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Ausgabe:

1969

Spalte:

457-459

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Weth, Rudolf

Titel/Untertitel:

Gott in Jesus 1969

Rezensent:

Fischer, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 6

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lcbnis der Offenbarung Gottes, sein Glaube und sein entsprechendes
sittliches Leben werden dann zum exemplum, das an den
Nachvollzug appelliert. .Einen vernünftigen Sinn hat nur die
Frage, was Jesus getan hat, um solche Erlebnisse zu gewinnen.
Die Antwort darauf kann aber nur lauten: dasselbe, was wir tun
sollen. Er hat nach dem Einzigen, dem er sich unterworfen
wissen könne, gefragt und dem Gott, der sich ihm darin offenbarte
, gehorcht" (II 281). So tritt mir „der Inhalt des Bildes, das
er seiner Umgebung eingeprägt hat" im Neuen Testament entgegen
und vermag die „Gewißheit" zu begründen, dafj es einen „Gott
gibt, und dag dieser Gott .. . sich uns zuwendet" (1134 u. aaO).
Jesus wird damit in einzigartiger Weise zum „Erwecker der Religion
" und d. h. er vermag uns dazu zu dienen, „uns nicht zu zerstreuen
und uns selbst zu entfremden oder das Leben in uns aufzulösen
", sondern zu einem „Leben in Wahrheit" zu gelangen
(11231217 u. aaO). Denn-. „Die Religion ist nichts anderes als das
Wahrhaftigwerden des individuellen Lebens in der reinen Hingabe
an Eins" (II 70). In diesem Sinn ist Jesu „Erscheinung" die „besondere
Offenbarung Gottes in diesem geschichtlichen Faktum" (II 68).

Mit alle dem ist schon der Ort der Theologie als Wissenschaft
beschrieben. Wissenschaft ist sie, genau genommen, nur in dem
Sinne, als sie sich vor Augen hält, dal) sie keine Wissenschaft ist.
Ihr „Objekt" ist keiner bestimmten „Erkenntnistheorie" zuzuordnen
(II 33), die es erschließt, sondern ist der „Glaube, der sich als
eine Schöpfung Gottes erfassen kann" (II 273). Wo sie auf ihn, wo
der Glaube auf sich selber und sein Weltverhältnis reflektiert, hat
er „eigentümliche Gedanken, in denen sich eine Wirklichkeit vergegenwärtigt
, die ihm allein sich enthüllt" und dem „Unglauben"
verborgen ist (II 241). In der Schwebe zwischen „eigenem Erlebnis
" und „biblischer Überlieferung" (II 77) hat die Theologie deshalb
durchweg dogmatischen Charakter (II 335f. I 252f. 262). Unter
dieser Voraussetzung können dann u. U. auch metaphysische Begriffe
in ihr verwendet werden, sofern „in ihnen nur der absolute
Wert des anderweitig festzustellenden Glaubensinhalts angespro
chen wird" (147). So verstandene Theologie kann den Umkreis
des individuellen Glaubens nicht überschreiten, aber je strenger in
ihr der Glaube auf sich selber und sein Weltverhältnis reflektiert,
desto näher rücken sich die verschiedenen Theologien, und je präziser
er seine anthropologische Voraussetzung als „Anknüpfung für
die Religion" (II 130) begreift, desto näher ist die Theologie dem
ihr als Aufgabe gestellten „Nachweis, daß die Probleme des sittlichen
Geistes sich lösen, wenn derselbe in der Aneignung des
Christlich-Guten an der religiösen Weltanschauung des Christentums
teilnimmt" (I 22).

Heute auf die Gedankengänge Herrmanns zu stoßen, ist reizvoll
und anregend. Vieles, was unter uns mit dem Anspruch auftritt,
theologisches Neuland zu betreten, nimmt sich vor ihnen als Epigonentum
aus. Aber auch die Fragen, die sie aufgeben, haben an
Aktualität nichts verloren. Herrmanns Absicht, die Theologie ausschließlich
auf Offenbarung und Glauben zu gründen, auf der
einen, und sein Vcrhaftctbleibcn an den anthropologischen Ansatz
Kants und Schleiermachers, an die sittliche Existenz als konditiona
les Pracpositum (vom Herausgeber m. E. mit Recht auf das Schema
von Gesetz und Evangelium zurückgeführt) und an das Erlebnis
auf der anderen Seite, die daraus resultierende Verengung des
Feldes, auf dem sich der christliche Glaube explizieren und artikulieren
kann, können dazu verhelfen, in unserer Lage erneut ein
Problcmbcwußtsein zu wecken, das schon einmal einen theologischen
Aufbruch zur Folge hatte.

Dortmund Eberhard H ü b n e r

Weth, Rudolf: Gott in Jesus. Der Ansatz der Christologie
Friedrich Gogartens. Mit einer Gogarten-Bibliographie. München
: Kaiser 1968. 329 S. 8° = Forschungen zur Geschichte und
Lehre des Protestantismus, hrsg. v. E. Wolf, 10. Reihe, Bd.
XXXVI. Kart. DM 28,-.

