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Ausgabe:

1969

Spalte:

516-517

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Chadwick, Henry

Titel/Untertitel:

Early Christian thought and the classical tradition 1969

Rezensent:

Andresen, Carl

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 7

516

Böhlig, Alexander: Mysterion und Wahrheit. Gesammelte Beiträge
zur spätantiken Religionsgeschichte. Leiden: Brill 1968. XII,
266 S. gr. 8° = Institutum Judaicum, Tübingen, O. Michel. Arbeiten
zur Geschichte des späteren Judentums und des Urchristentums
, 6. Lw. hfl. 46,-.

Die Sammlung dieser zum Teil schwer erreichbaren, zum Teil
noch nicht erschienenen Aufsätze ist sehr zu begrüßen. Böhlig, als
einer der besten heutigen Kenner der Gnosis und Herausgeber neu
gefundener gnostischer Texte bekannt, zeigt in allen Teilen dieses
Buches eine seltene, aber glückliche Verbindung von philologischer
Akribie und systematischer Durchdringung. Der erste Teil untersucht
den religionsgeschichtlichen Ort neutestamentlicher Begriffe
wie Mysterion und Wahrheit; B. ordnet die um sie schwingende
Gedankenwelt ganz dem Hellenismus zu, erkennt aber starke iranische
Einflüsse an. Solche werden auch in der Qumranliteratur aufgezeigt
. Dem Urchristentum sind iranische und hellenistische Elemente
auch durch das Judentum vermittelt, bei dem hellenistische
Einflüsse noch aus der Zeit vor den Makkabäern nachgewirkt haben
- ein Satz, gegen den ich jedoch Bedenken habe. Wesentlich
umfangreicher ist der zweite Teil, in dem Böhlig seine eigentliche
Stärke sieht, «Beiträge zum Gnostizismus'. Bisher sind noch nirgends
alle neuen Funde gnostischer und manichäischer Herkunft so vollständig
und geschlossen verwertet worden wie hier. Einiges ist besonders
hervorzuheben: B. sieht in einigen gnostischen Texten von
Nag Hammadi jüdischen Hintergrund; allerdings hätte man hier
noch stärker die Frage nach der vorgnostischen alexandrinischen
Umwandlung der angeführten jüdischen Einzelheiten stellen müssen
. Judenchristlicher Hintergrund ist bereits von Schoeps nachgewiesen
worden. B. trifft sich mit ihm in wesentlichen Punkten und
ergänzt ihn. Mehrere Aufsätze beschäftigen sich mit einer von B.
selbst edierten Schrift des Codex Nag Hammadi II. Sie stellt ein
geradezu unwahrscheinliches Gemisch von allem dar, was es in
Alexandria an Bildern, Ideen, religiösen und pseudoreligiöscn Strömungen
gab, und erst von solchen Schriften aus versteht man,
warum griechische Denker wie Ammonios und Plotin einen geradezu
leidenschaftlichen Kampf gegen alle Gnosis kämpften. Die
sauberen Analysen Böhligs vermögen es, dieses spröde Material
wenigstens auf dem Weg genetischer Strukturanalyse zugänglicher
zu machen. Bei der ebenfalls sehr sorgfältigen analytischen Untersuchung
der Adamapokalypse ist vielleicht das iranische Element
überwertet; was ist schließlich bei diesen mithrischen Gnostikern
noch wirklich iranisch auß er dem Namen Mithras? Erstaunlich ist
hier aber - wie übrigens auch in den folgenden gnostischen und
manichäischen Aufsätzen - die ungeheure Kenntnis auch entlegensten
, kaum zugänglichen Materials, die der Verfasser besitzt.
In gewisser Weise ist der dritte, manichäische Teil sogar der wichtigste
im ganzen Buch. Denn über den im letzten Grunde noch sekundären
, aber sensationell aufgemachten neueren Funden verschiedener
Art sind die hoch bedeutsamen Manifunde fast vergessen
, noch immer nicht vollständig ediert und kaum ernsthaft bearbeitet
. Hier nimmt nun Böhlig die Arbeit wieder auf, man wird
ihm dafür nicht genug danken können. Daß die Schwierigkeiten
schon bei der Textherstellung viel größer sind als bei Nag Hammadi
oder Qumran, versteht sich von selbst, um so anerkennenswerter,
daß sich Böhlig nicht entmutigen läßt. Inhaltlich ist wesentlich, daß
B. die Abhängigkeit Manis von Markion stark unterstreicht, so daß
er ihn als „konsequente Weiterführung Markions" (S. 211) versteht.
Von da aus versteht sich auch die große Bibelkenntnis der Mani-
chäer, auf die bisher so noch nie hingewiesen wurde. Zwei Aufsätze
beschäftigen sich mit der manichäischen Predigt; daß es sich
bei den Synaxeis, deren Text allerdings sehr verstümmelt ist, um
ein Perikopenbuch für Predigtzwecke handelt, leuchtet ein. Die Bedeutung
der kynisch-stoischen Diatribe für die manichäische Predigt-
<'art ist glänzend erkannt. In den koptischen Kcphalaia-Texten steckt
im übrigen mehr ursprünglicher Mani, als bisher zugegeben wurde,
auch dieser Nachweis ist B. gelungen. Das einzige, was ich an dem
wertvollen Buch, das in Einzclfragen noch eine große Reihe von
Problemen aufweist und Lösungswege erschließt, schmerzlich vermisse
, ist ein Register. Der Verlag, der ein Buch so gut austattet,
wie es bei solcher Literatur nicht allzu häufig ist, hätte sich wirklich
die Kosten eines solchen nicht ersparen dürfen.

