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Ausgabe:

1969

Spalte:

519-521

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Kaiser, Philipp

Titel/Untertitel:

Die gott-menschliche Einigung in Christus als Problem der spektulativen Theologie seit der Scholastik 1969

Rezensent:

Junghans, Helmar

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519

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 7

520

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Kaiser, Philipp: Die Gott-menschliche Einigung in Christus als
Problem der spekulativen Theologie seit der Scholastik. München:
Hueber 1968. XIV, 349 S. gr. 8° = Münchener Theologische Studien
, im Auftrag der Theologischen Fakultät München hrsg. v.
J. Pascher, K. Mörsdorf u. H. Tüchle. II. Systematische Abt., 36.
DM 38,-.

Die vorliegende Arbeit wurde 1966 von der Katholischen Fakultät
in München als Dissertation angenommen. Sie ist zunächst eine
dogmengeschichtliche Studie in der Form eines Längsschnittes, in
dem verschiedene Interpretationen der hypostatischen Union von
Bonaventura bis zu Karl Rahner und Herman M. Diepen vorgeführt
werden. Sic will aber noch mehr sein. Sie versucht, Grundlagen für
ein neues Verständnis dieser Union zu schaffen, und bietet selbst
einen Entwurf für eine neue Christologic.

Der erste Hauptteil (10-93) befaßt sich mit der Hoch- und Spätscholastik
. Ein erstes Kapitel stellt die Lehre der franziskanischen
Schule an Hand von Bonaventura, Johannes Duns Scotus, Wilhelm
von Ockham und Gabriel Biel dar, das zweite Kapitel die der tho-
mistischen Schule nach Albert dem Großen, Thomas von Aquin, Johannes
Capreolus, Thomas de Vio Cajetanus, Bartholomaeus Mc-
dina und Dominicus Banez. Erst in einem dritten Kapitel wird Du-
randus de S. Porciano abgehandelt, da er sich in keine der beiden
Schulen einordnen liefj, obgleich auf seine Anschauungen, die aus
dem Anfang des 14. Jh. stammen, vorher schon einigemale hingewiesen
werden mußte.

Dieser erste Hauptteil wurde, wie aus dem Vorwort hervorgeht,
nachträglich vorangesetzt und ist - was sich bei der Stoffülle nur
schwer vermeiden läßt - den Handbüchern sehr verpflichtet, so daß
auch von Monographien schon längst widerlegte Schemata auftauchen
, obgleich die ausgiebig beigegebenen Zitate den Eindruck erwecken
können, es sei alles aus den Quellen erarbeitet. So wird bei
Ockham behauptet, er lehre (29): „Die Einigung im Gottmenschen
kann vernunftmäßig nicht aufgezeigt werden und ist allein im
Glauben zu erfassen." Dazu wird aus Ockham zitiert: „Circa primum
sciendum quod licet unio non potest demonstrari: sed solum fide
tenetur, tarnen ad intelligcndum istam unionem possumus manu-
duci per aliam unionem puta materiae et formae, substantiae et
accidentis." Es steht also ausdrücklich da, daß man die Union „vernunftmäßig
" aufzeigen, wenn auch nicht demonstrieren kann. Hier
wird deutlich, daß es nicht um entweder Wissen oder Glauben geht,
sondern um ein Erfassen von Wahrheiten, die sich nach einer strengen
Auslegung des aristotelischen Wissenschaftsbegriffcs nicht demonstrieren
lassen. Ebenso dürfte es eine Vergröberung sein, wenn
betont wird, die franziskanische Schule stelledic Unüberbrückbarkeit
zwischen Göttlichem und Menschlichem heraus. Diese von der tho-
mistischen Schau, die sich eine Verbindung von Göttlichem und
Menschlichem nur im Rahmen ihrer eigenen Metaphysik vorstellen
kann, geprägten Unterstellungen führen dann auch zu der Behauptung
, trotz der Ausführungen über die Union seien bei Ockham
Gott und Mensch in Christus doch nicht eins, sondern es werde eine
Dualität deutlich. Diese Behauptung ist nicht neu, ihr ist aber in
neuerer Zeit von Heiko A. Oberman energisch widersprochen worden
. Der Verf. will mit seiner Darstellung die franziskanische Theologie
nicht abwerten, sondern er betont, daß bei ihr der „Aspekt des
Geheimnisses ... in guten Händen" sei, ebenso wie sie dem Menschsein
Christi gerechter werde als die von der Einheit des Seins her
konzipierte Interpretation der thomistischen Schule, bei der allerdings
die Vereinigung des Göttlichen und des Menschlichen besser
festgehalten und erläutert werde.

Mit spürbarer Anteilnahme hat der Verf. im zweiten Hauptteil
(94-156) die Deutung der hypostatischen Union durch Franz Suarcz
dargestellt. Ihre Eigenheit liegt vor allem darin, daß sie nicht nur
über das statisch verstandene Verhältnis von Göttlichem und
Menschlichem in der Person Christi reflektiert, sondern den Ton auf
die Union selbst, und zwar auf ihr Werden, legt, was der Verf. als
Weiterführung der positiven Ergebnisse der Lehren der franziskanischen
und thomistischen Schule und des Durandus de S. Porciano,
der schon in diese Richtung gewiesen hatte, versteht.

