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Ausgabe:

1969

Spalte:

445-447

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kantzenbach, Friedrich Wilhelm

Titel/Untertitel:

Martin Luther und die Anfänge der Reformation 1969

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 6

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ligenverehrung und über die Grundlagen seiner Abendmahlslehre
aus Beweisführungen Biels geschöpft.

Der Ertrag der Expositio can. mis. ist u. E. für die reformatorische
Vorstellungswelt schon erhoben. Diese Meßkanonausdeu-
tung behält aber für den katholischen Priester und gebildeten
katholischen Christen ihren Wert als eines praktisch-theologischen
Kommentars der Messe.

Marburg/Marbach Rudolf D a m e r a u

KIKCMKNGRSCH1CHTE: RKFORMATIONSZEIT

Kantzenbach, Friedrich Wilhelm: Martin Luther und die

Anfänge der Reformation. Gütersloh: Gerd Mohn [1965]. 256 S

8° = Evangelische Enzyklopädie, hrsg. von H. Thielicke u

H. Thimme, 7/8. Kart. DM 9,80.
-Die Reformation in Deutschland und Europa. [1965]. 160 S.

8° = Evangelische Enzyklopädie, 9. Kart. DM 7,80.

Wir haben hier zwar zwei Buchbinderbände vor uns, aber es
handelt sich, was Thematik, Anlage und Methode der Darstellung
angeht, um ein Werk, das als ein geschlossenes Ganzes angezeigt
werden kann. Die Kirchenhistoriker sind angesichts der Probleme
der Lutherforschung und überhaupt der neu in den Blick
gekommenen Verzweigtheit der Reformationsgeschichte mit Gesamtdarstellungen
in letzter Zeit spürbar zurückhaltend. Die
Heterogenität der Auffassungen läßt ein leicht erfaßbares, unkompliziertes
Bild der Reformationsgeschichte noch nicht zu. Schwierigkeiten
der Lutherbiographic begegnen auch mutatis mutandis
bei anderen Reformatoren bzw. bei großen Forschungskomplexen
wie etwa in der Aufarbeitung des jüngst viel zitierten „linke(n)
Flügel(s) der Reformation" (11,36).

Kantzenbach läßt nun deutlich erkennen, daß er sehr wohl
um die Problematik einer Rcformationsgeschichtsschreibung weiß,
aber er gehört offenbar zu denen, die meinen, »dem stofflich in
teressierten Leser" „eine problemgcschichtliche Einführung in die
I.utherforschung und Lutherdeutung des Protestantismus" und
eine Mitteilung der „wichtigsten Tatsachen der reformationsge-
schichtlichen Entwicklung" (1,7) schuldig zu sein.

Dieses Unternehmen, das sich nach dem Duktus der beiden
Bände an breitere Leserkreise wendet und nicht zuerst neue Forschungsergebnisse
vortragen will, ist begrüßenswert. Es wird
nicht nur der Einführung, der Information für viele dienen können
, die dem Stoffgebiet der Reformation im 16. Jahrhundert ausführlicher
zum ersten Mal begegnen, sondern könnte auch dem
hilfreich sein, der nach ausgiebiger Beschäftigung mit der Materie
in der Vielfalt der Details nach einem Aufweis der Konturen
sucht, die die Zeit geprägt und die Zukunft bestimmt bzw. zumindest
beeinflußt haben. Dem genannten Doppclaspekt trägt
das zweibändige Werk in anerkennenswerter Weise Rechnung und
erfüllt somit ansprechend den Zweck der „Evangelischc(n) En
zyklopädie"

Wenn der Vf. seinen Standpunkt auch in keiner Weise verleugnet
, so hat doch der den Forschungsstand kennzeichnende Refe-
ratchaiaktcr auf der ganzen Linie den Vorrang. Es ist beachtlich,
mit welchem pädagogischen Geschick Kantzenbach hier und da
einen gut markierten Weg durch den dichten, sonst als ziemlich
unübersichtlich bekannten Wald - bzw. auch durch das Gestrüpp
icformationsgcschichtlicher Kontrovcrspunktc - zeigt. Gelegentliche
dem Gesamtzweck der beiden Bände zuzurechnende Vereinfachungen
haben an keiner Stelle einen Mangel in Gestalt unverantwortbarer
Simplifizierungen bei sich.

Es ist angesichts der aufgezeigten Positiva ein erträgliches
Manko, wenn der Leser vielleicht die Exaktheit der Bandtitcl-
l'ormuliciungcn in Zweifel zieht. Es geht etwa im ersten Band
keinesfalls im strengen wissenschaftlich gebräuchlichen Sinn nur
um „die Anfänge der Reformation", sondern die Darstellung umfaßt
die Zeit von 1517 bis 1530. Zudem werden „die Anfänge der
Reformation" auch nicht allein von Luther her dargestellt, wie es
das nicht ganz glückliche „und" im Titel vermuten lassen könnte. Es
ist bspw. gerade ein gutes Charakteristikum der etwas kurz geratenen
Passage über die reformatorischen Ansätze Zwingiis (1.156ff),
daß sie nicht von Luther her gesehen und interpretiert werden.
Der zweite Band, dessen Titel den Namen Luthers nicht mehr
enthält, bezieht selbstverständlich die Rolle Luthers auch nach dem

Augsburger Reichstag von 1530 bis zu seinem Tode und darüber
hinaus bis etwa zum Augsburger Religionsfrieden (1555) mit ein.
Die im Titel betont genannte Ausdehnung der Reformation auf
einzelne europäische Territorien ist relativ kurz abgehandelt
(11,140-149),so daß man hinter dem letzten Begriff des Bandtitels
keine nähere Spezifikation der europäischen reformationsgeschichtlichen
Probleme suchen darf. Abgesehen von den Vorgängen
in Deutschland und der Schweiz ist nur die Gegenreformation
(Ignatius von Loyala und das Konzil zu Trient) schwerpunktmäßig
dargestellt (11,94-124).

