Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1969

Spalte:

442-445

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Gabrielis Biel Canonis Misse Exposito, Pars Quarta 1969

Rezensent:

Damerau, Rudolf

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

441

stalteter, dem hl. Petrus, dem Papst und seinen Nachfolgern vom
König in seinem und seiner Söhne Namen geleisteter Eid für
Verteidigung und Hilfe - eine ,defensionis firmitas', wie es der
Bearbeiter der Reichsannalen ausdruckt - so können wir nunmehr
den Charakter des Eides von Ponthion bestimmen" (S. 174).
Diesem 1938 formulierten Ergebnis folgt eine Auseinandersetzung
mit einschlägiger Literatur (W. Fritze und M. David). Ein Überblick
über „die weitere Verwendung des Protector-Begriffes und
seiner Verwandten" (S. 184) wird für den angelsächsischen Raum
bis in die Gegenwart durchgezogen. Der Aufsatz „Karl d. Gr. als
König im Lichte der Staatssymbolik" (S. 193ff.) geht zunächst auf
Formeln und Titel ein, um sich dann der Pfalz und dem Münster
zu Aachen, dem Steinthron und Davidsnamen zuzuwenden (S. 206ff.
und Abbildung S. 361). Unter der Überschrift „Die Anerkennung
Karls d. Gr. als Kaiser (bis 800)" griff S. 1951 in eine schwer
überschaubare Debatte ein und brachte auch hier mit Hilfe der
Staatssymbolik neues Licht (S. 215ff.). Die Form der damaligen
Datierungen, Münzen, Kaiserbilder an römischen Kirchenwänden
sowie die Vorgänge bei Rombesuchen Karls (Prozession, Akklamation
, Kirchengebet, Laudes) bieten ein aufschlußreiches Bild.
Auch die von Karl zweimal in Rom angelegte fremdländische
Kleidung hat Aussagekraft. Als Ergebnis formulierte S.: „Die
Stellung, die der Frankenkönig einnahm, als er Ende 800 nach
Rom kam, war bereits die eines quasi imperator, der - wenn
ihm auch der Titel des Kaisers noch fehlte - doch dessen wesentliche
Vorrechte bereits inne hatte. Wenn sich der allerletzte noch
fehlende Schritt, die Annahme des Titels, bis Ende 800 hinaus
zögerte, lag das nicht an den Päpsten, auch nicht an den Römern
und erst recht nicht an den Byzantinern, auf deren Ansprüche
Rücksicht zu nehmen man am Tiber mittlerweile verlernt hatte.
Gelegen haben kann das nur an Karl dem Großen" (S. 247). Unter
dem Drängen des Papstes und vielleicht auch unter dem Eindruck
einer Botschaft aus dem heiligen Lande kam es zu den Ereignissen
am Weihnachtstage 800, bei der nicht die Krönung entscheidend
war, sondern die Akklamation Karls als Kaiser. Die
schriftlichen Quellen nennt S. „Spiegelungen eines schwer zu
übersehenden und verschieden auslegbaren Vorganges", die „ihrer
schwierigen Aufgabe überraschend gut gerecht geworden sind"
(S. 262).

Der folgende Aufsatz „Karl d. Gr. als Kaiser im Lichte der
Staatssymbolik" (S. 264ff.) geht ebenfalls auf das Jahr 1951 zurück
, enthält jedoch starke Veränderungen gegenüber der Erstfassung
. Einhards Worte über Karls Unwillen nach der Kaiserkrönung
leitet S. aus dem Kechtsbewußtsein Karls ab, der insofern
als „Kaiser wider Willen" bezeichnet werden könne (S. 267).
Es werden die Kaisertitel untersucht und dann vor allem die
monumentalen Zeugnisse. Für Karls Kaiserbulle und neue Münzen
werden Bezüge zu Kaiser Konstantin aufgewiesen. Darin
sieht S. ein „Bekenntnis vor aller Welt, wie er das ihm aufgedrängte
Kaisertum verstanden haben wollte: Erneuerung der Zeit
jenes Kaisers, der dem Christentum zum Siege verholfen hatte"
(S. 281). Die Verhandlungen mit Byzanz und die Erhebung Ludwigs
zum Mitkaiscr sowie eine Buchbesprechung beschließen
diesen instruktiven Beitrag, zu dem die Abbildungen im Anhang
wesentlich dazu gehören. - Der letzte Aufsatz des Bandes behandelt
Denkart und Grundauffassungen Karls d. Gr.. Wieder
spielen Rangabzeichen eine wesentliche Rolle; Karls Auffassung
wird charakterisiert mit den Worten: „Jedem, was ihm von
Amts wegen gebührte; nicht mehr, aber auch nicht weniger; alles
mußte seine Ordnung haben" (S. 305). Der Abschnitt „Karl als
Christ" ist kurz, doch spielt die Frömmigkeit Karls d. Gr. auch
sonst eine große Rolle. So sagt S. im Anschluß an das Problem
der Sonnenfinsternisse: „Gab es etwas Unüberschaubares, Un-
nießbares, dann war das beunruhigend: dann saß Gottvater
nicht so fest und so übersichtlich in das Ganze eingeordnet, wie
der Kaiser in seinem Reich thronte" (S. 321). Karls Bemühen um
richtige Texte führt S. auf folgendes Motiv zurück i „So wie er
(Karl) selbst .richtig' geehrt und bedient zu werden verlangte, so
wie er keinen Verstoß gegen Etikette und Brauch duldete, so
sollte auch Gott .richtig' geehrt und bedient werden" (S. 329).
Auch Karls kulturelle Bestrebungen werden im Zusammenhang
mit seiner Frömmigkeit gesehen: „Ad recolendam veritatem: um
die Wahrheit von neuem zu pflegen - in dieser Wendung ist zu
sammengefaßt, worum es ging bei der Wiederherstellung des
authentischen Wortlauts der Bibel-, Liturgie- und Gesetzes-

