtung einer menschlicheren
Welt verbunden ist. Anders setzen Jean Louis L e u b a (La Crise
du Pastorat est une Crise de la Predication, S. 171-182) und der
Waldenserpfarrer Paolo Ricca (Verso una chiesa senza pastori?
S. 451-459) die Akzente. Sie betonen die Unentbehrlichkeit und den
Vorrang des Dienstes am Wort, da die Kirche, ehe sie „Kirche für
andere" sein kann, „Kirche für das Wort" sein muß. - Heinrich
Ott erblickt „die Bedeutung des Studiums der systematischen
Theologie für die Ausbildung des Predigers" (S. 159-170) darin,
daß die Systematik dem Prediger hilft, für die Wahrheit des von
ihm Bezeugten einzutreten, negativ gesagt: daß sie ihn vor Gedankenlosigkeit
bewahrt. Ott wünscht, die systematisch-homiletische
Ausbildung sollte im ersten Semester beginnen und das ganze
Studium begleiten. Als Lehrmethode wird die Verbindung von Vorlesung
und Seminar empfohlen und die Neugewinnung der dialogischen
Lehrform gefordert. „Gedanken zum Konzilsdekret über
die Priestererziehung" und damit auch Fragen an die Ausbildung
der evangelischen Pfarrer äußert Andreas Lindt (S. 437-450).
Der katholische Pastoraltheologe Alois Müller will dem Widerspruch
zwischen der vom Konzil betonten priesterlichen Würde
des ganzen Gottcsvolkes und der faktischen volkskirchlichen Situation
durch eine „Kirche in Stufen" und eine entsprechende
Seelsorge begegnen. Das alte Problem der ecclesiola in ecclesia
wird hier neu akut. Besonders beachtlich ist, dafj M. die „Randchristen
" - „ungeachtet eines bedeutungslos gewordenen Taufzeugnisses
von früher" (!) - in ökumenischer Zusammenarbeit ansprechen
will, da die Lehrunterschiede für sie gegenstandslos sind.
Kämen die Angesprochenen zu bewußter Kirchlichkeit, müßte das
weitere Vorgehen nicht von vordergründigen Konfessionsinteressen
, sondern „einzig von der Achtung vor dem Gewissen des Angesprochenen
, der seinen Weg zu Christus finden muß" (S. 357),

bestimmt sein. Ob die Kongregation für die Glaubenslehre damit
einverstanden ist? - Kurt Stalder von der christkatholisch-
theologischen Fakultät Bern definiert „die Erneuerung der Kirche
nach dem Neuen Testament' (S. 409-426) als das Bekunden ihres
Neu-Seins. Kritik an der Kirche von einem Standpunkt außerhalb
ihrer ist uns verwehrt, da wir von der Kirche nicht reden können,
ohne von uns zu reden, und von uns nicht, ohne von der Kirche zu
reden.

