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Ausgabe:

1969

Spalte:

587-588

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ridderbos, Herman N.

Titel/Untertitel:

Paulus 1969

Rezensent:

Strecker, Georg

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Seite 1

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587

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 8

588

Seine Anweisung in V. 12 f., auf die ihm alles ankommt, hätte er
besser mit der Autorität eines strammen Kirchenmannes wie Dio-
trephes decken können. Liegt es nicht doch näher, 2 Joh für
einen echten Brief desselben Mannes zu halten, der auch den
Privatbrief an Gajus verfaßt hat? Mit dem Autor von 1 Joh
brauchte er nicht identisch zu sein, sondern könnte sich dessen
inzwischen vielleicht erworbenes Ansehen zunutze machen und
seinen Stil nachahmen. Aber wenn die briefliche Form von 1 Joh
eine Fiktion ist, wie B. sagt (10), könnte sich der „Alte" auch
dahinter verbergen, es sei denn, man traue ihm nach seiner Einstellung
zu den Irrlehrern nicht eine solche scharfe Maßnahme wie
2 Joh 10 f. zu (vgl. Haenchen a. a. O. 42). Doch dürfte das bei
einer neuen Bedrohung einer Gemeinde auch nicht unvorstellbar
sein.

Zur Auslegung selbst, der ich weitgehend zustimme, nur ein
paar kritische Anmerkungen. Die Deutung von du' & p x rj q
1,1 auf die Inkarnation bzw. den Ursprung der d noLyyeXla.
(15) beachtet nicht die Wendung t d v d u> d p x T £
2, 13 a. 14a, die sich nur schwer damit vereinbaren läßt (so doch
B. 37). Ein Irrtum ist es, daß ich mit anderen daran festhalten
möchte, daß das Auftreten des wahren Antichrists noch bevorsteht
(S. 41, Anm. 4). Im Gegenteil sage ich ausdrücklich, daß
diese Auffassung nicht haltbar sei (Joh-Br 143); nur folge daraus
nicht, daß der Verf. die Parusieerwartung im herkömmlichen Sinn
aufgebe (144). Allerdings möchte ich im Unterschied zu B. (49,
Anm. 1) 1 Joh 2, 28 nicht für Redaktionsarbeit halten. Zu 3, 19 f.
(62 f.) und 4, 17 (77) gebe ich B. gern zu, daß der traditionelle
Text nicht in Ordnung zu sein scheint. Die Verse 5, 7—9 für eine
redaktionelle Glosse zu halten (8 3), erscheint mir nicht notwendig
, weil ein Mann der joh. Schule wohl doch zu symbolischen
Deutungen (Übergang vom geschichtlichen zum sakramentalen
Verständnis) fähig ist. Über den wichtigen Zeugnisgedanken 5, 10
urteile ich anders; so sehr ich mit B. einig bin, daß hier kein
„inneres Zeugnis" (das des heiligen Geistes in uns) gemeint ist,
kann ich den Satz nicht unterschreiben: „Das Ereignis des Glaubens
ist das Zeugnis" (86). In der Beurteilung des Diotrephes und
der vorausgesetzten Verfassungsverhältnisse (98 ff.) stimme ich
mit B. überein.

Was uns Exegeten trotz verschiedener theologischer Einstellungen
verbindet, ist die Verpflichtung gegenüber dem Text.
In diesem Kommentar zeigt B. aufs neue seine exegetische Verantwortung
und Meisterschaft. Man kann nur hoffen, daß uns
die jetzige Welle hermeneutischer Überlegungen nicht so weit
überflutet, daß sich das theologische Gespräch von den Texten
löst. Bei B. ist das nicht der Fall.

Würzburg Rudolf Sehnackenbur»

Ridderbos, Herman: Paulus. Ontwerp van zijn theologie. Kampen:
J. H. Kok N.V. 1966. 653 S. gr. 8°. Lw. hfl. 39.50.

Da die divergierenden theologischen Strömungen ganz besonders
in der Paulusinterpretation ihren Niederschlag gefunden
haben, ist der gegenwärtige Stand der Untersuchung der Theologie
der paulinischen Briefe in einem erheblichen Maße unübersichtlicher
als etwa die Situation der Leben-Jesu- bzw. Synoptikerforschung
. Eine Vielzahl von Monographien und das Fehlen von
übergreifenden, zusammenfassenden Darstellungen bestimmen
darüber hinaus das Bild. Man kann daher den Mut von H. Ridderbos
, Professor an der Evangelisch-reformierten Fakultät zu Kampen
, nicht genug bewundern, daß er es gewagt hat, mit dem vorliegenden
Werk, das schon seinem Umfang nach einen hervorragenden
Anspruch erhebt, die vorhandene Forschungslücke zu
füllen.

Der Aufriß dieses Werkes ist von seltener klassisch-dogmatischer
Strenge. Der Verfasser zeichnet zunächst die „Hauptlinien
der Geschichte dieser Untersuchung" nach (Tl. I, S. 5—39): F. Chr.

