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Ausgabe:

1969

Spalte:

37-39

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schunack, Gerd

Titel/Untertitel:

Das hermeneutische Problem des Todes 1969

Rezensent:

Luz, Ulrich

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 1

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(und d. h. nichts) beweisen kann. Dennoch soll die Rede weithin
getreu die Worte wiedergeben, die Jesus anläßlich des letzten Laubhüttenfestes
vor seinem Tode gesprochen hat. Überhaupt wcchseH
der Verf. fortgesetzt methodisch ungeklärt zwischen Wort Jesu und
Wort des Evangelisten in seiner Erklärung. Z.T. geradezu abenteuerlich
ist seine Deutung der „Paroimia" 10,1-5. Sie soll in ihren ersten
Versen einen Zelotenaufstand zum Hintergrund haben, der am
Laubenhüttenfest vor dem Todespassa Jesu stattfand und der identisch
ist mit dem Aufruhr der Juden, von dem Josephus, ant. 18,60
bis 62 und bell. 2,175-177 berichtet und worauf Lk 13,1 Bezug nimmt.
Der „Dieb und Räuber" könnte Barrabas, der Führer dieses Auf-
Standes, gewesen sein, der nicht - wie Jesus auf jenem Fest - ohne
List und Gewalt durch den üblichen Zugang in den Tempelvorhof
hineinging, sondern über die Mauer in den Tempelbezirk einstieg!
Freilich finden sich auch wesentlich ernsthaftere Partien in dem
Buch. So ist die eigentliche Deutung der Hirtenrede durch S. wenigstens
diskutabel, wenn auch kaum richtig. Danach stellt sie die
Herausführung des Gottesvolkes aus dem Judentum dar; bei diesem
neuen Exodus ist Jesus zugleich der Hirte, der seine Schafe
führt, und ihr Lebensraum (otfpa steht als „pars pro toto" für die
neue ttöxfi), indem er den Seinen als die neue Stiftshüttc vorauszieht
.

Der deutsche Stil des Buches sewie die Zeichensetzung sind gänzlich
unzureichend. Dazu begegnet man ständig Druckfehlern (ein
Beispiel: nach S. 260 soll Barn 29,11 a0ra7t66OTT)C stehen; richtig ist
Barn 19,11 und ivronoSorris)-

Creifswnld Trougott Holt/.

Schunack, Gerd: Das henneneutische Problem des Todes. Im

Horizont von Römers untersucht. Tübingen: Mohr 1967. XI,
318 S. gr. 8r = Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie,
hrsg. v. G. Ebeling, E.Fuchs, M. Mezger, 7. DM41,-; Lw.
DM 46.-.

um es gleich vorweg zu sagen: Schunacks Buch, eine unter Anleitung
von Ernst Fuchs verfaßte Marburger Dissertation, die in ihren
wesentlichsten Teilen eine theologische Interpretation von Röm.
'•7ff.; 1,18-3,20 und 5,12ff. bietet, ist eines der fruchtbarsten und
"itelligentesten Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Dies
gilt allerdings nur mit einer Einschränkung: nämlich soweit ich
das Buch verstanden habe. Schunacks Diktion ist teilweise äußerst
konzentriert und schwierig. Das zwingt den Leser, das Buch langsam
zu lesen, zu seinem eigenen Vorteil übrigens. Manches bleibt
aber auch so nur teilweise verständlich, ob durch Schuld des Autors,
des Rezensenten oder des interpretierten Paulustextes, bleibe dargestellt
. Jedenfalls sei für allfällige Mißverständnisse im voraus
um Entschuldigung gebeten.

Die Einleitung (1-39) enthält eine Reihe von wichtigen Abgrenzungen
. „Tod" ist zu unterscheiden von bloßem „Sterben" als zeitlich
geschichtlicher Möglichkeit. „Sterben" ist Phil. 1,19-24 auf die
**it Christi hin relativiert, d. h. als Sterben „für" jemand zu verstehen
. Der Tod hingegen kann erst im hermeneutischen Horizont
es Wortes Gottes, das vor Gott eine Relation des Menschen zu
S1.ch selbst setzt, verstanden werden: Der Tod ist ein eschatolo
3'Sches Sprach- und Urteilsphänomen. Er erscheint also nicht als
Grundphänom en der Existenz als solcher, etwa als Bestandteil
e'ner Anthropologie des natürlichen Menschen, sondern als escha
Alogisches Sprachgcschick des Fleisches. Zum Wesen des Fleisches
üehört es, etwas Unvergängliches aus sich als Vergänglichem herauszusetzen
, d. h. die Existenz in Werken zu objektivieren. So hat
er Glaube an den Unglauben die Frage zu richten, ob es wahr ist,
daß die Toten nach ihrem Tod in ihren Werken bleiben.

Vor seine eigentlichen Darlegungen schiebt Schunack zwei Exkurse
über das Todesverständnis im Alten Testament (40-86) und
as stoische Todesverständnis (87-100). Das Zentrum des Buches
"den dann theologische Interpretationen von Röm. 7,7ff. (lOlff.;
^ 3ff-). Röm. 1,18-3,20 (142ff.) und Röm. 5,12-21 (234ff.). Bei diesen
*egesen liegt das Hauptgewicht nicht auf religionsgeschichtlichen
^«r traditionsgeschichtlichcn Analysen, sondern auf der theologischen
Interpretation, „der die Lehre vom trinitarisch interpretierten
Wort Gottes nicht fremd bleiben muß" (Vorwort).

wir wenden uns zunächst Röm. 7,7ff. zu. Schunack geht davon
,1Us. daß die übliche Alternative, ob das „Ich", das Röm. 7,7ff.
bricht, ein vergangenes oder ein gegenwärtiges sei, falsch ist. Die

entscheidende Frage in Röm. 7,7ff. kann überhaupt nicht die nach
dem „Wer" des Ich, sondern muß diejenige nach dem „Wo" des Ich
sein. Und darauf lautet die Antwort: Das Ich ist im Gesetz (138f.).
Das Gesetz bringt cias Ich des Sünders zur Sprache, und in seinem
Tod entspricht es dem Gesetz. Beim „Ich" geht es also nicht um ein
Phänomen des Bewußtseins, nicht um das Gewissen, auch nicht um
Adam, sondern das „Ich" ist eine vox theologica. Von da her ist
das „Ich" so etwas wie der „Typos des Glaubenden", so wie er als
durch Christus Vergangener jetzt im Gesetz zur Sprache kommt.
Das Sein des Ichs wäre also das Ja zum Gesetz, das im Ja des
Evangeliums gesprochen werden kann (219).