Der dritte Hauptteil (157-202) informiert über Gabriel Vazquez,
die Salmantizcnser und Claudius Tiphanus - also spanische und
französische Theologen des ausgehenden 16. und 17. Jh. - die zwar
Vertreter der drei bereits in der Scholastik ausgebildeten Richtungen
waren, aber nun doch stärker auf die Eigenheit der Union als
modus eingingen. Der vierte Hauptteil (203-304) bietet „Das spekulative
Verständnis der hypostatischen Union in der Neuzeit", das
wiederum in drei Hauptrichtungen - franziskanische Schule (Trennungstheologie
), thomistischc Schule (Einigungstheologie) und Herman
M. Diepen (modale Theorie) - unterteilt wird. Dieser Teil erreicht
seinen Gipfelpunkt in der geradezu aufregenden Darstellung
der Lehre von Karl Rahner (264-290), wobei deutlich wird, daß der
Verf. von ihm starke Impulse empfangen hat. Der fünfte Hauptteil
(305-349) bringt schließlich eine Einschätzung der Lehrentwicklung
und ein Programm für eine Christologic der Gegenwart.

Dem Verf. liegt am Herzen, die Spekulation über die hyposta-
tischc Union durch den heilsgeschichtlichcn Aspekt zu bereichern.
Dafür hat er zwei Gründe. Zunächst erfordert dies das Hören auf
die biblischen Aussagen. Das wird auch bei Rahner deutlich, der
das hcilsgeschichtliche Moment nicht aufnimmt, indem er die bisherigen
metaphysischen Spekulationen weiterführt, sondern weil er
von den biblischen Aussagen über Christus ausgeht. Der zweite
Grund liegt in der gcistcsgcschichtlichen Entwicklung. Der Verf.
fordert, die theologische Aussage zu einer „Verkündigung für unsere
Zeit" auszugestalten, da der Theologie dieses seclsorgcrlichc
Anliegen immer als Ziel vor Augen stehen sollte (348 f). Obgleich
dies selbstverständlich sein sollte, ist die Theologie doch schon so
oft der Gefahr erlegen, sich ihre eigenen Probleme zu schaffen und
ihre Kraft darauf zu verschwenden, daß man dankbar sein muß,
daß der Verf. sich nicht scheut, das auszusprechen. Der Verf. leitet
seine Forderungen aber auch aus der Thcologicgeschichtc ab, die
zeige, daß jede Zeit nach dem Maß ihrer Erkenntnis die hypostatische
Union interpretiert habe, so daß es recht und billig sei, in
unserer Zeit die Fragen der Existenz Christi (im Sinne des Existen-
zialismus) und der Heilsgcschichte (in Anlehnung an unser Verständnis
der Geschichte und der menschlichen Gemeinschaft) bei
der Deutung des Chalcedoncnse in den Vordergrund zu rücken. Damit
will der Verf. aber keinesfalls die bisherigen Ergebnisse der
einseitig metaphysischen Spekulationen abtun, sondern er will sie
ergänzen, so wie er seine gesamte Darstellung unter dem Gesichtspunkt
des steten Fortschreitens der Erkenntnis gestellt hat und
versucht, das berechtigte Anliegen eines jeden Autors aufzunehmen,
wobei er sich auch nicht dadurch irremachen läßt, daß - was er mit
Schweigen übergeht - die literarische Darstellung von Teilen der
Assumptus-Homo-Thcologic, die Dcodat de Basly und L. Sciller vertraten
, 1951 indiziert wurden.

Das Programm verdient ohne Zweifel Anerkennung, ja, es ist geradezu
erregend, zu sehen, wie die katholische Theologie ihren in
der Scholastik angetretenen Weg neu überdenkt. Die vorliegende
Arbeit legt Zeugnis ab von dem Einbruch des heilsgcschichtlithen
Denkens der Bibel in die Vorstellungen der antiken Metaphysik,
deren Kategorien die Theologie der abendländischen Kirche von
früh an, besonders aber seit der Scholastik geprägt haben. Und hier
entsteht eben die Frage, ob sich diese beiden Denkweisen tatsächlich
so addieren und harmonisieren lassen, wie es dem Verf. vorschwebt
und sowohl die katholischen Vorstellungen von der Lchr-
cntwicklung als auch erkenntnistheoretische Evolutionstheorien erwarten
lassen.

Der Verf. hat sich zwei Dinge entgehen lassen, durch die er sein
Anliegen hätte noch stärker zur Geltung bringen können. Er hat
auf jeden Blick in die evangelische Theologie und evangelische
Darstellungen der Dogmen- bzw. Theologiegeschichte verzichtet, wo
er seit Luther viel Material zu einer heilsgcschichtlich betonten
Christologie hätte finden können. Es sei z. B. nur daran erinnert,
daß über die Sclbstcntäußerung Gottes in der Inkarnation, die der
Verf. besonders berücksichtigt wissen will, die evangelischen Theologen
der Universitäten Tübingen und Gießen im 17. Jh. einen Streit
ausfochten. Er hat aber auch nicht die Geschichtlichkeit der jeweiligen
Interpretation zum Thema erhoben. Es wird zwar gestreift,
daß dieser oder jener Theologe einer philosophischen Anschauung
folgt, aber die Philosophiegeschichte wird nicht dem Aufbau zugrunde
gelegt, was schon zum besseren Verständnis der einzelnen
Theologen geholfen hätte, so aber hat die Einteilung nach Schulen
den chronologischen Ablauf verwirrt. Vor allem aber würden die
Ursachen der Art ihrer Lösungen verständlich werden, da die Ergebnisse
aus dem philosophischen Vorverständnis von Sein, Natur,
Person, Relation, Modus etc. resultieren, ohne daß damit in Abrede
gestellt werden soll, daß die Theologie selbst das Verständnis die-