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Ausgabe:

1969

Spalte:

526-527

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Tecklenburg Johns, Christa

Titel/Untertitel:

Luthers Konzilsidee in ihrer historischen Bedingtheit und ihrem reformatorischen Neuansatz 1969

Rezensent:

Schwarz, Reinhard

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des Herzens"; und damit stoßen „wir auf die innersten Probleme
des Glaubens". Gleich der folgende Beitrag von Regin P r e n t e r
lehrt Luthers sola fide nicht als Anti-Synergismus verstehen. Es geht
um das echte Zusammenwirken des Gerechtfertigten mit Gott.
„Luthers Rede von dem freien Zusammenwirken Gottes und des
Menschen im Heilswerk" ist deshalb „nicht synergistisch", weil „das
Mitwirken des Menschen von dem Heiligen Geist und nicht durch
den freien Willen des Menschen bestimmt ist" (S. 275).

Die Predigt Luthers in den innerer Gcmeindebildung dienenden
Jahren 1522-1524 analysiert Heinrich Bornkamm. Ihr evangelischer
Grundtenor ließe sich folgendermaßen zusammenfassen:
„Glaub got, Hylff deynem nechsten, das lert das gantz euangelion"
(S. 61). Bengt H ä g g 1 u n d spricht die Evidenz der Heiligen Schrift
als eine solche an, die nur in der christlichen Gemeinde anerkannt
ist (S. 119). Kirche, so legt Horst Beintker dar, läßt sich nach
Luther nur als geglaubte und glaubende Gemeinde beschreiben. Das
wäre eine aus der Rechtfertigungstheologie erfaßte Beachtung von
Luthers Kirchenverständnis. Gesetz und geknechteter Wille werden
im Sinne Luthers von Ragnar Bring aufeinander bezogen. Wenn
Luther in dem, was Paulus lehrte, ein Musterbild seiner eigenen
Ausführungen sah, so stimmt das nicht durchweg (Zwei-Reichc-
Lehrc, Kampf zwischen Geist und Fleisch), aber Luthers Verständnis
des simul iustus et peccator ist „eine legitime Konsequenz aus
der paulinischen Theologie" (S. 88). Worttheologie und „Eucharistie
presence" Christi werden von George W. F o r e 11 aufeinander bezogen
. Leider rektifiziert auch der Kontext den Eindruck nicht, den
folgender Satz Forells macht: „. . . if the Doctrine of the Word is
seen in the light of the Eucharistie presence a number of difficul-
ties should immediately disappear" (S. 96).

Viel Raum ist Luthers Auseinandersetzung mit den geistigen
Kräften seiner Zeit bzw. vor seiner Zeit gewidmet. Zur kontroverstheologischen
Methode und Denkform bei Luther führt Friedrich
Wilhelm Kantzenbach aus, der Reformator habe sowohl bei
Nestorius als auch bei Eutyches wie bei den Antinomisten das Evangelium
als verkürzt vorhanden erkannt. Hayo Gerdes vergleicht
Luthers Pncumatologie mit der Gcrsons. Im Unterschied zu dem
von Luther bisweilen gelobten spätmittelalterlichen Reformtheologen
ist des Reformators Lehre vom Wirken des Geistes nicht verbunden
mit der „Einung der gläubigen Seele mit Gott" als einer
„Sondererfahrung des geübten Mystikers" (S. 108). Zu konstatieren
wäre, „daß für Luther nicht die mühevolle Erhebung und Sublimic-
rung der Seclenkräftc, sondern einzig und allein das den Glauben
entzündende Wort Träger des Geistes ist. Dies Wort ist identisch
mit dem .sensus publicus' der Heiligen Schrift" (S. 109). In Auseinandersetzung
mit Heckcl zeichnet durch Heranziehung Ockhams
Helmar Junghans das mittelalterliche Vorbild für Luthers Lehre
von den beiden Reichen. Die Gewissen bindende Macht der römischen
Kirche zu Beginn des 16. Jahrhunderts wird deutlich, wenn
Hans V o 1 z eine bisher unbekannte Ablaßinstruktion (1516) für
die Mainzer Kirchenprovinz im Wortlaut mitteilt. Auf dem Hintergrund
dieses wichtigen Paradigmas der spätmittelalterlichen Ablaßverkündigung
ist Luthers Theseninitiative von 1517 zu verstehen
.

Immer wieder Gegenstand der Erörterung ist Luthers Stellung zu
Erasmus. Wenn dieser der Verfasser des „Julius Exclusus", eines
Dialogs über die Zurückweisung des Papstes Julius II. vor der Him-
mclstür, sein sollte, so wäre hier ein fruchtbarer Vergleichspunkt
zwischen Luther und Erasmus gegeben, meint Roland H. Bain-
t o n. Wilhelm Maurer weist auf die selbständige (im Grunde
das CIC aufweichende) Haltung des Erasmus gegenüber dem kanonischen
Recht hin, deren Folgen schwerlich zu überschätzen und
wohl auch für die Reformatoren in Anspruch zu nehmen sind.
Selbst wenn z. T. infolge erasmianischcr Haltung das Corpus Iuris
Canonici in seiner wesentlich die Kirche bestimmenden Funktion
abgebaut und als Steinbruch für die Grund- und Ecksteine zum
Neubau des Kirchcnwcscns benutzt wurde (S. 229), so ist die faktische
Rechtsveränderung sehr behutsam vorgenommen worden.
Mittelalterliche Stiftungen wurden in großer Zahl erhalten und
unter Veränderung ihres Zweckes in das neue Kirchenwesen eingefügt
, worauf Hans L i e r m a n n aufmerksam macht. Auf das nicht
erledigte Problem des Naturrcchts auch hinsichtlich der Lutherinterpretation
weist in Übereinstimmung mit dem Jubilar (S. 134) Lauri
H a i k o 1 a hin. Der Verf. erkennt den Grund dafür in folgendem:
Der „kantischc und der barthianischc Einfluß" führte dazu, „daß die

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naturrechtliche Seite auch in der Lutherforschung vernachlässigt
wurde" (S. 128).

