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1969

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Neues Testament

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 7

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Spanienreise (Rom. 15,24.28; 1. Clem. 5,7), von der freilich die Echtheit
der unterstellten historischen Situation nicht abhängig ist
(S. 13). Die Annahme einer Freilassung aus der 1. Gefangenschaft
wird durch die in Apg. 26,31 f.; Phil. 1,25; 2,23 f.; Philem. 22 implizierte
Erwartung gestützt (S. 12), obwohl 1. Tim. 3,14; 4,13 stilistisch
verwandt sind. Die Hypothese hat mehr für sich als gegen
sich und gestattet das Unterbringen der vorausgesetzten historischen
Situation in dieser Periode (S. 14). Überzeugend ist eine derartige
Argumentation freilich nicht für die kritische Wissenschaft,
sondern allenfalls für eine Position, die das Recht der kirchlichen
Tradition nur ungern aufgibt. Im Gegenzug zu W. Bauers kritischer
Rekonstruktion von Bezeugung und Kanonisicrung der Pastoralen
als antimarcionitische Reaktion und als .orthodoxe' Legitimierung
des bei gnostischen Häretikern beliebten und deshalb der
Orthodoxie verdächtigen Paulus1 hält Ridderbos deshalb auch die
beiden Sprichwörter in Polyk., Phil. 4, 1 (Vgl. 1. 1. Tim. 6, 7.10), die
linguistischen Berührungen zwischen Ign., Magn. 8,1 und 1. Tim.
1,4; Tit. 1,14; 3,9; zwischen lustin., dial. 7,3; 35,2; 47,5 und
1. Tim. 4,1; Tit. 3,4; zwischen Athenag., suppl. 13,2; 16,2; 37,1
und 1. Tim. 2,8; 6,16; 2,2 und zwischen Theophil., ad Autol. II, 16;
III, 14 und Tit. 3,5; 1. Tim. 2,2 für einen Beweis der literarischen
Abhängigkeit und der festen Zugehörigkeit zum Corpus Paulinum,
„das ± 150 einen unantastbaren Platz in der Kirche bekommen hat"
(S. 16). Die Gegeninstanz des Canon Marcionis (nach ca. 144) und
des Chester-Beatty-Papyrus SP40 (3. Jh.) besagt nicht viel: Die
äußere Bezeugung spricht „eher für als gegen die frühe Entstehung
und die Echtheit der Pastoralbriefe" (S. 17). Davon wird
sich freilich nur derjenige überzeugen lassen, der allen in der Kritik
hervorgehobenen Schwierigkeiten zum Trotz die Echtheit wie
einen unaufgebbaren Bestandteil christlicher Tradition behandelt,
auch wenn diese nur den gemeinchristlichen Jargon belegt (etwa
Polyk.; lustin., dial. 7,3; 47,5). Natürlich ist die vorausgesetzte
Irrlehre als solche kein Alterskriterium, wenn man an die juden-
christlich-gnostischen Tendenzen zu Lebzeiten des Paulus denkt;
auch ist der Bezug von 1. Tim. 6,20 auf Marcions Antithesen stark
hypothetisch (S. 17). Aber Iäfjt sich denn der formgeschichtliche
Unterschied dieser Ketzerpolemik mit ihrem Rekurs auf eine formale
Orthodoxie von der inhaltlichen Widerlegung der Gegner bei
Paulus selbst als leichtgewichtig bagatellisieren, ja sogar als Beweis
für ein frühes Stadium der kirchlichen Entwicklung verwerten
(S. 18)? Da5 unter diesen Umständen auch der von den Paulinen
unterschiedene formgeschichtliche Charakter der Pastoralen (Dienstschreiben
zur Ordnung der kirchlichen Disziplin; vgl. Kanon Mu-
ratori 59-63)*, die psychologische Schwierigkeit des Warum dieser
Briefe in der vorausgesetzten Situation (wenn schon ein kürzliches
Gespräch zwischen Paulus und Timotheus, Titus im Falle der Nichterwähnung
einer 1. Gefangenschaft, nicht aber über die kirchenrechtlichen
Details angenommen wird), die abweichende linguistische
Struktur bagatellisiert werden können, ist für eine derartige
Apologie wohl eine selbstverständliche Pflichtübung: In dem Dilemma
zwischen der merkwürdigen Anpassung des Anonymus an
Paulinismen und persönliche Daten im Falle der Unechtheit und
der trotz stilistischer Differenzen zu den Paulinen prinzipiell pauli-
nischen Autorschaft im Falle der Echtheit, bei der vielleicht diese
Differenzen zum Teil ungeklärt bleiben müssen, kann „die Wahl
kaum zweifelhaft sein"; die in beiden Fällen bestehende Diskrepanz
„ist besser zu ertragen, wenn wir im Prinzip von der Autorschaft
des Paulus ausgehen als von der eines Pscudo-Paulus" (S. 27)
und so auch die beliebte Sekretärs-Hypothese als wenig hilfreich
verwerfen (S. 30 f.). Die „unverkennbar paulinischen Ausdrücke
und Wendungen sind von einer derartigen Bedeutung, daß man,
um sie einem Pseudo-Paulus zuzuschreiben, bei diesem ein Raffinement
, eine Vertrautheit mit dem Stil des Paulus und eine kühne
Selbstidentifikation mit dem Apostel unterstellen muß, die man in
anderen Pseudepigraphen wohl nirgends findet, und die andererseits
wieder schwer zu vereinbaren sind mit der großen Unbefangenheit
, mit der der Autor vom Sprachschatz der anderen Briefe abweicht
". Das Leben ist „immer stärker variiert, empfänglich für
größere Möglichkeiten, souveräner in seiner Entfaltung als die Erklärung
, die man davon in einem Studierzimmer geben kann"
(S. 32).

3) W. Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum. (1934)
21964 (BHTh 10), 225 ff.

') Vgl. W. G. Kümmel, Einleitung In das Neue Testament. 1963, 265.

So richtig dieser Bezug auf die Erfahrung mit dem Leben selbst
und überdies auf den fragmentarischen Charakter der Urliteratur
und auf das Dunkel der Urgeschichte (F. Overbeck)5 auch ist, so
wenig darf die Kritik auf eine akzeptablere Rekonstruktion verzichten
, wenn sie nicht eine Vergesetzlichung und eine Verfälschung
der paulinischen Theologie zu einem statisch-uneschatologischen
Kirchenrecht als geistliches Testament des Apostels (vgl. 2. Tim.
4,6-8) heraufbeschwören will, was freilich in einem Lande nichts
Ketzerisches bedeuten kann, in dem einerseits in Auslegung von
Calvin, Instit. IV 20,9 der christliche Staat nach Ausrottung der
Ketzerei (vgl. Conf. Belg. XXXVI) und nach „Verchristlichung der
Kultur" ungestraft als das Ziel des regnum Christi und das Ende
aller Wege Gottes proklamiert wird (A. A. van Ruler)0 und die
„Wijsbegeerte der Wetsidee" andererseits theologischen Studien und
einer ganzen Universität (VU Amsterdam) philosophische Richtschnur
ist. Vielmehr läßt sich so das bürgerliche Christentum der
Pastoralen gut in die christliche Tradition der Niederlande einbauen
, so daß sich die sprachliche Grenze dieses Kommentars in
Deutschland zugleich als kulturell-theologische (konfessionelle)
Grenze auswirkt.

Bonn Ehrhardt Güttgemanns

5) Bei Ridderbos nicht erwähnt.

6) A. A. van Ruler, Gestaltwerdung Christi in der Welt. 1956.

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