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Ausgabe:

1969

Spalte:

502-504

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Aland, Kurt

Titel/Untertitel:

Studien zur Ueberlieferung des Neuen Testaments und seines Textes 1969

Rezensent:

Schaefer, Karl Theodor

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Seite 1, Seite 2

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Dietzfelbinger untersucht zuerst die Haltung des Paulus gegenüber
den judäischen Christen. Dabei ergibt sich, daß erhebliche theologische
Unterschiede in der Gesetzesfrage, dem Kirchenbegriff und
der Christologie für beide Seiten keinen Anlaß zur Preisgabe der
Glaubens- und Liebesgemeinschaft boten. Ganz anders verhält sich
Paulus gegenüber seinen Konkurrenten in Galatien und Korinth, die
er eindeutig der Irrlehre bezichtigt, obschon ihre theologische
Sprache und Vorstellungswelt seiner eigenen Theologie oft näher
standen als das palästinische Christentum. Dietzfelbinger kommt zu
dem überzeugenden Schluß, daß deshalb über Irrlehre nicht auf der
Basis theologischer Objektivationen entschieden wird, zumal Häresie
auch in das Gewand scheinbar korrekter Lehre schlüpfen
kann. Die Geschichtlichkeit des Evangeliums zwingt vielmehr dazu,
nach dem kerygmatischen Inhalt der ,Lehre' zu fragen, und wo
„das Evangelium als die Botschaft von dem die Menschen suchenden
, begnadenden und vollendenden Gott - in welcher Gestalt auch
immer - verkündigt wird, da sieht Paulus die eine Kirche, deren
in Christus und seinem Heil begründete Einheit zu wahren ist" (56).

Daß damit für die Frage nach der Irrlehre andere Maßstäbe gesetzt
werden, als sie bei der Bckcnntnisbcwcgung und ihren theologischen
Gewährsleuten üblich sind, liegt am Tage. Die .reine
Lehre' läßt sich nur in actu, nie zeitlos-definitiv formulieren; letztlich
wird sie in jedem Akt der Verkündigung neu definiert. Dietz-
felbingers Studie leistet deshalb einen sehr nützlichen Beitrag zum
gegenwärtigen Streit um die .moderne' Theologie, zumal sie flüssig
und auch für Nichtthcologen verständlich geschrieben ist.

Kritische Bemerkungen, die aber das theologische Ergebnis der
Untersuchung nicht in Frage stellen, müßten das dargelegte Verhältnis
zwischen Paulus und Jerusalem zum Gegenstand haben. Wie
der Verfasser selbst sieht, lassen die Paulusbriefe nicht zu, einen erheblichen
theologischen Disscnsus zwischen Paulus und den palästinischen
Judenchristen zu behaupten, geschweige denn zu beschreiben
. So entbehren auch die vom Verfasser beschriebenen Differenzen
oft der überzeugenden Textgrundlage, zumal innerhalb der
Paulusbricfe, und vor allem wird nicht erwogen, wie weit die palästinische
Christenheit unter dem Einfluß antiochenischen oder pauli-
nischen Christentums eine eigene theologische Entwicklung durchmachte
, die ihre Stellung zum Gesetz oder den Kirchenbegriff gegenüber
den Anfängen erheblich modifizierte. Wir müssen lernen, dem,
was die Paulusbricfe uns über die palästinische Urgemeinde erkennen
lassen, den Vorrang zu geben vor den zeitlich späteren und
schwer zu lokalisierenden Nachrichten der synoptischen Tradition.

Berlin Walter Schmithals

B r o c k , S. P., et J.-C. Picard [Ed.] i Testamentum Iobi. - Apo-
calypsis Baruchi Graece. Leiden: Brill 1967. IV, 96 S. gr. 8° =
Pseudepigrapha Veteris Tcstamenti Graece, ed. par A. M. Denis
et M. de Jonge, 2. hfl. 25.-.

Das Test. J o b i, ursprünglich hebräisch geschrieben, ist in
4 griech. Mss erhalten. Die Schrift liegt in älteren Ausgaben (1833
und 1897) gedruckt vor; eine deutsche Übersetzung findet sich bei
P. Riessler, Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel (1928).
Unter Benutzung der bisherigen, unbefriedigenden Druckausgaben
und einiger Collationcn legt S. P. Brock seiner Ausgabe Photokopien
zugrunde und zieht auch die slavische Übersetzung, die gedruckt
vorliegt, heran. Der dargebotene Text beruht auf einer Pariser
Hdschr. aus dem 11. Jh (P) als dem besten Zeugen. Nur wo er offensichtlich
irrt, werden seine Lesungen in den Apparat verwiesen.
Sonst sind im Apparat noch 2 Mss verarbeitet, ein vatikanisches (V)
aus dem 13. Jh und eins aus San Salvatore in Messina (S) vom
Jahr 1307. Dazu kommt noch die slavische Übersetzung, die ziemlich
frei paraphrasiert, wie das wohl schon von der griech. Übersetzung
gegenüber dem hebräischen Urtext anzunehmen ist.

In den ursprünglich jüdischen Text sind gelegentlich christliche
termini wie „Vater", der an manchen Stellen auch jüdisch sein
könnte, oder „(Heiliger) Geist" eingedrungen. Die slavische Übersetzung
zeichnet sich durch lebendige Sprache aus. Sie hat aber die
Vorlage öfter mißverstanden und auch willkürlich gekürzt oder
erweitert. Nur in wenigen Fällen ist sie dem Text von P überlegen.
Im allgemeinen aber ist P nicht nur der slavischen Übersetzung, sondern
auch den Handschriften V und S vorzuziehen. Einige Korrekturen
sind allerdings gegenüber der gesamten Überlieferung notwendig
. Teils sind sie bereits in den früheren Druckausgaben vorgenommen
worden, teils führt sie der jetzige Hrsg. neu ein.

