Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1969

Spalte:

463

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Titel/Untertitel:

Nicolaus Cabasilas, Explication de la divine liturgie 1969

Rezensent:

Spuler, Bertold

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

463

Literaturberichte:

1. Liturgie im Gesamtzusammenhang der Theologie
(Burkhard Neunheuser)

2. Pastoralliturgik
(Wilhelm Kahles)

3. Liturgie im Gespräch mit den Kirchen der Reformation
(Burkhard Neunheuser unter Mitwirkung von Albert Brandenburg
und Athanasius Wolff)

4. Monastische Liturgie
(Emmanuel v. Severus)

Düsseldorf Joachim Beckmann

C a b a s i 1 a s , Nicolas: Explication de la divine Liturgie. Traduc-
tion et notes de S. S a 1 a v i 11 e. 2' cd. munie du texte grec, revue
et augmentee par R. Bornert. J. Gouillard, P. Perichon. Paris:
Les Editions du Cerf 1967. 405 S. 8° = Sources Chretiennes, ed.
par C. Mondesert, 4 bis.

Die „Erklärung der göttlichen Liturgie" des Nikolaus Kabasilas
(um 1320/23 - um 1391) hat neben seinem Hauptwerk „Liebe in
Christus" schon lange die Aufmerksamkeit auch abendländischer
Theologen gefunden. Kommt sie i'men doch in vieler Hinsicht sehr
entgegen, indem sie etwa über das Filioque oder den Gebrauch
ungesäuerten Brotes beim hl. Abendmahl kein Wort sagt. Da
freilich, wo es um den Text der hl. Messe oder ihren Sinn selbst
geht, hält auch Nikolaus sich ganz an die Formen seiner Kirche,
die er freilich im Sinne der mystischen Auffassungen seines Jahrhunderts
überhöht, So finden die Hrsg. es nötig, in eine Auseinandersetzung
mit ihm über die Bedeutung der Epik lese einzutreten
, jenes altbekannten Gegenstandes eines oft erbitterten
Streites zwischen beiden Kirchen. Man sieht nicht recht, weshalb
das nötig war: daß sich die östliche und die westliche Kirche in
diesem Punkte unterscheiden, weiß der Kenner, und daß sich dabei
jeder an die Lehre seiner Kirche hält und sie für richtig ansieht,
versteht sich von selbst. Von solchem, wie mir scheint, in diesem
Zusammenhang unnötigen Polemiken abgesehen, hat J. Gouillard
freilich eine sehr verständige, mit allen einschlägigen Fragen der
Theologie vertraute Einführung geschrieben, die dem Benutzer
alles Wesentliche bietet. - Die Ausgabe des griechischen Textes hat
P. Perichon besorgt und ihr eine zuverlässige französische Übersetzung
gegenübergestellt, so dafj man in der vorliegenden 2. Auflage
den Textvergleich (anders als in der 1.) selbst vornehmen
und sich von der klaren und prägnanten Sprache des Vf.s sowie
von den griechischen Fachausdrücken ein eigenes Bild machen
kann. Den Beschluß bildet ein ausgedehnter Anhang von „Notes
Complemcntaires", in denen die Meinungen anderer, meist abendländischen
Theologen zu einzelnen Fragen zusammengestellt werden
und schließlich die von R. Bornert besorgte Ausgabe und Übersetzung
der Beschreibung der liturgischen Gewänder sowie der
Riten der hl. Liturgie durch Nikolaus. Damit besitzen wir nach
langem Warten die erneuerte Ausgabe der Schriften dieses Vf.s,
die ihn als einen uneingeschränkt in der theologischen Überlieferung
seiner Kirche stehenden, von den theologischen Strömungen
seiner Zeit erfaßten Theologen zeigt, dem seine Heimatkirche
Entscheidendes verdankt.

Hamburg Bertold Spuler

Söhngen, Oskar: Theologie der Musik. Kassel: Stauda 1967.
358 S., ITaf. gr 8° Lw. DM48,-.

Es ist eigentlich verwunderlich, daß es bislang noch keine umfassende
theologische Abhandlung über das Phänomen Musik gab.
Die Schriften zu dieser Thematik aus jüngerer Zeit (Rene H. Wallau
, Edmund Schlink, Alfred Dedo Müller) enthalten nur Ansätze
zu einer Musiktheologic. Zehn Jahre nach dem Erscheinen der
ersten Lieferungen von Leiturgia Band IV mit dem einleitenden
Aufsatz „Theologische Grundlagen der Kirchenmusik" von Oskar
Söhngen legt der Verfasser das Ergebnis seiner Forschungen in
thematisch und inhaltlich erweiterter Gestalt als selbständiges
Buch vor. Die Fülle der erschlossenen Quellen sowie der Reichtum
der benutzten Literatur geben dem Band eine geradezu enzyklopädische
Bedeutung. Der Ertrag einer Lebensarbeit wird vor
dem Leser ausgebreitet.

Die fünf Hauptteile des Werkes sind: Die Stellung des Neuen
Testament und der Reformatoren zur Musik (15 + 86S.), Er-

464

scheinungsweisen und Bedeutungsgestalten der Musik (54 S ),
Theologische Voraussetzungen der Kirchenmusik (76 S ). Grundsätzliche
Überlegungen zum geschichtlichen Verhältnis von Musik
und Theologie (18 S.), Versuch einer trinitarischen Begründung der
Musik (80 S.). Dr. Jürgen Grimm bearbeitete das ergiebige
Personen- und Sachregister.

