Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1969

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

619

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 8

620

die bei der Christologie als der Mitte der Schrift und dem Kriterium
der Auslegung einsetzt: „Die Schrift nennt die Tatsache der
Inkarnation; sie bringt deren Bedeutung für die Menschheit zum
Ausdruck. Aber sie begründet nicht die Bedingungen und Möglichkeiten
dieser Tatsache" (15). Dieser Satz richtet sich zunächst
gegen den abstrakten Selbstzweck metaphysischer Spekulationen
. Er dürfte aber, wie im folgenden deutlich wird, ebenso
im Blick auf historisch-kritische Spekulationen gelten, wo in ähnlicher
Weise die konstitutive Beziehung auf das biblische Christuszeugnis
verloren gehen kann.

Freilich muß bei diesem Ansatz ein mindestens vorläufiger
Vorbehalt angemeldet werden, da die begründende Funktion des
Ostergeschehens bzw. -kerygmas hier noch nicht zur Sprache
kommt. Denn diese Lücke belastet schon die verschiedenen Auseinandersetzungen
mit R. Bultmann und seiner Schule (97 ff.,
189 ff, 253 f. u. ö.), wo ja die von D. kritisierte anthropologische
Reduktion des Kerygmas gerade in dem Wort von Kreuz und
Auferstehung ihr Recht und ihre Grenze findet. Abgesehen von
einigen theologiegeschichtlichen Verzeichnungen — wenn z. B.
S. 97 Schleiermacher irrtümlich als Vertreter einer historisierenden
Leben-Jesu-Forschung dargestellt wird — bleibt damit auch die
besondere christologische Motivation der neueren Exegese unerkannt
, bes. auch im Blick auf den Streit um die historische Möglichkeit
und theologische Notwendigkeit einer Rückfrage hinter
das Kerygma nach dem „historischen Jesus".

Thematisch werden jedoch in den beiden Abschnitten des
Buches die zwei Hauptkomplexe aus der Diskussion um die neu-
testamentliche Christologie aufgenommen, nämlich die Frage nach
der „Geschichte" Jesu unter dem traditionellen Stichwort der
„mysteria vitae Christi" und die Frage der christologischen Prädikationen
. Dabei wird durchgehend die Gottessohnschaft Jesu im
Sinne eines messianischen Selbstbewußtseins und einer Selbstbezeugung
vorausgesetzt, d. h. die historische Verankerung des
christologischen Prinzips in der menschlichen Existenz Jesu. Nach
diesem Prinzip werden dann im ersten Teil die Kindheitsgeschichten
, die Verkündigung und das Verhalten Jesu auf einer Linie
interpretiert, zugleich aber auch gegen verabsolutierende Fehlinterpretationen
wie z. B. einer selbständigen Mariologie (45)
abgegrenzt.

Entsprechend wird in dem zweiten Hauptteil verfahren, der
in seiner exegetischen Grundlage weithin an O. Cullmanns Christologie
des Neuen Testaments orientiert ist. Die verschiedenen
Prädikationen erscheinen nicht als Ausdruck traditionsgeschichtlicher
christologischer Typen, sondern in systematischer Zuordnung
als Leitbegriffe bestimmter christologischer Aspekte und
Sachverhalte, die in die Richtung einer Lehre von den munera
Christi weisen. Dies wird in fünf Abschnitten unter den Stichworten
Prophet, Knecht, Mittler, Logos und Gottessohn durchgeführt
, wozu jeweils noch dogmengeschichtliche Einzelfragen mit
dem biblischen Befund konfrontiert werden.

Von besonderem Interesse ist dabei die Fortführung der Diskussion
um die scientia und conscientia Christi (139 ff., 188 ff.,
326 ff.), ein Punkt, in dem sich von verschiedenen Seiten her die
Aporien der Zweinaturenlehre und der historisch-kritischen Exegese
treffen, insofern es jeweils um das ,vere homo' geht. Innerhalb
der römisch-katholischen Theologie bedeutet dies einen Rückgriff
auf die Kritik von Hermann Schell an der christologischen Scholastik
, auf deren berechtigte Anliegen neuerdings mehrfach hingewiesen
worden ist, zumal mit der damaligen Verurteilung des
Modernismus die dogmatische Sachfrage nicht entschieden worden
sei.

Wie Schell unterscheidet auch D. zwischen dem Wissen Jesu
in der Geschichtsbedingtheit eines dynamischen Persönlichkeitsverständnisses
einerseits und dem Person und Amt begründenden
Selbstbewußtsein. In der Deutung des Selbstbewußtseins folgt D.
alsdann Karl Rahners Unterscheidung zwischen einem subjektiven
und einem objektiven Pol, eine These, die darauf abzielt, die
Zweinaturenlehre mit dem Persönlichkeitsverständnis zu verbinden
.

