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Ausgabe:

1969

Spalte:

514

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Jonas, Ilse

Titel/Untertitel:

Jochen Klepper 1969

Rezensent:

Ihlenfeld, Kurt

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Theologische Litcraturzcitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 7

514

ragendem Format" (30). So sei es kein anonymer orientalischer
Synkretismus, sondern unmittelbar Plato, der den Hellenismus bestimmt
. Man muß dazu nur Plato recht verstehen, und „Jaegers
Herausarbeitung der Theologie als d e r platonischen Grundwissenschaft
gibt uns den Schlüssel für ein neues und sachgemäßes Verständnis
der gesamten späteren Antike in die Hand" (37). In diesen
Zusammenhang muß man auch Paulus einordnen. Zu seiner
Zeit gibt es noch keinerlei Anzeichen einer Orientalisierung des
hellenistischen Denkens; nur das Judentum besitzt geistigen Einfluß
, wodurch aber die Zugehörigkeit des Judentums zum Orient in
Frage gestellt wird (84). Die Mysterienkultc gewinnen erst im 3.
und 4. Jahrhundert Bedeutung und müssen als Kontrastbildungen
zum Christentum verstanden werden (87).

Plato ist der Philosoph des Hellenismus; Paulus aber ist Hellenist
. Also ist Paulus Platoniker. Seine Bibel ist ein hellenistisches
Buch, die Scptuaginta; deren ihm besonders wichtige Schrift, die
Sapientia Salomonis, ist ein hellenistisches Buch. Das zentrale Problem
der paulinischen Theologie deckt sich mit dem platonischen
Zentralproblem: Paulus hat in der ,Gnosis' die eigentliche Mitte
der griechischen geistigen Welt gesehen, und sein eigener Erkenntnisbegriff
entspricht der innersten Struktur des griechischen, dem
es nicht um Anerkennung, sondern um Verstehen geht. Jeder
Grieche - und Paulus schreibt für Griechen - mußte die pauli-
nischc Theologie als Erfüllung des Piatonismus verstehen.

Demgemäß denkt Paulus durchaus unmythologisch. Wie schon bei
Plato, so schließt auch bei Paulus der Begriff .Gott' jede mythologische
Vorstellung aus; er ist reines Appellativum (135). Die bei
Paulus zweifellos begegnenden mythologischen Vorstellungen und
Begriffe sind allegorisch zu deuten; denn für Paulus als Kind seiner
(hellenistischen) Zeit ist die Allegorcsc die Denkform schlechthin
(137). Die spätere christliche Mythologie entstand durch Vergröberung
und Objektivierung der allegorisch gemeinten platonisch-
paulinischcn Gnosis. Diese vulgäre Umwandlung der „ungemein
konkreten paulinischen Terminologie" in eine „handfeste Mythologie
" war freilich unvermeidlich und führte zur sektiererischen
Gnosis, ein Prozeß, den man vom Kol. zum Eph. und bis hin zur
massiven Eschatologie der Thcssalonichcrbricfe (sie) verfolgen
kann (141).

Diese schon vom Verfasser des 2. Petr. (3,16) beobachtete mythologische
.Verdrehung' der paulinischen Gedanken war indessen keineswegs
allgemein. Die großen Theologen des 3. bis 5. Jahrhunderts
sind vielmehr echte Paulincr und damit echte Platoniker, die
christliche Theologie ist eine Seitenform des Piatonismus, der christliche
Platonismus deckt sich mit der Geschichte der alten Kirche, und
die Plato-Renaissance jener Jahrhunderte wäre ohne die christliche
Verkündigung gar nicht denkbar.

Daraus ergibt sich, daß die großen gnostischen Schulhäupter wie
Valentin und Basilides nicht anders als Marcion und Origcnes genuin
christliche Theologen sind, die sich - wie unvollkommen auch
immer - bemühen, Paulus zu verstehen. An kosmogonischen Problemen
sind sie nicht interessiert. Ausgangspunkt ihres Denkens
bildet der neutestamentliche Erwählungsgedanke, die christliche
Form der Vorstellung von Israel als dem erwählten Samen Abrahams
. Der Erwählte ist aus Gott geboren und insofern .Pneumatiker
'. Ihm steht der Psychikcr gegenüber als der noch unreife Christ,
und diese Differenz von Pneumatiker und Psychiker hat Paulus
ebenso geschaffen wie den absoluten Gebrauch von Pncuma überhaupt
(103 ff.). Die .gnostischen' Elemente bei Paulus sind nämlich
als paulinischc Bcgriffsbildungen verständlich, nicht aber aus der
.Gnosis' ableitbar, und die ,Gnosis' der großen Denker muß als
systematische Entfaltung der paulinischen Theologie angesehen werden
, als anspruchsvolle Religionsphilosophic überragender Persönlichkeiten
, als schöpferischer Akt genialer Geister.