442

texte... ,um die Wahrheit zu pflegen', die - so dürfen wir hinzu
setzen - letztlich im Schöße Gottes ruht und um die sich zu bemühen
daher eine religiöse Verpflichtung sowie eine moralische
Aufgabe bedeutet" (S. 336). Zur Kennzeichnung solchen Bemühens
hält S. den Begriff correctio für den besten. In diesem Begriff
läßt sich auch eine Nachwirkung bei seinen Nachfolgern feststellen
„als eine der wichtigsten Vorgänge des ganzen Mittelalters"
(S. 339). Buchbesprechungen zur Karolingerzeit beschließen den
Text des Bandes.

An einigen Stellen möchte der Theologe Rückfragen anmelden:
Ist nur das Mittelalter „das Zeitalter der Zeichen" und ein Sym-
lom für dessen Ende, „daß die Zeichen ihre Bedeutung verlieren"
(S. 23)? Ist das Motiv für Gregors d. Gr. Klostereintritt zu finden
in der „Besinnung auf sein Selbst" (S. 86)? Ist nicht die Bezeichnung
des Bonifatius als „vernünftig" (S. 112) trotz aller Absicherung
und Anführungszeichen doch mißverständlich? Die Libri
Carolini 11,28 sprechen nach S. von einem „imperator nur in der
Bedeutung .Feldherr' " (S. 252, Anm. 109); tatsächlich ist an jener
Stelle Christus gemeint, der gegen den Teufel kämpft. Fragwürdig
erscheint die Formulierung, Karl werde „Gott gebeten haben,
seine Verstöße gegen das sechste Gebot gegen seine - ja unbestreitbar
großen - Verdienste aufzurechnen" (S. 307). Auch das
von S. fingierte Bekenntnis Karls (S. 311) klingt mir zu selbstbewußt
und modern. Schließlich steht auch die Formulierung „Wort-
magie liegt aller Liturgie zugrunde" (S. 329) ziemlich ungeschützt
vor der Kritik des Theologen.

Abschließend sei dankbar festgestellt, daß gerade auch die
nochmalige Lektüre älterer Arbeiten von S. aufzeigt, welch große
Bedeutung diesen Beiträgen zukommt. Die Auswertung der monumentalen
Zeugnisse des Mittelalters im Sinne der „Staatssymbolik
" stellt heute bereits ein Stück Wissenschaftsgeschichte
dar, von dem auch der hier vorgelegte Aufsatzband einen tiefen
Eindruck gibt.

Rostock Gert Haendlcr

O b e r m a n , Heiko A., et William J. Courtenay, coope-
rante Daniel E. Zerfoss: Gabrielis Biel Canonis Misse Ex-
positio. Pars Quarta. Wiesbaden: Steiner 1967. XII, 246 S. gr.
8° = Veröffentl. d. Instituts f. Europäische Geschichte Mainz,
34: Abt. f. Abendland. Religionsgeschichte, hrsg. v. J. Lortz.
Lw. DM 50,-.

Der letzte Band der Expositio Biels umfaßt in den Lee. 80-89
die Kommentierung des Postkanons der Messe. In Lee. 80 deutet
Biel das Gebet um die Befreiung von allen Übeln und zeigt gleichzeitig
die Gebetshilfen auf (A-F). Dann untersucht er den Beweggrund
und den Modus der .fractio hostiae'. Der Priester als der
Vertreter und der Mund der ,unio mystica' hat die Aufgabe, im
Brechen des Brotes den doppelten Status der Prädestinierten-,glo-
ria' ,via' - signifikativ darzustellen (-K). Das schwierige Problem
der .fractio hostiae' als eines Vorganges der real-sinnlichen
Welt und einer Glaubensaussage deutet Biel mit dem Rückzug
auf die Lehräußerungen der Kirche in den communia dicta sanc-
torum et doctorum (L-N). Bei diesem Brechen befindet sich unter
jedem Teilchen der gebrochenen Hostie der ganze Christus (O-Q).
Die einzigartige Kraft des Priesters, die ihn zum Aussprechen
der von Christus bestimmten Wortform und dadurch zur Konversion
von Brot und Wein befähigt, verbürgt durch die Assistenz
Gottes in der Transsubstantiation die Präsenz des ganzen Christus
in jedem gebrochenen oder nicht gebrochenen Teile der geweihten
Hostie. Der Leib Christi entzieht sich jedoch der sinnlichen Wahrnehmung
durch den Menschen. Seine Präsenz wird analog zur
.anima rationalis' beschrieben (R). Der ganze Christus ist so oft
in der Eucharistie gegenwärtig, als die Substanzen von Brot und
Wein gewandelt sind (T-X).

Lee. 81 bietet Gedanken Biels über den Frieden (A B), über
den Teufel (C), über die Mischung des Weines (-G), über Christus
als das Gotteslamm (K) und über den Priesterkuß (-S).

Lee. 8 2 enthält in den Abschnitten AG die Kommentierung
des Schlußgebetes. Dann folgt (H) die für den Messeempfang des
spätmittelalterlichen Priesters wichtige Frage: ,Ißt der Unwürdige
sich selbst zum Gericht'? Der biblische Ansatz zu dieser so bewegenden
Frage liegt in 1. Kor. XI, 29 und in Ps. XVIII, 13ff.
Biel antwortet: „Wenn der Mensch nicht weiß, daß er vor Gott
würdig ist, so ist ihm die Kommunion nützlich".

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 6