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Ausgabe:

1969

Spalte:

545-546

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Fletcher, Joseph F.

Titel/Untertitel:

Moral ohne Normen? 1969

Rezensent:

Schweitzer, Wolfgang

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Gutwenger, E.: Auferstehung und Auferstehungsleib Jesu

(ZKTh 91, 1969 S. 32-58).
- Zum Erkenntnisproblem in der Theologie (ZKTh 91, 1969 S. 172

-183).

von Haebler, Hans Carl: Was ist Sünde? (Quatember 33,

1968/69 S. 67-72).
Hart well, H.: Karl Barth on Baptism (SJTh 22, 1969 S. 10-29).
H a r v e y , Van A. i Is there an Ethics of Belief? (JR 49, 1969 S.

41-58).

Haskamp, Reinhold: Der Gottesaufweis im dialogischen Pcrso-

nalismus (WissWcish 32, 1969 S. 67-78).
H e g a r t y , Charles M.: Bonhoeffer and Teilhard on Worldly Chri-

stianity (science et esprit 21, 1969 S. 35-70).
H e n d r y , George S.: Reconciliation, Revolution, and Repetance

(The Princeton Seminary Bulletin 61, 1968 S. 15-24).
H i n e s , John E.: Called or Not Called God is Prcsent (The Princeton
Seminary Bulletin 61, 1968 S. 10-14).
Hornus, J.-M.: La divinite du Saint-Esprit comme condition du

salut personncl (Verbum Caro 89, 1969 S. 33-62).
H u e r g a , Alvaro: La evolueiön de la Iglcsia segün Arintero

(Communio 1, 1968 S. 65-93).
Kasper, Walter: Mysterium Salutis (ThRv 65, 1969 Sp. 1-6).
Keller, Albert: Hermeneutik und christlicher Glaube (ThPh 44,

1969 S. 25-41).

Kirchgäßner, Alfons: Welt als Symbol. Würzburg: Echter-

Verlag [1968). 285 S. 8°.
Knust, Romanus: Die Eucharistie im ökumenischen Dialog im

Anschluß an die liturgischen Aussagen der Confessio Augustana

(ThGl 59, 1969 S. 115-131).
Körner, Johannes i Die transzendente Wirklichkeit Gottes (ZdZ

23, 1969 S. 46-56).
K r e m e r, Jacob: Ist Jesus wirklich von den Toten auferstanden?

(StZ 183, 94 1969 S. 310-320).
Langemeyer, Bernhard: Das Schuldbewußtsein des heutigen

Menschen und seine Bedeutung für die Theologie (WissWeish 32,

1969 S. 92-102).

ETHIK

Fletcher, Joseph: Moral ohne Normen? Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus G. Mohn (1967). 157 S. 8°. Lw. DM 12,80. (Aus dem
Amerikanischen: „Situation Ethics. The New Morality". Philadelphia
: Westminster Press 1966, übersetzt von H. Weißgerber).
Dies ist eine konsequente Situationsethik, die sich bemüht, „die
Liebe in einer Welt der Relativitäten zur Geltung zu bringen; ihr
Mittel ist eine der Liebe gehorsame Kasuistik" (144). Im deutschen
Vorwort des Übersetzers wird (wohl ungewollt) der Eindruck erweckt
, als ginge es F. darum, aus den Schriften des Bischofs
J. A. Robinson „Konsequenzen zu ziehen" (8). F. war aber schon
Anfang der fünfziger Jahre in den USA als Situationsethiker bekannt
(vgl. hier 139 f mit Anm.); und in seinem eigenen Vorwort
in der amerikanischen Ausgabe betont F. auch ausdrücklich, daß
die „neue Moral" im Grunde keineswegs neu ist. Insofern ist es zu
begrüßen, daß der deutsche Buchtitel den Begriff vermeidet.

Im Eingangskapitel (11 ff) sucht F. seine Position gegenüber Legalismus
und Antinomismus abzugrenzen. „Nur das Liebesgebot
ist kategorisch gut" (20). Aus ihm läßt sich kein System, wohl aber
eine „Neokasuistik" entwickeln (23). Selbst Oldhams Begriff der
„middle axioms" wird abgelehnt (25 f). - Im nächsten Kapitel (33 ff)
bekennt F. sich 1. zum Pragmatismus als Methode (35), 2. zum Relativismus
, 3. zum Positivismus (theologisch: „Der Glaube steht an
erster Stelle", 41) und 4. zu einem Personalismus, der „alles andere
als individualistisch" ist (42). Der Gewissensbegriff wird von F. »auf
die Zukunft bezogen, er ist direktiv, nicht nur reaktiv" (45).

Im Hauptteil werden kapitelweise sechs Thesen über die Liebe als
Zentrum der Situationsethik entfaltet: 1. Nur die Liebe ist gut - und
zwar als richtige Handlung in einer gegebenen Situation (48 ff). -
2. Liebe ist die einzige „leitende Norm" (59 ff). Ihr „Lebensprinzip"
ist „der gute Wille, der Hand in Hand mit der Vernunft am Werke
ist" (59). Analog zu Kant heißt es dann: „Wir folgen dem Gesetz,
wenn überhaupt, um der Liebe willen" (60). Selbst das erste Gebot
gilt nicht unbedingt: denn Gott weiß, „wann er fälschlicherweise,
aber aus Liebe geleugnet wird" (62). - 3. „Liebe und Gerechtigkeit
sind dasselbe, denn Gerechtigkeit ist angewandte und ausgeteilte
Liebe" (76). In diesem Zusammenhang wird ein Utilitarismus bejaht,
bei dem an die Stelle des „Lustprinzips" die agape tritt (84). Straf-