Ein großer Teil der Aufsätze wendet sich Fragen der Homiletik
zu. Kurt Marti vergleicht die Entstehung einer Predigt mit der
eines Gedichtes und leitet daraus u. a. die Folgerung ab, der Prediger
müsse subjekive Aussagen wagen, die deutlich als solche
erkennbar sind. „In der Mitteilung des Zeugen teilt dieser nicht
primär, wohl aber sekundär sich selber mit. Tut er das nicht, so
wird aus dem Zeugen ein bloßer Rollensprecher" (Wie entsteht
eine Predigt? Wie entsteht ein Gedicht? S. 183-198). Robert Leuen-
b e r g e r untersucht das Verhältnis von „Intellektualität und Erfahrung
" (S. 199-211) in seiner Bedeutung für die Predigt. „Gefährdet
die neue Sprachphilosophie die klassische Homiletik?"
tragt Dietrich R i t s c h 1 (S. 212-225), wobei er die unter dem Einfluß
von Barth und Thurneysen aufgeblühte Homiletik meint. Zwei
Thesen von R. seien mitgeteilt: 1. „Daß die kontinental-europäische
Sprachphilosophie ... als nützlich und der Hermeneutik förderlich
angesehen werden könnte, ist nahezu undenkbar" (S. 219). 2. Ock-
hams Verknüpfung von Sprachphilosophie und theologischem Denken
ist viel tiefgründiger und verantwortlicher als die entsprechenden
Bemühungen im 20. Jahrhundert. - Walter N e i d h a r t sucht
positiv zu interpretieren, daß „die Rolle des Pfarrers beim Begräbnis
" (S. 226-235) weitgehend die des Zeremonienmeisters ist:
der Pfarrer ist zunächst Funktionär des Brauchtums und soll diese
Rolle bejahen. Das Bemühen, bei der Beerdigung das Evangeliuni
„an den Mann zu bringen", verwirft N. als einen „üblen Trick".
Hier fällt es dem Rez. schwer, auf Polemik zu verzichten. „Ohnmacht
und Vollmacht des Predigers" beleuchtet Mathias R i s s i
in einer Analyse von 2. Kor. 4,7-12 und 1,3-11 (S. 236-252), während
Hans Rudolf Müller-Schwefe in einer kritischen Würdigung
der geistlichen Rhetorik Kierkegaards „von der Schwierigkeit
, die Wahrheit zu sagen", d. h. zu predigen, handelt (S. 104
bis 118). Historische Beiträge zur Homiletik liefern ferner Hans-
Joachim Kraus, der das Verständnis des „Charisma propheti-
kon" bei Zwingli und Calvin mit Berücksichtigung Luthers untersucht
(S. 80-103); sodann Johannes Dürr mit einer Würdigung
von „Albert Schädelin in der Sicht des Schülers und Nachfolgers
" (S. 119-128). Vom Ringen um das Erbe der Reformation und
Barths in der gegenwärtigen Verkündigung zeugen die Beiträge
von Martin Fischer und Hellmut T r a u b sowie Walter L ü t h i s
vor der Bekenntnisbewegung gehaltener eindrucksvoller Vortrag.

Dem Lebenswerk des Jubilars entspricht es, daß neben der Homiletik
besonders die Seelsorge berücksichtigt wird. Manfred
S e i t z befürwortet eine „exemplarische Seelsorge" und erläutert sie
an einer kurzen Falldarstellung (S. 289-300). Gaetano B e n e d e 11 i
strahlt unter der Überschrift „Psychotheraphie und Seelsorge"
drei Themenkreise an: die psychologische Behandlung bei Schizophrenen
, die Bedeutung der mitmenschlichen Beziehung für die
wissenschaftliche Erkenntnis vom Menschen und die psychiatrische
Entwicklung der Humangenetik (S. 301-312). Hans Ruedi Weber
modifiziert Thurneysens „Seelsorge als Exorzismus" im sozialethischen
Horizont (P. Th„ Exorzismus und der Sieg Christi über die
Mächte und Gewalten, S. 313-324). Markus Barth plädiert dafür,
den Strafvollzug als Behütung der Straffälligen zu verstehen und
daraus Konsequenzen zu ziehen, die auch die Kirchen angehen
(Gefangene - Christen - Menschen, S. 336-351). „Vom rechten Gebrauch
der Zeit" spricht der pastoralethisch wertvolle Beitrag von
Eduard Buess. „Erotische Kunst im 20. Jahrhundert" interpretiert
Kurt L ü t h i als Frage an die Ethik der Geschlechter (S. 359
bis 376). Andre Dumas wendet, von der biblischen Anthropologie
ausgehend, seine Gedanken zur „Theologie du corps" auf das Verständnis
der Wunder und der Sakramente an (S. 253-261).

Der Liturgik widmen sich drei Beiträge. Jürgen Fangmeier
möchte die Säuglingstaufe durch einen Darbringungsakt ablösen
(Darbringung und Taufe, S. 460-481). Eberhard Busch tritt mit
beachtenswerten systematischen und praktisch-theologischen Argumenten
für die Einführung einer regelmäßigen Abendmahlsfeier
ein (Das Abendmahl als Eucharistie, S. 482-501). Aus Markus Jennys
Gedanken über „die Zukunft des evangelischen Kirchen-