Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1969

Spalte:

380-383

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Niederstrasser, Heinz

Titel/Untertitel:

Kerygma und Paideia 1969

Rezensent:

Jetter, Hartmut

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

379

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 5

380

beides ist zuwenig: ein theologischer Kommentar läßt den Lehrer
bei der drängenden hermeneutisch-didaktischen Fragestellung in
der Regel im Stich, und eine bloße Unterrichtsvorbereitung überspringt
oft die theologische Problematik" (HB, Heft 1, Vorw.). Das
Verdienstvolle der vorliegenden Veröffentlichungen besteht in der
strengen theologischen und didaktischen Rechenschaftsablage, die
die gegebenen Unterrichtsbeispiele fundiert. Der Leser wird dabei
Schritt für Schritt von der theologischen Besinnung bis zur methodischen
Gestaltung geführt, ohne daß ihm eine bestimmte Konzeption
übergestülpt wird. Dabei erweisen sich Erkenntnisse der
neueren Bibelwissenschaft oft als didaktisch sehr fruchtbar. Die
Wahrheitsfrage wird ganz ernst genommen. »Die HB sucht die
Sachfrage des Religionsunterrichtes vom heutigen theologischen
Denken her zu beantworten, nicht in einer Einförmigkeit der Auffassung
, sondern in einer gewissen Variationsbreite theologischer
Denkweise" (a.a.O.).

Es ist nicht möglich, hier über die bisher erschienenen Schriften
der »HB" genauer zu informieren. Auch über die „Streitgespräche"
kann nur das Nötigste gesagt werden. Es steht exemplarisch für
die Grundanlage und den Stil der übrigen Hefte. Einleitend gibt
H. Stock eine theologisch-didaktische Grundlegung über »Die
Streitgespräche der synoptischen Evangelien im Unterricht". Es
handelt sich um die im Unterricht bisher viel zu wenig beachtete
und erschlossene Textgruppe der „Apophthegmata oder Streit-
und Schulgespräche". Eine didaktische Vorfrage: Ist es im Zeitalter
ökumenischen Denkens und Handelns und im Zeichen einer
Pädagogik der Demokratie berechtigt und geboten, Streitgespräche
zum Gegenstand biblischen Unterrichts zu machen? Bei
näherem Zusehen ist darauf positiv zu antworten. Das Streitgespräch
als geordnete Auseinandersetzung um Grundüberzeugungen
hat durchaus einen Sitz im heutigen Leben. Stock informiert
über den „Textbestand" der synoptischen Streitgespräche sowie
über ihre „Form und Bedeutung". Der Begriff »ideale Szene"
(Bultmann) wird in diesem Zusammenhang mit Recht als mißverständlich
beurteilt. Es geht nicht um die beliebige Einkleidung
einer allgemeinen Wahrheit. »Die in den Gesprächen umstrittene
Sache ist derart, daß sie grundsätzlich eine Einheit
von Wort und Tat (Verhalten) bedingt, so daß die Szene
- eine Szene - notwendig ist. Die Szene will die praktische Relevanz
des Wortes zeigen" (S. 8). Hingewiesen wird auf die »Geschichte
der Streitgespräche" und auf die Frage ihrer Historizität. Diese
wird mit R. Bultmann und G. Bornkamm positiv beantwortet:
»Neben Gleichnissen und Teilen der Bergpredigt" reflektieren
„gerade die Streitgespräche ... das Wirken des historischen Jesus"
(S. 13). Vorzüglich arbeitet Stock sodann die Verschränkung von
„Jesusbild und Christuszeugnis der Streitgespräche" heraus. Zur
Verdeutlichung werden „Sprachliche und sachliche Analogien" dargeboten
und schließlich sechs „Didaktische Hinweise" als Ergebnis
der theologischen Erörterungen gegeben:

1) „Die synoptischen Streitgespräche eignen sich vorzüglich
dazu, reichlich historischen Stoff in den Religionsunterricht
hineinzubringen" (die jüdische Welt, die Umwelt Jesu, die
Frage nach dem historischen Jesus). 2) Bei thematischer Bearbeitung
läßt man die synoptischen Differenzierungen zurücktreten.
„In jedem Falle ist es nötig, auf die Frage der Überlieferung und
damit der literarischen Form ausführlich einzugehen" (24). 3) Die
Streitgespräche gehören in den Lehrplan der Mittel- (12-14 Jahre)
und Oberstufe (15-19 Jahre). »In der Mittelstufe sollte die historische
Information mehr Raum gewinnen... Kinder dieser Altersstufe
können erfassen, daß das Evangelium in Kampf, Widerstand
und Widerspruch seinen Gang durch die Welt antritt." In
der Oberstufe muß dann das Thema literatur- und religionsgeschichtlich
entfaltet und mit vielerlei Texten ausgebaut werden.
Für die Unterstufe hält es Stock mit Recht für möglich, einzelne
Beispiele als ,Erzählung' auftauchen zu lassen: „eine Sabbatheilung
, das Zöllnergastmahl, der Streit um Rein und Unrein"
(24/25). 4) „Für den Unterricht besonders der Oberstufe ist das
Streitgespräch über das Christsein in der Heutigen
Welt bedeutsam." 5) Das Thema »Jesus Christus im Streit" ist
unterrichtlich geeignet, die Vorstellung eines auf konventionelle
Privatfrömmigkeit und Friedensgarantie gestellten Christentums
zu erschüttern". 6) Es geht im Streitgespräch Jesu darum, »einleuchtende
Wahrheit" zu vermitteln. Seine Sprache
„kommt bei aller Thesenhaftigkeit... einem auf klare Argumentation
bedachten Religionsunterricht zu Hilfe" (25/26).

