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Ausgabe:

1969

Spalte:

586-587

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bultmann, Rudolf

Titel/Untertitel:

Die drei Johannesbriefe 1969

Rezensent:

Schnackenburg, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 8

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sehen und historischen Probleme des pseudoklementinischen
Romans", 1930 (die gleichnamige Sclbstanzeige von 1930 eröffnet
den dritten Teil, S. 225—231), läßt wichtige Züge des Bildes
erkennen, das C. von der Religionsgeschichte des Urchristentums
hat. Die Arbeit „Das Rätsel des Johannisevangeliums im Lichte der
neuen Handschriftenfunde", 1958, (S. 260—291) bietet in der Einleitung
sehr wesentliche grundsätzliche Erwägungen zur Religionsgeschichte
der frühen Gemeinde („das Bild, . . . daß am Anfang
ein stark jüdisch geprägtes Christentum stand und sich erst später
ein hellenistisches, universalistisches entwickelte, entspricht nicht
der historischen Wirklichkeit"; vielmehr waren „schon in der
allerersten Gemeinde, innerhalb der christlichen Kirche Palästinas,
beide Strömungen gleichzeitig vorhanden", S. 264), um dann die
(freilich sehr fragwürdige) Linie zu begründen: esoterisches Judentum
(Qumran) — Johannes der Täufer — „Hellenisten" der Apg —
johanneischer Kreis, die nicht nur ideell, sondern auch personell
zu ziehen sei, woraus für C. weiter folgt, daß dem JohEv stärkere
Beachtung bei der Erhebung der Lehre Jesu zugewendet werden
sollte.

Beiträge zu exegetischen Einzelfragen enthält der Band auffällig
wenig. Das hängt mit der hervorragendsten Eigenart C.s
zusammen, seinem synthetischen Biblizismus. C. ist häufiger der
Vorwurf gemacht worden, die Aussagen der verschiedenen neu-
testamentlichen Schriften unerlaubt zu harmonisieren, nicht scharf
genug zwischen den einzelnen biblischen Büchern zu differenzieren2
. Tatsächlich beherrscht diese Neigung die exegetische Arbeit
C.s und tritt etwa in „Das Urchristentum und die Kultur", 1951,
(S. 485—501) besonders deutlich und zu erheblichen Fragen Anlaß
gebend hervor; auch in dem Versuch, in „Die Bedeutung des
Abendmahls im Urchristentum", 1936, (S. 505—523) nachzuweisen
, daß erst Paulus das Abendmahl mit dem letzten Mahl Jesu
in Beziehung gesetzt und von daher theologisch tiefer begründet
hat, während zuvor das Abendmahl als die Fortsetzung der Gemeinschaftsmahle
des Auferstandenen mit seinen Jüngern verstanden
wurde, dürfte eine Art unhistorischer Biblizismus wirksam
sein. Aber in Wahrheit ist doch solche Neigung zw Synthese
der neutestamentlichen Aussagen auch wissenschaftlich nicht
problematischer als die heute so verbreitete Neigung zu immer
mehr differenzierender Analyse, die zur immer stärkeren Auflösung
nicht nur des Kanons, sondern auch der einzelnen Schriftengruppen
und Schriften im Neuen Testament führt. Die „konservative
" Hypothese — hypothesenfreudig ist C. allerdings — hat
doch wohl das gleiche Recht wie die „kritische" Hypothese, und
die Neigung, Hypothesen wie gesicherte Ergebnisse anzusehen,
gefährdet jeden. Man sollte C. gegenüber nicht die Haltung einnehmen
, die A. Schweitzer'1 für M. Goguel als charakteristisch ansah
: Abscheu vor jeder offenen Hypothese, dagegen Zutrauen zu
denjenigen, die durch einen umfangreichen wissenschaftlichen
Apparat verdeckt sind. Und theologisch könnte man schließlich
fragen, ob nicht die Synthese der neutestamentlichen Aussagen
mindestens ein gleiches Recht hat wie ihre kritische Analyse, womit
wir zu der obigen Bemerkung zum ersten Aufsatz dieses
Bandes zurückkehren würden.

Insgesamt zeigt die Sammlung, wie konzentriert C. theologisch
arbeitet. Die Mehrheit der Beiträge kreist um das große
Thema seiner Theologie, die Hcilsgeschichtc, und fast alle stehen
in irgendeinem Bezug zu seinen Buchvcröffcntlichungen. Das ist
bemerkenswert in einer Zeit, die dazu neigt, ihre Probleme weithin
nur noch auf der Ebene von Aufsätzen zu entfalten. Auffällig
ist freilich, wie wenig das Thema „Christologie des Neuen
Testaments" explizit in Erscheinung tritt.

2) In dieser Zeitschrift z. B. R. Bultmann, Jg. 73, 1948, 663;
E. Schweizer, Jg. 92, 1967, 906.

