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Ausgabe:

1969

Spalte:

632-634

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Mack, Rudolf

Titel/Untertitel:

Martin Buber als Ausleger des Alten Testaments 1969

Rezensent:

Mack, Rudolf

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Theologisdie Literat-urzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 8

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Nadi einem kurzen Überblick über »Die Wertung des AT in der
Umgebung B.s" im Teil I und über „Die Wertung der Bibel durch B."
im Teil II werden in dem Hauptteil der Arbeit „Das AT als Buch von
Christus" (III) jene drei Momente durch Interpretation der entsprechenden
Texte entfaltet.

Das erste Moment wird von B. direkt ausgesprochen in einer Notiz
zur Bibelarbeit „König David" vom Okt. 1935: „2. Das Alte Testament
muß von der Menschwerdung und Kreuzigung, d. h. der uns geschehenen
Offenbarung her gelesen werden. Sonst bleiben wir im jüdischen oder
heidnischen Verständnis des Alten Testamentes" (Ges.Sehr. IV, 320).
Diese Notiz erwies sich als ein wichtiger Grundsatz einmal für das Verstehen
der atl. Auslegungen B.s, sodann des AT selbst. Im Zusammenhang
mit anderen Äußerungen B.s besagt sie:

1. Es gibt für uns keinen direkten Zugang zum AT, sondern zwischen
uns und ihm steht Christus.

2. Direkter Zugang zum AT bedeutet entweder ein jüdisches Verstehen
(Verabsolutierung des Gesetzes) oder ein heidnisches (AT als
Dokument einer vergangenen und uns fremden Religion).

3. Wollen wir das AT als Wort Gottes auslegen, so muß Christus
zwischen ihm und uns stehen, weil nur er das uns unmittelbar betreffende
Wort Gottes, die uns geschehene Offenbarung ist.

4. Steht Christus zwischen uns und dem AT, so wird es zum uns
geltenden Zeugnis von der annehmenden, richtenden und erneuernden
Liebe Gottes.

Das AT von Christus her verstehen, heißt erkennen, daß es durch
Christus für uns in Geltung gesetzt wird und ihm gehört.

Die Texte, in denen es um das zweite Moment, um „Christus im
AT" (aaO, 294), geht, waren nicht leicht zu interpretieren. Als ihre
Intention stellten wir fest, daß es B. darauf ankam, daß das AT ganz
und gar Christus gehört, weil sich an ihm das ganze AT erfüllt.

Das dritte Moment findet sich vor ailem in den Briefen vom 2. Adv.
1943; 30. 4., 27. 6. und 28. 7.1944. Versteht man das NT vom AT her,
so erkennt man, daß Christus ganz und gar dem AT gehört, das keine
abgetane „religiöse .Vorstufe'" ist, sondern notwendige Voraussetzung
für eine sachgemäße Interpretation des NT. Was andere als unterchristlich
ansehen (F. Baumgärtel: Diesseitsgebundenheit; E.Hirsch: Gesetzesverkündigung
; Marcion: Gott der Rache und des Zorns), das ist nach
B. Norm und Maßstab einer sachgemäßen Auslegung des NT.

B. hat mit dem ersten und letzten Moment seines Verstehens des
AT teil an einer Interpretation der Bibel, die in der „Doppelbewegung
eines wechselseitigen Verstehens" (v. Rad, ThAT II, 387) von AT und
NT sich vollzieht und die allein der Bibel angemessen ist. Mit der vollzogenen
Erkenntnis, daß wir des AT bedürfen, um das NT sachgemäß
verstehen zu können, hat B. die umstrittene Frage nach der Berechtigung
des AT als eines Teils der christlichen Bibel beantwortet.

B.s Umgang mit dem AT kann weiter zu einem besseren Verstehen
seiner letzten theologischen Gedanken beitragen, über die Andeutung
in dem Brief vom 5. 5. 1944 hinaus. Diesem Versuch dient der letzte
Teil der Arbeit (IV): „Der Beitrag des AT für ein Verstehen der Aussagen
B.s über die .Mündige Welt'".

