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Ausgabe:

1969

Spalte:

472-474

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Titel/Untertitel:

1962/63 1969

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 6

472

oLhouh€vt| ist der Bereich, in dem die Freiheit der Kinder Got
tes eine Wirklichkeit ist" (45).

„Die große Wende, die das Mailänder Toleranzedikt für viele
Jahrhunderte bedeutete, änderte in kurzer Zeit die Vorstellung von
der Oikumene und dem Gebrauch dieses Wortes" (50). „Das Kreuz
wurde Hoheitszeichen eines Reiches dieser Welt in dem Sinne, daß
alle, die Frieden und Freiheit in dieser Welt suchten, die Voraussetzungen
ihres Suchens mitbringen sollten! Nicht nur von der
Magie der Religuienverehrung, sondern auch von den kosmischen
Ideen emanzipierter Heiden wurde das Heils- und Hoheitszeichen
umgeben. An die Stelle der Ekklesia, die sich an ein bestimmtes,
zentrales Heilsgeschehen klammerte, trat die Oikumene, zu der
nach dem ewigen Heilsplan Gottes die Menschen aller Zeiten
gehörten" (60). „Alles Licht war aufgefangen in der neuen Wirklichkeit
, der Oikumene" (61). Besonders instruktiv ist Kyrill
von Jerusalem (f 386) in seiner Lehre von oImoq , olH06o|lf),
otnovouta und olHou|a£vn (vgl. 62f).

Dieser „christliche" Siegeszug' der hellenistischen Oikumene setzt
sich in der ekklesiologischen Verwendung des Adj.
OtuouneVLHÖQ f°rt:- Das angebliche Herrenwort von der „ökumenischen
Kirche" aus den Apost. Konstit. (VII.30) wird zwar
heute noch von hohen Würdenträgern und Theologen der Ostkirche
auf die Zeit vor 100 datiert (vgl. 70f), doch ist diese Schrift
„frühestens in der Mitte des 4. Jahrhunderts entstanden" (72).
Unter Theodosius haben noch „die Bischöfe von Rom und Mailand
gefordert, daß die östlichen Diözesen der Reichskirche den Gebrauch
des Terminus .katholisch' beibehielten", weil er „älter und
vor profanem Mißbrauch von jeher geschützt" sei (73). Der Konstantinopel
als das „Neue Rom" fixierende Kanon 28 von Chalkedon
ist auch ein wichtiges Dokument für den scharfen Dissensus bezüglich
der „ökumenischen Kirche". Denn nur einer der drei rö
mischen Legaten unterzeichnete diesen Kanon und tat es »erst
nachdem die von den Römern als schismatisch abgelehnten Termini
.ökumenische Kirche' und .ökumenische Lehre' aus ihrem Text
entfernt worden waren" (76). „Die Gleichstellung des ökumenischen
Kaisers mit den Aposteln und schließlich mit Christus selbst
looxoLcrroc, !] blieb von Seiten der weltlichen Herrscher nicht
unerwidert: Im Jahre 518 erklärte Kaiser Anastasios den Erz-
bischof von Konstantinopel ,für alle Zeiten' zum TOXTpt&pXTlS
olMovuevtwoe. Der seit Konstantin zum Inbegriff des göttlichen
Heils aller Völker entwickelte Terminus .ökumenisch' war nunmehr
der .wahren rechtgläubigen Kirche' zur Mitverwaltung übergeben
" (79). Auch der Thron des Patriarchen hieß nun, analog dem
des Kaisers, „ökumenisch" (80). Nach 600 „fand das Adjektiv
occumenicus Eingang in den amtlichen Sprachgebrauch der römischen
Kirche, und zwar ersetzte es jahrzehntelang sowohl das
Wort universalis als auch catholicus in der Verbindung mit syn-
odus und concilium" (86f). Aber das Märtyrerschicksal des Maximus
Confessor und von Papst Martin I. zeigte, mit welchen Mitteln
der imperator oecumenicus Konstantios II. der westkirchlichen Lateransynode
649/50 das Attribut „ökumenisch" streitig machte
(87-91).

Die neuzeitliche Wiedererweckung des Terminus Ökumene wird
vor allem Zinzendorf (26-29) zugeschrieben. Seine „Herzensidee",
die in „ökumenischer Liebe" dienende Gemeine, weist freilich in
eine ganz neue Richtung. Als weitere Stationen erscheinen (24f)
Alphonse Monod, die Allianzgründung in Paris 1855 mit ihrer
„base oecumenique" sowie D. L. Moody und John R. Mott, die
auf der „ökumenischen Studentenkonferenz" in Northfield/Mass.
1890 in dem jungen Soederblom eine „emotionale Umwälzung"
hervorriefen.

Erst seit seinem Studienaufenthalt mit Mott beim Ökumenischen
Partiarchen 1910/11 beginnt S., in die kirchengeschichtliche
und -rechtliche Problematik des „Ökumenischen" einzudringen und
den alten Begriff neu zu prägen (36-38, 70f). „Das Bemühen, das
jetzt (unter Soederbloms Initiative) um eine ganzheitliche Deutung
des konstantinischen Vermächtnisses einsetzte, mußte zunächst
darauf gerichtet sein, daß die ökumenischen Attribute ihres
byzantinischen Charakters entkleidet würden. Erst dann konnte
das Wagnis unternommen werden, die klassische Idee der Oikumene
als Leitbild für die ganze bewohnte Erde zu entwickeln"
(80). Als Leitgedanke S.'s von 1918 bis Stockholm 1925 kann sein
programmatisches Wort: „Der Bund der Völker muß Religion werden
" (zit. 118) angesehen werden. Sein „Glaube an die Zukunft"
zielt auf „die Rechtsgemeinschaft aller Menschen in harmonischer
Vollkommenheit: ein zur Rettung des Wcltlaufs fortschreitender

Kosmos" (ebd.). Solchen Glauben haben die Menschen „als Mitarbeiter
Gottes schöpferisch zu betätigen" (119).