Speyer a. Rh. Carl Schneider

Chadwick, Henry, Prof.: Early Christian Thought and the
Classical Tradition. Studies in Justin, Clement, and Origcn. Oxford
: Clarendon Press 1966. VII, 175 S. 8°. Lw. 25 s.
Die neueste Publikation des bekannten Patristikers und Regius
Professor of Divinity von Christ Church, Oxford ist aus einer Vorlesungsreihe
zum frühen Christentum Alexandriens hervorgegangen
, die er im Rahmen der Hewatt Lectures 1962 am Union Thco-
logical Seminary in New York gehalten hat. Ihre zahlreichen Anmerkungen
vermitteln dem damaligen Hörerkreis nachträglich
einen eindrucksvollen Blick in die Gelehrtenstube und zeigen ihm,
auf welcher soliden Quellenbasis das Dargebotene sich gründete.
Der Fachgelehrtenkreis hingegen, vor dem eben die gleichen Anmerkungen
die eigene Position in der Forschungsdebatte begründen
, und von dem etwas ironisch das Vorwort feststellt: „... for
whom the stuff of a book consists in the notes and marginalia",
stellt - vielleicht zu seinem eigenen Erstaunen - fest, daß auch
solche Darstellungen bekannter Themen „vor einem breiteren Publikum
" (Vorwort) für Fachgelehrte ihren Reiz haben: sie gestatten
den Einblick in das persönliche Engagement, das sich mit einem
Forschungswerk eines Fachkollegen verbindet. Was im wissenschaftlichen
Forschungsgespräch möglichst verdrängt, weil verobjektiviert
wird, liegt hier offen zutage. Sicher ist dem der Wechsel
des Forums günstig. Förderlich ist ihm auch, daß der mündliche
Vortrag einer ungezwungeneren und auch plastischeren Ausdrucksweise
Entfaltungsmöglichkeiten bietet'. Letztlich ist es aber der
alten Weisheit von Mt. 12,34 zu danken, daß in der Vorlesung die
Intentionen eines Wissenschaftlers leichter greifbar werden. Dabei
erweist sich die Schwerpunktsbildung als wichtiges Indiz. Das wird
im vorliegenden Fall besonders deutlich, wo die postume Literarisierung
des Vorgetragenen bezeichnenderweise gerade diese Eigentümlichkeit
verwischt. So gibt das Inhaltsverzeichnis für die vier
Kapitel des Buches gleiche Seiten und damit auch Umfange an. Erst
die Lektüre belehrt, daß dieser erste Eindruck einer gleichmäßigen
Stoffverteilung täuscht. Nachdem in den beiden ersten Kapiteln
unter dem Stichwort „The Vindication of Christianity" (I) Justin
und als „The Liberal Puritan" (II) Klemens von Alexandrien dargestellt
worden sind, beschäftigen sich die beiden anderen Kapitel,
d. h. aber die zweite Buchhälftc, ausschließlich mit Origcnes, „The
Illiberal Humanist" (S. 66 ff).

Die ungewöhnliche Kennzeichnung des großen Alexandriners
warnt gleichzeitig vor dem vorschnellen Urteil, solche Schwerpunktbildung
resultiere aus dem simplen Faktum, daß der Verf. in zahlreichen
Forschungsbeiträgen - ich erinnere nur an seine englische
Übersetzung von Origenes, Contra Celsum mit ihrem gehaltvollen
Kommentar! - sich gerade mit Origenes recht intensiv beschäftigt
hat. Was Chadwick an dieser, im Westen nur noch mit Augustin vergleichbaren
Gestalt der altchristlichen Thcologiegcschichte reizt,
verbirgt sich vielleicht hinter dem Titel des letzten Kapitels: „The
Perennial Issuc" (S. 95 ff). Inhaltlich kreist dieses Kapitel um die
Frage nach der „Rechtgläubigkeit" dieses Theologen, ohne den wir
uns heute überhaupt nicht die altchristliche Dogmcnbildung vorstellen
können. Dabei empfindet Ch. die postume Verketzerung
nicht als das Kernproblem. Im Gegenteil, dieses historische Schicksal
der sich um die Kirche und ihre Lehre mühenden Theologen- hat
in seinen Augen eine bleibende, weil propädeutische, Bedeutung:
es zwingt den Kirchenhistoriker zur Antwort auf die systematische
Fragestellung, was das Wesen der Orthodoxie sei (S. 123). Was den
Fall des Origenes für Ch. so besonders exemplarisch macht, ist etwas
anderes: es ist sein kritischer Theologensinn, der ihm verwehrt, im
üblichen Sinn „orthodox" zu sein. Positiv wirkte sich dieser Kritizismus
eigentlich nur im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit der
griechischen Geisteskultur aus: „in comparison with Clement, Ori-
gen's overt attidue towards classical Grcck philosophy is even

') Nur zwei Kostproben. Der Unterschied zwischen Clemens Alexandrinus und
Origenes wird mit dem Satz umschrieben: „Origen does not belong to the polite
literary world of dinner-party conversation which is mirrored in Clement's pages"
(S. 102). - Der unterscheidenden Charakteristik origenistischer Soteriologie in
ihrem ethisch-idealistischen Humanismus und in ihrem Gegensatz zu dem metaphysischen
Konzept einer Vergottungslehre dient die Bemerkung: „The Steps to
heaven are a staircose to be climbed, not an escalator" (S. 119).

!) Ich erinnere nur an die katholische Debatte um die „Rechtgläubcgkeit" des
Theodor v. Mopsuestia vgl. ThLZ 90, 1965, 195-197. Wohl keine dogmatische Norm
eignet sich so sehr zur Demonstrierung der „Geschichtlichkeit" der Kirche als die
Antithetik von „Rechtgläubigkeit und Ketzerei".