Diese grundlegenden theologisch-didaktischen Darlegungen werden
durch drei gründlich bedachte Beispiele konkretisiert: durch
die Streitgespräche über das „Ährenausraufen am Sabbat" (Wegenast
), über die Frage »Rein oder Unrein" (ders.) und beim
„Zöllnergastmahr' (Wibbing). Dabei wird schon in den früher
erschienenen Heften eine der Sache sehr gemäße Folge der Überlegungen
beobachtet. Die »Theologischen Überlegungen" (I) be
ginnen mit der für das Verständnis und den Unterricht so wichtigen
„Analyse" der Überlieferungs- und Formgeschichte der Peri-
kope. Ihr folgt der Abschnitt „Exegese". Er geht dem „Zusammenhang
" der Perikope im Evangelium nach, führt den „synoptischen
Vergleich" durch, tritt in die ausführlichere „Einzelexegese" ein
und erörtert abschließend „Grundfragen des Textes". Die „Dog
matische Besinnung" denkt über das aus der Exegese erwachsene
systematisch-theologische Grundproblem nach, insbesondere darüber
, inwiefern es uns heute betrifft und wie es heute zu formulieren
wäre (z. B. »Was heißt heute, ,der Mensch ist nicht für den
Sabbat gemacht'?"). Die »Didaktischen Überlegungen" (II) versuchen
, den Ertrag der theologischen Erwägungen für den Unterricht
fruchtbar zu machen. Sie fragen 1) nach dem Schüler der
Altersstufe, für die der Text ausgewählt wurde, als dem Gegenüber
der Sprache und der Sache des Textes. Mit welchen altersspezifischen
Gegebenheiten, mit welchen Verstehenshemmnissen
ist zu rechnen? »Welche Bedeutung kann und soll der Text für die
Lebens- und Denkwelt dieser Altersstufe haben?" Eine 2. Reihe
von didaktischen Erwägungen gilt der unterrichtlichen Gestaltung.
Hier wird nach dem der Altersstufe angemessenen Weg gefragt,
der den Schüler zum Verstehen des Textes zu führen vermag.
„Welche Zugangsmöglichkeiten bieten sich vom Schüler her an
und welche vom Text her?" „Was kann oder muß vorausgesetzt
werden, wenn der Unterricht fruchtbar sein soll?" Schließlich
werden hilfreiche Anregungen zum Aufbau einer Unterrichtseinheit
in Gestalt von knappen, aber konkreten Unterrichtsskizzen
jeweils für mehrere Altersgruppen gegeben.

Natürlich kann man theologisch und didaktisch an diesem und
jenem Punkte anderer Meinung sein als die Verfasser. Im ganzen
muß man urteilen: Hier liegt eine gediegene katechetische Arbeitshilfe
vor, die auf sorgfältiger theologischer und pädagogischer
Arbeit beruht. Sie bewältigt die schwere Aufgabe der Umsetzung
allgemeiner theologisch-hermeneutischer und psychologisch-pädagogischer
Erkenntnisse in die konkrete Unterrichtspraxis des Alltags
. Sie leistet, was sie verspricht. Sie hilft Katecheten und
Pfarrern »in theologischer und pädagogischer Verantwortung didaktische
Entscheidungen zu fällen und einen sach- und kindgemäßen
" biblischen Unterricht zu erteilen" (aus d. Klappentext).
Man kann dieser katechetischen „Handbücherei" nur wünschen,
daß sie in gleicher Gediegenheit wie bisher voranschreitet. Die
didaktischen Überlegungen würde man sich dabei noch ein wenig
ausführlicher vorstellen können. Vor allem wäre zu wünschen,
daß die auf Grund so eindringender theologisch-pädagogischer
Erwägungen gegebenen unterrichtspraktischen Entwürfe durch
vielfältige praktische Erprobung noch erhärtet und differenziert
werden könnten. Das wäre auch für eventuelle Neuauflagen
früher erschienener Hefte zu bedenken.

Leipzig Siegfried Schmutzler

Niederstrasser, Heinz: Kerygma und Paideia. Zum Problem
der erziehenden Gnade. Stuttgart: Evang. Verlagswerk
(1967). 501 S. 8°. Lw. DM24,-.

Der Buchtitel ist nicht ohne Vorgänger: Zuletzt über dem Aufsatz
des Altphilologen Fr. Müller in der Bultmann-Festschrift 1965 j
weiter zurückliegend über der kleinen, aber gewichtigen Schrift
von K. Fror „Erziehung und Kerygma" (1952). Dazwischen liegen
Arbeiten, die sich, nur unter anderem Titel, zur gleichen Sache
gemeldet haben (z. B. Hammelsbecks »Evang. Lehre von der Erziehung
", 19582) und - nicht zu übersehen! - die Synode 1958 mit
A. Flitners Referat über „Die Kirche vor den Aufgaben der Erziehung
" und dem „Wort zur Schulfrage" (Heidelberg 19592). Das
um diese Begriffe kreisende Gespräch zwischen Theologie und
Pädagogik, zwischen Kirche und Erziehungswissenschaft hat sich
seither weniger in Veröffentlichungen als in Studientagungen (vor
allem des Comenius-Instituts) und Arbeitsgemeinschaften fortgesetzt
. Durch das alle bisherigen Arbeiten an Umfang und an aufgearbeiteter
Primär- und Sekundärliteratur in den Schatten stellende
Werk von N. soll dieser Problemkreis erneut der öffentlichen