Ähnlich wie Soederblom vertrat W. Temple eine „kosmische
Christologie": „Weil Christus ,für uns alle von Gott zur Weisheit
gemacht' sei, seien künftig auch die Weisheitsstrukturen der asiatischen
Umwelt in die Redeweise der christlichen Missionare einzugliedern
. Da es Gott gefallen habe, im Fleisch zu wohnen, gebe
es keinen Gedanken und keine Materie, keine Zeit und keinen
Raum, der nicht von dem allversöhnenden Fortschreiten der Weisheit
neues Licht empfange" (154). „Die Rede von einer .wahren
Kirche' mit reiner Lehre und rechtem Gebrauch der Sakramente
hatte T. schon in Lausanne (1927) als unzulänglich bezeichnet, weil
solche Rede dem harmonischen Ausgleich der Strukturen zuwiderlief
" (165). Stattdessen propagierte er als ökumenische Arbeitsmethode
einen „dialektischen Realismus": „Dialektisch wollte T.
die Auflockerung der noetischen Alternative sehen (für oder wider
den Christus der Schrift). Als realistisch galt für T. die Mobilisierung
aller im .Netzwerk solidarischen Empfindens' auffindbarer
Kräfte. Als realistisch erschien es ihm, ,den Kairos zu ergreifen,
der dem 20. Jahrhundert Ziel und Richtung gab', den Kairos einer
.mündig gewordenen Welt'. Die Materie der mündig und eins gewordenen
Welt strahlte seit Jerusalem (1928) in einem Lichte, für
das . . . die reformatorische Theologie .kein religiöses Organ' besaß
" (165f). Auf die Schilderung der ökumenischen Entwicklung
unter solchen „wcltförmigen Adaptionen" (168) bis zur Weltkonferenz
in Montreal 1963 kann hier nur verwiesen werden '165-188)

Die farbige Darstellung der Geschichte dieser heute sehr virulenten
ökumenischen Motive ist durchgehend kritisch. Den Standort
des Vf. kennzeichnet die durch die Fleischwerduna des Wortes ausgelöste
„Diakrisis der Geister": „Ein solcher Scheidungsprozeß
diente dazu, daß die Jünger in der Nachfolge Tesu geheiligt vom
Wesen dieser Welt gereinigt und selber Gottes M;tarbeitcr wurden.
Für die Jünger wurde die Scheidung der Geister der zentrale Vorgang
der Geschichte. . . . Die zentrale Forderunq lautete in jeder
der geschichtlichen Situationen: Abkehr von der aoroCw. TOß
woemou" (92). „Der Ruf zur Einheit, der im Volke Gottes vernommen
wurde, steht nur dann unter der Verhsifiunq des Kvri.^s
Christos, wenn seine Verwirklichung im Gehorsam seiner Nach
folge gesucht wird - unabhängig von den .andoren Ereignissen',
von den Mächten, Gestalten und .Wahrheiten' des Kosmos" (197.
unter Verweis auf Barmen These I).

Neben der hilfreichen inhaltlichen Erhellung des oft zu einem
schillernden Mythos gesteigerten Wortes „ökumenisch" ist m. E.
das 8. Kapitel „Die Kontinuität der Sprache - ein Zeichen der Einheit
" (103-113) besonders beachtenswert. Nicht die sekundären
Wortbildungen „ökumenisch" und „katholisch" sondern die ..folgenden
lateinischen Worte griechischer Herkunft: Evangelium und
ecclesia, martyrium und mysterium svmbolum und Uturqia,
dogma und diaconia" sollten „als primäre Zeichen der Kontinuität
und gleichzeitig als notae unitatis gelten" fllOV nenn „die entscheidenden
Antworten der In vielen Ländern zerstreuten Gemeinde
sind begrifflich, zeichenhaft und bis in den Klang der
Worte hinein in lebendiger Relation geblieben mit den Aussagen
iener ersten Zeugen, die das .lebcnb'inoende Wort der Wahrheit'
in griechischer Sprache aufschrieben" (108V Tn solcher dem Ursprung
verpflichtet bleibenden Tradierung und Obersetzung liegt
eine echte hermeneutische Aufgabe der Christenheit.

Leider sind so zahlreiche Druckfehler festzustellen, daß eine
Tiste der Corrigenda zu umfangreich würde.

Le'Pzi9 August Kimme

Internationale ökumenische Bibliographie. Bd. 1/2, 1962/63. Mainzi
Matthias-Grünewald-Verlag u. München: Kaiser [1967], XXVTT
400 S. 4°. DM68.-.

Hier wird kein einzelnes Buch angezeigt, sondern der Beginn
eines ganzen Unternehmens, dessen Internationalität von der
Sache her selbstverständlich ist. Die ökumenische Arbeit muß sich
je länger je mehr mit wissenschaftlichen Methoden ihr notwendiges
Handwerkszeug schaffen. Ein ganz hervorragender Beitrag
dazu ist der erste Doppelband einer internationalen Bibliographie,
der die auf die Ökumene Bezug nehmende oder für diese Arbeit
wesentliche Literatur aus den Jahren 1962 und 1963 enthält. Man
dürfte kaum zu hoch greifen, wenn behauptet wird, daß es in
Zukunft erst durch solche immense Literatursammlung möglich
ist, das zu bestimmten Themenkomplexcn Erschienene annähernd