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Ausgabe:

1969

Spalte:

39-40

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bauer, Walter

Titel/Untertitel:

Aufsätze und kleine Schriften 1969

Rezensent:

Schille, Gottfried

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Seite 1

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Das Buch gipfelt in der abschließenden Interpretation von Rom.
5,12-21. Grundlegend sind für Schunacks Auslegung zwei Thesen:
1. Der Tod wird durch das Gesetz, das dazwischen hineingekommen
ist, (negativ) eschatologisch qualifiziert; das Gesetz wird alsc
vom Glauben hermeneutisch in Brauch genommen, um die Entsprechung
zwischen Adam und Christus herzustellen. Diese These,
die im wesentlichen in Anschluß an E. JüngeF formuliert ist, dünkt
mich exegetisch problematisch: Es ist nicht recht einzusehen, wieso
Paulus dann gerade thetisch von der Zeit zwischen Adam und Mose
spricht (V. 13f.), also gerade von jener Zeit, wo die Entsprechung
eigentlich noch nicht in Kraft war. Außerdem gerät Schunack in
Schwierigkeiten mit der Deutung von nape icrna.0ev V. 20, das er nur
mit einem Verweis auf die (im einzelnen nicht nachgewiesene)
mythologische Konzeption, die unserm Text zugrunde liege, also
etwa einen Scphiamythos, erklären kann (260). Überzeugend ist
dagegen seine Schlußthese: Die Entsprechung zwischen Adam und
Christus besagt, daß Gott gegenüber dem (m. E. bereits von der
jüdisch-apokalyptischen Tradition her eschatologisch qualifizierten)
Tod genau dort das Wort nahm, wo der Tod den Menschen zum
Verstummen brachte. Der Tod Jesu, in dem Gottes Leben zu Wort
kommt, ist also als mors mortis bzw. mors peccati zu verstehen
(274), ja „durch Jesu Tod ist der Tod zu dem die Herrlichkeit und
Macht Gottes rühmenden Prädikat Gottes geworden, da in diesem
Prädikat Gott als Gott erscheint" (284). Damit macht S. seine
Ankündigung wahr, einen Beitrag zur paulinischcn Christologie
leisten zu wollen. Dieses Ziel hat das Buch sicher erreicht; das kon
sequente Denken von der Sprache als Seinsweise des Wirklichen
her schenkt überdies oft unkonventionelle, treffende Formulierun
gen und ein tieferes Verständnis der Texte.

Männedorf/Zürich Ulrich L n z

') E. Jüngel, ZThK 60 (1963) 52ff.

Bauer, Walter: Aufsätze und kleine Schriften, hrsg. v. G. S t r e k -
ker. Tübingen: Mohr 1967. XI, 341 S. 8°. DM44,-; Lw.
DM49,-.

Nachdem er bereits die neue Ausgabe von B.s Rechtgläubigkeil
und Ketzerei besorgt hatte (dazu Hans-Dietrich Altendorf in ThLZ
91/1966, Sp. 192 ff.), setzt G. Strecker die dankenswerte Aufgabe der
Herausgabe wissenschaftsgeschichtlich wertvoller Werke mit dem
vorliegenden Bande fort. Dieser enthält neben knappen Aufsätzen
(z. B. Erläuterungen zum genannten Buch, S. 229-233) auch umfänglichere
Arbeiten wie die Dissertation Mündige und Unmündige bei
dem Apostel Paulus (S. 122-154) oder Der Wortgottesdienst der äl-
iesten Christen (S. 155-209). Es handelt sich im ganzen um zwölf
Beiträge, die zum Teil aus Anlaß bestimmter Jubiläen entstanden
waren. B. gehört offensichtlich nicht zu den Forschern, die ihren
Beitrag in kleinste Aufsätze zu zersplittern genötigt waren. Insgesamt
wird ein Zeitraum von über fünfzig Jahren (1902-1955) umspannt
.

Die Zurückhaltung B.s gegenüber theologischen Fragestellungen
ist bekannt. Wo er sie gelegentlich (noch) nicht übt wie in seiner
Dissertation, ist seine Position deutlich überholt. Paulus spreche im
1. Kor. die Adressaten gleichzeitig im Ideal als Mündige und mit
Berücksichtigung tatsächlicher Erfahrung als „Jünglinge der Erkenntnis
" oder „Knaben" (S. 150) an. Seine „ideale Theorie" (S. 151;
auf S. 248 gilt ähnlich die Feindesliebe als „Ideal") habe er vor
Damaskus gewonnen, wo ihm das Alte verging und ein völlig
Neues wurde (so S. 133 zu 2. Kor. 5,17). Die tägliche Neu-
werdung meine „eine stete Steigerung der inneren Kräfte des
Menschen" (S. 136), eine stufenweise Entwicklung nach oben hin
(S. 137). Auf. S. 147 deutet B. anakainüsthai nicht als ständiges
Von-vorn-Anfangen, sondern als nie „Fertig-kainön-Sein". Diese
Erfahrungstheologie darf heute als überholt gelten. Hier wird das
Moment der vorpaulinischen Tauftheologie übersehen, welche
die scheinbare Damaskuserfahrung in Wirklichkeit als paradoxe
Verkündigung begründet hat. Wir verdanken der von B. positiv
gewürdigten, aber nicht mehr methodisch berücksichtigten formgeschichtlichen
Forschung die Erkenntnis des vorpaulinischen
Elementes, die über B.s Position hinausgeführt hat. B. dürfte
durch seine strengere Bescheidung auf den sprachgeschichtlichen
Bereich seine jüngere theologische Stellungnahme zu älteren An-

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schauungen bekundet haben. In diesen Bereich würde ich auch
die völkischen Töne einordnen, die bei mehreren Beiträgen den
formalen Rahmen kennzeichnen.

