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Ausgabe:

1969

Spalte:

450-451

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Kantzenbach, Friedrich Wilhelm

Titel/Untertitel:

Der Weg der evangelischen Kirche vom 19. zum 20. Jahrhundert 1969

Rezensent:

Kupisch, Karl

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449

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 6

450

Zwing Ii, Huldreich: Sämtliche Werke. Hrsg. v. E. E g 1 i f,
G. F i n s 1 e r W. K ö h 1 er f. O. F a r n e r f, F. B 1 a n k e +'
L. v. Muralt, E. Künzli, R. Pfister, J. Staedtke,
F. Büsser. N. F. Zürich: Verlag Berichthaus 1956-1968. Bd.
XIV, Lfg. 1-10: 899 S.; Bd. VI/1, Lfg. 11-12: S. 401-568; Bd. XIII,
Lfg. 13-15: S. 561-854; Bd. VI/II, Lfg. 16-23: S. 1-640; Bd. VI/II,
Lfg. 24: S. 641-720. gr. 8Ü = Corpus Reformatorum Vol. CI,
XCIII, C, XCIII,2.

Die verpflichtende Aufgabe, das Erscheinen des großen Werkes
anzuzeigen, bringt schlaglichtartig ein Stück (tragischer) Wissenschaftsgeschichte
unseres Jahrhunderts ins Bewußtsein. Nach intensiven
Vorarbeiten Emil Eglis erschien 1905 die erste Lieferung
von Huldreich Zwingiis sämtlichen Werken als Beginn von Bd. 88
des Corpus Reformatorum. Der Editionsplan sah drei Abteilungen
für die Ausgabe vor: I. Werke und Schriften in chronologischer
Folge. II. Briefwechsel. III. Exegetische Schriften. Inzwischen ist
als geplante Abteilung IV hinzugekommen: Predigtnachschriften.
Sie ist auf zwei Bände (Bd. 15 und 16) veranschlagt, die dann die
Ausgabe abschließen sollen. Die Ausgabe ging nach 1905 zunächst
zügig voran, so daß August Baur schon in ThLZ 35 (1910), 786-788
über die ersten erschienenen Bände berichten konnte. Erhebliche
Verzögerungen brachte auch der 1. Weltkrieg nicht, einen um so
empfindlicheren Einschnitt der 2. Weltkrieg. Die bis dahin letzte
(118.) Lieferung erschien 1944 bei M. Heinsius Nachf. in Leipzig
und brach mitten in Bd. XIII bei der Wiedergabe von Zwingiis
deutscher und lateinischer Übersetzung von Ps. 37,18 ab. Vollständig
lag bis dahin nur die Abteilung II: Briefwechsel vor. Die
Abteilungen I und III waren Bruchstücke geblieben. Nach langen
Verhandlungen entschlossen sich die Herausgeber 1956, die wei
lere Ausgabe dem Verlag Berichthaus in Zürich anzuvertrauen.
Seitdem nun nimmt sie ihren Fortgang. (Vgl. zum Ganzen auch
L. v. Muralt: Der Fortgang der Zwingli-Ausgabe. Zwingliana XI
(1959-1963). S. 61-63.)

Um sich nicht verwirren zu lassen, muß beachtet werden, daß
die Herausgeber sich 1956 entschlossen, die Ausgabe nicht an der
Stelle fortzusetzen, an der sie 1944 unterbrochen worden war,
nämlich mitten im Bd. XIII. Vielmehr setzte man bei Bd. XIV ein
und begann mit der Edition der Jesaja-Erklärungen, der sich die
Erklärungen zu Jeremia, den Klageliedern, Ezechiel, Daniel und
den Kleinen Propheten anschlössen. Dieser Bd. XIV lag 1959 vollständig
vor. Nun ging man an die Vervollständigung des Torso
gebliebenen Bd. VI/1, wobei mitten in den Notizen und Voten
Zwingiis an der Berner Disputation 1528 einzusetzen war. Dieser
Bd. war mit zwei Lieferungen abgeschlossen. Dann erst (1962)
ging man an den Abschluß des seit 1944 Bruchstück gebliebenen
Bd. XIII. Er war 1963 mit drei Lieferungen abgeschlossen. Damit
liegt Abteilung III vollständig vor. Als neuer Band (letzter der
Abteilung I ?) erscheint seit 1964 Bd. VI/2 (Zwingiis Schriften ab
August 1528). Lieferung 24 bringt die Schriften bis 8./9. 1. 1530.