Auf die gegenwärtige Theologie hat das wissenschaftliche Werk
Friedrich Gogartens bisher einen im Vergleich zur Breite der
Publikationen eigentümlich schwachen Einfluß ausgeübt. Nun sind
aber in jüngster Zeit einige Dissertationen über Teilbereiche seiner
Theologie erschienen. Nach den Studien von Roland Wagler
und Theodor Strohm hat Jürgen Kahl 1967 eine Untersuchung
über „Philosophie und Christologie im Denken Friedrich Gogartens
" vorgelegt, und jetzt ist die Bonner Dissertation von R. Weth,
ebenfalls über das christologischc Thema, veröffentlicht worden.
Dazu kommt noch eine Dissertation aus dem Bereich der katholischen
Theologie: .Freiheit zur Welt. Zum Weltverständnis und Weltverhältnis
des Christen nach der Theologie Friedrich Gogartens".
1967. Ihr Verfasser freilich, der ehemalige katholische Pfarrer
und Gymnasiallehrer Armin Volkmar Bauer, ist jüngst zur evangelischen
Kirche übergetreten. Ob sich damit ein Wandel des
Interesses abzeichnet, bleibt allerdings ungewiß, denn bis auf
die Abhandlung von R. Wagler sind alle diese Arbeiten - mit
sehr unterschiedlichen Begründungen - von einem kritischen
Grundton durchzogen, auch Weths Monographie (vgl. S. 306).

Sie gliedert sich in drei große Hauptteile: I. Der Weg zur
Christologie (S. 11-202), II. Grundzüge der Christologie (S. 203
bis 262) und III. Kritik der Christologie (S. 263-311). Den Abschluß
bildet eine umfassende Gogarten-Bibliographie. Während
zwei Drittel der Arbeit also auf den ersten Hauptteil entfallen,
verteilt sich das letzte Drittel fast gleichmäßig auf die übrigen
beiden. Dieses ungleiche Verhältnis beleuchtet schon äußerlich
das Schwergewicht des Interesses. Bereits im Vorwort wird die
in mehrfacher Hinsicht überraschende Leitthese der Studie formuliert
: sie „untersucht den ,Ansatz der Christologie Friedrich
Gogartens', indem sie sich auf die Grundfrage seines Denkens
nach dem Selbstsein des Menschen einläßt und dabei, von den
frühesten Schriften zu den großen Werken der Spätzeit fortschreitend
, diesen Weg als einen umfassenden Gedankengang nachzudenken
und darzustellen gelehrt wird, der notwendig in eine
Christologie im Zeichen der ,Verkündigung Jesu Christi' einmündet
" (S. 7).

Zur Bewährung dieser These setzt W. bei der Fichte-Schrift
Gogartens ein, weil hier die das Gesamtwerk durchziehende
Frage nach dem Selbstsein des Menschen erstmals formuliert
und reflektiert werde. Freilich gesteht der Verf. nach einer breiten
Analyse der Schrift ein, daß der Person Jesu eine entscheidende
Bedeutung in diesem ersten Entwurf nicht zukomme (S. 49),
daß Gogarten „um eine christozentrische Lösung seiner Ausgangsfrage
'' weder wisse noch sich darum bemühe (S. 51). Damit bringt
aber W. gleich zu Beginn seinen leitenden Gedanken in Gefahr,
zumal er die ersten, unter spätidealistischem Einfluß geschriebenen
Gogarten-Schriften nicht als ein Präludium versteht, das zu
den Arbeiten ab 1920 nur noch in einem losen Zusammenhang,
weitgehend sogar im Verhältnis des Gegensatzes steht, sondern
(insbesondere die Fichte-Schrift) als Entfaltung eines systematischen
Ansatzes, der sich durchhält; dies übrigens im Gegensatz
zum Selbsturteil Gogartens (vgl. dazu Kahl S. 109, Anm. 5). Aus
dieser Sicht erklärt es sich auch, daß W. den Übergang zur sogen,
dialektischen Phase nicht als Bruch, sondern als Kontinuität interpretiert
. Die Problemstellung erfährt eine Radikalisierung (S. 66) i
bei der Frage nach sich selbst stößt der Mensch auf Gott und findet
damit eigentlich erst zu sich selbst (S. 55); aber dieser „Dcus in
nobis" erweist sich jetzt lediglich als Steigerung des Menschlichen,
und deshalb muß die Wendung zum „Deus in nobis" als Kehre
zum „Deus extra nos" präzisiert und radikalisiert werden. Der
Mensch gehört ganz auf die Seite der Welt; zwischen ihm und Gott
besteht ein unendlich qualitativer Unterschied. Aber W. kann dann
doch nicht umhin, an dieser Stelle von einer „radikale(n) Absage
an die bisherige Kulturtheologie" (S. 58) zu sprechen. Tatsächlich
hat Gogarten diese Wegbiegung ja auch nicht als Vertiefung
eines bereits früher gewonnenen Ansatzes verstanden, sondern
an dieser Stelle den Offenbarungsbegriff aufgeboten, um gerade
solch ein Verständnis a limine abzuweisen. Dieser Aspekt bleibt
merkwürdigerweise bei W. unerörtert.

Wie führt also der „dialektische" Ansatz notwendig zur Christologie
? W. konstatiert, daß sich die „gleichzeitigen christologischen
Aussagen dem skizzierten dialektisch-theologischen Rahmen von
Anfang an nicht fügen und - freilich noch ungeklärt und unausgeglichen
- eine andere Lösung involvieren" (S. 84); es besteht
eine „sachliche Diskrepanz" (S. 85ff.), weil bei der Grundgleichung
von Mensch, Welt und Sünde (S. 87) das Menschsein Jesu gar nicht
mehr von dem aller anderen abgehoben und in seiner Einzig
artigkeit sichtbar gemacht werden könne. Nun also drängen - im
Widerspruch zur Ausgangsthese - umgekehrt die christologischen
Aussagen zu einer Modifikation des dialektisch-theologischen Entwurfes
mit dem Ziel, die Identifikation von Mensch, Welt und
Sünde aufzulösen. Ein neuer Begriff vom Menschsein und von
Sünde wird erzwungen. Nicht in der „Endlichkeit" des Menschen
besteht nun seine Sünde, sondern in der „Unendlichkeit", d.h. in
dem menschlichen Bestreben um eine Einheit von Endlichem und
Absolutem. W. erläutert es so: „Der Mensch ist nun nicht mehr