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1969

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Systematische Theologie: Allgemeines

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459

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 6

46Ü

einerseits nur ,Welt' bzw. Sünde und andererseits nur Weltlosig-
keit bzw. Gnade, göttliche Verwirklichung des Selbst... Menschsein
ist... in sich dialektisch und umfaßt beides" (S. 99). Die vor
Verf. dafür geprägte Kurzformel lautet: Komplementärdialektij
von Welthaftigkeit und Weltlosigkeit.

Das ist freilich wieder eine kühne Deutung, für die denn auch
der Beleg fehlt, obwohl die Freude am ausgiebigen Zitieren ansonsten
zur Charakteristik des Buches gehört. Der Verf. ist sich
der Problematik seiner Feststellung auch bewußt: der neue Begriff
von Sünde und Menschsein zeige sich .ansatzweise" (S. 97);
obwohl schon 1922 greifbar, setzte er sich nur .zögernd" durch,
und auch nach der Absage Gogartens an seine bisherige Dialektik
vermag er dennoch nicht auf seine dialektische Aussageform zu
verzichten (S. 98, Anm. 15; vgl. auch S. 88 und S. 106, Anm. 6). Das
alles spricht wenig für die Stichhaltigkeit der Interpretation, vielmehr
für das zwischen den christologischen Ausführungen und
denen über den Menschen und die Welt waltende Spannungsverhältnis
. Von einer .grundsätzlich positiven Wertung der ,Welt', in
der sich die bezeichnete Modifikation .naturgemäß besonders
augenfällig" zeigen soll (S. 107), kann für diese frühe Zeit keine
Rede sein; die entscheidenden Belege dafür stammen samt und
sonders aus dem Spätwerk (S. 107, 109-115). Es überrascht bei
solchem methodischen Vorgehen dann wenig, daß für die Entfaltung
der christologischen Neukonzeption ab 1922 unterschiedslos
auf das Gesamtopus Bezug genommen wird, ohne daß W. hier
tntscheidende Zäsuren - z. B. zwischen Früh- und Spätwerk -
erblickt.

Der II. Hauptteil bietet im wesentlichen ein Referat über die
einschlägigen Partien aus „Die Verkündigung Jesu Christi" und
.Der Mensch zwischen Gott und Welt". Die Kritik im III. Hauptteil
wird vorbereitet durch die Zuordnung der „geschichtlichen"
Christologie Gogartens zu einem Traditionsstrang, der von Schleiermacher
über W. Herrmann zu Bultmann führt (S. 271-294): die
Beziehung zwischen Gott und Mensch sei bei Gogarten nicht
mehr klar abhebbar von der anderen zwischen Mensch und Mitmensch
(S. 297). Und in der näheren Explikation dieser Kritik hat
es dann keinen Mangel an altbekannten, sterilen Formeln: das
reformatorische sola fide und sola gratia sei bei Gogarten in Gefahr
(S. 300), die „innertrinitarische Proseität Gottes" könne nicht
mehr zur Aussage gebracht werden (S. 301) und - dies die Zusammenfassung
- alles laufe schließlich auf die Anthropologisierung
der Theologie hinaus (S. 302ff.). Für ein Gespräch erweisen sich
solche Aspekte deshalb als wenig fruchtbar, weil sie ausgesprochenermaßen
(S. 306) gar nicht am Gesamtopus Gogartens, sondern
an einer Gegenposition orientiert sind (S. 307ff.). Zur Begründung
für solche systemfremde Kritik wird - wie schon im Vorwort - auf
die bewundernswerte innere Geschlossenheit der Theologie Gogartens
verwiesen, die nur von außen her aufzubrechen sei. Aber das
überzeugt wenig, denn W.s eigene Ausführungen haben die Spannungen
in diesem Werk (mit Einschluß des radikalen Bruchs) ja
durchaus sichtbar gemacht; insofern widerspricht das Buch der
eingangs zitierten Leitthese. Sinnvoll wäre es vielmehr gewesen, an
der unausgeglichenen Spannung von philosophischem Personalismus
und Christologie die Gesichtspunkte der Kritik zu gewinnen.

Wird man so den auf Einheit und innere Geschlossenheit des
Systems abzielenden Thesen mit Skepsis begegnen müssen, so gilt
das auch für die Wahl der Begriffe. In einer verwirrenden Fülle
stößt man auf die Termini ontisch-ontologisch, ist da die Rede von
Autologik, Dezisionität, Reziprozität, Komplimentarität usf. Hier
eine Probe: „Die Dezisionität der Personalität besagt gemäß der
Reziprozität göttlicher und menschlicher Spontaneität die aktuelle
Offenbarungshaftigkeit dieser Personalität" (S. 115). Der uferlose
Gebrauch solcher Begriffe verdeckt die Einzeleinsichten der Untersuchung
, die sich besonders im I. Hauptteil finden und in diesem
Rahmen nicht eigens gewürdigt werden können. Der Deutung
eines an Verstehensschwierigkeiten reichen Werkes ist kein guter
Dienst erwiesen mit einer Terminologie, die der Klarheit entbehrt.
W.'s Studie im ganzen spiegelt die Problematik eines methodischen
Weges wider, der nach der Formulierung des Vorwortes
darin besteht, Gogartens „Aussagen auf eine bei ihm selbst nicht
angetroffene begriffliche Schärfe und sachliche Konsequenz zu
bringen".

Mainz Hermann F i ■ c h e r

Weber, Otto: Das dogmatische Problem der Versöhnungslehre
(II.) (Stimme der Orthodoxie 1968, Heft 4 S. 39-43).