Der Edition der Texte vorangestellt sind jeweils genaue Beschreibungen
der frühesten erreichbaren Ausgabe, Hinweise zu
Fundorten, Bemerkungen zur Ausgabe und zu Abdrucken, schließlich
die nötigen Angaben zur vorliegenden Edition und ausführliche
Einleitungen, die manchmal den Abdruck der Texte an
Umfang bei weitem übertreffen (bei den exegetischen Schriften
sind sie den einzelnen Nummern nachgestellt). Um bei den Exe-
getica zu beginnen i Den Texten zum Alten Testament ist eine vorzügliche
Zusammenfassung von Edwin Künzli „Zwingli als Ausleger
des Alten Testaments" beigegeben (XIV 869-899). Sie gibt
eine erste Orientierung über alle Fragen, die mit Zwingli als
Exegeten zusammenhängen i über Quellenprobleme, sein Verhältnis
zur Septuaginta, den Ursprachen und zur exegetischen Tradition
wie über das theologische Verständnis des Alten Testaments.
Freilich will und kann Künzli die eigenständige Beschäftigung mit
dem Exegeten Zwingli nicht ersetzen. Die Texte liegen jedenfalls
nun vor - einwandfrei und vorzüglich im Druck.

Aber nicht nur das. Sie sind durch den beigegebenen Apparat
auch mustergültig aufgeschlossen. Welche Arbeit allein in den
Nachweisen aus antiken Schriftstellern zu den Erläuterungen der
Propheten steckt, ist kaum zu ermessen. Hier hat der 1958 verstorbene
Oskar Farner noch wertvollste Arbeit investiert. Überreiches
Material zur Beschäftigung mit dem Thema Zwingli als
Übersetzer bietet auch die Wiedergabe der Übersetzungen Zwing-
lis von alttestamcntlichen Büchern ins Lateinische und Deutsche
in den Bänden XIII und XIV. Hinzuweisen ist noch auf das nicht

nur für die Beschäftigung mit Zwingli wichtige und wertvolle
Register der grammatisch-rhetorischen Ausdrücke am Schluß von
Bd. XIII, das E. Künzli bearbeitet hat. Will man wissen, was denn
nun eigentlich präzis alloiosis, syneedoche usw. bedeutet und hat
nicht Heinrich Lausbergs Handbuch der literarischen Rhetorik,
München 1960, zur Hand - hier kann man sich orientieren.

Ein sozusagen anderer Zwingli begegnet teilweise in den Bänden
VI/1 und 2. Es ist der Zwingli, den man, „das größte politische
Genie, das die Schweiz gehabt hat", genannt hat. Keineswegs
nur dieser andere Zwingli! Unbedingt kommt in den kleinen
Beiträgen und Gutachten zu Täuferfragen und in den großen
Schriften zum Abendmahlsstreit auch immer wieder der Gelehrte
und der Theologe zum Durchbruch. Aber es ist immer wieder
eindrucksvoll, wie stark Zwingli zu politischen Tagesfragen Stellung
genommen hat. Und in Leonhard v. Muralt findet man einen
vorzüglichen Interpreten der Zusammenhänge und Fakten, während
Fritz Blanke mit eindringender Sachkenntnis etwa die
Schriften zum Abendmahlsstreit kommentiert.