Kantzenbach interessiert auch den theologisch weniger geschulten
Leser von Anfang an durch einen Abschnitt, der dem durchaus
umstrittenen Begriff „Reformation" überhaupt nachgeht.
Ohne sich ausschließlich modernem Fragen zuzuwenden, nennt
der Verfasser die Optik, unter der heute der Gesamtkomplex des
Reformatorischen erscheint. „Reformation und Revolution?", „Was
heißt .Reformation'?", „Geistig-religiöse, wirtschaftlich-soziale und
politische Faktoren der Reformation" sind nur einige der Brennpunkte
, denen sich Kantzenbach erläuternd zuwendet. Gegenwärtiger
Theologie, die immer noch starke Impulse durch die anhaltende
Lutherrenaissance erfährt, ist der römisch-katholische theologische
Beitrag selbstverständlich. So ist auch „Luther in katholischer
Sicht" eine Größe, die durch viele Neuerscheinungen
immer beachtenswerter wird.

Vor allem anderen erkennt Kantzenbach in Luthers Ansatz den
Impetus der Reformation im 16. Jahrhundert. Luthers reformatorisches
Wollen hängt nicht an der Konzeption eines unbedingt

einzuhaltenden vorher durchreflektierten Programms: ..... der

Begriff Reformation (hat) für Luther kaum eine Rolle gespielt"
(1,11). „ .Christus und sein Evangelium' " sollten „zur Geltung
kommen". Das ist die Summe dessen, was „Luther gewollt" hat.
Kantzenbach fährt fort: „Wir verfolgen den mit dieser Frage
angeschnittenen Themenkreis, indem wir uns die Geschichte des
Lutherverständnisses als die Geschichte protestantischen Selbstverständnisses
in knappen Zügen vergegenwärtigen" (1,14). Zu
den oben aufgeworfenen Fragen erklärt der Vf.: Luthers „Neuansatz
betrifft zunächst nur den religiösen Sektor. Er ist so
einzigartig, daß der Aneignungsprozeß, der mit den Bemühungen
der Schüler Luthers einsetzte, gewiß nur unvollkommen Luthers
Theologie aktualisierte" (1,26). Die Einzigartigkeit Luthers in
dieser Pointierung wird von römisch-katholischen Theologen heute
gerade bestritten, aber man wird nicht erwarten dürfen, daß der
Vf. der Problematik der vielfältigen Abhängigkeiten Luthers in
dem vorliegenden Zusammenhang auch noch Beachtung schenkt.

Es wäre ein unbilliges Unterfangen, einzelne Akzente hier anders
setzen zu wollen als es der Vf. getan hat. Eine Gesamtdarstellung
der Rcformationsgeschichtc in heutiger Zeit ist ein Wagnis
und rechnet Widerspruch immer schon mit ein. In seinem
Vorwort hat Kantzenbach selbst auf die Schwierigkeiten der
„Kunst des Weglassens" (1,7) hingewiesen. Die Meinung, daß er
sie hier zu stark, dort zu wenig geübt habe, wird keinen Rezensenten
die Lektüre verdrießen lassen. Natürlich fühlt man sich
etwas zu wenig ins Bild gesetzt, wenn es dem Vf. gelingt, „Probleme
der Lutherforschung", an denen sehr viel zu zeigen gewesen
wäre, auf Seiten abzuhandeln. Daß eine Ausdehnung
dieses Komplexes dem Vf. keine zusätzliche Mühe gemacht hätte
ist dem Verlauf der Darstellung sehr wohl zu entnehmen, die
eine sachentsprechende Vertrautheit mit den heutigen Problemen
der Lutherinterpretation erkennen läßt. Es ist weiterhin sicherlich
nicht nur der Wunsch einiger Spezialisten, „Luthers Anfänge",
die durch seine Exegetica markiert sind, noch etwas profilierter
herausgehoben zu sehen. Aber offenbar hat Kantzenbach bewußt
auf damit Zusammenhängendes verzichtet (1,65). Er faßt zusammen
: „Luther kam es auf das Wesen der göttlichen Gerechtigkeit
an! Ihn bedrängte dabei diese Frage persönlich" (1,68). Die neue
Lutherforschung sei .davon abgekommen, auf eine einzelne Stelle
in Luthers Früh Vorlesungen den ganzen Nachdruck zu legen"

(1.67) . Kantzenbach summiert damit: eine immense Denkbemühung
der Lutherforschung in den letzten Jahrzehnten seit Karl Holl
auf seine Weise. Auf viel gestellte Fragen antwortet er. Luthers
Entwicklung habe sich über viele Jahre hingezogen, und man
könne nicht sagen, wann Luther seine exegetische Entdeckung gemacht
habe und sein erschrecktes Gewissen losgeworden sei

(1.68) . Vielleicht hätten es die Lutherinterpreten (Bizer, H. Bornkamm
, Ebcling, Hirsch, Holl, Link, Prenter, Vogelsang u. a.) an