Rein spekulativ mag diese These befriedigen; aber sie bleibt
letztlich doch im Rahmen des dogmatischen Apriorismus, für den
sie zweifellos eine kritische Korrektur zur Wahrung des ,vere
homo' bedeutet. Unbefriedigend bleibt sie aber allein deshalb,

weil in der römisch-katholischen Theologie bisher noch immer
das form- und traditionsgeschichtliche Problem des Selbstbewußtseins
Jesu, wie es sich vor allem nach William Wrede stellt, ausgeklammert
worden ist. Denn unreflektiert bleibt dann der Dcnk-
vollzug und Bekenntnisakt der nachösterlichen Gemeinde, die den
Gekreuzigten als ihren lebendigen Herrn verkündet. Unbefriedigend
bleibt diese These aber auch dann, wenn die Zweinaturenlehre
aus der Trinitätslehre bewußt oder unbewußt herausgelöst
wird.

In den diesen Band abschließenden Schlußfolgerungen hat D.
in einer sehr sachlichen Kritik an der Tod-Gottes-Theologie auf
die bedenklichen Konsequenzen einer anthropologischen Reduktion
der Christologie verwiesen. Es ist vollauf berechtigt, wenn
dazu mit der Grundthese des Buches wiederum betont wird, daß
die Hoheitsaussagen bzw. die „transzendenten Perspektiven" in
der Christologie nach dem biblischen Befund in dem Menschsein
und in der Geschichtlichkeit einsetzen und daran gebunden bleiben
müssen. Aber gerade wenn man selbst die Einseitigkeit einer
auf die Verstehensfrage reduzierten Theologie sieht, wird man
die Berechtigung der darin gegenüber einem dogmatischen Apriorismus
aufgeworfenen Einwände vertreten müssen. So gewiß das
Bekenntnis im Vollzug des Glaubens nicht das Sein der Person
konstituiert, darf doch nicht die Lehre von der Person Jesu Christi
und ihrem Werk aus diesem geschichtlichen Vollzug des Bekennens
heraustreten. Freilich bleibt abzuwarten, ob und wie diese
historisch und daher auch systematisch im Ostergeschehen begründete
Verbindung von Person Jesu Christi und Bekenntnis
der Gemeinde im dritten Teil der Christologie behandelt wird.

Muri b. Bern Reinhard SIenczka'

Ramsey, Arthur Michael: Geistlich und weltlich. Eine Studie über die
jenseitigen und diesseitigen Aspekte des Christentums, übers, von
M.Zimmerer. Frankfurt/M.: Knecht [1968]. 108 S. 8°. Lw. DM 8.30.

Der Erzbischof von Canterbury veröffentlicht hier seine
„Holland-Vorlesungen" (Vorlesungsreihen zum Gedenken an
Leben und Werk von Henry Scott Holland) aus dem Jahre 1964.
Angesichts des auch von ihm bejahten starken Verlangens, „den
christlichen Glauben und die moderne Welt enger miteinander zu
verknüpfen", richtet er ein Warnzeichen auf, Worte wie „übernatürlich
und jenseitig" nicht als unangebracht abzutun (S. 10).
Er behandelt nacheinander in fünf Kapiteln die Themen: „Das
Paradox des Christentums", das darin besteht, daß sich in ihm
Weltannahme und Weltverzicht vereinen (S. 18), „Zwei Welten
sind unser" (Askese und Humanismus sind zwei Seiten des christlichen
Lebensweges, S. 36), „Mystik" (Kontemplation und Aktion
gehören beide zum Leben der christlichen Gemeinschaft in der
Welt. Zu einem kontemplativen Leben Berufene und im aktiven
Dienst ihren Brüdern Dienende bilden zusammen „die Ganzheit
des Christentums in der Welt", S. 62), „Religionsloses Christentum
" als Anfrage an uns beachtlich, aber als These falsch: „Religion
ist der notwendige Begleiter im Dasein der Kirche" (S. 77),
„Der Christ und die irdische Welt": das Besondere, das man von
den Christen in der Welt erwartet, ist dreierlei, „die Ehrfurcht
vor dem Menschen", „eine Art himmlischer Heiterkeit, die imstande
ist, dem Leiden seinen Stachel zu nehmen", „die Demut
eines Menschen, der die Gegenwart Gottes wirklich erfahren hat"
(S. 99). R. schließt mit einem Epilog, der die Aufforderung enthält
, um Berufungen zu beten, „die die andere Welt im Blick haben,
aber sich mitten ins Getriebe dieser Welt begeben" (S. 106).

Auffällig ist, daß R. den Hebräerbrief als Paulinisch zitiert
(S. 19.46); oder liegt hier eine bewußte Anpassung an das römischkatholische
Dogma vor?

Halle (Saale) Erdmann Schott

B 1 a i k i e, R. J.: ,The Supranatural' in Reformed Theology (SJTh 20,

1967 S. 165—182).
Dewailly, L.-M.: „La Parole parlait ä Dieu"? (RThPh 100, 1967

S. 123—128).

E1 1 e r, Hugh: The Unique Character and the Foundation of Joseph
Defever's Real Proof for God (Augustiniana 29, 1969 S. 105—136).

Fangmeier, Jürgen: Der Theologe Karl Barth. Zeugnis vom freien
Gott und freien Menschen. Mit einem Bild, Kurzbiographie und Bibliographie
. Basel: F.Reinhardt [1969]. 70 S. 1 Porträt, kl. 8°. Kart.
DM 4.80.