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Ausgabe:

1969

Spalte:

23-25

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

La mystique et les mystiques 1969

Rezensent:

Zeller, Winfried

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 1

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nigfaltigkeit, in der Gottes rettendes Heilshandeln von Jesus Christus
her auf uns zukommt, sollen wir als solche gelten lassen, gehorsam
anerkennen und dankbar von ihr Gebrauch machen. Wir
sollen die kontingente und geschichüiche Verschiedenheit der „Gestalten
", in denen Gottes Christushandeln weiterläuft und weiterwirkt
, letztlich nicht rationalisieren und systematisieren und die
einzelnen „Gestalten" nicht voneinander abgrenzen. Diese Mannigfaltigkeit
ist zutiefst Ausdruck dessen, daß Gottes Hedlshandeln
von dem geschichtlichen Jesus Christus her auf geschichtliche
Weise weiterwirkt, nicht durch „Prinzipien" oder durch In
stitutdonen. Darum ist es auch im tiefsten nicht möglich, exakt zu
definieren und voneinander abzugrenzen, was Gott mir in besonderer
Weise durch das eine „Gnadenmittel", die Verkündigung, mitteilt
, und was durch die anderen „Gnadenmittel", die Sakramentshandlungen
'". Wir bekommen an dem Christusheil, das ja eine unteilbare
Lebenswirklichkeit ist, immer nur durch alle miteinander
in lebendigem Zusammenwirken Anteil. Darum ist auch eine differenzierende
und spezifizierende Zuschreibung des einen, unteilbaren
Heiles an die einzelnen Sakramentshandlungen unmöglich.
Ein solcher Versuch ist abstrakt und darum rein hypothetisch. Denn
hier, bei der Teilhabe an Gottes rettendem Christushandeln, geht
es nicht um („theoretische") Möglichkeiten, sondern um vorgegebene
geschichtlich-existenticllc Wirklichkeit! So können wir nur
bekennend - nicht „spekulierend" - sagen, daß Gott das, was er
in Jesus Christus ein für allemal für uns Menschen gewirkt hat, uns
(als Heiliger Geist) zubringt und zueignet durch die mündliche
Verkündigung und durch die Sakramentshandlungen, Hand in
Hand miteinander (und dies innerhalb des Gesamtlebens der Glaubensgemeinschaft
, der Kirche!). „Corda simul per verbum et
l'itum movet Deus, ut credant et coneipiant fidem."': Luther sagt:
„Darümb ist alles in der Christenheit dazu geordnet, daß man da
täglich eitel Vergebung der Sünden durch Wort und Zeichen hole,
unser Gewissen zu trösten und aufzurichten, solange wir hie
leben."2*

-") In dem vorigen Zitat verzichtet Luther sogar, wie auch sonst oft, auf einen
die verschiedenen Sakramentshandlungen zusammenfassenden Allgemeinbegriff!
';) Apol. «II. 5 (BSLK S. 292).
"-'") Gr. Kat II, 55 (BSLK S. 658).

Grundsätzlich gilt also: „Idem effectus est verbi et ritus"'9. Durch
die Verkündigung und die Sakramentshandlungen schenkt Gott
Anteil an dem einen, gleichen, unteilbaren Christusheil. Durch
die unterschiedlichen „Mittel" ergeht das eine göttliche Heilshandeln10
. Und wie es hier, wie wir eben sehen, nicht möglich ist
aufzuteilen, so ist es auch nicht möglich, das eine oder das andere
der uns geschichtlich vorgegebenen Wirkmittel des Evangeliums
für sekundär oder gar entbehrlich zu erklären und zu eliminieren.
Das bedeutete eigenwillige Abstraktion; und durch solche Reduktion
würde sicherlich das Evangelium selbst leicht zu etwas anderem
werden, als es in seiner vorgegebenen geschichtlichen Wirksamkeit
ist. In gehorsamer Anerkennung dessen, dafj Gott so und
nicht anders sein Christushandeln weitergehen läßt, dafj es so und
nicht anders auf uns und zu uns gekommen ist - nämlich: durch
Verkündigung und Sakramentshandlungen -, in solcher Anerken
nung sollen wir gehorsam und dankbar von allen diesen Wirkweisen
miteinander Gebrauch machen3'!

--■) Apol. XIII, 5 (BSLK S. 292).

M) Vgl. Persson, a.a.O. S. 441 i .Es ist dasselbe Evangelium, durch das . . . [Christus
in Wort und Sakrament] ... zu uns kommt und uns an der Gabe des Heils
teilhaben Iaht. Es ist diesselbe Gegenwart; denn Christus bewirkt in beiden, im
Wort wie im Sakrament, dasselbe." S. 444: ..Letztlich bedeutet das..., dafj es
keinen fundamentalen, wesentlichen Unterschied zwischen Wort und Sakrament gibt.
Sie sind darin identisch, dafj sie uns beide dieselbe Gegenwart Christi vermitteln."