Baurs „Paulus" wird auf der Basis von Baurs Geistbegriff sowie
anhand der Tatsache, daß Baur nur die vier Hauptbriefe als echte
Paulinen akzeptierte, kritisiert. Die „liberale Interpretation"
wird zugleich mit „ihrem Niedergang" behandelt; sie sei nicht
nur einem griechischen Geistverständnis verfallen, sondern sie
habe auch einem „Anthropologismus" Vorschub geleistet. Unter
dem Stichwort „die kultgeschichtliche Beschlagnahme" erscheinen
die Religionsgeschichtler, die sich vor allem um den Nachweis
des Zusammenhangs des paulinischen Denkens mit der Welt der
hellenistischen Mysterienkulte bemühten. Im Gegensatz hierzu
bekennt sich Verf. bei der Darstellung der „eschatologischen
Interpretation" zu A. Schweitzer, dessen konsequent-eschatolo-
gische Betrachtungsweise die Sacheinheit Jesus-Paulus zu Recht
betont habe, aber in einem „heilsgeschichtlichen" Sinn interpretiert
werden müsse. Diese Aufgabenstellung wird im letzten Abschnitt
des ersten Teils unter der Überschrift „Die folgende
Entwicklung" verdeutlicht: Wenn auch Rudolf Bultmann „die Bedeutung
des göttlichen Heilswerkes in Christus" in der paulinischen
Theologie erkannt habe, so leide seine Interpretation doch
an Heideggerschem Existenzialismus, gnostisierender Verzeichnung
und anthropologischer Verengung. Demgegenüber meint Verf., die
von ihm intendierte heilsgeschichtliche Perspektive auf das Alte
Testament und auf das palästinische Judentum zurückführen zu
können.

Ist dadurch die Aussagerichtung des Buches gekennzeichnet
worden, so wendet sich Verf. im zweiten Teil den „Grundstrukturen
" zu (Tl. II, S. 40—93). Beabsichtigt ist dabei nicht — wie
nach der voraufgegangenen Kritik zu vermuten gewesen wäre —
eine systematisch-theologische oder philosophische Grundlegung
der Paulusinterpretation, sondern eine phänomenologische Darstellung
der Einzelelemente der paulinischen Christologie; „denn
der Grundstruktur der Verkündigung des Paulus kann man sich
. . . allein von seiner Christologie aus nähern"; „Paulus' Christologie
ist eine Heilstatsachen-Christologie" (S. 46). Ihre Inhalte
werden durch die Erarbeitung der Begriffe Die Erfüllung der Zeit,
Die Offenbarung des Geheimnisses, Der Erstgeborene von den
Toten, Der letzte Adam, Der alte und der neue Mensch, Geoffenbart
im Fleisch, Sohn und Bild Gottes, Der Erstgeborene der
ganzen Schöpfung, Der erhöhte und der kommende Kyrios . . .
entfaltet. Entscheidendes Gewicht hat dabei die anmerkungsweise
genannte Voraussetzung des Verfassers, daß die dreizehn kanonischen
Briefe als echte Paulusbriefe in Anspruch genommen werden
(S. 39, Anm. 119), aber auch, daß die Einheitlichkeit der
Paulusbriefe keinem Widerspruch unterliegt, so daß bei der Darstellung
der paulinischen Theologie literarkritische Fragestellungen
nicht in Betracht gezogen zu werden brauchen. Entsprechend wird
auf traditionsgeschichtliche und religionsgeschichtliche Problemstellungen
, soweit sie über den angezeigten Horizont hinausführen
, verzichtet. Dies auch die Voraussetzung des Folgenden.
„Das Leben in der Sünde" (Tl. III, S. 94—170, mit den Unterabschnitten
: Die Sünde als Existenzweise, Die Folgen der Sünde,
Sünde und Gesetz); „Die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes"
(Tl. IV, S. 171-196); „Die Versöhnung" (Tl. V, S. 197-222);
„Das neue Leben" (Tl. VI, S. 223-278); „Der neue Gehorsam"
(Tl. VII, S. 279-363); „Die Kirche als das Gottesvolk" (Tl. VIII,
S. 364-403); „Die Kirche als Leib Christi" (Tl. IX, S. 404-441);
„Taufe und Abendmahl" (Tl. X, S. 442-478); „Der Aufbau der
Gemeinde" (Tl. XI, S. 479-543); „Die Zukunft des Herrn"
(Tl. XII, S. 544-629).

Es ist an dieser Stelle nicht möglich, auf die Einzelheiten
einzugehen. Zweifellos verdient die vorgelegte Leistung — auch
im Blick auf die umfassende Literaturbenutzung - Respekt. Wieweit
der Leser aus diesem Buch Nutzen ziehen wird, hängt freilich
wesentlich davon ab, ob er in der Lage ist, den Prämissen des
Verfassers zuzustimmen.

Güttingen Georg Strecker