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Ausgabe:

1969

Spalte:

589-590

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Barrett, Charles K.

Titel/Untertitel:

A commentary on the first Epistle to the Corinthians 1969

Rezensent:

Schmithals, Walter

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Seite 1

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589

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 8

590

Barrett, C. K., D. D., F. B. A.: A Commentary on the First Epistle to
the Corinthians. London: Adam & Charles Black [1968]. XI, 410 S. 8° =
Black's New Testament Commentarics, ed. by H. Chadwick, 4 5 s.

In derselben Reihe liegt aus der Feder Barrett« bereits seit
längerem der Kommentar zum Römerbrief vor. Eine Auslegung
des 2. Kor. wird folgen. Der Autor bezieht sich insofern auf seine
Auslegung des Römerbriefes, als er in diesem das apostolische
Evangelium, im 1. Kor. dagegen die Beziehungen zwischen Evangelium
und kirchlichem Leben besonders behandelt sieht. Trifft das
wirklich zu? Steht nicht auch hinter dem Römerbrief ein sehr
konkretes Problem der Kirchenleitung? Und geht es im 1. Kor.
nicht ganz und gar um die Bewahrung des Glaubens? Ist die Vorstellung
eines beziehungslosen Evangeliums nicht von
vornherein zumindest schief?

Dasselbe Problem taucht auf, wenn man mit einiger Verwunderung
feststellt, daß Barrett in der historischen Einleitung zu
seinem Kommentar die Frage nach dem konkreten Anlaß des
1. Kor. nicht thematisch behandelt, wohl aber den Beitrag des
Briefes für die paulinische Christologie, Anthropologie, Ethik -usw.
resümiert. Der Brief wird also primär als dogmatisches
Dokument angeschen, ohne daß der fundamentale Zusammenhang
von historischer Situation und ,domatischer' Aussage,
d. h. die Geschichtlichkeit des Evangeliums, gründlich genug bedacht
wäre. So werden denn auch im Kommentar selbst die pauli-
nischen Ausführungen nur ungenügend aus der Situation heraus
zu erklären versucht, von der sie provoziert werden, wie umgekehrt
diese Situation keine klaren Konturen gewinnt. In diesem
Zusammenhang muß auch die an sich gar nicht üble Tatsache gesehen
werden, daß Barrett sich mit besonderer Vorliebe der
Kirchlichen Dogmatik Karl Barths zur Auslegung des 1. Kor. bedient
. Mir scheint, daß diese Art dogmatischer Exegese heutzutage
nicht nur dem Leser, sondern auch dem Text vieles schuldig bleibt;
denn wenn es stimmt, daß das Evangelium seine Qualität zwar
nicht von der Geschichte erhält, aber allein in der Geschichte erweist
, kann die Auslegung des Neuen Testaments gar nicht historisch
genug sein.

Sieht man von diesen kritischen Einwänden ab, muß man
anerkennen, daß Barrett einen sehr brauchbaren Kommentar vorgelegt
hat, der etwa in der Weise des einstigen .Handcommentars'
vorgeht. Der übersetzte Text, obschon zu Beginn jeden Abschnittes
zusammenhängend abgedruckt, wird im Verlauf der Auslegung
wiederholt und durch Fettdruck hervorgehoben. Die Auslegung
paraphrasiert und kommentiert diesen Text fortlaufend. Die wichtigste
Literatur wird dabei in Klammern genannt, wobei nicht
beliebig auf Seitenreferenten, sondern auf Publikationen hingewiesen
wird, die das anstehende Problem eingehender behandeln
und sich darum zu weitergehendem Studium empfehlen. Die relativ
selten begegnenden Anmerkungen sind der Behandlung textkriti-
schcr Fragen vorbehalten. Auf die Verwendung des Griechischen
wurde soweit wie möglich verzichtet, und wo sich griechische
Worte finden, sind sie so verwandt, daß auch der des Griechischen
Unkundige in der Lektüre nicht behindert wird. So entsteht ein
übersichtlicher Kommentar, der in präziser Weise über die wichtigsten
Probleme der einzelnen Abschnitte informiert. Der Verfasser
zeigt sich mit der wichtigen Literatur gut vertraut; seine
Urteile sind durchweg ausgewogen und sachlich begründet.

Auch Versuche einer literarkritischen Aufteilung des Briefes
finden bei Barrett Verständnis, doch meint er, an der literarischen
Einheitlichkeit des Schreibens festhalten zu können, da Paulus
ihn nicht in einem Zuge, sondern im Verlauf längerer Zeit, mit
vielen Unterbrechungen, unter Eintreffen neuer Nachrichten und
im Wandel situationsbedingter Gesichtspunkte geschrieben habe.
Kap. 13 sprenge die unmittelbare Verbindung von Kap. 12 und
Mi weil Paulus dies Kapitel schon vorher selbständig konzipiert
und so dem Brief beigefügt habe — eine Erklärung, die Kap. 13
offensichtlich als dogmatisches, nicht aber als historisches Dokument
ansieht.

Wer keine bedeutsamen theologischen Interpretationen der
paulinischen Gedanken erwartet, kann sich mit diesem Kommentar
gut im 1. Kor. zurechtfinden.