Die in Bd. I S. 1V-VII niedergelegten Editionsgrundsätze werden
, soweit ich sehe, weiterhin befolgt. Das wird kaum in Traditionalismus
und Konsequenz begründet sein. Vielmehr dürften
sich die im ganzen maßvollen und ausgewogenen Prinzipien von
1905 bewährt haben.

Für die Ausgabe zeichneten 1905 zwei Herausgeber verantwortlich
. Auf dem Umschlag der letzten Lieferungen 1967 f. stehen
zehn Namen. Fünf ihrer Träger sind verstorben, obwohl ihre
Arbeit z. T. noch weit über den Tod hinaus verwertet werden
konnte (so stammt etwa die Einleitung zu „Über D. Martin Lu
thers Buch Bekenntnis genannt" 1964 noch aus der Feder Walther
Köhlers). Die Zwingli-Forschung verdankt ihnen viel. Sie haben
Schätze erschlossen, die nun gehoben werden können. Die sog.
Lutherrenaissance fand bekanntlich in der WA ihr Arsenal vor.
Warum sollte der Zwingli-Ausgabe in Zukunft nicht ähnliche
Bedeutung zukommen?

Körner/Thür. Ernst Koch

KIRCHKNGKSCHICHTK: NEUZKIT

Kantzenbach, Friedrich Wilhelm: Der Weg der evangelischen
Kirche vom 19. zum 20. Jahrhundert. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus G.Mohn [1968]. 244 S. 8° = Evang. Enzyklopädie
, 19/20. Kart. DM 9,80.

Der Vf. hat innerhalb der Evangelischen Enzyklopädie schon
einige Bände über Abschnitte der Kirchengeschichte veröffentlicht.
Der hier anzuzeigende, die Zeit von 1848 bis zur Gegenwart
umfassende, gleicht nach Anlage und Methode den früheren.
Nur stand der Vf. diesmal einer ungeheuren Stoffülle gegenüber,
die es, themalisch geordnet, zu verstauen galt. Das erfordert,
neben allem anderen, eine außergewöhnliche pädagogisch-didaktische
Fähigkeit, zumal das Buch für einen breiteren Kreis von
interessierten Lesern gedacht ist. Kirche, Theologie und Frömmigkeit
auf dem Hintergrunde von Weltanschauung, Literatur und
Gesellschaft auf knappen Raum zu einem Panorama zu vereinigen,
ist schon für Zeitabschnitte, die weniger mit hinterlassenen Papiermassen
bedeckt sind, eine Kunst. So stellt sich schon beim
ersten Lesen die Frage, ob der Vf. nicht besser getan hätte, Theologie
und Weltanschauung in einem Sonderband zu behandeln.
Er hätte dann für Kirchengeschichte und Gesellschaft mehr Raum
gehabt. Der Mangel des Buches besteht in der ungeheuren Fülle
des Gebotenen. Man möchte gern diesen oder jenen Abschnitt
lobend hervorheben, aber bevor man recht zu Atem kommt, wird
man in dem geistigen Gcdrängel schon weitergeschoben. Unvermeidlich
ist, daß sich in diesem Kaleidoskop die Bilder oft ineinanderschieben
, viele Personen tauchen an mehreren Stellen
auf, so daß die Urteilsbildung erschwert wird. Oft kommt der
Vf. bei seinem eigenen, sehr vorsichtigen Räsonncment über Gemeinplätze
(und nicht nur in der stilistischen Ausdrucksweise)
nicht hinaus. Das ist besonders spürbar bei den mit der Kirchengeschichte
so eng verzahnten gesellschaftspolitischen und rein politischen
Fragen. Man vermißt den festen, sicheren Griff. Für
die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen bietet der Vf. besonders
viel. Aber es ist ein Meer, das sich nicht bewegt. Es fehlt der
große Atem der Geschichte, ohne den auch Kirche und Theologie
jener turbulenten Jahre nicht denkbar sind. Das komplexe Phä-