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1969

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Neues Testament

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 8

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Das „Recht" zu Targum-artiger „Anpassung" der Schrift sei bei
christlichen Predigern durch deren „prophetisches Bewußtsein" noch verstärkt
worden (S. 172 f.). Diese Art der Auslegung findet sich auch in
den Qumranschriften. Eine spezielle Abhängigkeit vom „Qumran
midrash-pesher" liege aber nicht vor, denn diese Methode sei lediglich
die Anwendung der „targumic method" auf Prophezeiungen, die man
für erfüllt hält oder deren Erfüllung in einer eschatologischen Situation
in Kürze erwartet wird (S. 174). „It is the fulfilment-motif which gives
NT interpretation of the OT affinity to Qumran pesher. But in the
mechanics of text-handling, both rest on the targumic method" (ebd.).

Da mit Ausnahme der ausdrücklichen Zitate im Mk-Ev
Mischzitate aus griechischen, aramäischen und hebräischen Elementen
in allen Schichten und in allen Gattungen der synoptischen
Überlieferung begegnen, läßt sich eine geographische
Aufteilung der Traditionen nach sprachlichen Gesichtspunkten
nicht vornehmen. Die sprachliche Mischform der Zitate entstand
auch nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt, sei es durch Verarbeitung
verschiedener Quellen, sei es durch gegenseitige Beeinflussung
bei der mündlichen Überlieferung, sondern „appears to
be original to the tradition itself" (S. 174). Möglich war das nur
in Palästina, wo neuere archäologische Funde die Dreisprachigkeit
in der neutestamentlichen Zeit sichern (S. 174—177). „If so, much
of the gospel tradition may have been originally cast into Greek
as well as Aramaic and Hebrew molds. The hardcore archaeological
evidence therefore gives confirmation to our examination of the
synoptic texts themselves" (S. 177). Die Angleichung der ausdrücklichen
Zitate im Mk-Ev an die LXX erklärt sich dabei
daraus, daß nur sie in einer rein griechischen Umgebung als AT-
Zitate erkannt und an die dort allein bekannte LXX-Version des
AT angeglichen wurden, während die Kontextzitate entweder
übersehen wurden oder wegen ihrer engen Verflechtung in den
Kontext nicht „hellenisiert" werden konnten (ebd.).

Bereits diese These über den Textcharakter der ausdrücklichen
AT-Zitate im Mk-Ev resultiert aus einer äußerst fragwürdigen
Hypothese über das Entstehen der synoptischen Evangelien
, die sich angeblich aus der Untersuchung selbst ergibt, aber
so wenig überzeugend ist, daß sie die Diskussion — zumindest
im deutschsprachigen Raum — kaum beeinflussen wird: Wegen
der Mischzitate in allen Schichten der synoptischen Überlieferung
(mit Ausnahme der ausdrücklichen Zitate bei Mk), rechnet G. —
nun freilich nicht mit einem hebräischen Ur-Mt (dann bliebe das
LXX-Element in den Mischzitaten unerklärlich), wohl aber mit
einer gemeinsamen griechischen Vorlage aller Evangelien, und
zwar dergestalt, „that the Apostle Matthew was a note-taker
during the earthly ministry of Jesus and that his notes provided
the basis for the bulk of the apostolic gospel tradition" (S. 182).
Mt nämlich war einerseits als ehemaliger Zöllner an der großen
Straße, die nahe Kapernaum nach Westen führte, sowohl des
Griechischen mächtig als auch an das Anfertigen von Notizen
gewöhnt, während er andererseits von seinem levitischen Herkommen
her (das folgert G. aus der Parallele Mk 2, 14 / Mt 9, 9)
mit dem AT in seinen semitischen und griechischen Versionen
vertraut war. „Mt the Apostle was admirably fitted for such a
function among the unlettered disciples. We can then undcrstand
how all Strands of textual tradition made their way into the whole
of the synoptic material, for the looseness and informality of
such notes made it possible for Hebrew, Aramaic, and Greek all
to appear in them" (S. 18 3). Da nun die Reflexionszitate im
Mt-Ev dieselbe Mischform aufweisen wie die Kontextzitate, führt
G. auch sie auf Mt selbst zurück (S. 184). Sie wurden zwar erst
bei der letzten Bearbeitung seines Werkes eingefügt, doch erfolgte
diese keineswegs erst so spät, daß Mt sie nicht selbst vorgenommen
haben konnte (S. 179). - Freilich ergibt sich hierbei
ein Problem aus dem reinen LXX-Charakter der ausdrücklichen
Zitate im Mk-Ev, der auch in deren matthäischen Parallelen
nahezu unverändert geblieben ist. G. sieht darin zu Recht eine
Bestätigung, daß im vorliegenden Mt-Ev das Mk-Ev verarbeitet
wurde (ebd.). Doch sei darum keineswegs Mt als Verf. seines
Evangeliums auszuschließen: Denn wenn das Mk-Ev auf Petrus-
Traditionen zurückzuführen ist, benutzte Mt ohnehin apostolische
Überlieferung. Und wenn Petrus seinerseits vielleicht auf die Aufzeichnungen
zurückgriff, die Mt selbst angefertigt hatte, würde
Mt ohnehin nur eine Form seiner eigenen Tradition verarbeiten
(S. 184)! — G. fragt, ob es zu schwierig sei sich vorzustellen,
„that Mt wished to preserve the unity of the apostolic gospel

tradition and therefore utilized Mk" (ebd.). Diese Frage wird
man in der Tat nur nachdrücklich bejahen können, wenn man
auch nur eine geringe Kenntnis der redaktionsgeschichtlichen Erforschung
der synoptischen Evangelien hat. Dieser Aspekt der
ntl. Forschung wird von G. vollkommen übersehen. Das ist der
entscheidende Mangel auch schon seiner sprachlichen Untersuchung
der Zitate im 1. Kapitel, die lediglich eine Bestandsaufnahme ist,
aber an keiner Stelle nach der Funktion der Zitate im jeweiligen
Zusammenhang der einzelnen Evangelien fragt.