Die Frage, die m. E. noch nicht genügend geklärt ist, hat Schunack
selbst gestellt: „Was nötigt daiu, das, was zu sagen ist, in der
Form zur Sprache zu bringen, daß ein ,ego' als Sprecher auftritt?"
(109). Und die Antwort lautet: „Paulus hält am ,ego' fest, weil er
an der Ansprechbarkeit des Sünders durch das Wort Gottes festhält
" (215). Es geht also darum, daß der Glaubende in dem durch
das Gesetz zur Sprache gebrachten ,ego' sich erkennt, damit er
das im Evangelium gesprochene Ja als sein Sein erfährt. Nun
sagt aber Schunack: Das Ich ist nicht Adam. Exegetisch kann er zu
dieser Aussage kommen, weil er die These von E. Fuchs', daß ein
gnostisdies Lied von Paulus in Röm. 7,7ff. übernommen worden
sei, aufnimmt. So braucht er z. B. nicht zu verifizieren, wann das
Ich außerhalb des Gesetzes lebte oder wann die Begierde das Ich betrog
(Aorist!). Doch scheint mir diese These kaum haltbar, vor
allem, weil - abgesehen von den literarkritischen Schwierigkeiten
- ich mir die Aussage tfCi 6c äneaavov als Aussage eines gno-
stischen (Pneuma !-)Ichs nicht denken kann. Liegt aber kein gno-
stisches Lied vor, so ist vermutlich der Rückgriff auf Adam und damit
auf eine verfügbare und vorhandene Geschichte unumgänglich
für das Verständnis unseres Textes. Ebenso betont Schunack: Das
Ich ist keine phänomenologisch aufweisbare Wirklichkeit, und Rom
7,7ff. ist nicht die menschliche Existenz, sondern das Gesetz thematisch
(133f. Anm. 171). Sicher bekommt das, was hier zur Sprache
kommt, nur „im" Gesetz zur Sprache. Aber warum als ,ego'? Wohl
darum, daß die Gnade wirklich als Gnade erfahrbar wird. Von
da her ist - um der Gnade willen - m. E. dennoch die Frage nach
der Identität des Glaubenden mit seinem vorgläubigen Ich und
damit auch die Frage nach einem möglichen Anhalt der Erfahrung
von Röm. 7,7ff im Bewußtsein nicht einfach a limine abzuweisen.
Um der Gnade willen muß das Ich sich als totes Ich erfahren,
damit es erfährt, was Gnade ist. Es entsteht damit allerdings ein
Problem. Nämlich: Wie kann das Ich, das ja gestorben ist, überhaupt
noch sprechen? Schunacks Interpretation hat mindestens mit
dem Tod des Ich radikal Ernst gemacht.

Bei der Auslegung von Rom. l,18ff. interpretiert Schunack kon
sequent von dem den Abschnitt umgreifenden (l,16f.; 3,21fl.) Evangelium
her: Sünde heißt, daß der Mensch dort das Wort nimmt,
wo Gott das Wort hat, ist also „Widerspruch zwischen Wort und
Wort", nicht zwischen Wort und Tat (194f. Anm. 430). Das Gesetz
ist die hermeneutische Instanz, die diesen Widerspruch aufdeckt; es
wird also grundsätzlich in der Linie des primus usus legis verstanden
. Die Schwierigkeiten, denen sich diese Exegese gegenübergestellt
sieht, sind zwiefach: Das Gesetz taucht erst Röm. 2,lü auf
und äußert sich bei den Heiden anders als bei den Juden, wobei es
Paulus darum geht, daß unabhängig von diesem Unterschied beide
Gruppen vor Gott Sünder sind. Vom Evangelium her ist jedoch zu
erwägen, ob nicht der etwa Röm. l,18ff. zu Worte kommenden natürlichen
Theologie die gleiche hermeneutische Funktion eignet
wie dem Gesetz (166, vgl. 192f. Anm. 420). Weniger überzeugt hat
mich Schunacks Exegese von Röm. 2,21ff.: „Der Übertreter des Gesetzes
hat sich an der Notwendigkeit der Werke vergangen; das
mag Inhalt der Erfahrung des Sünder-Seins, des
.sentire peccatum' genannt werden, also das Innewerden des ,pec-
catorem esse', das contra experientiam zu glauben ist" (201). M. E.
wird man nicht um die Feststellung herumkommen, daß Paulus in
Röm. 2,21ff. - ähnlich wie l,26ff. - in der Tat phänomenologisch
an Hand eines aufweisbaren Phänomens argumentiert, wie auch
immer man sich das Verhältnis von nur vom Evangelium her glaub
barer Sünde (Selbstruhm) und sichtbar zutage liegenden Übertretungen
des Gesetzes systematisch denken mag. An diesem Punkt
sind mir die Ausführungen Schunacks (199ff.) unklar geblieben.

') F. Fuchs, Die Freiheit des Cbubens. 1949, OOff