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Ausgabe:

1969

Spalte:

437-439

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pernveden, Lage

Titel/Untertitel:

The Concept of the church in The Shepherd of Hermas 1969

Rezensent:

Hengel, Martin

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jünger wie auch die Beziehung der letzten heilsgeschichtlichen
Epoche auf die voraufgehende „Mitte der Zeit" (S. 115f£.): „Der
Erhöhte... autorisiert. .. das Gegebene mit österlicher' Machtfülle
und Schutzgewalt" (S. 116). Die entscheidenden Grundlagen
für den Fortgang der Heilsgeschichte (nicht aber dieser selbst)
sind also nach matthäischer Anschauung im Evangelium gegeben.
Im übrigen unterstreicht dieser Abschnitt die angedeutete Tendenz
der matthäischen Konzeption. Die Redekompositionen des Matthäus
-Evangeliums konkretisieren nicht aktuelle Polemik oder
Apologetik, sondern beziehen sich auf die der Vergangenheit angehörende
ßaaiAxCa -Verkündigung an Israel (S. 118f.). Aus der
heilsgeschichtlichen Einordnung des Standortes des Matthäus folgt
die Anerkennung des „,heidenchristlichen' Denkhorizontes des
Evangelisten" (S. 121), und von hier aus läßt sich die sachliche
Nähe des Matthäus zu Lukas begreifen i beide Evangelienredaktionen
sind „verschiedene Ausformungen einer ,heidenchristlichen'
Theologie vom Ausgang des ersten Jahrhunderts" (S. 126). Auch
die angeblichen judaistischen Texte fügen sich der heilsgeschichtlichen
Konzeption des Matthäus ein; sie können also nicht das
judenchristliche Interesse des Redaktors belegen (S. 134). Abschließend
schlägt Vf. zur Frage der „Form" des Matthäus-Evangeliums
die Bezeichnung „kerygmatisches Geschichtswerk" vor
(S. 145ff.), die - wenn sie auch nicht eigentlich über den Inhalt
des Werkes Auskunft gibt - im Blick auf die doppelte, rückwärts
und vorwärts gewendete Ausrichtung der Arbeit des Matthäus
zweifellos berechtigt ist.

Das Buch markiert nicht, wie der Klappentext behauptet, eine
Wende der Matthäusforschung, sondern es zieht einige in der
Forschung vorgegebene Linien konsequent aus. Der Verfasser beabsichtigte
auch nicht, das Ganze der matthäischen Konzeption -
beispielsweise das die Zäsur der Geschichte übergreifende Gerechtigkeitsthema
- zu erfassen oder zum systematischen Problem
der „Heilsgeschichte" Stellung zu nehmen. Aber wesentliche Aspekte
der Theologie des Matthäus, insbesondere die historische Perio-
disierung, der heidenchristliche Standort und die unapologetische
Ausrichtung des Evangeliums, sind hier mit gewichtigen und
überzeugenden Argumenten zur Darstellung gebracht worden.

Güttingen Seorg Strecker

Pernveden, Lage: The Concept of the Church in the Shcpherd
of Hermas, transl. by I. and N. Reeves with the assistance of
M. Wcntz. Lund: Gleerup 1966. 340 S. gr. 8° = Srudia Theolo-
gica Lundensia, 27. Skr. 40,-.

Die sehr gründliche schwedische Dissertation versucht den
Hirten des Hermas nicht, wie es in der Forschung bisher häufig
geschah, von der Bußfrage her zu klären, sondern findet die beherrschende
Mitte des Werkes in seiner Auffassung von der
Kirche. Da dieselbe nach Meinung des Vf.s trotz aller innerer
Spannung letztlich eine einheitliche ist, werden auch literarische
Teilungshypothesen, wie sie neuerdings wieder von St. Giet vorgetragen
wurden, überflüssig (291f). Diese Grundthese wird konsequent
und im ganzen überzeugend durchgeführt.

Kap. I befaßt sich mit der Präexistenz der Kirche
als erstem Schöpfungswerk nach Vis.I u. II. Um ihretwillen wurde
die ganze Welt erschaffen. Erscheint hier die Kirche als eine bei
Gott verborgene himmlisch-vorzeitliche Wirklichkeit, so steht in
Vis. III u. IV die Realisierung der Kirche auf der Erde im Mittelpunkt
, die durch die Offenbarung des Sohnes Gottes möglich
wird (17-37). In Kap. II wird folgerichtig die Christologie
des Hermas unter ekklesiologischem Aspekt abgehandelt, wobei
ihre Einseitigkeit auffällt: Sie zeigt sich in dem ausschließlichen
Gebrauch des Sohn-Gottes-Titels und in dem völligen Zurücktreten
der menschlichen Gestalt Jesu und des Heilswerkes Christi in
Kreuz und Auferstehung (37-42). Besondere Schwierigkeiten bietet
das unklare Verhältnis des Sohnes zum Geist Gottes. P. lehnt
zwar die vielfach vertretene „Geist-Christologie" ab, vermag aber
wegen des Fehlens klarer systematisierbarer Aussagen selbst keine
befriedigende Erklärung zu geben (42-52). Ähnlich ist die Situation
auch bei einem Vergleich zwischen Michael und dem Sohn
Gottes. P. lehnt zwar jede Art von „Engel-Christologie" ab, muß
aber doch eine Identität in gewissen soteriologischen Funktionen
zugeben, die nach ihm freilich nicht zu einer Identität der
Person führen dürfen (58-64). Klarer scheint das Verhältnis von
Sohn und Gesetz zu sein: Während nach Sim. V der Sohn das

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Gesetz bringt, erscheint er nach Sim. VIII direkt als das Gesetz
selbst (52-57). Die Präexistenz des Sohnes ist - in ähnlicher Weise
wie die Präexistenz der Kirche - mit Vorstellungen der jüdischen
Weisheit verwandt, auch in der unklaren Inkarnationslehre wird
der Sohn ausschließlich als Weisheitslehrer gezeichnet, der Gottes
Gesetz der Welt offenbart. Die verschiedenen schwer systemati
sierbaren Aspekte der Christologie sind so durchweg „ecclesio
centrically" bestimmt (64-71).

