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1969

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 8

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bei Zwingli und Augustin, die auf einer knappen Seite erfolgt und durch
lediglich ein Augustinzitat die Problematik nur ungenügend erhellen
kann (S. 140).

Der Grundthcse vom Spiritualismus Zwingiis gilt bis zur
letzten Seite das Hauptinteresse des Verf.s. Man wird ihm zugeben
müssen, daß ganz allgemein hinsichtlich des reformatorischen
Spiritualismus, insbesondere des zwinglischen, klarer
differenziert werden muß als es Luther getan hat, aber das erübrigt
m. E. nicht die Frage, ob der Wittenberger Reformator
nicht doch in allen Spiritualismen — einschließlich des Denkens
Zwingiis — eine einzige große und falsche Grundtendenz berechtigterweise
hindurchspürt, nämlich einen Geistbegriff, der nicht
mehr hart und klar am äußeren Wort orientiert ist.

Was eingangs behauptet war, steht auch weiterhin im Vordergrund:
„Zwingli hatte einen anderen Glauben als Luther" (S. 144). „Weil Zwingli
im Glauben und nicht im Wort, Luther aber im Wort und nicht im Glauben
die Sache selbst zu besitzen meinen, deshalb sind sie geschiedene
Leute. An dieser Stelle trennen sidi die Wege der beiden Reformatoren.
Der eine scheint in Mystik und theologia gloriae zu führen, der andere
führt in Anfechtung und theologia crucis. Die Wegmarken lassen unerbittlich
die Gegensätze erkennen: Für Zwingli ist der Glaube Gerechtigkeit
, Frömmigkeit, Religion und Verehrung des höchsten Gottes . . .
Für Luther ist das Leben auf dieser Welt nicht Frömmigkeit, sondern
fromm Werden, nicht Gesundheit — wie bei Zwingli —, sondern ein
gesund Werden, eben überhaupt schlechterdings nicht ein Wesen, sondern
ein Werden, noch nicht getan und geschehen — aber im Gang und
Schwank" (S. 145 f.).

Gestrich geht schließlich den radikalen ethischen Forderungen
Zwingiis nach, die sich aus dem „ist" der Glaubensgerechtigkeit
für Soziologie und Politik ergeben. So erscheint seine politische
Tätigkeit vom Glauben getrieben und — wie der Reformator es
verstand — gewirkt.

Berlin .lonchim R o g g e

Bakhuizen van den Brink, J. N.: Juan de Valdcs, reformateur

cn Espagne et en Italie 1529—1541. Deux etudes. Gencve: Droz 1969.

X, 118 S. kl. 8° = Etudes de Philologie et d'Histoire, 11.
B ü s s e r, Fritz: Der Prophet — Gedanken zu Zwingiis Theologie. Zwing-

liana XIII, 1969 S. 7—18.
Gavigan, J.-J.: A Ietter from Nicolas Donellan, Vicar General of the

Augustinians in Austria (Vienna, 12-8-1645) (Augustiniana 19, 1969

S. 291—320).

Kantzenbach, Friedrich Wilhelm: Auftrag und Grenze eines christlichen
Konzils in der Sidit Luthers (ThZ 23, 1967 S. 108-134).

Locher, Gottfried W.: Zwingli und Erasmus. Zwingliana XIII, 1969
S. 37—61.

L u i j k, Bcnigno A. L. van: L'Ordine agostiniano e la riforma monastica.
2: Lo svilluppo oltremontano: la Germania (Augustiniana 19, 1969
S. 14-32).

von Muralt, Leonhard: Zwingiis Reformation in der Eidgenossenschaft
. Zwingliana XIII, 1969 S. 19—33.

Rieh, Arthur: Zwingli als sozialpolitischer Denker. Zwingliana XIII,
1969 S. 67—89.

S c h e i b 1 e, Heinz [Hrsg.]: Das Widerstandsrecht als Problem der deutschen
Protestanten 1523—1546. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus
G. Mohn [1969]. 100 S. 8° = Texte zur Kirchen- u.Theologiegeschichtc,
hrsg. v. G. Ruhbach unter Mitarb. v. G. A. Benrath, H. Scheible und
K.-V. Sclge, 10. Kart. DM 10.80.

Schmidt-Clausin g, Fritz: Zwingiis Kanonversuch, eingeleitet,
übersetzt und kommentiert. Frankfurt/ Main: Lembeck 1969. 110 S.
kl. 8°. Kart. DM 4.80.

Stauffer, Richard: L'affaire d'FIuisseau. Une controversc protestante
au sujet de la rcunion des chretiens (1670—1671). Paris: Presscs
Universitaires de France 1969. V, 96 S. gr. 8° = Bibliotheque de
l'Ecole des Hautcs Etudes. Section de Sciences Religicuses, LXXVI.

Teeuwen, N.; M e i j e r, A. de: Documents pour servir ä l'histoire
de la province augustinienne de Cologne. Extraits des registres des
prieurs generaux (1507—1551) (Augustiniana 19, 1969 S. 321—341).

KIRCHEN- UND KONFESSIONSKUNDE

Fedotov, G. P.: The Russian Rcligious Mind. I: Kievan Christianity:
the Tenth to the Thirteenth Ccnturies. II: The Middle Ages: the
Thirtcenth to the Fiftccnth Ccnturies, ed., with a Foreword by J.
Meycndorff. Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1966. XVI,
431 S. u. XVI, 423 S. gr. 8°. Lw. $ 12.-. U. $ 10.-.