*) Geschichte der Lcbcn-Jesu-Forsdiung, 1913, 621 f., zitiert von
C. in dem Gcdenkartikcl „Maurice Goguel", 1955, 668.

Auf die inhaltliche Bedeutung der Cullmannschen Theologie
einzugehen, ist hier nicht der Ort. Wohl aber gibt dieser Band
Anlaß, energisch auf sie hinzuweisen. Denn er macht schon durch
die internationale Herkunft der in ihm vereinigten Beiträge sichtbar
, welche ökumenische Bedeutung C. und seine Theologie hat.
Die Außenseiterrolle, die C. in der deutschsprachigen Theologie
der Gegenwart spielt, ist ein Signal für die Ökumenizität dieser
Theologie.

Greifswald Traugott H o 11 %

Bult mann, Rudolf: Die drei Johannesbriefe erklärt. 1. Aufl. dieser
Neuauslegung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1967. 113 S.
gr. 8° — Kritisch-exegetischer Kommentar über d. Neue Testament,
begründet v. H. A. W. Meyer, 14. Abt., 7. Aufl. Lw. DM 11.—.

Den lange erwarteten Kommentar zu den Johannesbriefen
legt R. Bultmann nun als reifes Alterswerk vor. Die Reife zeigt
sich in seinem besonnenen Urteil, in der aufs Wesentliche konzentrierten
und doch die textlichen Probleme sorgfältig behandelnden
Auslegung, aber auch im Offenlassen mancher exegetischer
Entscheidungen und in der irenischen Art, mit der er andere
Auffassungen referiert und kritisiert. Wer sich länger mit dem
ersten Johannesbrief beschäftigt hat, der den Exegeten oft durch
seine unscharfe Sprache (vgl. die Personalpronomen, die Genitive,
die „Umkehrung" mancher Gedanken, die gleitenden Übergänge)
in Verlegenheit bringt, wird sich vor Urteilen von absoluter Gewißheit
hüten. Dennoch besitzt B.s Kommentar ein persönliches
und theologisches Profil, das ihm unter den anderen Kommentaren
seinen besonderen Platz sichert.

Für B., dessen Zuneigung der Theologie des Evangelisten gehört
, wie er sie versteht, zeigt 1 Joh ein Gefälle zur Gemeinde-
theologic hin, die nicht nur in zahlreichen Zusätzen einer kirchlichen
Redaktion, sondern auch in der veränderten Blickweise
zum Zuge kommt.

In der knappen Einleitung (9—12) kennzeichnet B. den Unterschied
des Ev. zum 1 Joh durch die andere Frontstellung: der Brief
kämpft nicht mehr gegen die „Welt" bzw. gegen die diese repräsentierenden
Juden, also gegen Nichtchristen, sondern gegen Irr-
lchrer im Raum der christlichen Gemeinschaft; er stamme aus einer
späterenZeit (9). Sein Verf. benutzte das Ev. im Sinn der kirchlichen
Tradition (10). B. hält im wesentlichen (allerdings mit einzelnen
Korrekturen) an seiner früheren literarkritischen These einer vom
Verf. bearbeiteten Vorlage fest, präzisiert jetzt aber: 1,5 — 2,27
war ursprünglich ein selbständiges Schreiben, vielleicht besser gesagt
: ein Entwurf (11), dem einzelne Abschnitte mit gleichen
Themen folgen, ohne erkennbare Gliederung (11). Wenn ich auch
von den angenommenen Quellenverhältnissen noch immer nicht
überzeugt bin, schärft die Literarkritik doch den Blick für die
Spannungen im Text. E. Haenchen wird recht haben, daß man den
eigentümlichen Wechsel im Stil eher durch Aufnahme von
Traditionen, von fest geprägten Sätzen erklären muß (ThR 26,
1960, 19 f.).

Beachtlich ist die These, daß zwar 3 Joh ein echter Brief,
2 Joh dagegen ein fiktives Schreiben sei, das 1 Joh 'und 3 Joh
imitiere (10). Konsequent bespricht und erklärt B. 2 Joh erst
nach dem großen Schreiben und 3 Joh. Die Frage, ob 2 Joh ein
Pseudonymes Schreiben ist, das sich ähnlich wie die Pastoralbricfe
an eine anerkannte Autorität hält, aber nur, um einer Gemeinde
ein ganz konkretes Anliegen, die Abweisung der Irrlehrer, ans
Herz zu legen, ist ernstlich zu prüfen. Schlecht einsehen läßt
sich, warum der Verf. für Form, Absender und Schlußgrüße seines
fiktiven Briefes 3 Joh, für Inhalt und Stil aber 1 Joh benutzt
haben soll. 3 Joh hat, wie B. anerkennt, nichts mit Irrlehrern
zu tun, und der „Alte" hat in seinem Schreiben an Gajus mit
Widerständen eines örtlichen Gemeindeleiters zu kämpfen.
Warum benutzt der Verf. von 2 Joh dann in einem Schreiben
an eine gesamte Gemeinde gerade die Autorität des „Alten"?