Kap. III wendet sich darum dem Verhältnis von Sohn
Gottes und Kirche zu. Sämtliche Funktionen des Sohnes
sind auf diese bezogen: 1. bewahrt und erhält er Gottes Volk
durch den Dienst der Engel, 2. reinigt er es von seiner Sünde,
indem er die Möglichkeit und Kraft zur Metanoia schenkt. Diese
Reinigung beruht freilich nicht auf Jesu Sühnetod, von dem Heimas
nichts weiß, sondern geschieht durch den Sohn Gottes als
Gesetzgeber in Verbindung mit dem Dienst der Engel. Das Gesetz
habe bei H. darum ausschließlich soteriologischen Charakter, es
sei identisch mit dem in der Kirche verkündigten Kerygma, durch
das der Mensch in die Heilsgemeinschaft der Kirche und unter
den Schutz der Engel gerufen werde. Durch das Gesetz offenbare
der Sohn den wahren Lebensweg (72-97). Weiter erscheint der
Sohn als das Fundament, auf dem der Bau der Kirche aufgeführt
wird, hier wird es z. T. schwierig, zwischen dem Sohn und der
Kirche zu unterscheiden (98-105). Doch der Sohn hat nicht nur
soteriologische Funktion, er ist zugleich Herr und Richter der
Kirche (106-111).

Das IV. Kap. fragt danach, w i e der Mensch in den Heilsraum
der Kirche versetzt wird. Dies geschieht durch die Predigt des
Kerygmas, das mit dem Gesetz Gottes und damit dem Sohn selbst
identisch ist. Der Sohn ist Subjekt und Objekt der Predigt zugleich
. Inhaltlich besitzt die Predigt einfachen katechetischen Charakter
, Missionspredigt und Paränese der Getauften sind kaum
zu unterscheiden. Sie umfaßt 1. die Aufforderung zur Abkehr
vom bisherigen heidnischen Wandel, 2. den Glauben an Gott als
Schöpfer und Richter und 3. den Gehorsam gegen sein Gebot. Die
Kirche übt dabei durch ihre Predigt eine ausgesprochene „pädagogische
" Funktion aus. Auch hier ist der jüdische Einfluß offensichtlich
(126-144). Von dieser „pädagogischen" Aufgabe her sind
die Ämter der Kirche zu verstehen, auch sie besitzen „ekklesio-
zentrische" Funktion, ihr Ziel ist die „Oikodome" der Kirche im
wörtlichen Sinne (144-155). Aufgabe der Predigt ist es, Glauben
zu wecken, die die Metanoia zur Folge hat; Glaube und Metanoia
sind so unlösbar aufeinander bezogen. Die Taufe wird nicht
sakramental, sondern als „Aufnahmeakt" in den Heilsbereich der
Kirche verstanden, sie bedeutet kein „Mitsterben mit Christus",
sondern den Schritt aus dem „Tode" des Heidentums zum „Leben"
in der Kirche, das entscheidende Geschehen ist dabei die Metanoia.
Die Geistmitteilung wird nicht mit der Taufe verbunden, sondern
erscheint als Konsequenz des Lebens im Gehorsam des Glaubens
(155-176).

Von hier aus wird in Kap. V nach dem Leben des Menschen i n
der Kirche gefragt. Der Glaubende muß grundsätzlich ein 6oüoc
toü #eoö sein, denn der Mensch hat nur die Wahl zwischen dem
Dienste Gottes und dem Dienste des Teufels. Er ist dabei kraft
seines freien Willens in der Lage, sich richtig zu entscheiden
(Mand XII, 3,4f vgl. Sir. 15,15ff u. Drn30,llf). Zugleich stehen
ihm die guten Kräfte helfend zur Seite: Gott und Mensch wirken
so eng zusammen. Im Hintergrund steht hier ein aus jüdischen
Quellen stammender religiös-ethischer Dualismus, der seinen verbreiteten
Ausdruck in der Zwei-Wege-Lehre und der apokalyptischen
Anschauung vom gegenwärtigen bösen und kommenden
göttlichen Aon fand. Die Kirche ist dabei identisch mit dem Weg
des Lebens und dem kommenden Aon, das Eschaton ist in ihr schon
gegenwärtig (178-222).

Das letzte VI. Kap. versucht auf diesem ekklesiologischen Hintergrund
die eschatologische Bedeutung der Metanoia
darzustellen. Im Gegensatz zur makellosen Reinheit der
präexistenten und eschatologischen Form der Kirche ist die konkrete
Kirche durch ihre sündigen Glieder befleckt. Da für den
Sünder in der Kirche kein Raum ist und die wirklich zur Kirche
gehörenden Glieder in vollkommener Reinheit lebten, haben die
in der Sünde Beharrenden sich im Grunde vom Heilsraum der
Kirche getrennt und sind wieder den Heiden gleich geworden.
An sie richtet sich die Aufforderung zur Metanoia. Gott selbst
bietet sie im Blick auf die nahe Vollendung der Kirche als letzte

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 6