Wichtige Anmerkungen zur weiteren Müntzerinterpretation im
Blick auf Luther macht Gordon R u p p. Der Verf. meint, es sei
falsch, Müntzers Theologie einfach an Luthers Kategorien von Gesetz
und Evangelium, an Rechtfertigung und Buße zu prüfen. Es
gab keinen wirklichen Dialog zwischen beiden. „Müntzer's pattern
of salvation was entirely different from that of Luther" (S. 306). Er
vermischte „natural and revealed theology", verband Trinitätslehre
und Konformität (Gleichförmigsein) mit Christus, vermischte de-
votio moderna, Mystizismus, biblische Wahrheit und „classical
thought".

Instruktive Aufsätze zur Biographie Luthers steuern Ingetraut
Ludolphy (Die Frau in der Sicht Martin Luthers) und Kurt
Meier (Zur Interpretation von Luthers Judenschriften) bei. Letzterer
meint, Luther sei überhaupt - nicht nur in seinen Spätschriften
- „eine richtige Konkretion seiner Rechtfertigungslehre (in seinen
Stellungnahmen zum Judentum) nicht gelungen" (S. 248).

In drei Beiträgen ist der europäische Rahmen der Wirkungen
Luthers aufgezeigt. Oskar B a r t e 1, der in gleicher Sache bereits
über Calvin geschrieben hat (s. in: Revue d'Histoire et de Philosophie
Religieuses, N° 1 - 1965, S. 93-108), untersucht Luthers Einfluß
auf Polen. Von 1518-1520 sind in diesem Lande allein 250 000
Exemplare verschiedener Lutherschriften erschienen. „Königsberg"
war das „erste polnisch-lutherische" Literaturzentrum, von dem
viele geistige Bewegungen ausgingen (S. 38 f). Rudolf Rican
kommt zu dem Ergebnis, daß zu Lebzeiten Luthers wohl in keine
Sprache so viele seiner Schriften übersetzt worden sind wie ins
Tschechische. Die 23 übersetzten Lutherschriften hätten nicht zuletzt
eine bedeutende Stellung „in der Entwicklung der tschechischen
Sprache und des tschechischen Schrifttums in der ersten Hälfte
des 16. Jahrhunderts" eingenommen (S. 296). Valdo Vinay geht
den italienischen Übersetzungen des Kleinen Katechismus nach. Ein
durch humanistische Kreise intendiertes größeres Übersetzungsunternehmen
für Lutherana scheiterte, aber am Laufe der Jahrhun
derte bis in die Gegenwart hinein hat die wiederholte Ausgabe des
Kleinen Katechismus eine bedeutsame Rolle für den italienischen
Protestantismus gespielt, „um das Wesentliche des reformatorischen
Glaubens allen Volksschichten zu übermitteln" (S. 392).

Am Schluß wird der erste Aufsatz des Bandes erwähnt, der den
Blick hin zum Anglikanismus weitet. James Atkinsons Beitrag
sagt viel aus zum Selbstverständnis seiner Kirche. Sie verpflichte
„ihre Glieder nur auf das Christentum des Neuen Testamentes und
nicht auf irgendeine spezielle Bekenntnisschrift. Von den Geistlichen
verlangt man nur allgemeine Zustimmung zu den 39 Arti-
kein, von den Laien aber nicht. - Anglikanismus ist mehr eine
Haltung als eine Lehre; ebenso ist er auch eine Weltbewegung"
(S. 9). Unter diesen Vorzeichen verhandelt der Verf. sein Thema:
„Die römisch-katholische Kirche und die Reformation in anglikanischer
Sicht".

Berlin Joachim R o g g e

Tecklenburg-Johns, Christa: Luthers Konzilsidee in ihrer
historischen Bedingtheit und ihrem reformatorischen Neuansatz.

Berlin: Töpelmann 1966. 214 S. 8° = Theologische Bibliothek
Töpelmann, hrsg. v. K. Aland, K. G. Kuhn, C. H. Ratschow und
E. Schlink, 10. Lw. DM 28,-.

Aus der Schule der Profanhistoriker C. Hinrichs (f 1962) und
G. Oestreich kommend, will die Autorin ermitteln, „ob und inwieweit
sich das Konzilsverständnis des Reformators von seiner Kenntnis
der Geschichte der Konzile und ihrer Theorie herleitet, oder
ob und inwieweit es aus einem völlig neuen reformatorischen Ansatz
und insbesondere aus einem neuen Kirchenbegriff hervorgeht
" (S. 13). Diese Alternativfrage wird abschließend eindeutig im
zweiten Sinne beantwortet (s. S. 194).

Um die Möglichkeit einer historischen Bedingtheit von Luthers
Konzilsbegriff zu prüfen, wird im 1. Hauptteil berichtet, wie sich
Gedanke und Gestalt einer allgemcinchristlichen Synode in den
Phasen der Geschichte bis hin zur Reformation gewandelt haben.
Bei den einzelnen Epochen wird sogleich Luthers Urteil über die
Konzile jener Zeit cingeflochten; doch werden weder die bei Luther
selbst vorliegenden Veränderungen seines Gesichtsfeldes noch die

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 7