Diese Aussagen sind nicht von den atl. Schöpfungszeugnissen her
zu verstehen (K. H. Nebe, H. Schmidt), sondern, weil die Erkenntnis der
Mündigkeit der Welt für B. kreuzestheologische Erkenntnis ist, von der
dem Gericht Gottes an Christus am Kreuz entsprechenden atl. Gerichtsverkündigung
der Propheten her.

Die atl. Propheten verkündigten dem Volk Israel, das Gott (Subjekt
) angenommen hatte, ein ganz neuartiges Handeln Gottes, indem sie
auf die geschichtlichen Ereignisse ihrer Zeit, die das Ende der eigenstaatlichen
Existenz Israels und Judas herbeiführten, als auf Gottes Gericht
hinwiesen, das Israel erneuern soll.

Mit seinen Aussagen über die „Mündige Welt" versucht B., seiner
Welt, in der Christus Gestalt gewonnen hatte, ein ganz neuartiges
Handeln Gottes zu verkündigen, indem er auf das geschichtliche Ereignis
des Mündigwerdens, das das Ende eines religiösen Christentums bedeutet
, als Gottes gegenwärtiges Gericht hinweist, das diese Welt erneuern
soll.

Dieses Verständnis seiner Aussagen verbietet es, B. des Verfalls
an die sich emanzipierende Gesellschaft und der Verleugnung der Geschichte
zu bezichtigen (H. Schmidt). Denn B. erkennt, daß, weil der
gottverlassene Gekreuzigte die „Mündige Welt" in Anspruch nimmt,
Gott der Herr der gegenwärtigen Geschichte ist, wie er der der vergangenen
war.

Es ist notwendig, daß die umstrittenen Gedanken des Mannes, der
aus und mit dem AT lebte, aus ihm verkündigte und viel zu seinem
Verstehen beitrug, am AT gemessen werden. Allein eine sachgemäße
Konfrontation der Aussagen B.s über die „Mündige Welt" mit der Bibel
kann zu einem sachgemäßen Verstehen jener Aussagen führen.

M a c k, Rudolf: Martin Buber als Ausleger des Alten Testaments. Eine
kritische Würdigung seines bibelwissenschaftlichen Werkes im Aspekt
neuzeitlicher theologischer Exegese und Hermeneutik. Diss. Edinburgh/
Großbritannien, 1969, 2 Bände, 397 u. 437 S.

Die Arbeit liefert im 1, Teil eingehende Analysen von Bubers Werken
zur Bibelexegese (Königtum Gottes, Der Gesalbte, Der Glaube der
Propheten, Abraham der Seher, Moses, Recht und Unrecht — Deutung
einiger Psalmen) sowie von seiner zusammen mit Franz Rosenzweig
unternommenen Verdeutschung des AT. Im 2. Teil werden die hermen-
eutischen Prinzipien Bubers untersucht. Der 3. Teil faßt die Ergebnisse
zusammen.

Es lassen sich folgende charakteristische Züge von Bubers Bibelinterpretation
herausstellen:

1. In der Pentateuchexegese lehnt Buber die herkömmliche Art der
Unterscheidung von selbständigen literarischen Quellenschriften J, E
und P ab und nimmt stattdessen an, daß altes, bis an die faktischen Geschehnisse
heranreichendes Erzählungsgut von verschiedenen Tradenten-
kreisen (freie Prophetenschulen, Hofpropheten, Priester) mehr oder weniger
tendenzhaft bearbeitet wurde. Die Arbeit des Redaktors (oder der
Redaktoren), der (oder die) in freier Weise das verschieden bearbeitete
Material dann sinnvoll und bewußt zusammenfügte(n), erfährt bei Buber
größte Hochschätzung. Es zeigt sich, daß Buber mit seiner Auffassung
nicht allein steht (vgl. die Arbeiten Cassutos und Klostermanns), daß
auch manches an der üblich gewordenen Quellentheorie wieder zur Diskussion
gestellt ist, daß man jedoch ohne die Annahme einer Quellenschrift
, die auf den „Jahwisten" zurückgeht, nicht auskommt. Die Kritik
Bubers an der Quellenscheidung ist also nur mit erheblichen Einschränkungen
diskutabel.