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Die Ausgabe bietet eine klar und übersichtlich formulierte Einleitung
. Text und Apparat sind sachgemäß und sorgfältig bearbeitet
. So sind die notwendigen Voraussetzungen für die philologische
und religionsgeschichtliche Arbeit an dieser wegen ihrer Angelo-
logie und ihrer der essenischen verwandten Haltung bemerkenswerten
Schrift geschaffen.

Die griech. Baruch-Apokalypse ist eine jüdische
Schrift wohl des 2. oder 3. nachchristlichen Jahrhunderts, die die viel
umfangreichere syrische Baruch-Apokalypse voraussetzt. Sie steht mit
ihrem kosmologischen Inhalt, der Offenbarung von Schöpfungsgeheimnissen
, unter gnostischem Einfluß und ist christlich überarbeitet
. Sie ist seit 1886 in einer slavischen Übersetzung bekannt; der
griech. Text liegt seit 1897 gedruckt vor. Deutsche Übersetzungen
bietet V. Rysscl bei Kautzsch (1900) und P. Riessler aaO. Die über
das rein textgeschichtliche hinausgreifende Einleitung in die vorliegende
Ausgabe ist von S. P. Brock aus dem Französischen übersetzt
. Neben der in der Ausgabe von 1897 benutzten Hdschr. des
britischen Museums (A) hat der Hrsg. selbst eine 2. im Kloster
Hagia auf Andros 1964 aufgefunden (B). B stammt aus dem frühen
15. Jh, A vielleicht erst aus dem 16. Beide sind eng miteinander
verwandt. Die südslavische und die russische Übersetzung, deren
Verhältnis zueinander noch ungeklärt bleibt, kommen wegen ihrer
selbständigen Haltung der Vorlage gegenüber textkritisch wenig in
Betracht. Die Probleme sind vielmehr folkloristischer und frömmigkeitsgeschichtlicher
Art. Die Texte haben durch die Jahrhunderte
vielen Glaubensgemeinschaften in dem weiten slavischen Raum
gedient und sind jeweils den herrschenden Anschauungen adaptiert
worden. Die christliche Bearbeitung beschränkt sich auf bestimmte
Stellen (4,15: Blut Gottes, und neutestamentliche Anklänge in
11-17). Eine Umarbeitung mit Streichung des 6. und 7. Himmels
hat nicht stattgefunden, Baruch ist nur bis zu dem verschlossenen
Tor des 5. Himmels vorgedrungen.

Die Textbearbeitung beruht auf den beiden griech. Mss. An
schwierigen Stellen hat der Hrsg. im Apparat Verbesserungen vorgeschlagen
. Die Ausgabe verfolgt den Zweck, die Forschung auf die
hier vorliegenden zugleich schwierigen und interessanten Probleme
an der Grenze zwischen Judentum und Christentum hinzuweisen.

Die beiden Texte setzen die Reihe der Pseudepigraphen-Ausgaben
fort, die mit der Ausgabe der Testamcnta XII Patriarcharum (1964)
von M. de Jonge begonnen wurde.

Gießen Georg Bertram

Aland, Kurt: Studien zur Überlieferung des Neuen Testaments
und seines Textes. Berlin: de Gruyter 1967. IX, 229 S. 8° = Arbeiten
zur neutestamentlichen Textforschung, hrsg. v. Institut f.
neutestamentliche Textforschung d. Westfäl. Wilhelms-Universität
Münstcr/W., 2. Lw. DM 54,-.

Der Band enthält 12 Abhandlungen, die mit einer Ausnahme bereits
anderwärts, zum Teil an entlegener Stelle, gedruckt worden
sind, sämtlich revidiert und auf den Stand von 1966 gebracht. Die
meisten befassen sich mit Problemen der ntl. Textkritik. Da es sich
meist um vor verschiedenen Hörerkreisen gehaltene Vorträge handelt
, überschneidet sich ihr Inhalt vielfach. Um hier Wiederholungen
zu vermeiden, sei es erlaubt, summarisch über folgende Abhandlungen
zu referieren: Glosse, Interpolation, Redaktion und
Komposition in der Sicht der ntl. Textkritik (35-57); Der heutige
Text des griechischen NT (58-80); Bemerkungen zu Probeseiten
einer großen kritischen Ausgabe des NT (81-90); Das NT auf Papyrus
(91-136); Drei ntl. Papyri: <P7, W«, ^» (137-154); Die Bedeutung
des für den Text des NT (155-172); Die Konsequenzen
der neueren Handschriftenfunde für die ntl. Textkritik (180-201);
Der gegenwärtige Stand der Arbeit an den Hss wie am Text des
griechischen NT und das Institut für ntl. Textforschung in Münster
/W. (202-214); Die griechischen Hss des NT in Deutschland
(215-229).

Von den 1912 in Deutschland vorhanden gewesenen 124 Hss des
griechischen NT sind, praktisch seit 1933, 7 ins Ausland verkauft
worden, 35 verloren gegangen; einschließlich der 1912 schon in
Deutschland vorhanden gewesenen, später lediglich identifizierten
Texte sind nur 18 hinzugekommen, zum allergrößten Teil nur wenige
Blätter oder Bruchstücke solcher umfassend. Dafür aber besaß
das von Kurt Aland am 7. Februar 1959 gegründete Institut für ntl.
Textforschung 1965 bereits 4410 vollständige Filme oder Photo-

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 7