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Ausgabe:

1969

Spalte:

439-442

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Von der Spätantike bis zum Tode Karls des Grossen (814) 1969

Rezensent:

Haendler, Gert

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439

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 6

•MO

Möglichkeit an. Sie realisiert sich im Glauben ohne Zweifel und
im Halten der Gebote, die Sündenvergebung ist dabei nicht ihre
unmittelbare Folge, vielmehr erfolgt die „Heilung" durch Gott
erst, wenn sich der Gläubige vollkommen gereinigt hat. Der Hirte
des Hermas ist so nicht aus den praktischen Problemen kirchlicher
Bufipraxis zu verstehen, sondern als profetisch-eschatologisch motivierter
Aufruf zur Metanoia (223-276).

In den abschließenden „Schlußfolgerungen" betont der Vf. noch
einmal die Verbindung mit der jüdischen Weisheit und Apoka-
lyptik, die Bedeutung der Ekklesiologie als Schlüssel zum Verständnis
des Hermas und die schon von ihm zuvor häufig vertretene
Ansicht, daß man das Werk des Hirten keinesfalls als
„primitiven Moralismus" (v. Campenhausen, s. S. 302) abwerten
dürfe. So sehr ihm der Nachweis der ekklesiologischen Bestimmtheit
des Hermas gelungen ist, wird man doch gegenüber dem
Versuch einer Apologie seiner theologischen Anschauungen, der
mehrfach in einen positiven Vergleich mit Paulus einmündet (247
A. 6: Rö 7,14ff; 303: 2. Kor 6,1; 303: Phil 2,13f u. ö.), die schwersten
Bedenken haben müssen. Hermas steht mit seinem unreflektierten
„Synergismus" - den auch P. zugeben muß (202 vgl. 254. 262.
297 u. ö.) - dem Josephus bezeugten pharisäischen „Synergismus"
(Bell. 2,163; Ant. 13,172; 18,13 vgl. Abot 3,15) ungleich näher als
der paradox formulierten Aussage des Paulus in Phil. 2,13f. Daß
Hermas hier - wie an so vielen anderen entscheidenden Punkten
- ganz von der jüdischen Tradition abhängig ist, zeigt der
mehrfache Verweis auf Sir 15,11-20 (156.192. 213. 218f). Entsprechendes
gilt von dem naiven, an der einzelnen Tatsünde orientierten
Sündenbegriff, der sich so schwer in den dualistischen Gesamthintergrund
einfügt, um so besser aber mit einem nicht minder
naiven Perfektionismus harmoniert, der der Meinung ist, daß
der Fromme in vollkommener Reinheit zu leben vermöge. Daß
bei Hermas die Metanoia nicht als eine täglich neu zu vollziehende
Aufgabe, sondern als letzte einmalige Möglichkeit zu verstehen
ist, scheint mir gegen den Vf. deutlich zu sein. Das Werk des
Hermas widerstrebt einer derartigen „reformatorischen" Interpretation
(264f). Vielmehr wäre zu fragen, ob die bedenkliche
Tendenz des Werkes nicht zuletzt darin begründet ist, da§ die
gerade von P. so überzeugend herausgearbeitete Ekklesiologie
eine an sich schon traditionell unterentwickelte Christologie und
Soteriologie ganz überwuchert hat und die Kirche gewissermaßen
zum „Christus prolongatus" geworden ist?

Eine schärfere Prägnanz wäre auch vielleicht bei der Herausarbeitung
der von H. verwendeten Überlieferung wünschenswert
gewesen. P. kommt hier über die einfache Konstatierung von
jüdischen Traditionen, seien sie nun weisheitlicher, apokalyptischer
oder auch qumranitischer Herkunft, nicht hinaus. Die Form
der Vermittlung bleibt weithin unklar. Es ist doch auffallend,
daß uns diese Überlieferung in derartig konzentrierter Form gerade
in Rom begegnet und daß der Ausleger von 1. Cl., mit dem
H. unter den Apost. Vätern die meisten Berührungspunkte aufweist
, vor ähnlichen traditionsgeschichtlichen Problemen steht.
Auffallend ist weiter, wie relativ gering die Berührungen mit
Philo und der jüdisch-alexandrinischen Lit. sind. Sollte dies vielleicht
mit der Tatsache zusammenhängen, daß die jüdische Gemeinde
in Rom vor allem von ehemaligen jüdischen Kriegsgefangenen
und deren Nachkommen gebildet wurde und dafj sie
daher in besonderer Weise vom palästinischen Mutterland abhängig
war (Philo, leg. ad C. 155ff)? Und könnte nicht in der
christlichen Gemeinde in Rom von Anfang an dieses Abhängigkeitsverhältnis
nachgewirkt haben? Damit aber erhebt sich die
Frage, ob sich nicht die palästinisch-jüdischer Überlieferung entsprechenden
Eigenheiten des H. auf „frühkatholische" Anschauungen
eben der römischen Gemeinde zurückführen lassen, die
ihre Besonderheit im Kontakt mit den palästinischen Gemeinden
bereits schon zu einer Zeit herausbildete, als die ersten Schriften
des Neuen Testaments gerade erst entstanden (vgl. K. Beyschlag,
Clemens Romanus und der Frühkatholizismus, 342 u. ö.).

Erlangen Martin H e n g e 1

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Schramm, Percy Ernst: Kaiser, Könige, Päpste. Gesammelte
Aufsätze zur Geschichte des Mittelalters. Bd. I: Beiträge zur allgemeinen
Geschichte. 1. Teil: Von der Spätantike bis zum Tode

Karls des Großen (814). Stuttgart: Hiersemann 1968. 385 S. m.