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gesetze sind für den Situationsethiker „eine notwendige Gefahr, aber
notabene nicht notwendig ein Übel" (87). - 4. Liebe ist nicht nur
Gefühl, daher kann sie auch „befohlen" werden (91 ff) und schließt
vernünftige Planung ein (105). - 5. Der Zweck, d. h. die Liebe,
rechtfertigt die Mittel (107). Aber „nicht jeder alte Zweck" rechtfertigt
„auch alle alten Mittel" (108). „Gewissensfragen" legalistisch abzuhandeln
, ist sinnlos (111): Konflikte zwischen Mitteln gibt es nur
unter der Voraussetzung einer Wertethik. - 6. „Entscheidungen der
Liebe kommen aus der Situation" (122), nicht aus Vorschriften oder
Ideologien. F. beruft sich hier u. a. auf Tillichs Korrelationsmethode
(130). - In einem Nachwort sucht F. die verstreuten theologischen
Begründungen seiner Thesen zusammenzufassen; besonders
hervorgehoben wird ihre christologische Begründung (143).

Leider ist der Anhang der amerikanischen Ausgabe nicht mit
übersetzt worden. Er enthält eine kurze Auseinandersetzung mit
dem Pietismus, der sich weigert, sich mit politischen Fragen zu befassen
, sowie einen entsprechenden Angriff auf den Moralismus (in
der Bundesrepublik wäre hier an die merkwürdige Aktion „Sorge
um Deutschland" zu denken); außerdem die Darstellung von vier
besonders gelagerten Entscheidungen. Vielleicht waren Verlag und
Übersetzer der Meinung, daß diese „Fälle" entbehrlich waren; denn
das Buch enthält ohnehin zahlreiche Skizzen von Fällen, die meist
zeigen, daß der Legalismus mit den wirklichen Lebensfragen nicht
fertig wird. Vor allem in diesen Skizzen wird die herkömmliche
Moral weit mehr in Frage gestellt als in Bonhoeffers bekanntem
Kapitel über „die Wahrheit sagen" (von F. zitiert 137). Was F. über
Fälle von Euthanasie (64, 117), Schwangerschaftsunterbrechung
(30 ff, 120), über vorehelichen Verkehr (131) oder auch über die
Entscheidung zum Abwurf der Atombomben 1945 (86) sagt, wirkt
oft schockierend. Man darf dabei nur nie vergessen, daß die Beispiele
gerade nicht als Grundlage allgemeiner Gesetzgebung gedacht
sind! Es geht F. darum, Freiheit vom Gesetz zu manifestieren. Die
Korrelation zwischen Liebe und Situation, die auf irgendeine Weise
in jeder christlichen Ethik berücksichtigt wurde, soll nun, im „Zeitalter
der Ehrlichkeit" (135), offen durchreflektiert werden. An dieser
Stelle liegt sicher das größte Verdienst dieses Buches. Dabei betont
F. mit Recht, daß ethische Entscheidungen nach seinem Modell
nicht leichter, sondern schwerer sind als die Befolgung moralischer
Gebote (86 f, 123; vgl. auch 125). - Vielleicht wäre es gut gewesen,
wenn F. weniger Beispiele aus dem Bereich der Sexualethik genommen
hätte, zumal auch hier die an sich von ihm abgelehnten Verallgemeinerungen
nicht ganz unterbleiben: nach dem amerikanischen
Vorwort (S. 12) liegt ihm ausdrücklich daran, daß der Begriff
„neue Moral" keineswegs nur Laxheit in diesem Bereich meint.

F.s Ablehnung der „middle axioms" (25) ist nicht überzeugend.
Müßte der Begriff der Situation nicht auf bestimmte kulturelle Gesamtsituationen
ausgeweitet werden, die gemeinsame, von der Liebe
und der mit ihr im Bunde stehenden Vernunft bestimmte, Entscheidungen
verlangen? Entscheidungen, die dann verstanden werden
müssen als Bindung an den uns gemeinsam verpflichtenden Willen
Gottes und damit an das Gesetz, wie es in einer solchen Gesamtsituation
auszulegen ist? Um der Liebe willen kann sich die Ethik
der Erarbeitung solcher gemeinsamer Regeln nicht entziehen, so gewiß
die Liebe in Einzelfällen diese Regeln wieder durchbrechen
muß (dieses Schema will F. freilich nicht gelten lassen).

Studenten wird man davor warnen müssen, sich an Hand dieses
Buches Meinungen über dort zitierte Autoren zu bilden - seien es
Philosophen oder Theologen. F. geht meist nur aphoristisch und infolgedessen
oft auch in irreführender Weise auf sie ein (z. B. auf
Bonhoeffers Diskussion über das Denken in zwei Räumen: 49).

Die Übersetzung läßt gelegentlich zu wünschen übrig: S. 19, Z. 15
muß es statt „auch": „zwar" heißen. - S. 95, 4. Z. v. unten ist wahrscheinlich
als provisorische Übersetzung des Vorangehenden der
Ausdruck „oder gar höchste Perfektion" stehen geblieben. - Sinnentstellend
lautet jetzt S. 111, Z. 1. Dort muß richtig gelesen werden:
„zu einer Maxime, der alle genannten Methoden offensichtlich widersprechen
". - Schließlich fehlt einigen Theologen nach F. doch
nicht „der Sinn für historische Spitzfindigkeiten" (historical sophi-
stication), sondern der „Sinn für detaillierte historische Argumentation
" (137). - S. 149, Anm. 46 verdirbt ein Komma einen bekannt-
ten Buchtitel Reinh. Niebuhrs. Und J. Bennetts (sie!) Name ist leider
nur einmal richtig geschrieben worden (S. 153, Anm. 44; vgl. dagegen
Index).

Bethel Wolfgang Schweitzer

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 7