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Ausgabe:

1969

Spalte:

468-470

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Dias, Patrick V.

Titel/Untertitel:

Vielfalt der Kirche in der Vielfalt der Jünger, Zeugen und Diener 1969

Rezensent:

Slenczka, Reinhard

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weitreichenden Differenzierungen anwendbar und läßt andererseits
erklärlich werden, daß die Anlange evangelischer Kirchenordnungen
nicht nur von rechtlichen, sondern nicht minder stark
von religiösen Gesichtspunkten bestimmt gewesen sind, wie denn
zu dem Bereich der Ordnung der Kirche auch in den hier abgedruckten
Ordnungen neben der Ordnung der Lebensbereiche und
der der Kirche insbesondere die gottesdienstliche Ordnung und die
Liturgie hinzugehören, vor allem aber Aussagen über die Lehre.
Die Aussagen über Glauben und Lehre als Hauptausdruck einer
stets primär religiös bestimmten evangelischen Bewegung lassen
den Bekenntnischarakter gerade der im vorliegenden Bande abgedruckten
Ordnungen sichtbar hervortreten, zeigen also die Korrelation
theologischer und (kirchen-)rechtlicher Elemente innerhalb
des Phänomens evangelischer Kirchenordnung besonders deutlich
(gewöhnlich jeweils als „credenda" und „agenda" in der Rechtsgeschichte
unterschieden).

In den hier behandelten Gebieten läßt sich sogar im 16. Jahrhundert
ein zweifaches Aufbrechen einer evangelischen Bewegung
feststellen, wie M. Simon in seiner großen Gesamteinleitung (S. 1
bis 15) darlegen kann: eine erste Bewegung in den 20er Jahren des
lö. Jahrhunderts, eine zweite um 1550.

Der Hauptanteil der Ordnungen entfällt auf das Herzogtum
Pfalz-Neuburg und die Oberpfalz (S. 39-249; S. 251-359). Dann folgt
uie Reichsstadt Regensburg (S. 361-519). Die kleine Grafschaft
Ottenburg (S. 521-536), gänzlich eingekeilt ins Gebiet des altgläubigen
Herzogtums Baiern, stellt ein Musterbeispiel für den Mut
der dortigen evangelischen Bewegung, zugleich für den Bekennermut
des damaligen Grafen Joachim (1530-1600) dar, der zudem
mit großer juristischer Umsicht die religiösen Freiheiten seiner
Grafschaft zu sichern und zu schützen verstanden hat. Die kleine
Grafschaft ist später ein wichtiges Verbindungsglied zu den evangelischen
Resten in Österreich gewesen, erste Station der Exulan-
tenzüye, bis sie im Jahre 1805 gegen die Herrschaft Tambach bei
Coburg an Bayern ausgetauscht worden ist. Wer das mutige Reformationsmandat
Joachims vom 25. Oktober 1563 kritisch liest,
(S. 529f.), der kann den evangelischen Bekenntnischarakter dieses
Dokumentes nicht leugnen, das um des Evangeliums willen auf
politische Rücksichten ganz verzichtet - eine Analogie im Kleinen
zu den 1930 von W. F. Schmidt und K. Schornbaum edierten „Fränkischen
Bekenntnissen" der 20er Jahre des 16. Jahrhunderts.

Der Band wird beschlossen mit einschlägigen historischen Dokumenten
der Herrschaft Rothenberg (S. 539-588) und Wolfstein
(S. 561-596). Bei diesen beiden Gebieten ist der Einfluß der bran-
denburg-nürnbergischen Kirchenordnung groß, insbesondere etwa
bei der Wolfsteiner „Christlichen Instructio" von 1574 (S. 566ff.).
Die territoriale Nähe beider Herrschaften - Rothenberg grenzt ja
direkt an das einstige Nürnberger Territorium - spielt hier eine
Rolle.

Aber auch sonst zeigt sich gerade in diesem Bande der durchgängig
große Einfluß der brandenburg-nürnbergischen Kirchenordnung
von 1533, die (ebenso wie in liturgischen Fragen
Veit Dietrichs Agendbüchlein) schulbildend gewirkt hat. Hinzu
kommt vielfach der Einfluß der Wittenberger/Sächsischen und der
Württemberger Ordnungen, insbesondere im Falle Pfalz-Neuburgs,
das langjährig den lutherischen Gegenpart zur „calvinistischen"
Oberpfalz darstellte (bis der Dreißigjährige Krieg in beiden Gebieten
die Reformation auslöschte). Je nach der konfessionalisti-
schen Ausprägung kommen zu den bereits genannten Kirchenord-
nungs-Einflüssen solche der Mecklenburgischen und der Heidelberger
Ordnungen hinzu.

Insgesamt kann der vorliegende Band der von E. Schling einst
begonnenen Edition den kräftigen Verlauf exemplarischer
Traditionsstränge innerhalb der Vielfalt evangelischer
Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts verdeutlichen, und es wird
gerade in dem vorliegenden Bande die von E. Sehling ausgesprochene
bahnbrechende These von den „Kirchenordnungsfamilien
" (vgl. RE3, Bd. 10, Sp. 458-460) erneut bestätigt. Solchen Beziehungen
ist Matthias Simon in den ausführlichen Anmerkungen
zu den edierten Texten und in seinen historischen Einzeleinleitungen
zu den einzelnen Gebieten sehr sorgfältig nachgegangen. Die
weiterführenden Quellen- und Literaturangaben sind hinsichtlich
ihrer bibliographischen Vollständigkeit besonders hervorzuheben.
Es mag abschließend zur Unterstreichung des kirchenrechtsge-
schichtlichen und theologischen Wertes der vorliegenden Edition
hervorgehoben werden, daß im alten „Richter" lediglich die Pfalz-

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Neuburger Kirchenordnung von 1542 enthalten gewesen ist, daß
Oberhaupt 76 von insgesamt 83 gebotenen Dokumenten hier erstmals
neu veröffentlicht worden sind. Für die Weiterarbeit der
Kirchenrechtler, Liturgiegcschichtler und Kirchenhistoriker hat
Matthias Simon auch mit diesem Bande eine unersetzliche Vorarbeit
und Leistung geliefert.