8 Abb. i. Text, 15 Abb. auf 12 Taf. gr. 8°. Lw. DM 76,-.

Der bekannte Göttinger Gelehrte hat mit seinem 3-bändigen
Werk „Herrschaftszeichen und Staatssymbolik" (1954-56) sowie
dem Buch „Sphaira, Globus, Reichsapfel" (1958) grundlegende Arbeiten
vorgelegt. Schramm ist Exponent jener Forschungsrichtung,
die sich besonders um die Deutung monumentaler Quellen verdient
gemacht hat. Es geht also um jenes Miteinander, das im
Raum der Theologie den Kirchenhistoriker mit dem Christlichen
Archäologen verbindet. Einleitende Aufsätze „Zur wissenschaftlichen
Terminologie: Vorschläge zur Bereinigung der ,Zunft-
sprache'" (S. 19ff.) und „Das Grundproblem dieser Sammlung:
Die .Herrschaftszeichen', die .Staatssymbolik' und die ,Staats-
repräsentation' des Mittelalters" (S. 30ff.) zeigen das Anliegen
des Autors: Schriftliche Quellen sind mehrdeutig, die „Zeichen"
sprechen eine klarere Sprache: „Läßt ein König seine Krone ändern
, setzt er sich auf den Thron seiner Vorfahren, läöt er sich
einen neuen herrichten, paßt er seinen Ornat dem Vorbild des
Nachbarn, des Hohenpriesters, des byzantinischen Kaisers an,
dann handelt es sich um Willensentscheidungen, die uns ihn
selbst erkennen lassen: sein Selbstgefühl, sein Bejahen oder Verneinen
der Tradition, sein Verhältnis zur Kirche, zum Adel, zum
Volk. Die Staatssymbolik läfjt also nicht nur erkennen, was war,
sondern auch, was sein sollte". S. spricht von „Primärzeugnissen",
welche „den .Wortzeugnissen' dadurch überlegen sind, daß sie
über die Herrscher selbst zuverlässige Auskunft zu erteilen vermögen
" (S. 44). - Abteilung A „Von der Spätantike bis zum Ende
der Merovingerzeit (751)" bringt nach Buchbesprechungen den
Vortrag „Der ,Mythos' des Königtums", der die Monarchie als
notwendiges Stadium für alle europäischen Völker erweist (S.
68ff.). Einem schwungvollen Beitrag über Gregor d. Gr. (S. 86ff.),
der für den Sammelband „Männer, die Geschichte machten" (I,
1931) geschrieben war, folgen 2 Buchbesprechungen zum Thema
Bonifatius. Ein bisher ungedruckter Aufsatz „Der hl. Bonifatius
als Mensch" (S. 93ff.) stellt die angelsächsische Tradition als prägenden
Hintergrund dar und untersucht erneut die Frage nach
dem Motiv für den Übergang in die Missionsarbeit. Bonifatius
strebte danach, sich in eine Gebetsgemeinschaft eingebettet fühlen
zu können, „um der überall wirksamen, offen oder verdeckt hervorbrechenden
Gegenkraft des Teufels gewachsen zu bleiben"
(S. 109). Das Schlufiurteil betont die „Vernünftigkeit" bei Bonifatius
, die fortwirkte und so „letzthin zu einer der konstitutiven
Kräfte der modernen Welt werden" konnte (S. 113). Der Aufsatz
„Der Traktat über romanisch-fränkisches Ämterwesen" geht auf
ein quellenkritisches Problem ein und vertritt den von S. häufig
geäußerten Gedanken, daß man den Begriff „Staat" durchaus
schon für das Mittelalter anwenden könne (S. 120-45). Theologisch
am bedeutsamsten ist das Thema „ ,Mitherrscher im Himmel':
Ein Topos des Herrscherkultes in christlicher Einkleidung" (S. 79ff.).

Es geht um die Auslegung von 2. Tim.. 2,12 „Dulden wir, so
werden wir mitherrschen". S. bietet eine reiche Materialsammlung
vom 4.-11. Jahrhundert. Die Reihe beginnt mit Euseb und findet
in Byzanz die zu erwartende Fortsetzung. Im Abendland jedoch
polemisierten die Libri Carolini gleich einleitend gegen die
Meinung, der irdische Herrscher könne mit Gott „conregnare".
Wohl finden sich auch im Abendland Wendungen, die im losen
Anschluß an jene Bibelstellc den Herrscher besonders meinen.
S. kritisiert die „schimmernde, vom christlichen Standpunkt aus
nicht zu verantwortende, aber der antiken Vorstellung doch nahekommende
Verherrlichung des Herrschers" (S. 85). Mir scheint
aber bei allen Stellen im Abendland der Bezug auf die Zukunft
entscheidend zu sein. Eine gute Herrschaft soll den Herrscher
später auch im Jenseits zur Mitherrschaft mit Christus gelangen
lassen. Es handelt sich also weniger um eine unkritische Verherrlichung
, als um eine ernste Verpflichtung der Herrscher, Der
Ausdruck „conregnare" steht nur einmal (im Anonymus von
York), aber nicht zur Verherrlichung des regierenden Herrschers,
sondern im Rückblick auf frühere christliche Könige (Christo
enim conregnabant). Die Aufreihung der abendländischen Stellen
zeigt m. E. gerade, wie zurückhaltend man hier auch vom 9.-11. Jh.
geblieben ist.

Die Reihe der Aufsätze in Abteilung B „Die Zeit Karls d. Gr.
(751-814)" beginnt mit der Arbeit „Das Versprechen Pippins und
Karls d. Gr. für die Römische Kirche (754 und 774) ". Als Ergebnis
formuliert S. i „Ein nach dem Schema des Freundschaftseides gc-