Merlin Walter Seh in i t h a 1 s

Cundry, Robert Horton: The Usc of the Old Testament in
St. Matthew's Cospel. With special Reference to the Messianic Hope.
Leiden: Brill 1967. XVI, 252 S. gr. 8° = Supplements to Novum
Testamentum, Ed. Board W. C. van Unnik, 18. Lw. hfl. 58.—.

Die Arbeit von Gundry ist eine „Ph. D. dissertation" der
Universität Manchester aus dem Jahre 1961, die im Sommer 1964
überarbeitet wurde. Sie ist klar und übersichtlich gegliedert.
Nach der kurzen Zusammenfassung des Ergebnisses (S. XI bis
XIII) zeigt Verf. in der Einleitung (S. 1—5) den Stand der Forschung
auf (S. 1 f.) und begründet die Notwendigkeit einer erneuten
Untersuchung der Benutzung des AT durch Mt mit der
Vielzahl der vorliegenden Hypothesen, deren entscheidender
Mangel darin bestehe, daß sie die Textform der atl. Anspielungen
bzw. Kontextzitate („allusive quotations") nicht gebührend
berücksichtigen. Diese lasse sich nicht damit erklären, daß man
aus dem Gedächtnis zitierte. Dagegen spreche die Bedeutung,
welche die mündliche Tradition damals hatte. Ferner sei man
keineswegs ausschließlich auf das Gedächtnis angewiesen gewesen
, da man leicht Zugang zu Schriftrollen hatte, die sich in
Synagogen oder in Privatbesitz befanden. Und schließlich seien
viele selbst der geringfügigenAbwcichungen vom Wortlaut der
LXX bewußt vorgenommen worden (S. 2 f.).

Die Kontextzitate sind nach G. sehr viel aufschlußreicher als die
Reflcxionszitate, da sich in ihnen die Sprache und Ausdrucksweise spiegeln
, mit denen ein Schreiber am vertrautesten ist und in denen er
gewöhnlich denkt (S. 3). Vor allem aber habe die jüngste Erforschung
der Qumran-Schriften ergeben, daß in ntl. Zeit die Verflechtung atl.
Redeweise mit eigenen Worten eine bewußte literarische Methode war
(ebd.). „We must thereforc reckon with the text-form of the allusive
quotations for a comprehensive view of the synoptic quotation material"
(S. 4).

Die These des Verf. lautet: 1. Nicht nur die matthäischen
Reflexionszitate weichen von der LXX ab, sondern auch die
übrigen Zitate der synoptischen Tradition — mit Ausnahme der
ausdrücklichen Zitate im Mk-Ev (samt Parallelen), die (fast ausnahmslos
) der LXX folgen. 2. Der Einfluß des AT im Mt-Ev hat
weder zu einer grundlegenden Veränderung der evangelischen
Überlieferung noch zu einer atomisierenden Exegese des AT
geführt (S. 5). Der Nachweis wird in zwei Hauptteilen geführt,
deren erster der Textform der Zitate gewidmet ist, während der
zweite die Argumentation des Matthäus untersucht — freilich nur
hinsichtlich der Erfüllung der messianischen Weissagung, wie
bereits der Untertitel des Werkes anzeigt. Jeder Hauptteil hat
zwei Kapitel, die aber von I—IV durchgezählt werden.

Das 1. Kapitel ist das umfangreichste (S. 9—150). Es untersucht die
Textform der Zitate ausschließlich in sprachlicher Hinsicht, wobei die
verschiedenen AT-Versionen jeweils zitiert und die Abweichungen besprochen
werden. Verf. geht dabei so vor, daß er nacheinander zunächst
die ausdrücklichen Zitate und sodann die Kontextzitatc untersucht, die
Mt mit Mk und (anschließend) mit Lk gemeinsam hat und schließlich
die, welche sich nur bei Mt finden. Er räumt ein, daß man in Einzelheiten
anderer Meinung sein kann als er; doch dürfte seine These zutreffen,
daß die ausdrücklichen Zitate im Mk-Ev fast ausnahmslos der LXX
folgen, während sich in allen anderen Schichten der synoptischen Überlieferung
Mischformen aus verschiedenen Versionen des AT finden
(S. 150).

Im 2. Kapitel (S. 151 —185) werden verschiedene Hypothesen zur
Erklärung der Zitate diskutiert und ausnahmslos abgelehnt. Nach des
Verf. eigener These ist Mt selbst als Urheber der Mischform seiner
Zitate anzunehmen, indem er hebräische, aramäische und griechische
Versionen des AT aufgriff. Das ergibt sich einmal negativ aus dem
Argumentum e silentio, daß es (noch?) keine vorchristlichen Handschriften
gibt, die mit den AT-Zitaten des Mt übereinstimmen, sowie
positiv aus der Erwägung, daß die christliche Verwendung des AT nicht
unbeeinflußt geblieben sein kann von der Art, wie das AT in der Synagoge
ausgelegt wurde, und zwar sowohl darum, weil man es mit Hörern
zu tun hatte, die an diesen Stil gewöhnt waren, als auch darum, weil die
ersten christlichen Prediger selbst palästinensische Juden waren, die nur
diese Art der Auslegung kannten (S. 172). Autorisiert sei diese Art aber
letztlich durch Jesus selbst (ebd., vgl. S. XII, 36, 71, 160—162).