Ein kleiner rechtshistorischer Hinweis sei abschließend gestattet:
Matthias Simon bemerkt hinsichtlich des Refonnationsmandats
Ottheinrichs für Pfalz-Neuburg vom 22. Juni 1542 (abgedruckt
S. 3W.), daß es sich bei dem - vielfach unbekannten - Plakatdruck
dieses Dokuments, mit dem die Reformation rechtlich und theologisch
gegenüber allen Gegnern begründet und verteidigt werden
sollte, um einen „einzigen Fall in Süddeutschland" handele, „in
dem die Reformation in so feierlicher, offizieller Weise eingeführt
wurde" (S. 21).

Als Parallele dazu ist jedoch auf das Ulmer „Gemain außschrei-
ben" hinzuweisen, das der Ulmer Rat am 31. Juli 1531 in einem
gesonderten Druck vor Erlaß der evangelischen Ulmer Kirchen-
oidnung (am 6. August 1531) herausbrachte und an Kaiser und
Reich zur Begründung und Verteidigung der Rechtmäßigkeit der
Reformation im Sinne einer juristischen und theologischen Apologie
versenden ließ. (Es läßt sich nachweisen, daß Martin Bucer
der Verfasser dieses „Gemain außschreibens" gewesen ist, der
übrigens im Jahre 1524 mit seiner Schrift „Grund und Ursach" für
die Straßburger Verhältnisse bereits eine ähnliche Apologie erstellt
hatte,- vgl. jetzt Martin Bucers Deutsche Schriften, Bd. I, S. 185ff.).
In solchen Maßnahmen süddeutscher Reichsstädte und ihrer Theologen
dürfte das Vorbild für Ottheinrichs Pfalz-Neuburger Reformationsmandat
liegen. Einen Parallelfall in dieser Hinsicht stellt
übrigens im vorliegenden Band die gedruckte Rechtfertigung der
Reformation dar, die die Reichsstadt Regensburg im Jahre 1542
von ihrem Ratskonsolenten Dr. Johann Hiltner entwerfen ließ:
„Wahrhaftiger Bericht eines Erbarn Camerers und Rats der Stat
Regenspurg .. ." (S. 383-393).

Es ist abschließend nur zu wünschen, daß gerade auch für die
weitergehende Ermittlung des großen Einflusses der Württembergischen
und Elsässischen Kirchenordnungen die betr. Bände des
„Sehling" bald in Angriff genommen werden können.

Marburg Ernst-Wilhelm Kohls

MISSIONSWISSKNSCHAFT UND OEKUMENK

Lutherisches Missionsjahrbuch für das Jahr 1968,
hrsg.'v. W. Ruf. Nürnberg: Selbstverlag des Evang.-luth. Zen-
tralverbandes für Außere Mission (Bayer. Miss. Konf.) [1968).
168 S., 1 Falttabelle. 8°. Kart. DM4,-.

Dieses letzte Luth. Jahrbuch, das 1969 mit dem Jahrbuch Ev.
Mission vereinigt werden wird, hat zwei Besonderheiten i es bringt
einen Aufsatz über „Die Predigt als Ruf zur Mission" von Prof.
Beyerhaus-Tübingen (16-38), wobei die „reguläre kirchl. Predigt"
gemeint ist (cf LMJ 1959, 35-63). Und auf den S. 39-84 finden sich
„Berichte aus den Jungen Kirchen" (Neuguinea, Indien, Äthiopien,
Tanzania, Südafrika) aus den Federn von Praktikern, die aus der
Arbeit erzählen.

Daneben sind zu erwähnen ein Bericht über die Luth. Mission
in Frankreich, über 70 Jahre Westthür. Miss.-Konferenz, über die
Literatur (172 Nummern), Statistiken und Adressen.

Halle/Saale Arno Lehmann

Dias, Patrick V.; Vielfalt der Kirche in der Vielfalt der Jünger,
Zeugen und Diener. Mit einem Vorwort von W. A. Visser"t Hooft.
Freiburg, Basel, Wien: Herder 1968. 408 S. gr. 8° = ökumenische
Forschungen, hrsg. v. Hans Küng u. Joseph Ratzinger.
I. Ekklesiologische Abteilung. Band 2.

Die Eigengesetzlichkeit theologischer Probleme verstellt nur zu
leicht den Blick auf das Wesentliche. Im Bereich der Ekklesiologie
jedoch hat man es mit einer zweifachen Eigengesetzlichkeit zu
tun: die der Theologie und die der Organisation. Das gilt ohne
Unterschied der Konfessionen, und so führt jede Untersuchung
zur Frage der Kirche im Neuen Testament notwendig zu einer
kritischen Konfrontation mit der Kirche der Gegenwart. Ein sol-

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 6