LITUKGiEWISSEN SCHAF!
UND KIRCHENMUSIK

Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie, 12. Band 1967, hrsg.
v. K. Ameln, C. M a h r e n h o 1 z, K. F. Müller. Kassel:
Stauda-Verlag 1968. XVI, 284 S. gr. 8U. Hlw. DM52,-.

Der liturgiewissenschaftliche Teil erhält diesmal seine Prägung
durch die umfassende Untersuchung „Der urchristliche Gottes
dienst" von Ferdinand Hahn. Im Gegensatz und damit in Ergänzung
zu den bisherigen Arbeiten zu diesem Thema, die Überwiegend
an Einzelelementen des Gottesdienstes interessiert sind, stehen
für den Vf. die Fragen „nach der gemeinsamen Intention, nach
dem Wesen und der Eigenart des urchristlichen Gottesdienstes" im
Vordergrund. Ohne eine bestimmte theologische Konzeption, etwa
die des Paulus oder des Hebräerbriefs, zum Ausgangspunkt zu
machen, sollen die spezifischen Voraussetzungen geklärt und die
beherrschenden eschatologischen, christologischen und ekklesiolo-
gischen Motive zur Geltung gebracht werden. Daß das Quellenmaterial
aus verschiedenen Perioden und Bereichen stammt, wird
dabei nicht übersehen. Daß .rotz des Umfangs dieser Arbeit (S. 1
bis 44) und der Ausklammerung von Taufe und Herrenmahl,
soweit diese nicht für die Gesamtentwicklung des Gottesdienstes
Berücksichtigung fordern, der Vf. seine Untersuchung nur als
„knappe Übersicht über die Probleme" gewertet wissen will, wird
jeder verstehen, der mit der auf diesem Felde anstehenden Problematik
nur in etwa vertraut ist. Ohne hier auf Einzelausführungen
eingehen zu können, soll doch nicht verschwiegen werden., daß Hahn
gegenüber dem „Einheitsgottesdienst", der in O. Cullmanns Nachfolge
im Gottesdienst der Gemeinde stets die Mahlfeier mit
Elementen der Verkündigung vereinigt sieht, einen eigenen
Wort- und Gebetsgottesdienst für kaum bestreitbar hält. Der Rezensent
möchte hier vorsichtiger urteilen und ist mindestens der
Meinung, I Kor ll,17ff und I Kor 14 könnten jeweils aus gegebener
Veranlassung erst das eine, dann das andere Element des einen
Gottesdienstes im Blick haben, statt zwei verschiedene Gottesdienstformen
zu beschreiben. Die vom Vf. gewonnene entscheidende
Erkenntnis vom Wesen des urchristlichen Gottesdienstes,
worin er sich mit dem Grundmotiv des gottesdienstlichen Reformwillens
der Gegenwart trifft, geht dahin, „daß jedes kultische
Verständnis des christlichen Gottesdienstes ausgeschlossen wird",
und „daß es keine prinzipielle Grenze mehr gibt zwischen der
gottesdienstlichen Zusammenkunft und dem Dienst der Christen
in der Welt. Nur wo eine Sakralisierung vermieden wird und die
Gemeinschaft der Glaubenden nach außen offenbleibt, kann demnach
der christliche Gottesdienst seine wesenhafte Eigenart und
rechte Gestalt behalten" (S. 16). Ich stimme dem zu, soweit dadurdi
nicht die Zweiphasigkeit christlicher Existenz in der Wendung
zu Gott und der Wendung zur Welt, vergleichbar dem Ein- und
Ausatmen, verwischt wird! Jedenfalls haben wir es dem Vf. zu
danken, daß er die heute wohl wichtigste Aufgabe für die liturgiewissenschaftliche
Forschung wie für die gegenwärtige liturgische
Erneuerung wesentlich gefördert hat.

Mit .Flacius Illyricus als Liturgiker" beschäftigt sich Oliver K.
O 1 s o n. Er weist nach, wie dessen Zuwendung zu liturgischen
Fragen zunächst aus dem Kampf gegen das Augsburger Interim
erwächst und sich dieser dann zu der Forderung ausweitet, die
Kirche habe, unabhängig vom Staat, die Gestalt ihrer Ordnung
selbst zu bestimmen. Da sich des Flacius liturgische Argumente
in der Einleitung seiner Veröffentlichung der Missa Ulyrica niedergeschlagen
haben, beschäftigt sich der Vf. eingehend mit dieser.
Er zeigt schließlich ,wie Flacius in Konfrontation mit dem Calvinismus
als den unentbehrlichen Inhalt der eucharistischen Tradition
die verba institutionis und das Vaterunser herausgearbeitet
, vom Vf. als „das katholische Minimum" bezeichnet. Mit
Recht erkennt er in dieser kühnen Feststellung den Schlußpunkt
einer langen westlichen Entwicklung: er „sollte für alle diejenigen
von Interesse sein, die heute Flacius' Frage wieder aufgreifen:
.Was ist wesentlich, und was ist unwesentlich in der katholischen
Tradition?'".

Als hymnologischen Hauptbeitrag bietet Gerhard Schuhmacher
einen großen Aufsatz mit dem Titel „Der beliebte,
kritisierte und verbesserte Lobwasser Psalter". Die Bedeutung dieser
Studie liegt darin, daß sie sich eingehend mit dessen sprachlicher
Gestalt befaßt, die bei der Beurteilung dieses um seiner