Fedotov faßt in diesen beiden Bänden seine zahlreichen Veröffentlichungen
(vgl. ThLZ 74, 1949, Sp. 107-108) unter dem
Gcneralthcma „Russian Religious Mind" nicht nur zusammen,
sondern bietet eine selbständige Darstellung des altrussischen

geistlichen Lebens (spiritual life). „My intention is to describe
the subjective side of religion as opposed to its objective side;
that is, opposed to the complex of organized dogmas, sacraments,
rites, liturgy, Canon Law, and so on. I am interested in man,
religicnis man, and his attitude towards God, the world, and his
fellow man . . . This wholeness of religious personality is the
invisible center out of which the main phenomena not only of
religious but of cultural life in general have their origin and
reeeive their meaning . . . I do not deny the supernatural, divine
character of Christianity as a religion of revelation. But I believc
that its realisation begins with the human response to Grace.
The history of Christianity is the history of this response; its
culture is the culture of this experience" (I, IX, X—XI). Mit diesem
„Schlüssel" zum eigentlichen Kern der altrussischen Spiritualität
möchte F. sowohl die Monotonie der orthodox-traditionalistischen
Gemeinplätze, wie das Ungenügen säkularer Forscher
gegenüber den spezifisch religiösen Phänomenen dieser Spiritualität
vermeiden. Der Verf. sieht schließlich, im Gegensatz zu zahlreichen
anderen Darstellungen, die Äußerungen des „spiritual
life" als eine Einheit an, als eine innere Kontinuität, „which
makes the unity of the Russian religious mind not a myth, but
a reality" (I, XVI). Dabei werden keineswegs vereinfachende
Übersichtsschemata gegeben, sondern die Darstellung ist aufgebaut
auf den Analysen ausführlich zitierter Quellentcxte in englischer
Übersetzung. Allerdings folgen diese Quellenanalysen nicht
immer einer quellenkritischen Methode. Vielmehr spiegeln sich
in nicht wenigen Fällen bestimmte Lieblingsvorstellungen des
Verf.s wider, deren religionsphilosophische Relevanz oft mit
Händen zu greifen ist. So wenn etwa die Ermordung von Boris
und Gleb als Ausdruck des „Russian kenoticism" (II, 94 ff.) und
des „nonresistance" gedeutet wird. Ähnliches gilt für andere
Märtyrer der russischen Kirche. Hier folgt F. ohne Zweifel und
trotz seines Widerspruches alten orthodox-traditionalistischen
Vorstellungen.

Der 1. Band breitet das vielschichtige Material in folgenden
Großabschnitten aus: The religious Background:
Kap. I: Pre-Christian Paganism, Kap. II: Religious Byzantinism;
Scholars and Saints : Kap. III: The Russian Byzantinists,
Kap. IV: Russian Kenoticism, Kap. V: Ascetic ideals, Kap. VI:
RussianEschatology; The ordinary Christian: Kap.VII:
The ritualism of the clergy, Kap. VIII: The religion of the laity:
The translated collections, Kap. IX: The religion of the laity:
The Russian admonitions, Kap. X: The ancient chroniclers,
Kap. XI: The Tale of Igor's Campaign, Kap. XII: Paganism and
Christianity; Conclusion: The Russian rcligious mind. —
Der 2. Band hat, nach einem Vorwort von J. Meyendorff, folgende
Kapitel: I. Historical background, II: Normal Christian
ethics, III: The first Russian sect, IV: The feudal world, V: The
Republic of Sophia, VI: St. Sergius of Radonesh, VII: St. Stephen
of Perm: The missionary, VIII: The Thebaid of the North, IX:
St. Nihis Sorski, X: St. Paphnutius of Borovsk, XI: St. Joseph of
Volok, XII: The holy Fools, XIII: Art and religion, XIV: The
tragedy of Old Russian Spirituality, XV: Conclusion. Eine Bibliographie
F.s, von Th. F.. Bird zusammengestellt, sowie bei beiden
Bänden ein Register schließen diese umfassende Arbeit ab.

Es ist unmöglich, auf die große Fülle von wertvollen Einzelbeobachtungen
über bestimmte Erscheinungen des altrussischen
Glaubenslebens einzugehen, die vom Verf. geboten werden. So
stellt etwa Kap. V im 2. Band eine sehr interessante Einzelstudie
über den „Herrn Groß-Nowgorod" dar. Im I.Band wäre im
Kap. VI die Darstellung der Persönlichkeit und der Gedankenwelt
Avraamij von Smolensk hervorzuheben. Für die meisten Kapitel
sprechen bereits ihre Überschriften. Zu zahlreichen Spezialproble-
incn, vor allem im 2. Band, ist auch (von Meyendorff) die sowjetische
Literatur und andere Sekundärliteratur in Auswahl herangezogen
worden, die den Leser einigermaßen über die wissenschaftliche
Diskussion auf dem Laufenden halten. Man fragt sich
allerdings oft, ob, wie etwa bei Nil Sorskij und seinem Verhältnis
zum byzantinischen Hesychasmus, auf die neueste Forschung
gerade über diesen Gegenstand genügend Rücksicht genommen
worden ist, oder ob nicht auch in diesem 'und in manchen anderen
Fällen ein traditionelles Bild nissisch-orthodoxer Forschung übernommen
und nur dem ideologischen Rahmenwerk des Verf.s eingefügt
wurde. Für besonders wertvoll halte ich Kap. III im 2. Band