2. Buber arbeitet traditionskritisch in einer Zeit, wo viele Exegeten
noch ausschließlich literarkritisch arbeiten. Dies ist eminent fortschrittlich
und gewiß unter dem Einfluß von H. Gunkel und H. Gressmann sowie
von A. Alt, G. von Rad und M. Noth geschehen. Trotzdem geht
Buber eigene Wege und bindet die Traditionskritik an das, was er „wissenschaftliche
Intuition" nennt. Mittels dieses intuitiven Angehens der
biblischen Texte gelangt er nicht selten zu erstaunlichen Einsichten in
die Entstehung und Wandlung bestimmter geschichtlicher Überlieferungen
. Sehr oft aber erweist die neuere Exegese aufgrund ihrer verfeinerten
Methoden, daß der überlicferungsgeschichtlichc Sachverhalt dann doch
erheblich komplexer und der zugrundeliegende Wachstumsprozeß verwickelter
ist, als Buber meint.

3. Eigentümlich ist Bubers Annahme, daß das ganze AT eine organische
Einheit bildet: Die vielerlei Stimmen der Erzähler haben die gleiche
Grundabsicht; sie alle wollen ihren Hörern einsdiärfen, daß und wie
Gott und Israel aufeinander bezogen sind. Dieses „bibelstiftcnde Bewußtsein
" klingt durch die verschiedenen (prophetischen, höfischen, priesterlichen
) Tendenzen der Stoffbearbeitung hindurch, und es zeigt sich
gleicherweise in der sinnvollen Anwendung von „Leitworten", die bewußt
Akzente setzen oder Bezüge zwischen den verschiedenen Teilen
der biblischen Schriften herstellen wollen. Die Redaktoren haben dadurch
ihr Material nicht nur verknüpft, sondern zugleich interpretiert, und
schon die frühen Erzähler haben durch solche „Leitworte" und durch
Paronomasicn eine „latente Theologie", eine Art kommentierenden Hinweises
ohne Zufügung von Glossen, in ihre Erzählung eingebracht. Buber
stellt die Leitwortbezüge immer wieder heraus; er interpretiert ihre Aussage
mit Vorsicht, aber nicht immer frei von Willkür. Weithin vermag
nur das subjektive Empfinden eine Entscheidung über den Gebrauch und
die Absicht der „Leitworte" zu treffen. Ohne das Vorhandensein solcher
Leitwortbezüge bestreiten zu wollen, muß gesagt werden, daß Buber ihre
Bedeutung überschätzt.

4. Als grundlegenden Zug, der durch das gesamte AT geht, sieht
Buber die Dialogik an, d. h. die wechselseitige Kommunikation zwischen
Gott und Mensch. Diese Erkenntnis Bubers ist wesentlich und richtig;
doch wird sie bei ihm oft überbetont, und das Dialogische erscheint als
allbeherrschendes Prinzip.

5. Mit der Dialogik hängt zusammen, daß Bubcr das Wesen der
Prophetie im Ruf zur Umkehr, im Stellen des Menschen vor die Alternative
sieht. Die Verkündigung des vergangenen und künftigen Heilshandelns
Gottes bleibt fast ganz außer Betracht; die Apokalyptik wird
als „undialogisch" und „alternativelos" abgewertet. Die prophetische
Existenz als Herausgerufensein und als Begegnung mit dem sich offenbarenden
Gott sieht Bubcr als eine urtümliche und exemplarische Existenz
an, die sich bereits in Abraham verkörpert und von da an in Israels
Geschichte immer wieder in Erscheinung tritt. Der wahre Glaube Israel»
ist darum „prophetischer Glaube". Der Begriff „Prophet, prophetisch"
erfährt damit eine innerhalb der alttcstamcntlichcn Theologie und
Religionsgeschichte sonst nicht übliche Ausweitung.

6. Nicht nur das Wesen des Prophetischen, sondern auch das Wesen
der göttlichen Führung und Herrschaft ist auf die Dialogik bezogen.
„Theokratie" und „Theopolitik" spielen bei Buber eine wichtige Rolle. Abgesehen
davon, daß es Bubcr — wie sich zeigen läßt — nicht gelungen ist,