Die von den Kirchenvätern bekämpfte dualistische Gnosis darf
man dagegen nur als vulgäre Depravicrung beurteilen, wie denn
überhaupt der Dualismus das Merkmal vulgärer Weltbilder ist.
Auch das Weltbild des früheren Platonismus muß deshalb eine
solche dualistische Vergröberung erfahren haben, von der uns freilich
„- man ist versucht zu sagen: glücklicherweise -" nichts erhalten
blieb (61 f.). Bei der z. B. von Hans Jonas mittels existentia-
ler Interpretation dargestellten Gnosis handelt es sich also überhaupt
nicht um ein echtes Weltbild, sondern um ein Abfallprodukt,
für das keine überragende Persönlichkeit verantwortlich zeichnet;
denn „daß überhaupt von einem menschlichen Seinsverhältnis gesprochen
werden kann", ist ja nach Langerbeck „lediglich die Folge,
die Wirkung der größten menschlichen Geister" (21) - „Auch Mani
ist lediglich Synkretist und kein Theologe" (163). Kainiten, Ophi-
ten, Mandäer und Manichäer sind „gesunkene Sekten" (21), „die jeweils
äußersten Randerscheinungen eines Verfallsprozesses" (23),
aus deren „äußerst dürftigen Machwerke(n)" (25) und „völlig obskuren
Produkten" (23) mit ihren „auf Schritt und Tritt begegnenden
Widersprüchc(n) und Absurditäten" (27) wir um so weniger
Richtungweisendes entnehmen dürfen, als diese Sekten „schon zu
Origcnes Zeit höchstens in einem lokalen Winkel existierten und
nicht mehr als einige Dutzend Personen umfaßten" (37 f.). Haben
wir es überdies bei den Mandäern" nicht einfach mit einem häretischen
Extrem der jüdischen Apokalyptik zu tun"?

Man schuldet H. Dörrics nicht nur dafür Dank, daß er diesen imponierenden
Entwurf überhaupt vorgelegt hat, sondern auch dafür,
daß er uns das selten gewordene Vergnügen macht, einen leidenschaftlich
bewegten und faszinierend schreibenden klassischen Philologen
kennen zu lernen, dessen sachliches Engagement es auch
demjenigen schwer macht zu widersprechen, dem der aristokratische
Charakter dieser Gedankenwelt wenig zeitgemäß erscheint.

Man würde diesem Entwurf frühchristlicher Thcologiegeschichtc
freilich nicht gerecht, wollte man ihn auf einzelne Fehlurteile hin
abhören. Fragwürdigen Einzclinterpretationcn stehen überzeugende
Einzelanalysen zur Seite. Die Ausführungen zur .Anthropologie
der alexandrinischen Gnosis' bieten Bleibendes zur Interpretation
von Valentin und Basilides, und der Einsicht, daß diese gnostischen
Schulhäupter von den kirchlichen' Theologen Alexandriens
nicht weiter entfernt sind als von den .vulgären' Gnostikern,
wird man gerne zustimmen. Dieser Tatbestand wird freilich in
einem der späteren Beiträge damit erklärt, daß wir es hier mit
,Vcrmittlungstheologie' zu tun haben (78), deren Diskrepanz zu der
kirchlichen regula fidei von den Kirchenvätern allererst aufgedeckt
werden muß, bevor man sie widerlegen kann (173). Das heißt doch
wohl: Diese Schulhäupter stehen nicht am Anfang einer Gnosis, die
in obskuren Dualismus hinein vulgarisiert wird, sondern bemühen
sich um einen Ausgleich zwischen gnostischem und kirchlichem
Denken. Deutet sich hier eine Selbstkorrektur des Verfassers an?
R. Bultmann, mit dem sich Langerbeck verständlicherweise besonders
kritisch auseinandersetzt, teilt in ThRs 33, 1968 S. 10 Anm. 1
aus seiner Korrespondenz mit Langerbeck mit: „Er sagte, wenn ich
ihm zeigen könne, daß bei Paulus Pneuma und Nous Gegensätze
seien, so würde er ,die Segel streichen'. Natürlich brauchte ich ihn
nur auf 1. Kor. 14,14 f. hinzuweisen. Er schrieb mir, daß er seinen
Irrtum einsehe . ..". In der Tat scheitert Langerbecks Entwurf an
fast jeder Zeile der paulinischen Korrespondenz, und auch die Voraussetzungen
seines Geschichtsbildes tragen nicht: Daß menschliches
Existenzverständnis nur durch geniale Geister entsteht, läßt
sich schwerlich geschichtlich begründen; welchem Genie verdanken
wir z. B. das historische Bewußtsein der Neuzeit, welchem den Fortschrittsoptimismus
der Aufklärung? Daß der Hellenist frei von
orientalischen Einflüssen sei und das Judentum keine orientalische
Größe, sind gewaltsame Urteile. Die Antithese von Theologie und
Synkretismus verrät mangelnde Einsicht in den geschichtlichen
Charakter der Theologie. Der Reduzierung der dualistischen Gnosis
auf Winkelsektcn widerspricht die Fülle der erhaltenen Literatur
ebenso wie die weltweite Verbreitung dieser Kreise und die Tatsache
, daß diese Gnosis lange Zeit mit der Kirche gefährlich konkurrierte
und der Kirche mehr Sorge bereitete als die staatliche
Verfolgung.

Aber es ist merkwürdig: Der Entwurf Langerbecks fasziniert
ganz unabhängig davon, welchen Grad von historischer Möglichkeit
man ihm zuspricht. Das liegt wohl daran, daß hier eine in sich
geschlossene Gegenposition zum Geschichtsbild der religionsgc-
schichtlichen Schule und der mit ihr verbundenen existentialen
Hermeneutik vorgelegt wird, eine Gegenposition, angesichts derer
die Dürftigkeit der üblichen Kritik an der Arbeit der religionsgeschichtlichen
Forschungsweise und der ihr verbundenen Hermeneutik
kraß ans Licht tritt. Darum setzen diese Aufsätze neue Maßstäbe
der Kritik, und man kann nur hoffen, daß diesem Maß in Zukunft
entsprochen wird. Die durch die Namen Bousset und Bultmann
bezeichnete Position läßt sich historisch sicher mannigfach
kritisieren und korrigieren, überwinden läßt sie sich nur durch
einen historischen Gesamtentwurf, der nicht weniger theologisch
ist als der H. Langerbeck vorschwebende christliche Platonismus.

Berlin Walter Schmithals