Die konservativ-apologetische Tendenz, die sich in G.s
Quellenhypothese dokumentiert, bestimmt auch die Argumentation
im 1. Kapitel des 2. Hauptteils (= Kap. 3), welches der
Frage nach der Historizität der Überlieferung gewidmet ist und
die zweite These (s. o.) begründen soll. Dazu wird im 3. Kapitel
(S. 189—204) zunächst ein unbegründeter historischer Pessimismus
der formgeschichtlichen Methode zurückgewiesen. Das geschieht
insofern zu Recht, als formgeschichtliche Kriterien als solche in
der Tat schlechterdings nichts für die Frage nach der Historizität
einer Überlieferung abwerfen. G. behandelt dieses Problem freilich
viel zu oberflächlich, indem er es bei allgemeinen Erwägungen
und Hinweisen auf die historische Wahrscheinlichkeit beläßt
(S. 189—193). Ebensowenig befriedigt sein Versuch nachzuweisen,
daß der Einfluß des AT im Mt-Ev keinerlei Veränderung der
evangelischen Tradition herbeiführte — was, wenn es zuträfe,
für die vorgetragene Quellenhypothese auch vernichtende Folgen
hätte.

Aufschlußreidi für die Argumentation in diesem Zusammenhang
ist die Erörterung von Mk 11, 1 ff. / Mt 21, 1 ff. (S. 197—199): G. unterstellt
, daß Jesus für den Einzug in Jerusalem bewußt ein noch nie benutztes
Reittier gewählt habe. Das dürfte jedoch zu erheblichen Schwierigkeiten
geführt haben — „unless its mother were led closely alongside
to quiet the younger animal" (S. 199). Insofern sei es nicht ausgeschlossen
, daß Mt auf guter historischer Erinnerung (seiner eigenen?)
fußt, wenn er von zwei Tieren spricht. In dem von ihm beigebrachten
Zitat Sach 9, 9 habe er auch keineswegs den Parallelismus membrorum
aufbrechen wollen, was angeblich erst zu der Einführung des Muttertieres
in die von Mk übernommene Tradition geführt habe. Es sei nämlich
keineswegs ausgemacht, daß f) ovoq aus der Erzählung Mt 21, 2 mit
dem (hinsichtlich seines Genus nicht definierbaren) ovoc; des Zitates
zu identifizieren sei. Näher liege es,r) 6voc, aus V. 2 mit tö {mo^uy uov
zusammenzubringen. — Der Scharfsinn ist beachtlich, nur fragt man sich,
warum Mt es seinen Lesern nicht leichter gemacht haben sollte, das zu
erkennen.

Im 4. Kapitel (S. 205—234) wird die Legitimität der Benutzung
des AT durch Mt untersucht. Zunächst unterscheidet G. die
Hermeneutik des Mt von der atomisierenden Schriftbenutzung
in Qumran (S. 205—215). Dazu greift er auf die These von
C. H. Dodd zurück, daß es ganz bestimmte atl. Textzusammenhänge
gewesen seien, die sich als Quelle für den Weissagungsbeweis
angeboten hätten. Freilich interpretiert Mt auch einige
Texte in diesem Sinne, die sich in Dodd's Aufstellung nicht
finden, so daß diese um der eigenen These willen modifiziert
werden muß, indem ausführlich nachgewiesen wird, inwiefern die
von Mt gebrauchten Zitate doch zu diesen Komplexen hinzugehören
. Ein letzter Abschnitt ist schließlich der Frage gewidmet,
ob die hermeneutischen Prinzipien bei den matthäischen Zitatio-
nen auch heute — bei dem modernen historischen Verständnis
des AT — gültig bleiben (S. 215-234). Verf. sieht eine bemerkenswerte
Entsprechung „between the OT and the ministry of
Jesus and if this correspondence implies divine design, we must
reckon with the possibilities of direct revelation and of divine
intention beyond that of the OT authors" (S. 216). Da Verf. die
Frage (in unzulässiger Weise!) auf die messianische Hoffnung eingrenzt
, interessiert ihn nun nur noch, wann die messianische Erwartung
in Israel entstand. Da Mt auch vorexilische Texte
messianisch interpretiert, wird es niemanden mehr verwundern,
daß G. sich gegen die Spätdatierung der Messias-Erwartung entscheidet
.

Amelsbüren Alfred Suhl

Barth, Markus: The Kcrygma of Galatians (Interpretation 21, 1967
S. 131—146).

— Rechtfertigung. Versuch einer Auslegung paulinisdier Texte im Rahmen
des Alten und Neuen Testamentes. Ein Vortrag, gehalten am
19. April 1968 in der Abbate di San Paolo fuori Ic mure in Rom,
anläßlich einer Tagung über Rom. 1, 16—17. Zürich: EVZ-Verlag 1969.