Mit einer „Begründung des Singens im Neuen Testament" beginnt
der erste Hauptteil. Dabei werden vor allem die „klassischen
Stellen" Kol. 3,16 und Eph. 5,19 einer eingehenden, tiefschürfenden
Exegese unterzogen, nachdem die bisherigen Exegeten
diese Verse meist recht stiefmütterlich behandelt haben. Die Doppelbedeutung
der Partizipialkonstruktion beider Stellen wird herausgestellt
: Das Singen ist einerseits die Folge der Einwohnung
des Christuswortes; andererseits ist es Mittel, Intrument. durch
das dieses Wort verbreitet wird.

Hochinteressant sind die Ausführungen über „die Musikanschauung
der Reformatoren". Bei Zwingli wird den theologischen
Motiven für seine Verbannung aller Musik aus dem Gottesdienst
nachgegangen. Es wird aber auch d'e Bedeutung der geistlichen
Hausmusik in Zwingiis Denken herausgearbeitet. Die Musik hat
nach Zwingiis Erkenntnis keinen Zusammenhang mit dem tätiqen
Leben. Ihr Raum ist der Feierabend. Zwingli bietet mit seiner Anschauung
das klassische Beispiel für die Scheidung dieser beiden
Bereiche, ein Beispiel, das auch heute noch nachwirkt.

Oskar Söhngen hat in der Neufassung seiner Abhandlung einen
Abschnitt über die Musikanschauung des jungen Luther eingefügt
und darin die einschneidende Wandlung seines Musikverständ-
nisses herausgearbeitet: „Wo der iunge Luther psychologisch
redete, da redet der reife Luther theologisch von
der Musik. Das ist aber mehr als eine andere facon de parier:
eine andere Schau und eine andere Schicht der Musik selbst" (1081.
Die Musik ist für Luther creatura („Frau Musika'V nidn nur ars
oder scientia. Das Herzstück von Luthers Auffassung ist „die
wechselseitige Inklination von Evangelium und Musik" (91),

In dem Kapitel „Erscheinungsweisen und Bedeutungsgestalten
der Musik" kommen nach Plato, Pythaqoras und Augustinus die
mittelalterlichen Musiktheoretiker zu Wort. Die die Musik betreffenden
Beschlüsse des Tridontinum leiten über zu den Problemen
der Ära Heinrich Schütz (Wort-Ton-Verhältnis; reine Instrumentalmusik
). Die Musikformen des 18. und 19. Tahrhunderts
(Barock - Klassik - Romantik) werfen ihre eigenen theologischen
Probleme auf, denen Söhngen gedankentief nachgeht. Bei der Betrachtung
des musikalischen Strukturwandels in unserem Jahrhundert
spürt man deutlich das persönliche Engagement des
Verfassers - hat er doch selbst auf dem Gebiete der Kirchenmusik
einen gehörigen Anteil an diesen Wandlungen! Während
Arnold Schönberg und seiner Schule in Leiturgia Bd. TV nur ein
Absatz gewidmet war, hat Söhngen jetzt auch die „zweite Moderne
" (Dodekaphonik und Elektronische Musik) umfänglicher in
die Phänomenologie der Musik einbezogen, nicht ohne gewichtige
Vorbehalte gegenüber diesem jüngsten Sproß der Musikgeschichte
anzumelden.

In dem folgenden Kapitel wird die zuvor nachgezeichnete Musikentwicklung
theologisch durchleuchtet. Die speziellen Fragen
der Kirchenmusik werden hier angesprochen. Söhngen unterscheidet
drei konzentrische Kreise der Musica sacra (die sich nicht
bestimmten Stilepochen zuweisen lassen, sondern diese durchdringen
): 1) die religiöse Musik im weitesten Sinne: 2) die gläubige
Musik („Für sie ist die innere Bindung an das Credo des
christlichen Glaubens charakteristisch", 172); 3) die eigentliche
Kirchenmusik (die „für den unmittelbaren gottesdionstlichen Gebrauch
der Gemeinde bestimmt" ist, 173). Da die Grenzlinien meist
nicht eindeutig zu ziehen sind, wirft eine solche Dreiglicderung
natürlich eine Reihe grundsätzlicher Fragen auf. Trotzdem ist sie
ein mögliches Ordnungsprinzip.

Auch andere Aussagen werden von Söhngen gewagt und verantwortet
, obwohl sie manchen zum Widerspruch reizen können, z. B.
ein Satz wie der folgende (zu dem der Rezensent sich bekennt!):
„Nur eine Tonsprache, die .kultische' Grundhaltung besitzt, vermag
die Funktion und den Auftrag gottesdienstlicher Musik zu erfüllen
" (196). Die Fragen um die Einheit oder Differenzierbarkeit von
geistlich und weltlich spielen hier hinein. Söhngen nimmt hier eine
Entscheidung vorweg. Erst an späterer Stelle - in den neu hinzugekommenen
„Grundsätzlichen Überlegungen zum geschichtlichen
Verhältnis von Musik und Theologie" (258-260) - geht er
auch diese Fragen an.

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 6