Ungeachtet solcher kritischer Anmerkungen ist Walter Bauer
einer aus jener großen älteren Generation von Gelehrten....
zu der wir Jüngeren . . . nur mit tiefem Respekt. . . emporschauen"
(aus der Traueransprache von W. Zimmerli 1961, Vorwort S. III).
Es ist sicher kein Zufall, daß der Band mit einem Artikel aus
Pauly-Wissowas Realencyklopädie der class. Altertumswissenschaft
(Essener, S. 1-59) beginnt und mit einer Würdigung Heinrich
Julius Holtzmanns (S. 285-341) schließt, des Altmeisters neutesta-
nientlicher Philologie im vorigen Jh. (worin besonders die Worte
S. 317 und 327 f. über die rücksichtsvolle Behandlung anderer durch
Holtzmann beherzigenswert sind). Die Stärke B.s lag zweifellos auf
dem philologischen Sektor. Ob man die Dissertation von 1902 oder
jüngste Beiträge nimmt (Zur Einführung in das Wörterbuch zum
Neuen Testament, S. 61-90; Der Palmesel, S. 109-121) oder ob
man die drei auslegungsgeschichtlichen Beiträge zum Gebot der
Feindesliebe (S. 235 ff.), zur Selbstverschneidung (S. 253 ff.) und zu
Rom. 13,1 (S. 263-284) befragt, das Bleibende an diesen Beiträgen
und damit des vorliegenden Buches liegt in den sprachwissenschaftlichen
Erkenntnissen. B. möchte zum Beispiel den Psalm„esel" in der
von Sacharja noch unabhängigen Fassung der Perikope bei Markus
(und Lukas) dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechend als
Pferd aufgefaßt wissen oder, um ein weiteres Beispiel herauszugreifen
, teleios bei Paulus nicht im mysterienhaften Sinne — „ge
weiht", sondern im Sinne der Mündigkeit = „reif".

Für die Arbeitsweise B.s am lehrreichsten erscheint mir der Essener
-Artikel, weil die Qumran-Funde die älteren Aufstellungen in
neues Licht gerückt haben. B.s Arbeit läuft auf die scharfe War
nung hinaus, die einschlägigen Quellen über den Essenismus als
direkte Zeugnisse auszuwerten. „Die Erkenntnis, daß wir auf einem
Boden stehen, dessen Tragfähigkeit noch wenig erforscht ist und
der keineswegs übermäßig vertrauenerweckend aussieht, (muß) zu
dem Urteil führen, daß wir den Tatbestand bezüglich der E(ssener)
durchaus nicht mehr mit großer Sicherheit zu ermitteln imstande
sind" (S. 44). Mögen die kritischen Fragen bisweilen über ihr Ziel
hinausschießen (etwa im Punkt des „Gesetzgebers", der jüdischen
Art, der Straf- oder der Gemeinschaftsfcrmen - hierbei ist besonders
unglücklich die Kritik der Ordensform zugunsten Kasino
ähnlichen Gemeinschaftsessens S. 51), so ist das mit meisterhafter
Kenntnis des antiken Materials erarbeitete Ergebnis doch über
zeugend, daß die historiographischen Darstellungen über die Essener
im zeitgenössischen Schriftum im allgemeinen über die Idealschilderung
eines interessanten, aber keinesweg genauer bekannten
Völkchens nicht hinausgehen. Gar „die Beziehungen Jesu zu den
E. gehören nicht in eine Geschichte des Essenertums, sondern in
eine Geschichte der unentschuldbaren wissenschaftlichen Irrtümer'
(S. 58).

B, trägt auch auf anderen Gebieten zum Abbau falscher oder
unglücklicher Vorstellungen bei. Im Beitrag Jesus der Galiläer
(S. 91-109) erscheint Galiläa als bestenfalls halbjüdisches Außengebiet
mit ausgesprochen hohem heidnischem Bevölkerungsanteil.
Daß Jesus daher erst in Jerusalem in Auseinandersetzungen mit
dem Pharisäismus geriet (S. 104f.), halte ich allerdings nicht für
schlüssig. Ähnlich stößt ein noch unveröffentlichter Beitrag Die
Severus-Vita des Zacharias Rhetor (S. 210-228) durch die bewußt
legendarische Vernebelung der Ereignisse im Stil des Heiligen-
Lebens bis auf das historisch Wahrscheinliche durch. Die Arbeit
zum Wortgottesdienst dient neben der sachlich-sprachlichen Erschließung
der Begriffe auf dem Hintergrund antiker Anschauungen
vor allem dem Abbau der Hypothesen, schon der urchrisN
üche Gottesdienst habe sich an den Synagogendienst angelehnt und
eine Verlesung alttestamentlicher Predigttexte gekannt. Hier finden
wir auch die Hinweise, daß man von dem urchristlichen Gottesdienst
besser nicht reden sollte und daß die Abfolge der Handlun
gen fließend gedacht werden müßten.

Der Druck ist bei der Vielzahl verwendeter griechischer Lettern
vorzüglich. Korrigenda: S. 119 Z. 16v.u. steht versehentlich zwei
mal die Letter beth für nun; S. 125 Z. 7 v. u. lies telümenos. - Ist
die ganz einmalige Abkürzung „bish." auf S. 139 nötig, auch wenn
sie in der Erstveröffentlichung stand?

Borsdorf/Lfipzig Gottfried S c h i 1 1 e

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 1