3I) Persson sagt (a.a.O. S. 444), .dafj das Wort nicht auf Kosten des Sakraments
überbetont werden darf, wie es manchmal in sogenannten .protestantischem' Denken
geschieht. Man darf aber auch nicht das Sakrament auf Kosten des Worts überbetonen
, wie es bei Vertretern des sogenannten .katholischen' Standpunkts mitunter
vorkommt. Wort und Sakrament machen uns ein und derselben Gabe teilhaftig. Auch
ist uns die Frage verwehrt, ob wir, wenn die Dinge so stehen, nicht eines von
beiden abschaffen könnten. Wenn jemand, der todkrank ist, vom Arzt, der allein
die Gefährlichkeit der Krankheit ermifjt. mehrere Sorten von Arzneien verordnet
bekäme, die alle dem gleichen Zweck dienen: seine Gesundheit wiederherzustellen,
dann wäre es töricht, wenn der Patient in eigener Verantwortung, gegen den ausdrücklichen
Willen des Arztes, sich entschliefjen würde, nur eine bestimmte Sorte
von Arznei einzunehmen. Wir sind in derselben Loge, wenn wir unter den verschie
denen Gnodenmitteln eine Auswahl treffen wollten."

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Kavier, A., S.J. u.a.: La Mystique et les Mystiques. Preface de
H. de L u b a c. Bruges: Desclee de Brouwcr (1965). 1123 S. 8°.

Dieses umfassende Sammelwerk französischer katholischer Theologen
will die „Spiritualität" der großen christlichen Konfessionen
und der geschichtlich bedeutsamen Weltreligionen aufzeigen und
dadurch zu einem vertieften Verständnis der Religions- und Kirchengeschichte
der Gegenwart beitragen. Herausgeber und Verfasser
sind der Überzeugung, daß sich die Spiritualität einer Religion oder
Konfession am echtesten in ihrem Verhältnis zur Mystik ausspricht.
Wie H. deLubacin seiner Vorrede ausführt, vollzieht sich in der
Mystik die „spirituelle Interiorisation" des transzendenten Mysteriums
. Diese geistliche Verinnerlichung wird in den verschiedenen
Religionen und Konfessionen auf mannigfache Weise vollzogen.
Daraus ergibt sich der Formenreichtum an Mystik, den Religionsund
Kirchengeschichte aufweisen. Für die christliche Mystik ist
entscheidend, daß in ihr ein spirituelles Schriftverständnis zur Forderung
einer geistlichen Lebensführung hinleitet. Dabei kennt de
Lubac die protestantische Problematik, die in Glauben und Mystik
(A. Ritsehl, K. Barth) oder auch zwischen Prophetismus und Mystik
(F. Heiler, E. Brunner) Gegensätze sieht, wie denn überhaupt das
Werk durch eine vorzügliche Kenntnis der evangelischen Diskussion
über das Thema „Mystik" ausgezeichnet ist.

Unter den religionsgeschichtlichen Beiträgen ist zunächst der von
K. Hruby über „Elemente der jüdischen Spiritualität" hervorzuheben
, der einen aufschlußreichen Eindruck von der Geistigkeit
der jüdischen Gesetzes- und Gebetsfrömmigkeit vermittelt. Anregend
sind auch die Ausführungen über die jüdische Mystik in
Spanien und Polen.

Unter Abwehr romantischer Vereinfachungen fragt J. G o e t z
nach der „Spiritualität bei den Primitiven", wie sie sich aus Gebet,
Opfer und Mythos der Primitivreligionen erschließen läßt.

In seinem Beitrag über die „muselmanische Mystik" bekämpft
R. Arnaldez die gängige Vorstellung, daß im Islam die Mystik
nur Sache von Außenseitern oder Sekten sei. Da die mohameda-
nische Mystik sich auf Offenbarung und Glauben gründet, gilt es
vielmehr die Spiritualität des Islams aus dem Koran selbst aufzuzeigen
. Auch der Islam kennt, z. B. bei Almosen, Fasten und Pilger-
tum, eine Spiritualisierung durch Interiorisation.

Die „taoistische Mystik" beruht nach M. Kaltenmark auf
einer Verbindung von Moral und Gesundheitslehre. Hinter ihr
steht der Gedanke der Teilhabe des Menschen an der kosmischen
Ordnung.

Die „buddhistische Mystik" fragt nach A. Bareau nach der
Bestimmung des Menschen, die in seiner Erlösung vom Leiden und
von der Ursache des Leidens gesehen wird. Die Heilslehre des ursprünglichen
Buddhismus hat im Mahayana und im Tantrismus
geschichtliche Erweiterungen erfahren. Unter den außerindischen
Formen des Buddhismus verdient der japanische und der tibetische
Buddhismus besondere Erwähnung.

Die Mystik des „Brahmanismus" wird von O. L a c o m b e als
Mystik der Selbsterfahrung bezeichnet. Selbst wo sie sich bis zur
Selbstliebe steigert, fällt sie doch unter den Begriff der „uninteressierten
Liebe", weil für den Inder alles Individuelle letztlich in
der universellen Seele aufgeht.

J. A. C u 11 a t stellt „die christliche Erfahrung und die östliche
Spiritualität" einander vergleichend gegenüber. Unter Anknüpfung
an den Religionsbegriff Rudolf Ottos versucht er, sowohl einen
reinen Exklusivismus wie auch einen bloßen Synkretismus abzulehnen
und zu einer fruchtbaren Synthese der Antithesen von West
und Ost vorzustoßen.